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19. Gemeinde Mergelstetten,
evangel. Pfarrdorf mit 916 Einw. (worunter 2 kathol. Filialisten von Burgberg). Mergelstetten ist ein Brenzthalort, dessen Markung (29255/8 M.) übrigens weniger der Thalsohle entlang als auf den Höhen links, und noch mehr rechts, sich ausbreitet. Diese Höhen sind zum größeren Theil mit Laubwald bewachsen, zum Theil liegen auf ihnen Felder (meist Wechselfelder) und Waiden. Das Hauptgetraidefeld ist eine ostwärts von dem Ort zwischen bewaldeten Hügeln sanft ansteigende Thalmulde. An Quellenreichthum wird dieser Bezirk von keinem der Umgegend übertroffen; selbst der Sommer 1842 führte keine merkliche Verminderung herbei. Die hier entspringenden Bäche Pflusterbach, Darmbach, Bettelbach sind ansehnliche Zuflüsse der Brenz. Letzterer Fluß hat oberhalb des | Orts einen sehr langsamen Lauf[1] und setzt Schlamm in Menge ab, ein treffliches Düngungsmittel, dessen Verkauf für mehrere Einwohner ein eigener Erwerbszweig ist. Die Fischerei in der Brenz aber leidet hier wie in Heidenheim durch die Ausflüsse der Fabriken und Werkstätten Noth. [2] Das Klima ist das des obern Brenzthals; Frühlingsfröste sind häufig und treten selbst noch im Juni ein. Der Boden ist bei vorherrschendem Sand und Lehm etwas mager, und steht den untern Brenzthal- und selbst den Alporten an Güte und Ertrag, nicht aber hinsichtlich der Bewirthschaftung, nach. Vorzüglich gedeihen Kartoffeln; von Getraidearten baut man Roggen, Gerste und Haber, weniger Dinkel. Dem Ackerbau gehören 8553/8 M. an, davon 639 flürlich gebaut, die übrigen Wechselnder sind. Die Brache wird fast ganz eingebaut. Die Güter sind – mit Ausnahme eines einzigen größeren Gutes – gänzlich zerstückelt, und nur für wenige Bürger ist Feldbau und Viehzucht die Haupterwerbsquelle. Als Mittelpreis eines M. Ackers nimmt man 150 fl. an, als Durchschnittsertrag der Felder mittlerer Qualität 2 – 21/2 Scheffel Roggen, 18 – 20 Sri. Gerste. Die Wiesen (106 M.) sind zweimähdig und geben vorzügliches, aber nicht sehr reichliches Futter, 16 – 20 Ctr. Heu, 6 – 8 Ctr. Öhmd p. M. im Durchschnitt. An der Waldfläche (1406 M.) haben der Staat mit 2163/8, die Gemeinde mit 11547/8 M., und Privaten (mit dem kleinen Rest) Antheil. Der Zustand der Gemeindewaldungen ist theilweise gut, theilweise aber durch die Waide herabgekommen, zu deren Abschaffung sich daher die Bürger entschlossen haben. Den Pferde- und Rindviehstand ist man durch gute Zucht emporzubringen bedacht; namentlich ist in letzterer Beziehung der Müller Gunzenhauser wegen vorzüglicher Farrenhaltung erwähnenswerth. Die vollständige Einführung der Stallfütterung ist im Werk. Vier Schafhalter halten c. 500 Stück Bastard-Schafe, womit die sehr gesunde Gemeindewaide beschlagen wird, deren Ertrag sich jährlich auf 600 fl. beläuft. Unter den Gewerben steht das schon oben S. 78 erwähnte große Fabrikgeschäft der Gebr. Zöppritz (mechanische Wollenspinn- und Weberei), oben an, das im J. 1828 an der Stelle errichtet wurde, wo 100 Jahre zuvor ein Eisenwerk [3] gestanden hatte, und | und durch seinen ausgedehnten Betrieb einen großen Theil der hiesigen Einwohner theils in, theils außer der Fabrik in Thätigkeit und Nahrung setzt. Diese Fabrik bezieht die rohe Wolle aus Württemberg, Bayern, Österreich, Ungarn und den italienischen Seehäfen, das Kammgarn aus Sachsen, das Baumwollengarn aus England, der Schweiz und Württemberg. Die Fabrikate (wollene und halbwollene Waaren, Flanelle, Bett- und Pferdedecken etc.) gehen in die südlichen Vereinsstaaten und in die Schweiz. In der Fabrik selbst arbeiten gegen 160, außerhalb für dieselbe gegen 40 Menschen. Spindeln sind 13-1400, Webstühle 50, Assortimente 6, nebst den erforderlichen Kratzmaschinen etc. in Thätigkeit. Der Betrieb geschieht durch Wasserkraft. 52 Weber mit 71 Stühlen beschäftigen sich wenig mit Leinweberei, sondern liefern Baumwollengewebe für Heidenheimer Fabriken, oder arbeiten als Wollenweber auf der hiesigen Fabrik; während eine Anzahl Weiber und Mädchen mit Wollereinigen etc. vortheilhaft beschäftigt ist. – Zwei Hafner treiben ihr Geschäft ungemein stark, und setzen ihre Waare bis in die Schweiz ab; den Thon beziehen sie aus der Zahnberger Grube und von Schnaitheim. Als Nebengewerbe kann das fleißige Sammeln von Erd- und Himbeeren genannt werden. Schildwirthschaften bestehen zwei, Bierbrauerei eine, und eine Mahlmühle, die sehr frequente Wangen- oder untere Mühle, eine kleine Viertelstunde unterhalb des Orts auf einer Insel der Brenz.

Bei der reichlichen Gelegenheit zum Verdienst, welchen die Fabrikgeschäfte, namentlich auch des nahen Heidenheim darbieten, haben die fleißigen hiesigen Einwohner ihr gutes Auskommen; sie sind aber in sittlicher Beziehung nicht ganz von den Gebrechen frei, welche dem Gewerbsleben so häufig sich zugesellen. Ein sehr werthvoller Bestandtheil des Gemeindevermögens sind die oben erwähnten Waldungen, aus welchen jeder Bürger jährlich 1 Klafter Brennholz und 50-100 Büschel Nutzung zieht. Außerdem hat jeder 1/4 M. Allmend zu genießen. Ein kostspieliger Kirchenbau nöthigt aber gegenwärtig die Gemeinde, jene Holznutzung mit 2 fl. jährlich zu belasten, und überdieß eine Umlage nach dem Steuerfuß zu erheben.[4] Alleiniger Zehentherr ist seit der Pfarrbesoldungs-Verwandlung der Staat. Gefälle aus, jetzt zerstückelten, Lehengütern ist die Gemeinde im Begriff abzulösen. Abgelöst sind in Folge Ges. vom J. 1836: jährl. Steuer, Hundsthaler etc. 7 fl. 19 kr., an Frohnen jährl. 15 fl.

| Mergelstetten liegt rechts und links den Ufern der Brenz entlang, über welche zwei hölzerne Brücken führen. Die Ulm-Augsburger Straße führt östlich an dem Ort vorüber nach dem 1/2 St. entfernten Heidenheim. Das Aussehen dieses Dorfes ist im Ganzen besser als das der meisten des Oberamts-Bezirkes, da es mehrere neue und in besserer Bauart errichtete Gebäude besitzt, unter welchen sich vor allen die stattlichen Zöppritzschen Fabrikgebäude auszeichnen. Die Strohdächer sind verschwunden. Wohngebäude zählt man 118. Eine seltene Zierde erhielt Mergelstetten und die ganze Umgegend durch die schöne Pfarrkirche in gothischem Styl nach Heideloffs Zeichnung; ihre Einweihung erfolgte den 10. Nov. 1843. Die Gemeinde bestritt die Baukosten im Betrag von 36.000 fl. Die neue Orgel ist eine Stiftung der Gebr. Zöppritz. Die Einkünfte des Heiligen betragen 150-160 fl. Im J. 1838 legte die Gemeinde einen neuen Begräbnißplatz außerhalb des Ortes an. [5] In den Jahren 1842-43 baute der Staat ein neues, ganz steinernes Pfarrhaus. Ein eigenes Rathhaus existirt nicht. Das Schulhaus wurde 1810 von der Gemeinde neu erbaut. Schulstiftungen sind im Betrag von 174 fl. zur Anschaffung von Schulbüchern, und zu Prämien für fleißigen Besuch der sonst so häufig vernachlässigten Sommerschule. Auch besteht eine bei den hiesigen Verhältnissen sehr wohlthätige Klein-Kinderschule, und ein Gesangverein.

Eine bewaldete Felshöhe über der Brenz an der Bolheimer Markungsgränze, in eine kegelförmige Spitze auslaufend, führt den Namen „das alte Schloß.“ Ein Burggraben ist auf der nördlichen Seite noch deutlich zu sehen. [6] – Über einen bei Mergelstetten gemachten antiquarischen Fund, s. oben S. 114; über die Höhle im Hohlenstein S. 10. Grabhügel zählt man auf der Waldfläche Burren oder Scheithau 19, von welchen vor einigen Jahren drei geöffnet wurden, die übrigens außer Scherben, Kohlen, Knochen und einigen Eisenresten, Nichts enthielten.

Mit seinem Namen, als Merchelinesteten, tritt das Dorf im J. 1143 zum ersten Male in die Geschichte ein, bei Ausstattung des Kl. Anhausen, welches hier einen Hof, Mühle und Fischenz erhielt.

Der Pfarrsatz stund den Grafen von Dillingen zu bis zum J. 1252, wo vom Graf Hartmann und seinem Sohn Albert zur Tilgung | von 30 Pfd. Schulden, welche das Kl. Herbrechtingen an Albert zu fordern hatte, dieses Recht genanntem Kloster eingeräumt wurde (Reg. Boic. 3, 27, vergl. auch die Urk. v. 1256 ib. 3, 91), auch zwei hiesige Hofgüter erwarb damals von eben diesen Grafen das Kl. Herbrechtingen gegen Abtretung der Kirchenvogtei in Bernau. – Im J. 1388 verkaufte Wilhelm Vetzer der Frühmeß in Heidenheim Güter in Mergelstetten für 65 Pfd. (Gabelkh.).

Nach dem ältesten Saalbuch des 15. Jahrhunderts ist die Herrschaft zu Hellenstein und Heidenheim Vogt und Herr über den Kirchensatz und über das Dorf zu Merckelstetten [7] und über alles, das dazu gehört, zu Feld und zu Dorf, und sind alle Zwing, Bänn, Gericht und alle Frevel der Herrschaft ausgenommen Hitzlers Hofraiten etc. [8]

Bei der Reformation war Mergelstetten ein Filial der Pfarrei Bolheim und nachmals des Diaconats Heidenheim. Erst 1700 wurde eine eigene Pfarrei hier errichtet (Binder 2, 661).


  1. Starke, noch unbenutzte Wasserkräfte bietet der raschere Fluß zwischen der untern Mühle und Bolheim.
  2. Trefflich und sehr gesucht sind dagegen die Forellen in den oben genannten frischen Quellbächen. Das Fischrecht gehört theils der Gemeinde, theils ist es ein Mannlehen, das Graf Ulrich von Württemberg 1448 dem Michel und Hans Hitzler in Giengen auftrug, bei deren Geschlecht es verblieb.
  3. Ein solches kommt bereits im 16. Jahrhundert vor; im Jahr 1533 reversirt sich Casp. Mertz zu Unterkochen gegen Kloster Anhausen wegen der Eisenschmiede zu Mergelstetten, so vorhin Mahlmühle gewesen.
  4. Von der Mühle bezieht die Gemeinde jährlich 36 Simri Kernen und 36 Simri gemischte Frucht, wogegen sie derselben das nöthige Bau- und Werkholz zu liefern hat.
  5. In dem jetzt verschütteten alten Kirchhof ruht die Leiche des Philosophen Christoph Gottfried Bardili, gest. den 16. Juni 1808.
  6. Wenn man diesem Schloß den Namen Hurwang giebt, so scheint eine Verwechslung mit Hürwin (s. Hürben) zum Grund zu liegen.
  7. Irrig steht bei Scheffer Chron. Darst. S. 128, Mergelstetten sey im Jahr 1593 von Rechberg an Württemberg verkauft worden, die Urkunde hat deutlich Marchstetten, was ohne Zweifel dem Orte Merstetten (OA. Ulm) entspricht.
  8. Noch heute ist der jeweilige Älteste der Hitzlerschen Familie im Genuß eines von Württemberg rührenden Mannlehens (s. oben), bestehend in einem Haus, einem Bauerngut und einem Fischrecht, zusammen von einem jährlichen Ertrag von circa 500 fl.
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