« Kapitel B 5 Beschreibung des Oberamts Marbach Kapitel B 7 »
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Burgstall,


Gemeinde III. Kl. mit 546 Einw., wor. 1 Kath. – Ev. Pfarrei; die Kath. sind nach Oppenweiler, O.-A. Backnang eingepfarrt.
Der 21/4 Stunden östlich von der Oberamtsstadt gelegene Ort bildet mit Ausnahme einer kleinen Seitengasse nur eine lang gedehnte| Straße, die von dem Murrthal bis auf die Anhöhe ziemlich stark ansteigt. Der Ort, von dem man eine freundliche Aussicht in das Murrthal genießt, ist reinlich weil er ganz auf Kalkfelsen steht und wegen seiner abschüssigen Lage das Wasser mehr als genügenden Abfluß hat. Die zu 2/3 zweistockigen, zu 1/3 dreistockigen, mit steinernen Unterstöcken versehenen Gebäude lagern sich größtentheils in mäßigen Abständen von einander an den Ortsstraßen und bei jedem derselben befindet sich ein Baumgarten, häufig auch ein Gemüsegärtchen. Im Thal steht zunächst am Ort eine von der Murr getriebene Mühle mit 3 Mahlgängen, einem Gerbgang, einem Hirsegang, einer Ölmühle und einer Hanfreibe.

Die in der Mitte des Dorfs gelegene Pfarrkirche ist ursprünglich im einfachen gothischen Styl, mit spitzbogigen Eingängen und Fenstern erbaut; aus letzteren wurden, um mehr Licht in die Kirche zu bringen, die Ornamente in den Bogentheilen herausgenommen. Der an der Ostseite stehende, viereckige Thurm ist mit einem achteckigen, hohen Schieferdach versehen; sein unterstes Geschoß vertritt die Stelle des Chors. Von den 2 Glocken ist die größere von Christ. Ludwig Neubert in Ludwigsburg 1778 gegossen worden; sie enthält außer den Namen der damaligen geistlichen und weltlichen Behörden noch folgende Inschrift: Lasse dich der Glockenschall zum Gebet und Wort erwecken, Bitte Gott, daß sie dich nicht mög durch Sturm in Noth erschrecken. Auf der kleineren, 1726 gegossenen, stehen nur die Namen der geistlichen und weltlichen Behörden.

Das flach gedeckte, geschmacklose, durch schlecht bemalte Emporen verbaute Innere des Langhauses, enthält eine aus Stein roh gearbeitete Kanzel, die eine räthselhafte Jahrszahl, vermuthlich 1507 und an den Feldern der Brüstung folgende Bildwerke enthält: 1) das Wappen von Groß-Bottwar, 2) einen Wappenschild mit einem Kelch und neben demselben einen Schild mit einem Steinmetzzeichen 3) einen Schild mit Steinmetzzeichen und 4) einen Schild mit einem Rad. An dem runden Chorbogen steht 1485; der Chor selbst ist mit einem Netzgewölbe gedeckt, an welches die 4 Evangelisten angemalt sind. Die Sakristei hat ein sehr altes Tonnengewölbe. Den Bau und die Unterhaltung der Kirche hat der Staat zu besorgen.

Der von der Gemeinde zu unterhaltende, 1788 errichtete Begräbnißplatz liegt außerhalb (südlich) des Orts.

Das schön gelegene vom Staat gut unterhaltene Pfarrhaus ist nur 60 Schritte von der Kirche entfernt.

Von Gemeindegebäuden sind zu nennen: das 1777 erbaute,| bis zum Jahr 1817 als Schule benützte Rathhaus, das 1821 neu erbaute Schulhaus mit einem Lehrzimmer, das 1787 erbaute Schafhaus und das Gemeindebackhaus mit zwei Obstdörren; die Kelter ist 1856 abgebrochen worden.

Mit gutem Trinkwasser wird der Ort mittelst 3 laufender und 5 Pumpbrunnen hinreichend versehen; bemerkenswerth ist, daß die laufenden Brunnen in dem höher gelegenen Theile des Orts, die Pumpbrunnen in dem viel tiefer gelegenen untern Dorf sich befinden.

In der nahe am Ort vorbeifließenden Murr und in zwei die Markung berührenden Bächen hat der Staat das Fischrecht, welches an zwei Ortsbürger um 2 fl. jährlich verpachtet ist; außer den ganz gewöhnlichen Fischen, werden, jedoch sehr selten, auch Aale und Forellen gefangen.

Den Verkehr des Orts mit der Umgegend vermitteln Vicinalstraßen nach Erbstetten, Kirschenhardthof, Wolfsölden, Affalterbach und Kirchberg. Auf der Markung bestehen 6 steinerne, von der Gemeinde zu unterhaltende Brücken und zwei weitere, deren Unterhaltung zur einen Hälfte der Gemeinde, zur andern den Gemeinden Erbstetten und Affalterbach zusteht. Eine hölzerne Brücke ist an der Wasserstube über den Mühlkanal angelegt.

Bei den Einwohnern ist in körperlicher Beziehung gegenüber von anderen Orten nichts besonderes zu erwähnen. Der Gesundheitszustand ist im allgemeinen ein guter; am häufigsten kommt das Schleimfieber vor. Im allgemeinen herrscht viel Fleiß, Betriebsamkeit und einfache Lebensweise. Die Haupterwerbsmittel bestehen in Feldbau und Viehzucht; der Weinbau ist ganz untergeordnet.

Die gewöhnlichen Handwerker sind vorhanden; am stärksten ist die Weberei vertreten und es wird hier nicht nur gewöhnliches Tuch, sondern auch Baumwollenzeug gefertigt und auswärts auf Märkten abgesetzt. Ein tüchtiger Möbelschreiner arbeitet nach Außen. Von Bedeutung ist die etwa 10 Minuten unterhalb des Dorfs gelegene, 1835 errichtete Wollspinnerei von Hägele und Söhne (s. den allgemeinen Theil).

Was die Vermögensumstände betrifft, so ist hier der Mittelstand weniger vertreten als in andern Orten; Bauern mit einem Grundbesitz von 80–108 Morgen sind im Ort 4, von 30–50 Morgen 5 und von 10–15 Morgen 25–30; die Zahl der minder bemittelten Klasse mit 1–3 Morgen ist daher nicht unbedeutend.

Die nicht große Markung bildet mit Ausnahme der| Steilgehänge gegen das Murrthal und einiger Seitenthälchen desselben eine wellenförmige Hochebene und hat im allgemeinen einen fruchtbaren, wärmehaltenden Lehmboden, der an vielen Stellen in geringer Tiefe von dem Muschelkalk, zuweilen auch von der Lettenkohlengruppe unterlagert wird, und daher in etwas feuchten Jahrgängen mehr Ertrag liefert als in trockenen; auch wegen seiner Verschiedenheit eine besondere Behandlung erfordert. Muschelkalkbrüche, aus denen meist Straßenmaterial gewonnen wird, sind mehrere vorhanden.

Die klimatischen Verhältnisse unterstützen den Anbau aller gewöhnlichen Kulturgewächse und nur zuweilen wirken Frühlingsfröste und kalte Nebel demselben entgegen; Hagelschlag ist selten.

Die Landwirthschaft befindet sich in sehr gutem Zustande und hat sich seit etwa 20 Jahren so sehr gehoben, daß die Produktion um beinahe 1/3 gesteigert wurde. An Ermunterungen von einzelnen Landwirthen fehlt es hier nicht, wie denn auch die Einwohner von Burgstall das meiste Interesse für den landwirthschaftlichen Bezirksverein zeigen. Schon im Jahr 1840 wurde der erste flandrische Pflug als Muster in den Ort gebracht, der sich allmählig Bahn brach und nun allgemein geworden ist. Auch von 16 Orten der Umgegend sind diese Pflüge hier bestellt worden; ebenso Repssämaschinen, Felg- und Häufelpflüge etc. Außer diesen verbesserten Ackergeräthen hat der rationelle Gutsbesitzer Christ. Ludw. Schwaderer in neuester Zeit eine Dreschmaschine mit Göppelwerk errichten lassen. Zur Besserung des Bodens wird neben dem gewöhnlichen Stalldünger, die in gut eingerichteten Düngerstätten fleißig gesammelte Jauche und viel Gips angewendet, so daß von letzterem einer der größeren Landwirthe jährlich 100 Simri verbraucht. Auch Kompost wird von einigen bereitet und benützt.

Der Ackerbau wird in der Dreifelder-Wirthschaft mit ganz angeblümter Brache umsichtig betrieben. Zum Anbau kommen die gewöhnlichen Getreidearten und die Brache wird 2/5 mit Klee und Futterkräuter, 1/5 mit Kohlreps, 1/5 mit Kartoffeln und 1/5 mit Zuckerrüben, Hanf, Flachs, Welschkorn, Spitzkohl etc. eingebaut. Auf den Morgen rechnet man Aussaat: 6 Sri. Dinkel, 4 Sri. Haber, 21/2 Sri. Roggen, 3 Sri. Gerste und erntet 7–10 Scheffel Dinkel, 4–6 Scheffel Haber, 3–4 Scheffel Roggen und 4 Scheffel Gerste per Morgen. Die höchsten Preise eines Morgens betragen gegenwärtig 800 fl., die mittleren 400 fl. und die niedersten 150 fl. Ein namhafter Absatz der Produkte findet nach Außen statt; Getreidefrüchte kommen auf die Fruchtmärkte nach Winnenden und| Backnang, Ölgewächse nach Heilbronn und Zuckerrüben nach Marbach und Heilbronn. Der Flachsbau deckt das eigene Bedürfniß nicht, dagegen wird über den eigenen Bedarf noch etwas Hanf verkauft.

Der Wiesenbau ist sehr ausgedehnt (etwa 1/3 der Markung einnehmend) und ermöglicht in Verbindung mit einem sehr namhaften Kleebau, die Haltung eines beträchtlichen Viehstandes. Die mit Ausnahme einiger Morgen durchaus zweimähdigen Wiesen, von denen etwa 30 Morgen bewässert werden können, sind sehr verschieden; die im Murrthal gelegenen liefern das beste, die in den Seitenthälern und die Bergwiesen das mittlere und die an den Bergabhängen das geringste Futter. Die besseren Wiesen ertragen 20 Centner Heu und 10 Centner Öhmd per Morgen. Die Preise eines Morgens bewegen sich von 150–500 fl.

Der Weinbau ist ganz untergeordnet und beschränkt sich nur noch auf 9 Morgen, die in der gewöhnlichen Weise gebaut werden. Die vorherrschenden Traubensorten sind rothe und weiße Elblinge, Sylvaner, Gutedel, Affenthaler und Drollinger. Das Erzeugniß, welches nur im Ort verbraucht wird, ist gering; ein Morgen erträgt etwa 6 Eimer und die Preise eines Morgens steigern sich von 120 fl. bis 400 fl.

Die Obstzucht hat sich seit 40 Jahren bedeutend gehoben und sich wenigstens um das 25fache vermehrt; außer den Baumgärten sind alle Straßen von einiger Bedeutung mit Obstbäumen bepflanzt und eine Ödung wurde mit ungefähr 150 Kirschenbäumen ausgesetzt. Eine Baumschule wurde 1846 angelegt. Das Obst geräth auf der Hochebene besser als in den Thälern. Man pflanzt vorzugsweise Luiken, Reinetten, rothe Calvill, Rosenäpfel, Goldparmäne, Süßäpfel, Knausbirnen, Grunbirnen, Palmischbirnen, Bratbirnen und von Steinobst viel Zwetschgen. Das Obst wird größtentheils gemostet und gedörrt; in günstigen Jahren wird Obst und Most nach außen abgesetzt. Maulbeerpflanzungen sind mehrere angelegt.

Die Gemeinde besitzt 2237/8 Morgen Laubwaldungen, von deren Ertrag jeder Bürger jährlich 50–60 St. Wellen erhält; das Oberholz wird verkauft und sichert der Gemeinde eine jährliche Rente von etwa 1200 fl.

Die Ödungen (Weiden), welche an den Abhängen gegen das Murrthal liegen, sind gesund, aber wegen des kalkigen Untergrunds etwas mager; sie werden nebst der Herbstweide um 200 fl. an zwei Gemeindeschäfer verpachtet, die den Sommer über 100 den Winter| über 300 St. Bastarde laufen lassen dürfen. Die Pferchnutzung trägt etwa 200 fl. ein.

Der Absatz der Wolle geht entweder in die Fabrik beim Ort oder nach Winnenden.

Eigentliche Pferdezucht besteht nicht, dagegen werden einzelne Fohlen erkauft und entweder zum eigenen Gebrauch oder zum Verkauf groß gezogen.

Die Viehzucht ist in blühendem Zustande und bildet eine besondere Erwerbsquelle der Einwohner; es wird im allgemeinen ein tüchtiger Neckarschlag gehalten, den man durch 2 Simmenthaler Farren zu verbessern sucht, auch einzelne Simmenthaler Kühe sind im Ort aufgestellt. Die Haltung der Zuchtstiere geschieht von Bürgern im Namen der Gemeinde. Die Viehmastung und der Verkauf an gemästetem Vieh ist sehr namhaft.

Die Schweinezucht (gegenwärtig 15 Mutterschweine und ein Eber) ist nicht unbedeutend und der Verkauf an gemästeten Schweinen von Belang; man züchtet meist eine Kreuzung von hällischer mit englischer Race. Im Allgemeinen werden mehr Schweine aus- als eingeführt.

Geflügel (Gänse, Hühner, Enten) wird über den eigenen Bedarf gezogen und theils an Händler, theils auf den Märkten in Backnang und Winnenden abgesetzt.

Die Bienenzucht ist ziemlich gut.

Eine Volksschule besteht mit einem Schulmeister und einem Lehrgehilfen, ferner eine Industrieschule, an der eine Lehrerin angestellt ist.

Einige Stiftungen im Betrag von 230 fl. sind vorhanden.

Etwa 1/4 Stunde nordöstlich von Burgstall stand im sog. Kern unfern der Einmündung des Wüstenbachs in die Murr ein röm. Wohnplatz, der sich über eine Fläche von ungefähr 2 Morgen ausdehnte; man findet daselbst Grundmauern von röm. Gebäuden, röm. Ziegel, Gefässe etc.

Auf der 1/4 Stunde nordwestlich von Burgstall gelegenen Flur „Rieden“ entdeckte man auf dem Acker des Jakob Bollinger von B. ebenfalls die Reste röm. Bauwerke, viele Fragmente von röm. Gefässen, Ziegeln, eine Handmühle und einen röm. Denkstein (s. hier. den Abschnitt „Alterthümer“).

Zunächst am Ort stand ohne Zweifel entweder ein von den Römern befestigter Punkt oder eine Burg (Burgstall) aus dem| Mittelalter, wofür nicht nur der Ortsname, sondern auch die beim Ort vorkommenden Flurbenennungen „Burgweg, Burgäcker“ sprechen.

An der Vereinigung der Steinach mit der Murr soll eine Schleifmühle gestanden sein und noch wird eine Brücke daselbst die Schleifhausbrücke genannt, ebenso habe an der Murr auf der sog. Hammerstätte eine Hammerschmiede gestanden.

B. ist zum Theil alte Besitzung der Grafen von Württemberg, zu welcher Graf Ulrich 1453 das übrige von dem Stift Backnang eintauschte.

Der Kirchensatz gehörte im Anfang des 13. Jahrhunderts dem Nonnenkloster Weiler bei Eßlingen. Da das Kloster seinen nahe gelegenen Besitz Allmerspach (OA. Backnang) im J. 1291 von Richenza von Neuffen geborenen Gräfin von Calw-Löwenstein erhielt (Besold Virg. 447), so weist wohl auch diese Erwerbung auf ursprünglichen gräflich Löwensteinischen Besitz hin. Am 13. Nov. 1317 verkaufte das Kloster sein hiesiges Gut mit dem Kirchensatz für 290 Pf. H. an Ulrich von Walsee, welcher solches 1322 mit Wolfsölden (s. d.) an Württemberg veräußerte.


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