« Kapitel B 6 Beschreibung des Oberamts Marbach Kapitel B 8 »
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Erbstetten,


Gemeinde III. Klasse mit 547 Einw., wor. 3 Kath. – Ev. Pfarrei; die Kath. sind nach Oppenweiler, O.-A. Backnang, eingepfarrt.
Der mittelgroße Ort liegt 23/4 Stunden östlich von der Oberamtsstadt in einer wiesenreichen Mulde auf der Hochebene zwischen den Thälern der Murr, des Maubachs und des Erlenbachs; die Gebäude lagern sich zwischen Obstbaumgärten etwas unregelmäßig und gedrängt an den Ortsstraßen, von denen nur die Hauptstraße gut unterhalten ist, während die Nebenstraßen noch manches zu wünschen übrig lassen. In der Nähe des Orts bei dem sog. Büschlesbaum genießt man eine freundliche Aussicht an den Stromberg, die Solitude, das Hohereusch bei Winnenden, den Reichenberg etc., auch ist Backnang, das Dorf Bürg und Burg Ebersberg noch sichtbar. Am nördlichen Ende des Dorfs stehen Kirche, Pfarrhaus und Schulhaus; die Kirche ist dreischiffig in spätgothischem Style, der jedoch im Laufe der Zeit stylwidrige Veränderungen erlitt, erbaut und enthält an den Langseiten spitze, in den Bogentheilen mit Maßwerk gefüllte Fenster. Über dem spitzbogigen Eingang an der Nordseite steht die Jahreszahl 1474, welche die Zeit der Erbauung angibt, während andere Jahreszahlen, wie 1521, 1560, 1621, auf spätere| Veränderungen deuten. Der viereckige Thurm ist in seinen unteren Geschossen massiv und nach einem an demselben angebrachten dreitheiligen, frühgothischen Fenster älter als das Langhaus, gegen oben aber neu aus Holz erbaut und mit einem spitzen Pyramidenschieferdach versehen. Das durch Emporen etc. verbaute Innere der Kirche ist an der Decke flach getäfelt und enthält, außer einem alten Taufstein mit dem Württemb. Wappen nichts bemerkenswerthes. Im unteren Stockwerk des Thurms befindet sich der Chor, welcher mit einem schönen Netzgewölbe, dessen Schlußstein einen Heiligen enthält, versehen ist. Die Kirche ist Eigenthum der Gemeinde, welche sie auch, da die geringen Einkünfte der Stiftungspflege nicht zureichen, im Bau zu unterhalten hat.

Der mit einer Mauer umfriedigte, im Jahr 1824 erweiterte Begräbnißplatz liegt außerhalb (nordwestlich) des Orts.

Das Pfarrhaus mit Scheune, Waschhaus, Hofraum und Garten befindet sich in gutem Zustande; die Unterhaltung desselben hat der Staat.

Das 1825 in einem neuen Gebäude eingerichtete Schulhaus enthält 2 geräumige Lehrzimmer; der Schulmeister und der Lehrgehilfe wohnen in einem ebenfalls der Gemeinde gehörigen Gebäude, das zunächst des Schulhauses steht.

Das beinahe in der Mitte des Dorfs stehende Rathhaus befindet sich in ziemlich gutem Zustande.

Ein öffentliches Backhaus und ein Schafhaus sind vorhanden.

Gutes Trinkwasser liefern hinreichend 11 Pumpbrunnen, überdieß ist auf den Fall der Feuersgefahr eine Wette im östlichen Theil des Orts angelegt. Die ganze Umgebung des Orts ist quellenreich.

Die Einwohner sind im allgemeinen kräftige, gesunde, in der Arbeit ausdauernde Leute, deren Erwerbsquellen hauptsächlich in Feldbau und Viehzucht bestehen; bei einfacher Lebensweise trifft man große Sparsamkeit, Fleiß und viel religiösen Sinn mit Neigung zum Sektiren. Die Vermögensumstände sind im allgemeinen gut und der vermöglichste Bürger besitzt 60 Morgen Grundeigenthum, die mittelbegüterte Klasse 15 Morgen und die unbemittelte 1/2–1 Morgen; ganz Arme sind wenig im Ort. Von den Gewerben, die mit Ausnahme von 2 Schildwirthschaften und 2 Kramläden, nur den nöthigsten örtlichen Bedürfnissen dienen, sind die Weber am stärksten vertreten, von denen einige Kunstweber auch für auswärtige Kaufleute arbeiten.

Die nicht große Markung bildet mit Ausnahme der Thalgehänge gegen die Murr, den Maubach und den Erlenbach eine wellige| Hochebene und hat im allgemeinen einen fruchtbaren Lehmboden, der jedoch in nassen Jahrgängen etwas naßkalt erscheint; an den Thalgehängen treten die Zersetzungen des Hauptmuschelkalks und oben an denselben die der Lettenkohlengruppe auf. Ein Muschelkalksteinbruch ist vorhanden.

Die klimatischen Verhältnisse sind günstig, jedoch etwas rauher als in den dem Neckar näher gelegenen Orten, daher auch der Weinbau nur spärlich getrieben wird. Hagelschlag kommt selten vor.

Die Landwirthschaft wird sehr fleißig und umsichtig getrieben; landwirthschaftliche Neuerungen, wie verbesserte Pflüge, Häufel- und Felgpflüge, Repssämaschinen, Walzen, eiserne Eggen etc. haben Eingang gefunden und zur Verbesserung des Bodens kommt außer dem gewöhnlichen Stalldünger und der fleißig gesammelten Jauche auch Gips und Kompost in Anwendung. In dreizelgiger Flureintheilung baut man die gewöhnlichen Cerealien und in der ganz angeblümten Brache Kartoffeln, sehr viel dreiblättrigen Klee, Angersen, viel Reps, etwas Zuckerrüben und versuchsweise Taback. Auf einen Morgen rechnet man Aussaat 1 Scheffel Dinkel, 4 Sri. Haber und 3 Sri. Gerste und erntet 6–10 Scheffel Dinkel, 4–7 Scheffel Haber und 3–5 Scheffel Gerste. Die Preise eines Morgens Acker bewegen sich von 200–600 fl. und die eines Morgens Wiese von 250 fl. bis 700 fl. Von den Getreidefrüchten wird ein ziemlich großer Theil auf den Fruchtmärkten in Backnang und Winnenden abgesetzt. Der Reps kommt nach Heilbronn zum Verkauf.

Von bedeutender Ausdehnung ist der Wiesenbau, der vom Morgen 40–50 Centner gutes Futter liefert; die Wiesen sind zwei-, theilweise dreimähdig. Wässerung findet nur wenig statt, dagegen eine reichliche Düngung. Der Wiesenertrag wird im Ort verbraucht.

Der Weinbau ist ganz unbedeutend und hat in den letzten 10 Jahren hauptsächlich der Obstzucht Platz gemacht, die noch immer im Zunehmen begriffen ist; man pflegt vorzugsweise Mostsorten, wie Luiken, Fleiner, Knausbirnen, Bratbirnen etc. und von Steinobst Zwetschgen; Kirschen gedeihen nicht. Das Obst wird im Ort verbraucht.

Die Gemeinde besitzt etwa 500 Morgen Laubwaldungen, die jährlich 45 Klafter und 5000 St. Wellen ertragen, letztere werden unter die Bürgerschaft vertheilt und der in etwa 1500 fl. bestehende Erlös aus dem Klafterholz fließt in die Gemeindekasse.

Eigentliche Weiden sind nicht vorhanden und die Herbst- und Winterweide wird an einen benachbarten Schäfer, der 300 Stück| Bastardschafe laufen läßt, um 175 fl. jährlich verpachtet; überdieß trägt die Pferchnutzung 200 fl. der Gemeindekasse ein.

Pferdezucht besteht nicht, dagegen werden ziemlich viele Pferde der Arbeit wegen, um das Ochsenvieh zu schonen und dessen Mastung zu fördern, gehalten.

Von bedeutendem Umfang ist die mit einem tüchtigen Neckarschlag sich beschäftigende Rindviehzucht, die durch 2 Farren nachgezüchtet und verbessert wird; die Haltung der Zuchtstiere ruht auf den Widdumgütern. Mit Vieh, namentlich mit gemästetem, wird durch Vermittlung von Zwischenhändlern ein lebhafter Handel nach Frankreich getrieben.

Eigentliche Schweinezucht wird in geringer Ausdehnung getrieben, indem man die meisten Ferkel (Haller- und englische Race) von Außen bezieht und theils für den eigenen Bedarf, theils zum Verkauf aufmästet.

Geflügel zieht man nur für den eigenen Bedarf und die Zucht der Bienen ist unbedeutend.

Die Fischerei in der Murr, welche sich auf Schuppfische, Barben und etwas Forellen beschränkt, ist theils Eigenthum des Staats, theils der Gemeinde und an Ortsbürger verpachtet.

Den Verkehr mit der Umgegend vermitteln Vicinalstraßen nach Backnang, nach Wolfsölden und weiter über Affalterbach nach Marbach, nach Nellmersbach, nach Maubach und nach Weiler zum Stein.

Nach der Sage soll im kalten Brunnenwald eine Stadt gestanden sein; man findet daselbst Backsteine, Ziegel etc.; ohne Zweifel stand hier eine römische Niederlassung, aus der ein römischer Denkstein, welcher früher an der Kirche eingemauert war, herrührte (s. auch den Abschnitt „römische Alterthümer“).

Wofern „Stetin“, welches neben Pleidelsheim unter den Ortschaften aufgeführt wird, wo das Kloster Lorsch Güter besaß, richtig hieher gedeutet wird, so geschieht Erbstettens schon sehr frühe, in einem, dem J. 795 entsprechenden Zeitpunkte Erwähnung (Cod. Laur. Nr. 3507).

Der Ort gehörte zur Herrschaft Wolfsölden, deren Schicksale er theilte.

Einen hiesigen Hof besaß der Eßlinger Spital im 13. Jahrhundert; auch das Stift Backnang war allhier begütert. Von diesem erkaufte Gülten und Zehnten der Graf Ulrich von Württemberg im J. 1453.

Das Kirchenpatronat war ursprünglich gräflich calwisch,| wenigstens im 13. Jahrhundert im Besitz der älteren Grafen von Löwenstein, eines Calwer Nebenzweiges.

Kurz vor dem Erlöschen dieses Geschlechts war Kunegunde von Löwenstein in den 1280er Jahren Äbtissin von Lichtenstern und wohl dieser Umstand vermittelte bei ihren Verwandten die Überlassung der Kirche an ihre Abtei. Vollzogen wurde die Übergabe übrigens erst durch den Grafen Albrecht von Löwenstein mittlerer Linie (Act. Theod. Pal. 1, 355). Mit dem Kloster gelangte der Pfarrsatz durch die Reformation an Württemberg.


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