« Kapitel A 7 Beschreibung des Oberamts Nürtingen Kapitel B 2 »
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B.


Ortsbeschreibung.




1. Nürtingen, [1]


die Oberamtsstadt, liegt am Neckar, unter 26° 59′ 55,51″ östl. Länge, 48° 37′ 37,56″ nördlicher Breite (Kirchthurm), 6 geometrische Stunden (über Plieningen), südöstlich von Stuttgart. Die Erhebung über dem Mittelmeer, und zwar die des Neckarspiegels unter der Brücke, beträgt 829, die der Erdfläche an der Kirche 892,5 Pariser Fuß. Die Stadtgemeinde zählt mit dem Reuthof und dem Siechenhaus 4511 ortsangehörige Einwohner; darunter sind 37 katholische Filialisten von Unter-Boihingen; sie ist somit eine Gemeinde zweiter Classe mit 13 Mitgliedern des Stadtraths. Über die frühere Schreibart und wahrscheinliche Herleitung des Namens s. hienach. Nürtingen liegt genau im Mittelpunkt des Landes und ist der Sitz der Bezirksstellen, mit Ausnahme des Cameral- und Forstamts (s. oben S. 95), eines der beiden evangelischen Schullehrerseminarien und einer Postverwaltung. Von gesetzlich befähigten Praktikanten haben hier ihren Sitz: ein Rechtskonsulent und ein ausübender Arzt.

Ehe der niedrige Rücken zwischen der Steinach und dem Tiefenbach sich gegen das Neckarthal vollends ganz verflacht, erhebt er sich noch zu einem sanften, aber gegen den Fluß steil abfallenden Hügel. Theils auf diesem Hügel, theils an den Seiten desselben | liegt die Stadt Nürtingen, welche nach allen Seiten einen ebenso gefälligen als ansehnlichen Prospekt gewährt. Sie theilt sich in die eigentliche Stadt und drei Vorstädte, von welchen eine jenseits des Neckars liegt. Die eigentliche Stadt hatte Mauern mit Graben und vier starken Thor-Thürmen, und zwar waren die Mauern und Thorwarthäuser von der Amtscorporation zu unterhalten. Nachdem aber die Mauern schon früher häufig überbaut und hie und da durchgebrochen, die Gräben an vielen Stellen eingeebnet und mit Gebäuden und Gärten angelegt, auch die Thürme des obern und Neckarthors abgebrochen und mit Staketenthoren vertauscht worden waren, wurden im J. 1826 die Mauern von der Amtscorporation der Stadt als Eigenthum überlassen und von dieser sofort abgetragen, so weit nicht Gebäude auf denselben stehen; nur die Thürme des Brunnen- und Wöhrd-Thors wurden als oberamtsgerichtliche Gefängnisse beibehalten, sind aber jetzt auch abgebrochen, indem ein neues Gefängniß auf Staatskosten gebaut worden ist. Die Stadt ist sonach jetzt von allen Seiten offen, nur auf der Nordseite fehlt es noch an einem Ausgang. Sie hat sich mit ihren Vorstädten in den letzten Jahren bedeutend erweitert und macht in ihrer Verschönerung gegenwärtig sehr erfreuliche Fortschritte. Letzteres war um so mehr zu wünschen, als die Bauart bisher eine ziemlich schlechte war, und die durch den großen Brand von 1750 (s. hienach) verzehrten Gebäude eilfertig, unsolid und nicht in der besten Ordnung und Anlage wieder aufgeführt worden waren. Die Straßen sind vermöge der Lage der Stadt größtentheils uneben, auch nur streckenweis gerade. Das beste Aussehen hat der Marktplatz und der freie Platz an der Kirche, der Schloßplatz genannt. Das Pflaster ist in den Hauptstraßen und auf dem Markt neu und gut, auch reinlich gehalten; nur die steil abfallende und stark befahrne Poststraße vom obern bis zum Neckarthor ist chaussirt. Pflaster- und Brückengeld wird nicht erhoben. Beleuchtung der Straßen wird gegenwärtig eingerichtet. Die obere oder Kirchheimer Vorstadt (mit Ausnahme einiger älteren Gebäude) ist nach dem 30jährigen Krieg, zum größeren Theil aber erst in neueren Zeiten und zwar nach einem regelmäßigen Plan angelegt worden; sie hat aber nur kleine Häuser und ist ein hübsches Dorf. Die untere Vorstadt, an der Steinach, hat mitunter bessere Gebäude, aber eine weniger regelmäßige Anlage und ist gefährlichen Überschwemmungen ausgesetzt. Eine größtentheils ganz neue Anlage ist die dritte oder Neckarvorstadt jenseits der Brücke.
Die Zahl sämmtlicher Gebäude beträgt 612, davon gehören dem Staat 7, der Stadtgemeinde 27. Das Areal des Ortsetters | begreift 29 Morgen. Unter den öffentlichen Gebäuden gebührt die erste Stelle der Stadtpfarrkirche (zum h. Laurentius). Sie steht auf dem dominirendsten Punkt der Stadt und ist in gothischem Styl im 15ten Jahrhundert gebaut, groß und ansehnlich, im Innern hell und geräumig, aber ganz einfach. Ihr einziger Schmuck ist (den überladenen Kanzeldeckel abgerechnet) die geschmackvoll decorirte Orgel, 1725 von Hausdörfer in Tübingen gebaut, welche rings an der Wand der Chornische angebracht worden ist, statt diese, wie sonst so häufig geschehen, der Quere nach zu verbauen.[2] Frommen Stiftungen verdankt die Kirche schöne Cultusgeräthe. An der Westseite erhebt sich der ansehnliche Thurm; ihn deckt eine Blechkuppel von etwas unschöner Zeichnung mit einem kleinen Glockenlaternchen.[3] Seine Höhe beträgt von der Erdfläche bis an die Dachtraufe 116,4 Par. Fuß. – Die Parochialverhältnisse s. hienach.

Die Kirche zum heil. Kreuz in der obern Vorstadt ist von Almosen erbaut worden, welche in Folge zweier Bittbriefe des Grafen Ulrich im J. 1455 eingingen. Ihre ursprüngliche Bestimmung war die einer Kirchhofcapelle. In neueren Zeiten blieb sie lange ungebraucht und wurde zuletzt Heumagazin, 1823 aber wieder hergestellt und 1842 in gothischem Geschmack verschönert, und wird, sobald sie auch im Innern etwas verbessert seyn wird, zu einzelnen Wochengottesdiensten verwendet werden. Sie stellt sich von außen sehr vortheilhaft dar, was übrigens mehr der neuerdings vorgenommenen Restauration als dem ursprünglichen Bau des Schiffs, der ziemlich unregelmäßig war, zu danken ist. Nur der Chor war von jeher schön.[4]

Die Friedhof- oder Siechen-Capelle, 1610 von der Stadt erbaut, dient hie und da zu Leichengottesdiensten.

Eigenthümerin dieser drei Kirchen ist die Stadt, und zwar | der beiden ersteren durch Übergabe von Seiten des Herzogs Ulrich 1536. Die Baulast der St. Lorenz- und Kreuz-Kirche trägt der Hospital, die der Friedhofcapelle die Siechenpflege. Der Thurm zu St. Lorenz aber ist von dem Hospital und der Stadt zu erhalten.

Der Begräbnißplatz befand sich früher bei der Kreuzkirche. Da es aber schon vor 50 Jahren an Raum gebrach, so wurde 1796 für die Kinderleichen ein eigener Friedhof beim Siechenhaus 1/8 Stunde jenseits Neckars angelegt, 1830 aber der Kreuzkirchhof ganz verlassen und auf Kosten theils des Spitals, theils der Siechenpflege der Kinderfriedhof zu einem allgemeinen Begräbnißplatz sehr erweitert. Doch sind die Grabstätten der Kinder noch abgesondert.[5]

Auf der Nordseite der Hauptkirche stand das in den Jahren 1765–73 nach und nach abgetragene herrschaftliche Schloß, in welchem einige Wittwen württembergischer Regenten ihre letzten Tage verlebt hatten. Es war am Ende zu einer Ruine geworden, die man sammt dem Platz der Stadt käuflich überließ. Jetzt ist diese größtentheils überbaut.[6]

Die dem Staat gehörigen Schullehrerseminar-Gebäude an der nordöstlichen Ecke der Stadt, an der Stelle der abgebrannten Spitalgebäude 1750–54 für die Zwecke der Hospitalverwaltung schön und solid und in geräumigem Umfang aufgeführt, wurden im Herbst 1842 von Seiten des Stiftungsraths an den Staat unentgeldlich abgetreten und von letzterem für die gegenwärtige Bestimmung zweckmäßig eingerichtet. – Staatsgebäude sind noch ferner: das Oberamtsgericht (ehemalige Stadtschreiberei), die Oberamtei, beide zwischen dem Markt- und Kirch-Platz hoch und schön gelegen, das Dekanathaus auf dem Markt, | das Diakonathaus (in der Mitte der Stadt, 1751 erbaut), ein Fruchtkasten und ein Gefängnißgebäude. Das Gebäude der ehemaligen geistlichen Verwaltung ist in Privatbesitz übergegangen (Gasthaus zum Lamm).

Die Amtscorporation erbaute 1812 eine Reiterkaserne, in welcher bis 1815 zwei Schwadronen lagen, bis 1835 zu einem Depot für Fournituren und zur Wohnung eines Caserneninspektors diente, dann aber vom Staat der Corporation wieder überlassen, und von dieser 1843 für 12.000 fl. an einen Privaten verkauft wurde, der eine Gastwirthschaft (zur Sonne) in derselben eingerichtet hat.

Von Gebäuden der Stadt und Stiftungspflege sind zu nennen: das Rathhaus, ein altes, aber 1809 erneuertes, geräumiges und gut aussehendes Gebäude auf dem Markt. Das neue Schulgebäude, das größte und schönste Haus in der Stadt, im J. 1843–44 mit einem Kostenaufwand von 28.000 fl., der aus Stiftungsmitteln bestritten wurde, durch Bauinspektor Rupp von Reutlingen in einfach edelm Styl erbaut. Es steht hoch und frei in der Mitte der Stadt und enthält 9 lichte und freundliche Lehrsäle für die mit dem Seminar verbundene Musterschule und die Mädchenschulen. In einem Flügelgebäude hat die Verwaltung des Hospitals ihren Sitz. Den 29. Oktober 1844 wurde dieses Schulhaus mit angemessener Feierlichkeit seiner Bestimmung übergeben. – Die Lokale der lateinischen und Realschule, der Südseite der Kirche gegenüber, und der Knabenabtheilungen der Volksschule sind ältere Gebäude, die jedoch neuerlich auch eine freundliche Herstellung erfahren haben.

Der sogenannte neue Bau in der obern Vorstadt, ein großes, 1550 aus Stein aufgeführtes Gebäude, ist der hospitalische Fruchtkasten. – Den Mönchhof (ehem. Salmannsweil’scher Pfleghof) s. hienach. Des Krankenhauses wird weiter unten gedacht werden, ebenso der städtischen Backhäuser, Brunnen und anderer öffentlichen Anstalten. Eines der bestgebauten älteren Häuser, das einzige, das einen Erker in der Fronte hat, ist das noch aus dem Ende des Mittelalters stammende, 1535 erbaute sogenannte Klösterle, auch die alte Verwaltung genannt.

Ein wichtiges städtisches Bauwerk ist die neue Neckarbrücke. Im J. 1536 wurde der herrschaftliche Brücken- und Weg-Zoll der Stadt mit der Bedingung überlassen, die Brücke in ihre Unterhaltung zu nehmen. An der Stelle der unbrauchbaren alten Brücke wurde um 1830–32 eine neue vom Wasserbauinspektor Baurath Duttenhofer gebaut. Sie ist von einem Ufer zum andern 418′ lang, liegt mit der Bahn 25′ über dem niedern Wasserspiegel und | hat fünf steinerne 10′ dicke Freipfeiler, zwei Ortpfeiler, und sechs im Licht 58′ weite hölzerne Bogen. Den 30. Nov. 1832 wurde sie feierlich eröffnet. Die Kosten wurden ganz von der Stadtgemeinde getragen, ohne daß diese den Verkehr durch Brückengeldeinzug belästigt.[7] – Über die Steinach führen innerhalb Etters drei, 1839–42 erbaute Brücken mit steinernen Ortpfeilern und hölzernen Tragbalken, außerhalb Etters eine steinerne Brücke auf der Straße nach Neuffen, über die Nebenbäche aber im Ganzen 17 kleinere Brückchen und Stege.

An einzelnen hübschen und gefälligen Privathäusern fehlt es nicht; das ansehnlichste ist das Otto’sche Fabrikgebäude in der Neckarvorstadt.

Die Bevölkerung der Stadtgemeinde belief sich nach der neuesten Zählung am 3. Dec. 1846 auf 2162 männliche, 2349 weibliche, zusammen auf 4511 Angehörige; im Jahr 1832 betrug dieselbe 3805. Von letztern waren abwesend 343, dagegen Fremde anwesend 323; die ortsanwesende Bevölkerung betrug also damals 3785. Am 3. Dec. 1846 bestand dieselbe aus 4458 Personen, worunter 3953 Angehörige und 505 Fremde waren. Die Zahl der Ehen war 1846 720; die der Familien 971; es kamen sonach auf 1 Ehe 6,2, auf 1 Familie 4,6 Angehörige. Am 15. Dec. 1843 zählte man 924 Familien. Geboren wurden von 1832–42 im Durchschnitt jährlich 176,6, darunter uneheliche 12,0; auf 1000 Einwohner kommen hienach 44,2 Geburten (d. h. 1 Geburt auf 22,6 Einwohner) und unter 100 Geburten sind 6,8 uneheliche oder die ehelichen verhalten sich zu den unehelichen wie 1 : 13,7. Dieses Verhältniß ist also günstiger als das vom Oberamtsbezirk, und noch mehr als das | vom ganzen Lande. Gestorben sind nach obigem Durchschnitt jährlich 139,5; auf 1000 Lebende kommen also 35,0 Sterbfälle (oder 1 Sterbfall auf 28,6 Einwohner), und zwar sind von 1000 Köpfen männlichen Geschlechts 36,1, von 1000 Köpfen weiblichen Geschlechts 33,9 gestorben. Auf 100 Gestorbene kommen 126,6 Geborne, und der natürliche Zuwachs der Bevölkerung belief sich in dem Jahrzehent von 1832–42 auf 371 Personen (219 männliche, 152 weibliche), die Zunahme durch Einwanderer über Abzug der Auswanderer 141 (49 männliche, 92 weibliche), der gesammte Zuwachs also 512 (371 männliche, 141 weibliche). Bei der Volkszählung im J. 1846 waren Übersechzigjährige vorhanden 359 oder auf 1000 Einwohner 80.

Nürtingen liegt von den Hauptverkehrswegen abgelegen, was sich durch einigen Mangel an industrieller Betriebsamkeit, dagegen auch wieder durch ländlich biedern Sinn und einfache Sitten der Bewohner ausspricht. Diese erfreuen sich im Ganzen eines kräftigen Körperbaues und eines guten Gesundheitszustandes; im J. 1846 lebten hier gegen 30 Personen, welche das 80ste Jahr überschritten hatten. Auch fehlt es hier weniger als in manchen Nachbarstädten an Sinn für Volksbelustigungen; mit dem alljährlich den 21. September wiederkehrenden landwirthschaftlichen Fest verbindet sich ein heiteres, durch mancherlei Ergötzlichkeiten belebtes Volksfest, und wenn auch der, sonst im ganzen alten Land wohlbekannte Nürtinger Maientag [8] nicht mehr so viele Besucher aus weiterer Umgegend wie früher anzieht, wo dergleichen festliche Gelegenheiten seltener waren, so ist er doch noch immer ein sehr ansprechendes, von den Bewohnern mit Liebe gefeiertes Jugendfest, zu dessen Verschönerung die öffentlichen Kassen mit liberalem Aufwand beitragen.

Von ausgezeichnetern Nürtingern nennen wir:

Johann Nürtinger, Lehrer am Laurentianischen Gymnasium in Cöln, wenigstens schon i. J. 1496 und noch i. J. 1504 (Harzheim Biblioth. Colon. 90). Er vollendete Eberhards von Amersford commentaria in Aristotelem de coelo et mundo (erste Ausg. Colon. Quentel. 1497. fol.), welche Erläuterung nicht ohne Verdienst gewesen seyn kann, da sie in Zeit von 11 Jahren vier Ausgaben erlebte.

Assum, Joh., geb. 1552, eines armen Zimmermanns Sohn, studirte Theologie, wurde Klosterpräzeptor in Adelberg, Diacon in Stuttgart, hierauf in Großbotwar, 1581 Hofprediger zu Langenburg und 1586 Hofprediger und Superintendent zu Weickersheim, | † 1619, Aug. 14. (vergl. Wibel Hohenl. Kirchengesch. 1, 449. 2, 435).

Canz, Eberh. Christoph, geb. 1720, ein ausgezeichneter Rechtslehrer in Tübingen, wo er i. J. 1755 Professor wurde, später auch herzoglicher Rath. Er starb 1773, Nov. 16.

Steeb, Joh. Gottlieb, geb. 1742, Sept. 10., Pfarrer zuletzt in Grabenstetten, wo er 1799, Nov. 30. verschied; ein durch Schrift und That um die Landwirthschaft ungemein verdienter Mann (vergl. über ihn Württ. Jahrb. 1824, 105).

Plank, Eli. Jak., Sohn des Stadt- und Amtsschreibers, geb. 1751, Nov. 15., Prediger und Professor an der Karls-Akademie 1781, ordentlicher Professor der Theologie in Göttingen 1784, als welcher er, i. J. 1828 mit der Abtswürde von Bursfelde bekleidet, den 31. Aug. 1833 zu Göttingen verschied. Berühmter Lehrer und Schriftsteller im Fache der Theologie und insbesondere der Kirchengeschichte, ungemein verdient durch seine Geschichte des protestantischen Lehrbegriffs seit den Zeiten der Reformation. 6 Bde. 1781–1800 und seine Geschichte der christlich-kirchlichen Gesellschaftsverfassung. 5 Bde. 1803–8.

Wurm, Joh. Friedr., Sohn des hiesigen Präzeptors, geb. den 19. Jan. 1760, Präzeptor in seiner Vaterstadt 1788, Pfarrer in Gruibingen 1797, Professor in Blaubeuren 1800, am obern Gymnasium in Stuttgart 1807, gestorben in Stuttgart am 23. April 1833. Ein gründlicher Philolog und einer der ausgezeichnetsten Mathematiker und Astronomen Deutschlands (siehe über ihn: Neuer Nekrolog der Deutschen 1833. Thl. 1. S. 306–310).

Nahrungsstand. Die Vermögensumstände und die Mittel des Auskommens sind gut zu nennen, letztere in Vergleichung mit andern Orten sogar sehr gut, da die Gemeindenutzungen (s. hienach) bedeutend und die städtischen Kassen so beschaffen sind, daß kein Amts- und Stadt-Aufwand umgelegt und die Bürgerschaft für keine unentgeldlich zu leistenden Dienste in Anspruch genommen wird, vielmehr in allen dringenden Fällen, in Krankheiten, Viehkrankheiten, Viehunglück etc. kräftig unterstützt werden kann. Die Haupterwerbsquellen sind Feldbau und Viehzucht; die Gewerbe sind dagegen (mit Ausnahme der unten aufzuführenden Fabrikgeschäfte) um so weniger von Belang, als auch die Professionisten nebenbei mehr oder minder der Landwirthschaft obliegen.

Feldbau. Von der ausgedehnten, eine halbe Quadratmeile (8500 M.) begreifenden Markung sind 2900 M. (davon 2612 M. Privateigenthum) dem Garten- und Ackerbau, 1355 M. (davon 1281 Privateigenthum) dem Wieswachs gewidmet. Die Bodenverhältnisse sind verschieden (im Neckarthal vorschlagend Sand, | auf den Ansteigungen und Höhen Lehm, auch Kies), im Ganzen aber, sowie die klimatischen, nicht ungünstig, ganz besonders für Halmfrüchte. Hagelgewitter sind sehr selten; auch hier noch, wie weiter oben im Neckarthal, nennt man die Höhen von Altenrieth als Wetterscheide. Der Anbau macht intensiv anerkennenswerthe Fortschritte, indem die größeren Landwirthe mit rühmlichem Eifer voran gehen. Als Hindernisse aber werden, neben der weit gehenden Güterzerstückelung, der Mangel an Flurwegen und die bergige, zum Theil auch entfernte Lage der Güter bezeichnet. Von Halmfrüchten wird Dinkel über Bedarf, dann Gerste, weniger Haber gebaut. Die Ackerpreise stellen sich gegenwärtig und zwar die geringsten auf 150–200 fl., die mittleren auf 350–400 fl., die höchsten auf 500 fl. pr. Morgen. Die Wiesen, die eine ansehnliche Fläche einnehmen, aber zum Theil sehr entlegen sind, liefern einen guten und meist reichlichen, das örtliche Bedürfniß des ansehnlichen Viehstands jedoch nicht übersteigenden Ertrag; die im Steinachthal früher eingerichtet gewesene Wässerung hat aufgehört. Preise: 200–250 fl., 350–400 fl., 600 fl. Der Gartenbau ist untergeordnet und Sache des nächsten Bedürfnisses. Gespinnstpflanzen werden theilweise in vorzüglicher Qualität, aber in unbedeutendem Umfang gebaut. Die Obstzucht ist wichtig und Gegenstand der zunehmenden fleißigen Sorgfalt sowohl der städtischen Verwaltung als der Privaten. Auf den Allmanden stehen über 5000 tragbare Bäume. Zwei städtische „Bäumler“ berathen die Bürger bei ihren Pflanzungen. Es gibt eine städtische und seit einiger Zeit auch einige Privatbaumschulen. Der Weinbau ist Nebensache und auf wenige Morgen beschränkt, das Produkt aber nicht schlecht, besonders von der s. g. Klinglerhalde. Die auf hiesiger Markung liegenden Laubwaldungen im Tiefenbach und der sogenannte Kirchert von 3400 Morgen sind Eigenthum der Stadtgemeinde und in schönem, ertragreichem Zustande, der sich durch die gegenwärtige Einführung der Hochwaldwirthschaft noch steigern wird. Nadelholz wird für den städtischen Bedarf zu besondern technischen Zwecken in einigen Culturen angezogen. Nach außen verkauft werden Eichen und verarbeitetes Handwerksholz. Die Waldungen stehen unter der Aufsicht eines eigenen städtischen Försters. – Die Stadtgemeinde hat eine sehr gute, ausschließlich den Schafen eingeräumte Weide von 525 Morgen, woraus 900 fl. Pacht erhoben werden: der Pförcherlös beträgt 1500 fl.
Viehzucht. Die Pferdehaltung und noch mehr die Zucht ist gegen früher im Abnehmen, da für kleine Wirthschaften der Vortheil des Betriebs mit Rindvieh auch hier eingesehen wird. Um so vorzüglicher ist die Zucht des letzteren. Seit 10 Jahren hat | der schöne Simmenthaler Schlag fast alles andere Vieh verdrängt. Die Stadtpflege unterhält in einer eigenen Meierei 8–10 Farren für die Nachzucht. Die Rindviehzucht ist hier ein wesentlicher und blühender Erwerbszweig. Schafe und zwar spanische Bastarde, werden von einigen Schäfern und größern Landwirthen in ziemlicher Anzahl gehalten und hier überwintert; doch war dieser Betrieb früher ausgedehnter. Schweine werden mit Vortheil gezogen und viele gemästet; die Einfuhr aber (aus Bayern) überwiegt bei weitem die Ausfuhr.

Gewerbe. Von Kunstgewerben haben wir zu nennen: eine Buchdruckerei (Senner), welche zweimal wöchentlich ein Amtsblatt liefert, eine Maschinenfabrik (Wißmann), eine Kunstdreherei mit Metallgießerei (Schilling).

Unter den Fabrikgeschäften steht oben an: die mechanische Baumwollenspinnerei von J. F. Otto. Gleichfalls in ausgedehntem Betrieb mit denselben Absatzrichtungen steht die Türkischrothfärberei von Otto. Die Türkischrothfärberei von Bleyhl arbeitet mit ziemlich starkem Absatz ins Inland und nach Baden. – Die Garnzwirnerei der Hospitalpflege (s. hienach) beschäftigt mit vier größeren und mehreren kleinern Zwirnmaschinen 30–50 Personen. Die Baumwollenweberei der Gebrüder Müller läßt auf mehr als hundert Stühlen arbeiten und liefert Baumwollenzeuche aller Art, die meistens in der Umgegend und von Händlern auf den Märkten des Inlands abgesetzt werden. Die hiesige Tuchfabrikation ist gleichfalls nicht unwichtig (namentlich von Losch, Schmid und Auer); sie beschäftigt sich hauptsächlich mit mittelfeinen und ordinären Tüchern, Halbtüchern und Bibern, und setzt sie theils im Großen auf der Stuttgarter Messe, theils auf den benachbarten Märkten und im Handverkauf ab. Die Bortenwirkerei, Fransen- und Gimpenfabrikation wird von C. Berlinger und einigen andern Meistern lebhaft betrieben. Ferner gehören die Lohgerbereien von Heinzelmann, Nübel, Wurm und Jenisch, und die Weißgerberei von Gänßle und Sohn zu den stärkeren produktiven Gewerben. Oberamtsthierarzt Dorn verfertigt künstliche Wetzsteine, die auch in das Ausland abgesetzt werden. Von Metallgewerben sind die wichtigsten: die Messer- und chirurgische Instrumentenfabrikation von C. Lorch, die Schlosserei v. C. Schmid. Endlich verdient die Möbelschreinerei von C. und L. Brunle, J. Dolde und G. Knapp besondere Erwähnung.

Unter den verschiedenen sämmtlich vom Neckar getriebenen Mühlwerken ist das bedeutendste die Mahlmühle mit 12 Gängen und Einrichtung zur Fabrikation des sogenannten Kunstmehls von Künkele und Sohn, ein stark beschäftigtes Werk, welches früher | städtisches Eigenthum war. Im J. 1468 verlieh Graf Ulrich von Württemberg der Stadt die Mühle nebst Zugehör als Zinslehen gegen jährlich 100 Pfd. Heller Landswährung (Lehenbericht in der Stadtregistratur). Vor einigen Jahren hat die Stadt die Mühle mit aufgehobenem Bannrecht über die Stadt, aber fortdauerndem über Neckarhausen und Raidwangen verkauft. Weitere Werke sind: eine Öl- und Gypsstampfmühle, eine Sägmühle mit 2 Sägen, eine Wergreibe mit 2 Tischen, eine Schleif- und Lohmühle und eine Tuchwalke (Schwaiger). Eine zweite Ölmühle wird durch Pferdekraft in Bewegung gesetzt.

Einen ausgedehnten Betrieb hat die Maiersche Bleiche mit Walken und künstlichen Wasserschöpfrädern am Neckar. – Eine ältere Ziegelei befindet sich außerhalb der Stadt jenseits der Steinach. Aus dieser Ziegelhütte ist ein Dachplattengefäll mit 400 fl. gegen den Staat abgelöst worden. [9]

Bierbrauereien sind vier, wovon zwei (Boley und Thees) mit bedeutendem Betrieb, Schildwirthschaften 12 vorhanden.

Handel. Der aktive beschränkt sich auf die vorgenannten Industrieprodukte, besonders des Otto’schen Etablissements, und auf die Ausfuhr von etwas Getreide und Vieh. Von Erheblichkeit ist der Handel mit Langholz, der von Rommel und Heinzelmann auf dem Neckar nach den Rheingegenden getrieben wird. Zwischenhandel, Spedition und Durchfuhr findet nicht Statt; doch verspricht man sich in letzterer Hinsicht etwas von der neu angelegten Straße nach Metzingen. Eingeführt werden hauptsächlich Colonial- und Specereiwaaren. Handlungen mit solchen, sowie mit Ellen-, Eisen- und andern Waaren zählt man 14, Apotheke 1.

Die Märkte der hiesigen Stadt sind wenigstens bedeutender als die der übrigen Marktorte des Bezirks, wenn sie auch denen von Kirchheim etc. nicht gleich kommen. Vieh- und Krämermärkte (zugleich mit Leinwand und Tuchwaaren) werden jährlich vier gehalten. Der Viehumsatz ist namhaft; allein seit Aufhebung der Accise ist die Möglichkeit näherer statistischer Erhebungen hierüber abgeschnitten. Ein eigener Schafmarkt findet im Spätherbst, und ein Flachs-, Hanf- und Leinwandmarkt den 21. Dec. Statt, der von Nah und Fern sehr besucht ist. Die Wochenmärkte sind ganz unbeträchtlich und die wöchentlichen Fruchtmärkte kaum mit diesem | Namen zu benennen; wichtiger ist dabei die Brennholzzufuhr von der Alp.

Gemeinde- und Stiftungs-Haushalt. Die Finanzen der Gemeindecorporation befinden sich in einem vortheilhaften, ihre Verwaltung in einem geordneten Zustande. Das Nähere hierüber enthält in Zahlen die Tabelle IV. Ihre Revenuen fließen hauptsächlich aus dem ansehnlichen Grundbesitz (hauptsächlich Waldungen s. vorhin, dann 50 Mrg. Gärten und Länder, 231 Mrg. Äcker, 65 M. Wiesen und 525 M. Weiden); das Locar der Schafweide sammt Pförcherlös beträgt allein 2400 fl. Umlagen zu Bezirks- oder Gemeindecorporationszwecken finden nicht Statt. Jeder Bürger genießt als Ortsnutzung jährlich 1 Klafter Holz, 25 Wellen, 3 Gemeindetheile und erhält die Schulbücher für seine Kinder unentgeldlich (letztere aus Stiftungsmitteln). – Das Stiftungsvermögen wird unten bei den aus solchen zu erhaltenden Anstalten im Einzelnen angegeben werden.

Als Wappen führt die Stadt im goldenen Felde ein rothes Hifthorn mit schwarzem Bande und unter dem Hirschhorn eine blaue Raute. Zuweilen wird die Oberstelle des Schildes noch mit einem vierendigen württembergischen Hirschhorn belegt.

Der Fruchtzehenten ist zwischen der Staatsfinanzverwaltung, die aber noch in einzelnen Distrikten denselben allein bezieht, und dem Hospital halbtheilig. Der kleine Zehent gehört dem Hospital, wird aber seit undenklichen Zeiten von Nürtinger Bürgern gar nicht, von Ausmärkern aber nach jährlicher Schätzung in Geld erhoben. Der Heu- und Öhmdzehent ist abgelöst; aus den Weinbergen bezieht der Staat ein Surrogatgeld. Gült- und landgarbenpflichtig waren die hiesigen Güter zum größern Theil dem Hospital, zu einem kleinern dem Staat. Die Landgarben sind neuerdings ganz, die Gülten größtentheils abgelöst worden. Die Frohnpflichten, sowie die Leistungen der öffentlichen Cassen sind abgelöst, Privatablösungen sind noch wenige vorgekommen. Das Fischrecht im Neckar und den Nebenbächen steht dem Staat zu und ist verpachtet. Eine Strecke von 250 l. R. in ersterem ist Privateigenthum.

Kirchliche Verhältnisse. Die Parochie Nürtingen begriff in älteren Zeiten einen ausgedehnten Sprengel, indem Beuren bis 1401, Frickenhausen mit Tischardt bis 1467, Linsenhofen bis 1468, Neckarhausen mit Raidwangen bis 1507, Ober-Boihingen mit Reudern bis 1466, Tachenhausen bis 1481, und Ober-Ensingen, Hardt und Zitzishausen bis 1723 Filiale der hiesigen Kirche waren. [10] | Nach der Reformation wurden die Einkünfte dieser Kirchen theils dem Hospital einverleibt, theils zur Dotation einer Pfarrstelle und zweier Diakonate verwendet, von welchen letzteren aber das eine 1723 nach Errichtung der Pfarrei Ober-Ensingen aufgehoben wurde. So stehen also gegenwärtig an der Kirche ein Stadtpfarrer, der zugleich Dekan der Nürtinger Diöcese ist und ein Diakon, die vom Landesherrn ernannt und vom Staat besoldet werden.[11] Doch werden zu letzterem Zweck wegen eingezogener Kirchenpfründen 180 fl. vom Hospital beigetragen, der auch die Cultkosten zu bestreiten hat.

Kloster war ehemals in der Stadt selbst nur eines, eine Beguinenklause. Das Bruderhaus Michelhalden lag außerhalb der Stadt, s. hienach. – Einen Pfleghof hatte hier, wie schon erwähnt, das Kloster Salmannsweil, von dessen wichtigen Besitzungen in Nürtingen unten die Rede seyn wird; er hieß der Mönchhof und wurde 1749 für den Hospital erkauft, ist aber jetzt Privateigenthum (Bierbrauerei zum Waldhorn).

Bildungsanstalten und Schulen. Von jeher hat die Stadt Nürtingen durch rühmlichen Eifer für ihre Schulanstalten sich ausgezeichnet [12], welche denn auch seit langer Zeit immer mit tüchtigen Lehrern besetzt waren und ein wohlverdientes Vertrauen in der Nähe und Ferne fortwährend genießen. Nicht leicht ist eine württembergische Landschule zu nennen, welche einer gleich großen Anzahl verdienter Männer in Staats-, Kirchen- und Lehrämtern die Vorbildung gegeben hätte, wie die hiesige lateinische Schule, und zu einer Zeit, wo selbst noch in der Hauptstadt aller höhere Unterricht fast nur darauf berechnet war, die sogenannte Honoratiorenjugend entweder für das Landexamen oder für die Schreibstube vorzubereiten, dachte Nürtingen daran, die Bildung

| des Bürgerstandes durch eine Realschule zu heben. Schon 1783 wurde hier eine solche, die erste des Landes, nach dem Muster der damals berühmten Berliner Realschule, errichtet. In gleicher Weise waren die Volksschulen immer der Gegenstand väterlicher Fürsorge der städtischen Behörden.

Es war sonach ein sehr angemessenes und verdientes Anerkenntniß, daß 1842 Nürtingen von der Staatsregierung zum Sitz eines der beiden evangelischen Schullehrerseminare ausersehen wurde. Unentgeldlich trat, wie oben bemerkt, die Stadt die Hospitalgebäude ab, bestritt die Kosten der Erbauung einer Musterschule und wendet zur Besoldung des Musterlehrers und Gehülfen jährlich 1000 fl. auf, wogegen sie sich für den Fall, daß der Staat das Institut von Nürtingen zurückzieht, entweder eine Entschädigung durch eine ähnliche Anstalt oder die Überlassung der Gebäude an den Hospital ausbedungen hat, wo alsdann der Staat im Fall des Verkaufs den etwaigen Mehrerlös über die Summe von 20.000 fl anzusprechen, aber von 1843 an dem Hospital 400 fl. jährliche Hausmiethe zu vergüten hätte. Im Nov. 1843 wurde die Anstalt eröffnet. Sie ist auf 80 Zöglinge, die freie Wohnung im Seminargebäude und unentgeldlichen Unterricht genießen, berechnet. Für minder Bemittelte sind Stipendien in Jahresportionen von 30–50–65 fl. vorhanden. Das Lehrerpersonal besteht aus 1 Vorsteher (Rektor), 3 Haupt- und einigen Nebenlehrern. Mit der Anstalt ist eine Musterschule, bestehend aus zwei Mädchenabtheilungen, zur praktischen Übung der Seminaristen im Unterricht verbunden. Eine Präparandenanstalt für Zöglinge des Schulstandes, als Privatanstalt unter der Leitung des Seminarvorstandes, ist im J. 1845 ins Leben getreten.

Die lateinische Schule hat zwei Lehrer (Rektor und Präzeptor); ebenso die Realschule; auf beide bereitet eine Elementarschule gemeinschaftlich vor. Die Volksschule besteht aus drei Knabenschulen mit zwei Lehrern und einem Unterlehrer, und vier Mädchenschulen (außer obiger Musterschule) mit drei Lehrern und einem Unterlehrer. Sämmtliche Lehrer an den städtischen Schulen werden vom Hospital besoldet. Das Nominationsrecht, welches die Stadt jeder Zeit sehr würdig übte, ist ihr durch die neuen Bestimmungen entzogen worden.

Industrieschulen werden in den Wohnungen von 15 Lehrerinnen gehalten, welchen das Lehrgeld für ärmere Kinder aus öffentlichen Kassen bezahlt wird.

Hier ist noch zu erwähnen, daß eine hospitalische Bibliothek, welche längere Zeit wenig beachtet gewesen war, jetzt in dem neuen Schulgebäude sich befindet; es wird wieder mehr als früher dafür | gethan, und in Anschaffung neuer Bücher mehr Rücksicht auf gemeinnützige Zwecke genommen. – Auch ist noch ein hospitalisches Archiv vorhanden.

Wohlthätigkeits-Anstalten und Stiftungen. Die Mittel zu wohlthätigen Zwecken sind sehr ansehnlich und haben ihren Bestand theils dem frommen Sinn der Vorfahren, theils der klugen und thätigen Verwaltung der örtlichen Behörden zu verdanken. 1) Der Hospital ist die reichste unter den Anstalten dieser Art in Alt-Württemberg, unterscheidet sich aber von einigen andern dadurch, daß er nicht von einer ursprünglich geistlichen Stiftung ausging, sondern als reines Communal-Eigenthum von jeher die Natur eines weltlichen Corpus hatte.[13] Die Geschichte desselben wird im Wesentlichen hienach gegeben werden.

Eine Hauptverbindlichkeit des Hospitals ist, die Stadt in allen Ausgaben für Kirche und Schule zu vertreten. Er reicht sonach (außer dem oben erwähnten Besoldungsbeitrag an die Ortsgeistlichen) den Lehrern an sämmtlichen hiesigen Schulen, sowie den untern Kirchendienern ihre Gehalte theils in Geld, theils in Naturalien, und trägt den gesammten Aufwand für Cultus und Unterrichts-Requisiten, nebst der Baulast an beiden Kirchen und vier Schulgebäuden. Auch liegt ihm die Salarirung der Pfarrer in Neckarhausen, Ober-Ensingen, Plietzhausen und Sielmingen, sowie die Unterhaltung der Pfarrhäuser in den gedachten Orten (in Plietzhausen zur Hälfte) ob. Endlich reicht er städtischen Armen bedeutende Unterstützungen an Geld, indem die Naturalverpflegung schon seit 1670, auch die Frucht- und Wein-Verwaltung seit mehreren Jahren aufgehört hat. Man findet aber, daß der Hospital seit seiner Gründung (sowie schon das frühere Spendalmosen, s. hienach) auch die Armen der Amtsorte (des alten Nürtinger Amts) unterstützt, und zwar durch regelmäßige Reichungen („wochentliche Kastenhilf“), als auch durch außerordentliche Beiträge in bedrängten Zeiten. Erstere schien auf einer – wenn auch in ihrer Entstehung nicht mehr nachweisbaren und in der Folge widersprochenen – Verbindlichkeit beruht zu haben, letztere aber wurden immer ausdrücklich „um Gotteswillen“ gereicht und waren bisweilen sehr beträchtlich, so daß in den Jahren 1689 bis 1710 die der gesammten Amtscorporation (also die Stadt mitbegriffen) nach | und nach vorgeschossene Summe sich auf 59.197 fl. belief, welche gleichwohl in Betracht der bedrängten Umstände derselben nachgelassen wurde. Ums Jahr 1824 betrugen die ordentlichen Beiträge jährlich 1900 fl., wurden aber dann auf 1300 fl. und später noch weiter herabgesetzt, wobei der Stiftungsrath sich ausdrücklich gegen jede Verbindlichkeit zur Armenunterstützung der Amtsorte verwahrte, während eine solche früher wenigstens stillschweigend anerkannt war. Dagegen reclamirten die Amtsorte, und nach längeren Unterhandlungen kam endlich ein Vergleich zu Stande, wonach 1843 mit der Summe von 36.200 fl. aus dem Grundstock des Hospitals die Ansprüche der 14 Orte des alten Amtes (s. oben S. 104) für immer abgelöst und genanntes Kapital diesen Orten mit der Bestimmung hinausgegeben wurde, nach Verhältniß ihres Armenbedürfnisses vertheilt und unter dem Namen Nürtinger Hospital-Armenstiftung von dem Stiftungsrath jedes Orts besonders verwaltet zu werden.

Die Vermögenstheile des Hospitals sind theils Stiftungen zu besonderen Zwecken, unter welchen wir nennen:

die Stiftung zu Spendbrod 6832 fl. Kap.
" " "   Schulbüchern 2053 " "
" " für studirende Bürgerssöhne 350 " "
" " zu Schulgeldern für arme Kinder 585 " "
" " zu Tuch für Hirten und Nachtwächter 280 " "
" " von J. F. Bilfinger zur Belohnung treuer Dienstboten 2200 " "
" " von J. F. Krämer für Theologie-Studirende aus seiner Familie
und nächst diesen aus Nürtingen und Stuttgart 2000 " "
" Armenstiftung der Elisabeth Späth von Sulzburg 1560 1000 " "
" Stiftung der Herzogin Ursula zu Brodalmosen
auf den Palmtag für die Amtsorte 1000 " "
" " der Pfalzgräfin Susanna 500 " "
" " der Elisabeth, Markgräfin zu Baden 200 " "
" " des Mathias Gmelin vom Kap der guten Hoffnung 200 " "
u. A.
Zum größeren Theile aber flossen die Einkünfte des Hospitals aus Gütern und Gefällen (s. unten), welche bis auf die neueste Zeit | in ihrem alten Bestand vorhanden waren. Seit ungefähr 15 Jahren aber sind mehrere derselben theils in Folge der Ablösungsgesetze, theils wegen ihrer Entlegenheit und kostspieligen Verwaltung veräußert worden, darunter die hauptsächlichsten: der Spitalhof in Reutlingen, die Weinzehentgefälle in Pfullingen, die Lehenhöfe in Harthausen, Unter-Lenningen, Neckarhausen, Wendlingen, der Widumhof nebst kleinern Höfen in Sielmingen u. a. Die gegenwärtigen Einkommensquellen des Hospitals sind:
1) Grundeigenthum: das Hofgut Tachenhausen, verpachtet um jährlich 2000 fl.
2) Gefälle: ewige und jährliche Zinsen, Landgarben in Nürtingen und Neckar-Tenzlingen und etwa 100 Scheffel Gülten aus Lehenhöfen und Gütern in Nürtingen, Frickenhausen, Groß- und Klein-Bettlingen, Ober-Boihingen, Raidwangen, Reudern etc.; Zehnten, und zwar der Großzehent ganz in Ober-Boihingen und Harthausen; halb in Nürtingen, Pliezhausen, Dörnach, Pfullingen und Wolfschlugen; theilweise in Reudern, Linsenhofen, Neckarhausen, Unterhausen, Bonlanden, Ober- und Unter-Sielmingen; der kleine Zehent in Pfullingen, Harthausen, halb in Wolfschlugen und theilweise in Reutlingen; der Heuzehent in Harthausen; der Weinzehent halb in Pliezhausen und theilweise in Grötzingen und Reutlingen. Diese Zehenten sind an die betreffenden Gemeinden auf mehrere Jahre gegen Geld verpachtet; nur Pfullingen zahlt eine jährliche Rente von 1000 fl., Reutlingen von 400 fl.
3) Kapitalvermögen, nach dem Stand von 1843 im Betrag von 133.400 fl.

Die etatmäßige Einnahme des Hospitals betrug 1843/44 22.050 fl.

Der Sitz der von einem eigenen Beamten (Hospitalverwalter) unter der Aufsicht des Stiftungsrathes geführten Verwaltung befindet sich jetzt, wie schon erwähnt, in einem Flügelgebäude des neuen Schulhauses.

2) Sondersiechenpflege und Krankenhaus. Schon zu Anfang des 14ten Jahrhunderts errichtete die Stadt ein Leprosen- und Pest-Haus jenseits des Neckars und dotirte es als eine eigene Pflege aus städtischen Mitteln. Ebenfalls jenseits des Neckars stand das Armenhaus, das 1837 abgebrochen, worauf die Armenanstalt mit dem Siechen- oder Kranken-Haus verbunden wurde. Dieses ist ein sehr altes Gebäude [14] an der Straße nach Ober-Ensingen und neben dem neuen Begräbnißplatz; es dient zur unentgeltlichen Aufnahme und Verpflegung kranker Ortsarmen. Das ansehnliche Vermögen | dieser Anstalt ist städtisches Eigenthum; ihre Einnahme belief sich nach dem Etat von 1842/43 auf 6856 fl., die Ausgaben in demselben Jahre auf 4465 fl. Die Überschüsse fließen in die Stadtkasse.

3) Die Armenkastenpflege hat ein aus Opfergeldern und einigen Kapitalzinsen fließendes Einkommen, das sich 1842/43 auf 355 fl. belief, während die Ausgaben 249 fl. betrugen.

Eine mit dem Hospital in Verbindung stehende öffentliche Beschäftigungsanstalt für erwachsene Arme wurde, die erste im alten Lande, schon 1761 errichtet. Sie besteht gegenwärtig in einer Garnzwirnerei (s. oben), welche von etwa 40 Personen in zwei Sälen des neuen Schulgebäudes (im Flügelbau) betrieben wird und für diese einen jährlichen Verdienst von 2000 bis 2500 fl. abwirft. – Im Jahr 1809 wurde durch den verdienten damaligen Oberamtmann Günzler († 1842), der im ganzen Bezirk noch im gesegneten Andenken steht, ein Wollespinn-Institut errichtet, das sehr schnell in Aufnahme kam und 1814 gegen 600 Personen in Stadt und Amt mit einem jährlichen reinen Verdienst von 12.000 fl. beschäftigte, seit längerer Zeit aber in Folge ungünstiger Verhältnisse eingegangen ist.

Eine Kinder-Rettungsanstalt gedenkt die Oberamts-Corporation zu errichten, wenn das aus der verkauften Kaserne (s. oben) erlöste Kapital von 12.000 fl. für diesen Zweck zureichend angewachsen seyn wird.

Sonstige Anstalten. Für literarische und gesellige Unterhaltung besteht ein Museum (im Gasthaus zur Sonne), für musikalische ein wohlgeübter Liederkranz. Eine Bürgergarde ist vorhanden; eine Schützengesellschaft aber und Schießhaus besteht schon lange nicht mehr. Ein angenehmer Spaziergang ist zwischen der Stadt und unteren Vorstadt angelegt worden.

Anstalten für den Verkehr sind: die Postexpedition, welcher schon oben S. 97 gedacht wurde; an den drei übrigen Tagen geht ein Postbote zu Fuß nach Neckar-Thailfingen. – Die Omnibusfahrten s. ebenda. Landboten mit Fuhrwerk gehen nach Stuttgart, Eßlingen, Reutlingen und Tübingen.

Brunnenanstalten. Eine Wasserleitung aus 9 Quellen im Seebach südlich von der Stadt in thönernen Teucheln, die vor ungefähr 10 Jahren mit einem Aufwand von 10.000 fl. gelegt worden sind, sich aber nicht sonderlich bewähren, führen den 17 laufenden Brunnen der Stadt gesundes Trinkwasser zu; zwei andere Wasserleitungen von der West- und Ost-Seite sind eingegangen. Pumpbrunnen, sowohl öffentliche als Privaten gehörige, sind zahlreich vorhanden.

| Eine Badanstalt mit dem Versuch künstlicher Mineralbäder ist seit einigen Jahren von einem Privaten eingerichtet.[15]

Vier Gemeinde-Backhäuser finden so fleißige Benutzung, daß man 1842 die erzielte Holzersparniß auf 300 Klafter Buchenholz schätzte.

Eine zur Stadt gehörige Parzelle ist der Reuthof, 1832 von einem Nürtinger Bürger hinausgebaut, über dem Schlierbach, unweit der Raidwanger und Neckarhauser Markungsgrenze. Nahe dabei ist das Reiher-Wäldchen, bekannt durch ein Echo, das sich hier befindet.

Der antiquarischen Merkwürdigkeiten der Stadt und der Gegend, der Römerstraße, der gefundenen Alterthümer etc. ist oben gedacht worden. – Die Erinnerung an K. Rudolf lebt noch in dem Feldgewand Rudolfshalde am Grienberg, rechts an der Straße nach Ober-Boihingen, wo dieser Kaiser ohne Zweifel sein Lager hatte, als er 1286 einen Angriff gegen Nürtingen richtete. Aufgrabungen, gelegentlich einer Straßenkorrektion, brachten hier Menschen- und Pferde-Knochen, Waffenstücke, eine eiserne Sturmhaube etc. zu Tag.

In dem Felddistrikt Roßdorf am Kirchertwald, zwischen dem Humpfenbach und der Steinach, scheint sich der Name eines abgegangenen Ortes erhalten zu haben. Wenigstens fand man ganz in der Nähe, auf dem sogenannten Neuhäuser, altes Gemäuer, Ziegeln etc. – Der nahe Tiefenbach, ein bis gegen Owen sich hinaufziehendes Wiesen- und Wald-Thal bewahrt ebenfalls einige Überreste aus der Vergangenheit. Hier, in einem abgeschiedenen Winkel des Bruderwaldes oder Mönchtobels, hart an der äußersten Spitze der Frickenhauser Markung, stand die Waldbruderklause (monasterium Franciscanum fratrum III ordinis) Michelhalden (Mochenhalden, Nürt. Kellerei-Lagerb. 1684), deren Stelle noch durch eine Vertiefung, der „alte Kern“ (Keller) genannt, kenntlich ist. Beim Ausgraben von Baumstöcken wurden Ziegel, Mauerstücke, altes Eisen, ein Beil etc. gefunden. Gegen Ende des 15ten Jahrhunderts wurde dem Paul Schreiber, Guardian des Barfüßer-Klosters in Tübingen, übergeben, „das Bruderhaus zu Frickenhausen im Wald, daß er es besetzen, visitiren und in seiner und seiner Nachfolger Schirm haben möge.“ Nach der Reformation | wurde die Klause mit ihrem kleinen Einkommen zum Hospital gezogen (Bes. p. 554). Eine Lokalität unweit des alten Kellers trägt den Namen der Teufelskanzel. – Durch dieses Thal scheint sich vor mehreren Jahrhunderten eine Hauptstraße von der Alp nach dem Unterland gezogen zu haben, welche den noch in den Lagerbüchern vorkommenden Namen der Frankfurter Weg [16] führte, wie denn auch eine 1567 an der Stelle einer älteren erbaute steinerne Brücke über den Tiefenbach die Frankfurter Brücke hieß. – Daß in dieser Waldgegend in alten Zeiten Glasöfen gestanden haben, wird behauptet. – Ob die Burg der Herren von Tiefenbach, genannt Kiver, noch diesseits, oder auf Dettinger Markung gestanden hat (s. OA.-Beschr. von Kirchheim S. 183 ff.) konnten wir nicht ausmitteln. Der Tiefenbach-Wald war unter den früheren Regenten Württembergs ein beliebtes Jagdrevier; es war darin ein großer Thiergarten und Hirschplan eingerichtet, von Herzog Karl Alexander aber wurde auf einem isolirten Hügel im Thal, der Kräuterbühl genannt, ein hübscher Jagdpavillon erbaut, der jetzt ebenfalls verschwunden ist.
Nürtingen, welchem Namen das altdeutsche Niurât, Niuwirât, d. h. Neurath, zu Grunde liegt, heißt bei seinem erstmaligen Vorkommen: Niordinge zwischen 1024 bis 1039 in einer Urkunde König Konrads II., welche bloß aus der Anführung Kaiser Friedrichs I. von 1157 bekannt ist (Orig. Guelf. 3, 468); später: Nivritingen 1046 (s. unten), Niugertingen 1101 (Dümge Reg. Bad. S. 133 Anm. vergl. mit S. 132), 1140 (eb. 132), Niwertingen 1254. Das praedium Niordinge wurde um 1024 von Beatrix, welche aus einer, nicht angegebenen reichen Familie Schwabens stammte, als Heirathgut an den Sachsen Udo Grafen der Gaue Rittega und Lisgo gebracht und von diesem Grafen wegen der Entlegenheit des Ortes an König Konrad II. ausgetauscht. (Orig. Guelf. a. a. O.)[17] Also wurde Nürtingen Reichsdomäne, von welcher König Heinrich III. im Jahr 1046 einen Theil an die Kirche in Speyer vergabte (quaedam curtis nomine Nivritingen sita in pago Neckergowe in comitatu Werinharii comitis cum omnibus appendiciis. Orig. in Karlsr. Dümge a. a. O. 104). Ein beträchtlicher Theil | muß immerhin dem Reiche geblieben seyn; dieser aber wurde demselben, und zwar dem König Heinrich IV., ums Jahr 1080 – wohl nicht auf lange – durch den Graf Liutolt von Achalm entwunden, welcher sich durch die Besitznahme Nürtingens für den ostfränkischen Besitz, der ihm entrissen worden war, entschädigte.[18]

Außer dem Reiche hatten wohl schon in den frühesten Zeiten die Grafen von Urach (Stammverwandte der Grafen von Achalm) Antheil an Nürtingen;[19] dieser Antheil kam mit der Grafschaft Urach im Jahr 1254 und den nächstfolgenden an Württemberg; im Jahr 1254 am 19. April ward in Beziehung auf die Kirche in Nürtingen noch bestimmt, daß Württemberg und Urach-Fürstenberg solche gemeinschaftlich verleihen sollten, indeß hatte bereits im Jahr 1265 Graf Ulrich von Württemberg sämmtlichen in der Gegend der Stammburg Urach noch übrigen Besitz der Uracher Grafen, den allodialen sowohl als den reichslehnbaren, an seine Familie gebracht.

Auch die Herzoge von Teck hatten Antheil an Nürtingen; diesen (eigene und Lehengüter und Vogtei) trat Herzog Hermann am 14. Febr. 1299 an den Grafen Eberhard den Erlauchten von Württemberg ab (Sattler Grafen I. Beil. Nr. 26).[20]

Die Speyrischen Güter trug vom Bisthum Herzog Ludwig der Strenge von Bayern (1253 bis 1294), von diesem hinwieder Berthold von Neuffen zu Lehen; letzterer erhielt sie am 21. März und 10. Juni 1284, gegen Entschädigung, welche er dem Bisthum gab als freies Eigenthum, um sie jedoch alsbald, am 31. Aug. | und 3. Sept. desselben Jahres, für 285 Mark an Kloster Salmannsweiler wieder zu verkaufen.[21]

Zwischen diesem Kloster und Württemberg erregte indeß ein solcher Besitz an einem und demselben Orte, namentlich die Jurisdiktion, vielfache Streitigkeiten, in deren Folge das Kloster den Grafen Eberhard den Erlauchten in Bann brachte, worauf dieser am 14. März 1294 sich mit dem Kloster verglich (Archiv.-Urk.). Die hiezu erwählten Schiedsrichter erkannten, daß der Graf das Recht habe, Schultheißen und Richter in Nürtingen zu setzen und den Gerichtszwang hier auszuüben; die Güter des Klosters wurden also für landsässig erklärt und es mußten von ihnen 1/2 Reisewagen gehalten, Jägeratz und andere Beschwerden getragen werden. Im 30jährigen Kriege wurde das Kloster dem Herzog Eberhard III. nach und nach 600 fl. schuldig; dafür und für noch einige andere Einräumungen trat es ihm seinen „Mönchshof“ in Nürtingen ab, am 19. Mai 1645 (Sattler Herzoge 8, 98). – Hiesige Einkünfte von Salmannsweiler, welche diesem Kloster bis zum Jahr 1748 verblieben, werden unten bei der Geschichte des Nürtinger Hospitals, durch welchen im genannten Jahre das Kloster hier vollends ganz ausgekauft wurde, erwähnt werden.

Von einzelnen geschichtlichen Ereignissen Nürtingens heben wir folgende aus.

Im Jahr 1286 zwischen dem 14. bis 21. Sept. zerstörte König Rudolf, welcher im Kampfe mit Graf Eberhard dem Erlauchten bereits am 6. Sept. vor Nürtingen lag, den hiesigen Kirchhof, welcher nach der Sitte der Zeit als Veste benützt war.[22]

Im Jahr 1531 wüthete hier die Pest, welche in Stuttgart früher ausgebrochen war und die dortige Kanzlei im Jahr 1530 zur Flüchtung nach Nürtingen, von wo sie schon im Jahr 1531 wieder nach Stuttgart zurückging, veranlaßt hatte. Im Jahr 1585 raffte dieselbe Krankheit 500, im Jahr 1611 bei 200 Menschen weg (Sattler Topogr. 163). In den Jahren 1634 und 1635 wurden | 1154 Personen ein Opfer dieser Krankheit. Sehr schweres Brandunglück erlitt die Stadt im Jahr 1473, in welchem 60 Häuser abbrannten, im Jahr 1750 den 12/13. Dec., wo das von der Stadtschreiberei ausgehende Feuer 133 Gebäude in Asche legte, endlich im Jahr 1787 am 16. Sept., wobei 30 Häuser niederbrannten.

Nach der Nördlinger Schlacht (1634) war Nürtingen ein Schauplatz der wildesten Grausamkeit, welche durch die Kroaten verübt wurde; sogar auf der Kanzel der hiesigen Kirche, seinem Flüchtungsorte, wurde der Owener Pfarrer Wölflin erstochen; die Herzogin Ursula, Herzog Ludwigs Wittwe, wurde an den Haaren über die Leichname der im Schlosse ermordeten Personen herumgezogen, mit Flintenkolben hin- und hergestoßen und kaum noch durch den Obristlieutenant v. Grün aus den Händen der Wüthriche gerettet. In Asche gelegt wurden 49 Häuser und Scheunen. Am 5. Okt. 1634, bei einer Zählung, fand sich die Zahl der frühern 498 Bürger auf 149 heruntergeschmolzen.

Das schon erwähnte Nürtinger Schloß ist bekannt als Wittwensitz württembergischer Fürstinnen. Die Gräfin Henriette († 16. Febr. 1444), Wittwe Graf Eberhards IV., schloß im Jahr 1421 am 7. Dec. einen Vertrag, wonach sie einen Wittwensitz in Nürtingen haben, doch Bürger und Amtsangehörige bei ihren Privilegien lassen sollte; am 23. April 1423 erhielt sie neben den versprochenen 700 fl. noch 572 Hühner, 57 Gänse, 250 Käse, 560 Eier; im Jahr 1442, als sie mit ihren Söhnen Streit bekam, verriegelte sie sich im hiesigen Schlosse (Steinhofer 2, 710. 719. 728. 733. 841). Ihren Wittwensitz hatten auch allhier Elisabeth, Gemahlin Graf Eberhards d. J. (Herzogs II.), welche mit ihrer Morgengabe auf Nürtingen, Neuffen und Grötzingen versichert worden war. Noch bei Lebzeiten ihres Gatten, den 4. Dec. 1499, zog sie in diese Stadt und nahm die Huldigung ein; sie starb allda am 28. März 1524 als große Wohlthäterin von den Bürgern betrauert (Steinhofer 3, 119. 388. 799). Seit dem Jahr 1551 weilte gleichfalls hier Sabina, welche nach dem Tode ihres Gemahls, Herzog Ulrichs († 1550), von dem getrennt sie in Bayern gelebt, wieder nach Württemberg gezogen war, mit Religionsübungen und Werken der Wohlthätigkeit beschäftigt bis zu ihrem am 30. Aug. 1564 erfolgten Ableben (Heyd Ulrich 3, 570). Im Jahr 1589 am 20. Mai starb hier auf ihrem Wittwensitze Anna Maria, Wittwe Herzogs Christoph (Crusius Ann. pars. 3. S. 827, Sattler Topogr. 164). Im Jahr 1593 erhielt Ursula, Wittwe Herzogs Ludwig, allda ihren Sitz, wo sie bis zum Jahr 1634 sich aufhielt (Günzler Nürtinger Spital S. 4). Im Jahr 1635 behielt Susanna, Gemahlin | des Pfalzgrafen Georg Johann von Lützelstein, diese Stadt mit kaiserlicher Erlaubniß so lange zum Widum, bis man sich wegen der Morgengabe der Herzogin Ursula und anderer Anforderungen abgefunden hätte, was in den so verwirrten Zeiten einige Zeit anstand (Sattler Topogr. 164). Im Jahr 1698 starb allda Maria Dorothea Sophia, Wittwe Herzogs Eberhard III., welche seit 1690 hier gewohnt.

Die ältesten bekannten geistlichen und weltlichen Beamten sind: Fridericus plebanus de Niwertingen und Marquardus scultetus in einer Archival-Urk. von 1269 am 28. Mai.

Das Erbschaftsrecht der Stadt Nürtingen, wie solches im Jahr 1509 öffentlich bekannt gemacht wurde, steht bei Fischer Erbfolge 2, 227.

Von Klöstern waren, außer dem bereits erwähnten Salmannsweiler, namentlich Blaubeuren (schon im 12ten Jahrh.) und Weiler (seit 1303) hier begütert.

Die Reformation war im Jahr 1531 schon weit vorgedrungen; Vogt, Bürgermeister und Gericht führten damals bei König Ferdinand Klage darüber, daß die Gefälle, welche bisher einem Schulmeister und Meßner durch Begräbnisse und Jahrtage gefallen, wegen der lutherischen Partei nachließen und daß sie den Meßner und Schulmeister nimmer erhalten könnten, indem die Bürger diesem ihre Jugend nicht mehr anvertrauen wollten (Sattler Topogr. 163). – Über die hiesige Superintendenz ist der allgemeine Theil VII. 2. nachzusehen.

Vor Errichtung des Spitals bestand allhier eine Almosenpflege, zu welcher verschiedene fromme Stiftungen gemacht wurden, z. B. von Graf Ulrich dem Vielgeliebten, † 1480 (jährlich 6 Pfund Heller für Spendbrod an Hausarme auszutheilen), über welche Stiftung Ulrichs Sohn, Graf Eberhard d. J., im Jahr 1480 einen eignen noch vorhandenen Stiftungsbrief ausstellte. Die kluge Verwaltung des Vogtes und Gerichtes bereicherte die Stiftung durch Ankauf von Zehnten in Linsenhofen, Gefällen in Frickenhausen, Tischardt (1507) und Pliezhausen (1524, nebst Antheil am dortigen Patronatrecht). Die Errichtung des Spitals fällt ins Jahr 1526, die Zeit des Ankaufes der Tachenhauser Kirche und deren Zugehörungen (s. dort), der Hauptquelle seines Reichthums. Erzherzog Ferdinand gab am 22. Mai 1526 einen, noch im Original vorhandenen Bestätigungsbrief. Dieser Stiftung wurde sofort die frühere Almosenpflege einverleibt und erstere überhaupt durch viele Erwerbungen bereichert, wovon wir einige namhaftere ausheben: die von den Herrn von Neuhausen im Jahr 1566 erkauften Zehnten von Wolfschlugen, den Kirchensatz in Sielmingen 1532 der Thumbischen Familie | abgekauft, Forstnerische Güter und Gefälle zu Reutlingen und Pfullingen im Jahr 1738 für 70.000 fl. erworben, den halben Fruchtzehnten und mehrere Gefälle und Einkünfte in Nürtingen (s. Frickenhausen), welche noch dem Kloster Salmannsweiler gehörten, im Jahr 1748 diesem Kloster um 56.000 abgekauft.[23]

Fußnoten:

  1. Literatur: Chr. Dinkel, Chronik und Beschreibung der Stadt Nürtingen. Nürtingen, Frasch 1847. 8.
  2. In dieser Kirche befanden sich ehemals als Altarschmuck fünf Gemälde der schwäbischen Schule, welche die Stadt im Jahr 1841 der Königl. Kunstschule in Stuttgart zum Geschenk gemacht hat; vergl. Kunstblatt zum Morgenblatt 1844 Nr. 38 S. 159.
  3. Die größte Glocke stammt von Blaubeuren: Herzog Ulrich ließ sie aus diesem Kloster nach Stuttgart führen um daraus Geschütz zu gießen. Nürtingen aber erbot sich neuen Zeug dafür zu liefern und erhielt sie. (Balth. Mütschelin Landbuch.)
  4. Eine Capelle, von welcher man noch die Grundmauern erkennen will, soll in der untern Vorstadt über dem sogenannten Heiligen- oder Weihbrunnen, der früher von Wallfahrern häufig besucht und für heilkräftig gehalten worden seyn soll, sich befunden haben.
  5. Auf diesen Kinderkirchhof wurde nach letztwilliger Verfügung der 1820 in Denkendorf verstorbene Prälat Cleß begraben. Seine Grabstätte umfaßt eine einfache niedrige Mauer, für deren Erhaltung der Verstorbene der Siechenpflege 500 fl. (nebst den Zinsen aus 25 fl. für den jeweiligen Todtengräber) legirt hat. Der feste Kirchhof, welchen K. Rudolph 1286 einnahm, befand sich ohne Zweifel um die St. Lorenzkirche, wo man noch vor einigen Jahrzehnten Menschengebein ausgegraben hat.
  6. Nach dem Kellerei-Lagerbuch von 1526 gehörte zu dem neben der Kirche und der Stadtschule gelegenen Schlosse: der Marstall, das Kornhaus, der Thiergarten, das Falkenhaus, zwei Scheunen, ein Hundsstall und ein Hundshaus. Herzog Ulrich, der 1535 die Stadt befestigte, scheint auch das Schloß ausgebessert zu haben. Die „Veste“ Nürtingen wurde 1326 von Graf Ulrich von Württemberg dem Grafen Rudolph von Hohenberg zur Sicherheit eines Bündnisses eingeräumt.       M.
  7. Wir verdanken der Gefälligkeit des Herrn Baurath Duttenhofer sowohl obige Notizen als auch folgende nähere Mittheilung. Die Kosten beliefen sich auf 48.589 fl. 40 kr., deren betrugen die der Gründung 5706 fl. 15 kr., die Zimmerarbeit 20.120 fl. 47 kr., die Mauer- und Steinhauerarbeit 15.690 fl. 2 kr., die Schmiedarbeit 2273 fl. 45 kr., für Blei 450 fl. 46 kr,; Chaussirung der Brückenbahn 968 fl. 5 kr.; Insgemein (Aufsichts- und Berechnungskosten, Planirung etc.) 3380 fl. Unter diesen Kosten sind circa 7000 fl. für Eichenholz aus den städtischen Waldungen begriffen. Die beiden Ortpfeiler kamen auf 5281 fl. 32 kr., die fünf Freipfeiler sammt Aufsätzen auf 10.408 fl. 30 kr. zu stehen. Zu dem Mörtel für die Chaussirung wurden 303 Ctr. Basalt (mit einem Kosten von 346 fl. 5 kr.) verwendet. Dieser Basalt (wovon schon oben die Rede war) wurde bei Kappishäusern gebrochen, in Metzingen auf einer Gypsstampf gepocht, und als Mehl in Fässern zu dem gleichen Preise, welchen der Traß aus der Gegend von Andernach am Rhein zu beziehen kostet, nach Nürtingen geliefert.
  8. Über denselben s. das Journal von und für Deutschland 1786. S. 265.
  9. Sie bezieht von der Stadt jährlich 50 Klafter eichenes Holz unentgeldlich, wogegen sie den Bürgern der Stadt ihren Bedarf um einen billigern Preis (100 F. Platten zu 1 fl. und 1 Sch. Kalk zu 36 kr.) abgeben muß. Eine zweite Ziegelei, welcher jedoch diese Begünstigung nicht zusteht, ist in neuster Zeit errichtet worden.
  10. Nach dem Kellerei-Lagerbuch von 1526 waren damals hier folgende Pfründen: a) Die Pfarrei. b u. c) Zwei Frühmessen. d) Die Prädikatur. e) Die 11.000 Jungfrauen-, f) unser lieben Frauen-Pfründe, g) Die St. Nicolaus-, h) die St. Sebastian- und i) die St. Peter- und Pauls-Kaplanei, und k und l) die beiden Kaplaneien zum h. Kreuz, deren eine die Schwestern zu Tachenhausen gestiftet hatten. Alle 11 Pfründen hatte die Herrschaft Württemberg zu verleihen, welche (s. unten) schon 1254 Theil am Kirchensatz hatte. Als Kirchherrn finden wir 1365 Heinrich Züttelmann von Zitzishausen und 1397 Conrad Züttelmann.       M.
  11. Aus der Reihe der früheren Dekane nennen wir hier den geschätzten Prediger Imman Gottlob Brastberger († 1764 Jul. 13).
  12. Im J. 1531 erwirkte sich Bürgermeister und Gericht von K. Ferdinand im Interesse ihrer lateinischen Schule die Erlaubniß, daß sie die Einkünfte einer Frühmeßpfründe, 50 Pfd., unter einen Schulmeister (welcher 20 Pfd. erhielt), einen Meßner und Organisten theilen dürfe. Cleß C. 602.
  13. H. Günzler: Darstellung über die Entstehung des Nürtinger Spitals, Reutlingen 1819. 8. Eine erweiterte und berichtigende Umarbeitung dieser Schrift übergab der Verfasser handschriftlich dem stat. top. Bureau im J. 1822, welches einen Auszug hieraus in den Württ. Jahrb. von 1826, S. 311 ff. mittheilte.
  14. Der Thürbogen soll die jetzt nicht mehr sichtbare Jahrszahl 1315 getragen haben.
  15. Eine Neckarbadstube, auch Brunnenbad genannt, kommt schon in Urkunden des 15. Jahrh. vor; das massive, thurmähnliche Gebäude diente in der Folge zu einem Gefängniß und wurde vor einigen Jahren abgebrochen. Noch vor Kurzem fand man thönerne Teuchel, welche in dasselbe geführt hatten.
  16. Eigentlich Frankenfurter. Frankenfurt ist der ältere Name. Ulrich Staffel, Stadtschreiber, erhält 1468 von Württemberg einen Morgen Acker „zu Frankenfurt bei Nürtingen“ zu Lehen.
  17. Vrgl. Hoffmann, Gtfr. Dan., diplomatische Belustigung mit des niedersächsischen Graf Uttonis und Herzog Heinrich des Löwen an die Kaysere Conrad II. und Friedrich I. vertauschten schwäbischen Gütern, Nürtingen und Baden. Frankf. u. Lpz. 1760. 4.
  18. Oppidum Nurtingen praeoccupando rapuit et forti praesidio, quam diu gladio accinctus fuit, rege invito tenuit (Liutoldus comes). Berthold. Zwifald. bei Hess Mon. Guelf. 207.
  19. Godefridus de Niurtingen unter den Ministerialen in einer Urkunde Graf Egino’s von Urach. Gerbert Hist. nigr. silv. 3, 131.
  20. Nach Crusius und Schmidlins handschr. Collectaneen war Nürtingen der Sitz mehrerer Dienstmannen der Herzoge von Teck und anderer Edelleute. 1274 siegelt Herzog Conrad von Teck für den Sohn »Alberti Züttelmann de Nurntingen.« Heinrich von Tübingen, Bürger hier, verschafft 1303 dem Kloster Weiler bei Eßlingen 40 J. Acker bei Nürtingen zu einer Seelmesse. – 1349–1368 Dieterich Späth der zu N. gesessen ist. – 1360 Dietrich der Susser. – Albrecht von Dachenhausen 1398–1429. – Ulrich der Schwelher, zu N. gesessen. – Ulrich Schilling, Bürger zu N. – Hier starben: 1495 Wolf von Dachenhausen, der Alte. – 1505 Sixt Schenk von Staufenberg. – 1516 Wilhelm von Sperberseck. – 1521 Eberhard von Dachenhausen. – 1530 Ritter Caspar Späth von Thumnau und Wolf von Dachenhausen. – 1533 Hans Friedrich Späth.
  21. Im Verkaufsbrief, Orig. im Stuttg. Staatsarchiv, werden mehrere curiae beschrieben, ferner angegeben: dimidia pars decimae majoris per totam villam in Niwirtingen et quaedam decima in Bugingen (Boihingen), tres coloniae..., quae adhuc indistinctae, sed communes cum Eberhardo comite de Wirtinberch et dictis de Salem habentur ... auch 32 Leibeigene beiderlei Geschlechts. Eine curia dicta dez schraben houe kommt i. J. 1308 im Salmannsweiler Besitze vor. Salm. Schenkungsbuch in Carlsruhe 1, 341.
  22. Chron. Sindelf. S. 19 ed. Haug; dagegen sagt Martin. Minor. z. J. 1286 bei Eccard Corp. hist. 1, 1632 allgemein: Nuwertingen rex destruxit.
  23. Bei solchem Reichthum wurde der Spital nicht selten von der Landesherrschaft als Hülfs- und Creditkasse in Anspruch genommen. So hatte er z. B. auf Absterben Herzogs Eberhard Ludwig 76.271 fl. an die Herrschaft zu fordern, die er nur mit einem Nachlaß des Zinsausstandes von 17.734 fl. wieder erhielt. Unter Herzogs Karl Regierung konnte die Rentkammer mehrmals nur durch den Beitritt des Nürtinger Spitals Geldanlehnungen erhalten, wie denn von 1744 bis 1756 der Herrschaft zur Einrichtung des Widums für die Herzogin Wittib, zu Einlösung der Fugger’schen Besitzungen in Gruppenbach und Stetten, zu Erkaufung der gräflichen Attems’schen Güter, zu den Campagnegeldern im siebenjährigen Krieg und zu andern dringenden Staatsausgaben die Summe von 138.000 fl. durch den Spital vorgeschossen werden mußte (vergl. auch Württemb. Jahrb. 1826, 321).
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