« Kapitel B 17 Beschreibung des Oberamts Herrenberg Kapitel B 19 »
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Ober-Jettingen,
Gemeinde III. Klasse mit 905 Einw., wor. 5 Kath. – Ev. Pfarrei. Die Kathol. sind nach Hailfingen, O.A. Rottenburg, eingepfarrt.

An der Landstraße von Herrenberg nach Nagold liegt, 2 Stunden westlich von der Oberamtsstadt, auf der Hochebene zwischen dem eigentlichen Gäu und dem Schwarzwald, der ansehnliche, mit Obstbäumen umgebene, marktberechtigte Ort, dessen aus Holz erbaute, zum Theil wohlhäbig aussehende Wohnungen häufig mit steinernen Unterstöcken versehen und dessen Ortsstraßen ziemlich reinlich gehalten sind.

Beinahe in der Mitte des Dorfes liegen Kirche, Pfarrhaus, Rathhaus und Schulhaus in ganz geringen Entfernungen von einander und bilden im Verein mit einer zunächst stehenden schönwüchsigen Linde die Hauptgruppe desselben.

Die Kirche, welche die Gemeinde- und Stiftungspflege zu unterhalten haben, wurde an der Stelle der früheren im Jahre 1788 in einem modernen, nichts Architektonisches bietenden Styl| erbaut; der an der Ostseite stehende, von unten herauf viereckige, massive Thurm geht gegen oben in ein aus Holz erbautes, geschmacklos mit Brettern verkleidetes Achteck über. Auf demselben genießt man eine sehr ausgebreitete, anziehende Aussicht an den Westabhang des Schönbuchs und an einen großen Theil des Steilabfalls der Alp (von dem Plettenberg bis gegen Neuffen). Von den drei Glocken wurde die größte 1749 und die mittlere 1826 gegossen; die kleinste ist sehr alt und hat eine unleserliche Umschrift. Innen ist die Kirche hell, geräumig, und enthält außer einem gut aus Holz geschnittenen Bild des Gekreuzigten nichts Bemerkenswerthes.

Gleichzeitig mit Erbauung der Kirche wurde auch der Begräbnißplatz an das nördliche Ende des Orts verlegt; der frühere um die Kirche gelegene Gottesacker ist nun mit Zierbäumen freundlich ausgepflanzt.

Das Pfarrhaus, dessen Unterhaltung dem Staate obliegt, ist sehr ansehnlich und bildet mit seinen Nebengebäuden, Garten etc. einen gut geschlossenen, angenehmen Pfarrsitz. Auch das Schulhaus, in welchem zugleich die Lehrerwohnungen eingerichtet sind, ist gut erhalten und geräumig.

An der Volksschule, neben welcher seit sechs Jahren auch eine Industrieschule besteht, ist ein Schulmeister mit einem Lehrgehilfen angestellt.

Das schon ziemlich alte Rathhaus hat wenig Äußeres.

Die früher herrschaftliche Zehentscheuer ist seit 1850 im Besitz zweier Ortsbürger.

Der Ort hat keinen laufenden Brunnen, dagegen etwa 50 Zieh- und Pumpbrunnen, welche meist im südlichen, etwas abhängigen Theile, und nur wenige in dem höher gelegenen nördlichen Theile des Dorfes sich befinden. Sämmtliche Brunnen gehen übrigens, zum großen Übelstand der Gemeinde in trockenen Jahrgängen aus, so daß die Einwohner genöthigt werden, ihr Wasser außerhalb, 1/8 Stunde südlich, des Orts, in einem Wiesengrund, Oberstetten genannt, zu holen. Da aber die Ansprüche an die hier befindlichen Ziehbrunnen bald zu groß werden, so wird häufig auch Wasser in Unter-Jettingen, ja sogar in dem eine Stunde entfernten Ober-Sulz geholt. Theils zum Feuerlöschen, theils zum Tränken des Viehs sind fünf Wetten angelegt.

Die kräftig gewachsenen, im Durchschnitt gesunden Einwohner befinden sich in mittelmäßigen Vermögensumständen, so daß die Zahl der Unbemittelten die der Wohlhabenden übersteigt. Der Begütertste besitzt sammt Waldungen 70 Morgen.

| Die Erwerbsquellen der Einwohner bestehen in Feldbau und Viehzucht; die Gewerbe sind von keinem Belang und beschränken sich auf die nöthigsten Handwerker.

Die von mehreren leichten Einteichungen durchzogene Markung, in welche das sogenannte Mäntlesteich etwas tiefer einschneidet, ist sehr ausgedehnt und stößt gegen Norden an die Markungen Ober-Sulz und Kuppingen, gegen Osten an Herrenberg, Haslach und Unter-Jettingen, gegen Süden an Unter-Jettingen und gegen Westen an Nagold, Emmingen und Wildberg im O.A. Nagold.

Der Boden ist sehr verschieden und wechselt von einem ganz unergiebigen bis zu einem sehr fruchtbaren, daher sich auch die Güterpreise bei den Äckern von 12 bis zu 400 fl., zuweilen bis 600 fl., und bei den Wiesen von 160–600 fl. per Morgen bewegen. Im Allgemeinen sind die sogenannten Malmböden ziemlich häufig; gegen Westen gehen dieselben in etwas sterile, kalkhaltige Böden über, die mit einer Menge von Muschelkalkbruchstücken überlagert sind, so daß dieselben auf den Feldern ausgelesen und zusammengehäuft werden müssen. Die besten Güter liegen in den Einteichungen (Vertiefungen), wohin sich im Laufe der Zeit der bessere Boden gelagert hat, während auf den Anhöhen meist geringere, viel Dünger und Regen bedürfende Güter vorkommen.

Die Luft ist rein und gesund, jedoch ziemlich rauh, daher auch Frühlingsfröste häufig dem Obst schaden, das übrigens, besonders wenn die Frühlingswitterung etwas später eintritt, ziemlich gerne gedeiht und einen Ertrag abwirft, der zuweilen noch einigen Absatz nach Außen zuläßt. Feinere Obstsorten kommen nicht fort, es werden daher nur Mostsorten und Zwetschgen in namhafter Ausdehnung gepflegt. Früher wurde auch Weinbau auf der Markung getrieben, von dem noch ein Abhang im Mäntles-Thal der Weinberg genannt wird. Hagelschlag ist nicht häufig, da die Gegend selbst eine Wetterscheide bildet, welche die Gewitter entweder dem Ammerthal oder dem Nagoldthal zuweist.

Der Ackerbau wird im Dreifeldersystem emsig betrieben und dem Boden durch starke Düngung, welche neben den gewöhnlichen Düngungsmitteln in Jauche, Gips, Hallerde etc. besteht, kräftig nachgeholfen. Zur Bearbeitung des Bodens wird der deutsche Wendepflug beinahe noch allgemein angewendet, jedoch ist die Walze im Gebrauch, und auch bei der Bespannung findet das einfache Joch Eingang. Von den gewöhnlichen Cerealien baut man hauptsächlich Dinkel und Hafer, Gerste wird ziemlich viel, Roggen fast gar nicht gebaut; Weizen und Einkorn wollen nicht gedeihen, dagegen kommen ziemlich viel Wicken, Erbsen und Linsen zum| Anbau. In der zu 1/3 angeblümten Brache zieht man Kartoffeln, rothen Klee, Angersen und Ackerbohnen und auf geringen Feldern Esper. Reps wird in mäßiger Ausdehnung nicht nur in der Brache, sondern auch im Haferfeld gebaut; Flachs und namentlich Hanf zieht man für den eigenen Bedarf in Ländern. Auf den Morgen rechnet man Aussaat an Dinkel 7-8 Sri., an Hafer 4 Sri. und an Gerste 3 Sri.; der durchschnittliche Ertrag wird zu 8–9 Scheffel Dinkel, 4–5 Scheffel Hafer und 3–4 Scheffel Gerste angegeben. Letztere wird nur in den besten Feldern gebaut und im Ort selbst verbraucht, während sehr viel Dinkel und etwas Hafer nach Außen zum Verkauf kommt. Eine besondere landwirthschaftliche Merkwürdigkeit sind die sogenannten Jettinger Rüben, deren Anbau den Markungen Ober- und Unter-Jettingen eigen ist und vieler Versuche ungeachtet, anderwärts bis jetzt nicht gelang. Sie werden in einem leichten, gut gedüngten Boden Anfangs Juli, wo möglich den 8. (Kilian) mit weißen Rüben, die man nasse Rüben nennt, gesät, und nachdem man die weiße Rübe im Herbst herausgenommen hat, den Winter über im Boden gelassen, und erst im kommenden Frühjahr herausgeackert, um dann in solche Felder Gerste und Linsen zu bauen.

Der Wiesenbau, welcher hauptsächlich in der Nähe des Orts betrieben wird, ist sehr ausgedehnt und liefert ein etwas leichtes, aber sehr nahrhaftes Futter; die Wiesen, denen keine Wässerung, aber eine sehr kräftige Düngung zukommt, sind zweimähdig und ertragen im Durchschnitt per Morgen 18–20 Centner Heu und 6–8 Centner Öhmd.

Der meist aus einer rothen Landrace bestehende Rindviehstand ist bedeutend, besonders werden, zum Theil auf Kosten des übrigen Viehstandes viele Ochsen und Stiere gehalten, die gemästet nebst den Kälbern Gegenstand eines namhaften Handels nach Stuttgart und in das Großherzogthum Baden sind. Für die Haltung der drei Ortsfarren erhält ein Bürger jährlich 175 fl.

Die Zucht der Schweine und der Bienen ist unbedeutend; Geflügel wird nur für den eigenen Bedarf gehalten. Die Brach- und Stoppelweide nebst 5 Morgen Weidefeld, nährt 200–250 Stücke theils deutsche, theils Bastardschafe; sie sind Eigenthum der Ortsbürger, welche einen Weidzins bezahlen, was nebst dem Pferch-Erlös der Gemeindekasse jährlich etwa 600 fl. einträgt.

Außer der durch den Ort führenden Herrenberg-Nagolder Landstraße sind noch Vicinalstraßen nach Ober-Sulz, Wildberg, Emmingen und Unter-Jettingen angelegt, welche dem Ort einen lebhaften Verkehr sichern.

| Die Gemeinde besitzt neben einem Kapitalvermögen von 4000 fl. und vier zu dem Schuldienst gehörigen Morgen Gemeindegüter gegen 280 Morgen Waldungen, von denen übrigens etwa 100 Morgen auf der Markung Unter-Jettingen liegen; sie sind zur Hälfte mit Nadelhölzern (Rothtannen und Forchen), zur andern Hälfte mit verschiedenen Laubhölzern, denen Eichenoberholz beigesellt ist, bestockt. Die Nadelholzbestände werden im 70jährigen und die Laubhölzer im 12–15jährigen Umtriebe bewirthschaftet; letztere ertragen gegenwärtig im Durchschnitt jährlich 2000–2500 Stück Wellen, von denen jeder Bürger etwa 15 Stück als Gabholz erhält. Auch werden noch, zum Nachtheil der Waldungen, alljährlich über 60.000 Stück Erntewieden an die Bürgerschaft abgegeben.

Die Stiftungspflege besitzt 4000 fl. Kapitalien und 58 Morgen Waldungen; aus den letzteren wird das Schulholz gewonnen und überdieß noch ein Erlös von etwa 100 fl. für Holz jährlich erzielt. Übrigens siehe über den Gemeinde- und Stiftungshaushalt Tab. III.

Das Pfarr-Patronat steht der Krone zu. Auch hatte bis zur Ablösung der Staat nicht nur Gülten, sondern auch den großen Zehenten zu beziehen; der kleine Zehente gehörte zu 2/3 der Pfarrei und zu 1/3 dem Staat.

Etwa 1/2 Stunde nordöstlich vom Ort stand auf einer gegen das Agenbacher-Thal vorgeschobenen Bergspitze die Burg Steinberg, von der noch Graben und Wall sichtbar sind; unfern dieser Burg befinden sich im Staatswald Herrenplatte sieben Grabhügel.

An der westlichen Markungsgrenze, welche zugleich die Oberamtsgrenze zwischen den Bezirken Herrenberg und Nagold bildet, läuft eine ehemalige Römerstraße unter der Benennung „Hochsträß“ hin (siehe den allgemeinen Theil). Unfern derselben im Gemeindewald „Lugen“ befinden sich noch die Reste einer alten Schanze, deren östliche Seite 125 Schritte lang ist, während die nördliche 48 und die südliche 52 Schritte beträgt; die beiden letzteren sind theilweise, die vierte (westliche) aber gänzlich zerstört. Von der Stelle genießt man eine ziemlich ausgedehnte Aussicht, und kann namentlich einen großen Theil des Hochsträßes übersehen.

Auf der Markung kommen einige Gewändenamen vor, die auf ehemalige Wohnorte schließen lassen, z. B. zwischen Ober- und Unter-Jettingen „Oberstetten“ und 1/2 Stunde nördlich vom Ort „im Weiler“.

Ober-Jettingen (alt Ütingen), ursprünglich pfalzgräflich-tübingischer Boden, war bald nach der Mitte des dreizehnten| Jahrhunderts an den Grafen Burkhard von Hohenberg, Gemahl Luitgardens, Tochter Pfalzgraf Hugo’s von Tübingen, gelangt.

Genannter Graf verkaufte den 4. Juli 1288 Ober-Jettingen (oppidum superius Uetingen) für 200 Pfund Heller an das Kloster Reuthin (St.-A.), wohin er schon im Jahre 1277 zu seinem und seiner Gemahlin Seelenheil das Kirchenpatronat übergeben hatte (Schmid 227), welch’ letzteres den 28. Oktober 1296 Bischof Heinrich von Constanz bestätigte (St.A.). Noch am 24. Mai 1317 veräußerte der Graf Burkhard von Hohenberg alle Rechte zu Ober-Jettingen, an Holz und Wald, an Leuten und Gütern, für 200 Pfund Heller gleichfalls an das Kloster Reuthin (Besold Virg. 476). Mit der Erkaufung der Vogtei, Herrlichkeit und Gerechtigkeit über das Kloster Reuthin am 23. Juni 1363 und 10. August 1440 (Sattler Grafen 1 Beil. Nr. 131 und 2, 126) und vollends durch die Reformation kam das Dorf an Württemberg.

Bei Altwürttemberg gehörte es zum Amte Wildberg.

Hugo von Hochdorf verkaufte den 7. Nov. 1293 seinen hiesigen Hof (curiam suam in Ober-Uettingen, agros et reditus ibi) für 18 Pfund 10 Schilling mit Willen seines Herrn, des Grafen Burkhard von Hohenberg, und den 17. Januar 1297 all’ sein Gut in Jettingen und Steinberg an das Kloster Reuthin (St.-A.).

Dem Kloster Bebenhausen werden Güter in „Ütingen“ (Ober-? Unter-?) bereits in der Bulle Pabst Gregors IX. vom 8. März 1229 bestätigt.



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