« Kapitel A 2 Beschreibung des Oberamts Freudenstadt Kapitel A 4 »
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III. Einwohner.


1. Bevölkerung.
A. Stand derselben.

a) Die Zahl der Orts-Angehörigen des Bezirks betrug in den Jahren:

  männl. weibl. zusammen
1812 Nov. 1. 010.4290 010.5040 020.9330
1822 11.065 11.280 22.345
1832 12.574 12.686 25.260
1842 Dez. 15. 14.360 14.140 28.500
1846 3. 14.916 14.593 29.509
1852 15.491 15.305 30.796

Die ortsanwesende Bevölkerung belief sich im Jahr 1822, Nov. 1. auf 22.362 Köpfe, wobei 890 Ortsangehörge als abwesend, dagegen 907 ortsanwesende Fremde gezählt wurden. Im Jahr 1846, Dez. 3. waren 28.458 Ortsanwesende vorhanden, und im Jahr 1852, Dez. 3. 28.788.

Der Überschuß der weiblichen über die männliche Bevölkerung war im Jahr

1812 75
1822 215
1832 112

In den folgenden Jahren trat hier der (in Württemberg) seltene Fall ein, daß die männliche Bevölkerung überwiegend war, und zwar im Jahr

1842 um 220
1846  „ 323
1852  „ 186

Nach dem neuesten Stande trafen auf 1000 männliche Angehörige 988 weibliche, während im Durchschnitt des Landes auf 1000 männliche 1036 weibliche kommen.

b) Nach Altersklassen vertheilten sich die Ortsangehörigen des Bezirks im Jahr 1846 wie folgt: |
                Auf 10.000 treffen
 
  männl. weibl. männl. weibl.
unter 6 Jahren 2735 2653 1834,0 1818,0
von 06 bis 014 Jahren 2869 2799 1923,0 1918,0
14 020 1671 1667 1120,0 1142,0
20 025 1321 1361 886,0 933,0
25 040 3069 3027 2058,0 2074,0
40 060 2425 2367 1626,0 1622,0
60 070 591 536 396,0 367,0
70 080 213 169 142,3 116,3
80 090 21 13 14,0 9,2
90 100 1 1 0,7 0,5
  14.916 14.593 10.000,0 10.000,0
 
  29.509.

Die schulpflichtigen Kinder von 6 bis 14 Jahren zählen hienach 5668 Köpfe = 19,21 %; die waffenfähige Mannschaft von 20 bis 40 Jahren 4390 Köpfe = 14,87 % und das Greisenalter von 70 Jahren und mehr 418 Köpfe = 1,42 % der ganzen Bevölkerung. Die Altersklassen von der Geburt bis zu 25 Jahren begreifen 17.076 oder 58 % des Ganzen. Bei der Zählung von 1846 fand man unter 1000 Einwohnern 14,17, die das 70ste Jahr überschritten hatten. (Im Durchschnitt des Landes 22,4.)

Im Jahr 1822, Nov. 1. zählte man Ortsangehörige:

                Es kamen auf 10.000
 
  männl. weibl. männl. weibl.
unter 14 Jahren 3750 3811 3389 3379
von 14 bis 18 Jahren 983 7469 888 6621
18 25 1387 1254
25 40 2384 2155
40 60 1858 1679
über 60 Jährige 703 635
  11.065 11.280 10.000 10.000
 
  22.345

c) Familienstand. Es lebten im Bezirk:

1832. Nov. 1. 1846. Dez. 3.
Verehelichte Personen 0.7522 0.8750
Wittwer 00.421 00.537
Wittwen 00.659 00.715
Geschiedene 000.16 000.22
Unverehelichte und Kinder 16.642 19.485
25.260 29.509
| Nach der älteren Zählung waren also 3761, bei der späteren 4375 Ehepaare vorhanden. Familien zählte man im Jahr 1846 5928, 1852 5671.

Auf 1 Familie kommen also resp. 4,97 und 5,43 Angehörige, und auf 1 Ehepaar 1832 6,72 und 1846 6,74 Köpfe.

d) Kirchliches Verhältniß:

          Christen: 1832. 1846.
evangelisch-lutherische 24.971 29.112
evanelisch-reformirte 3
römisch-katholische 286 397
andere christliche Parteien
          Juden
25.260 29.509

e) Gewerbs- und Nahrungs-Verhältniß.

Dieses wurde nur in den älteren Listen berücksichtigt, letztmals im Jahr 1822 und man zählte damals:

Bedienstete:
in Königl. Militärdiensten 257
 „  Civildiensten 164
 „ gutsherrschaftlichen Diensten
 „ Commundiensten 446
Ohne bürgerliche Gewerbe, vom eigenen Vermögen lebend 49
Handelsleute, Professionisten, Wirthe etc. 1614
Bauern 855
Tagelöhner 1035
im Almosen stehend 227
  4647

f) Relativer Bevölkerungsstand.

Auf 1 geographischen Quadratmeile lebten am 3. Dez. 1852 3042 Angehörige und 2967 Ortsanwesende. Im Durchschnitt des Landes war die relative Bevölkerung zu gleicher Zeit 5107 und 4892. Unser Bezirk gehört daher zu den am dünnsten bevölkerten; er steht in Beziehung auf die Ortsanwesenden um 1925 = 39 % unter dem Landesdurchschnitt und nimmt in dieser Hinsicht in der wachsenden Reihe der Oberämter die 6te Stelle ein; auf 1 Einwohner kommen 5,88 Morgen Fläche.

B. Bewegung der Bevölkerung.

Nach Durchschnitten für die Dezennien 1812/22 und 1842/52 betragen die jährlichen

|
von
1812/22. 1842/52.

1) Geburten, und zwar:

die männlichen 433,9 0640,1
  „  weiblichen 394,2 0587,6
zusammen 828,1 1227,7
darunter sind uneheliche 102,2 0146,4

2) Sterbfälle, und zwar:

männliche 322,4 0412,9
weibliche 293,0 0399,1
zusammen 615,4 0842,0

3) Die Wanderungen.

          Es sind eingewandert von 1812/22. von 1842/52.
männl. weibl. männl. weibl.
aus andern Staaten 003,6 003,1 001,7 004,2
aus andern Orten des Königreichs 065,1 091,5 176,2 218,8
  068,7 094,6 177,9 223,0
          Es sind ausgewandert:
nach andern Staaten 032,4 036,0 041,1 038,6
nach andern Orten des Königreichs 072,7 095,9 192,5 237,6
  105,1 131,9 233,6 276,2
Es zogen also mehr hinaus, als herein 036,4 037,3 055,7 053,2
 
  73,7 108,9

4) Die Zahl der Ehen, welche 1812 3283 betragen hatte, war in dem Dezennium 1812/22 auf 3389 gestiegen; es wurden in diesem Zeitraum im Durchschnitt jährlich

  neue Ehen geschlossen  148,2
Zugang durch Einzüge 8,5
156,7
Dagegen wurden Ehen aufgelöst:
durch Tod 129,6
du Scheidung 1,0
du Wegzüge 15,5
146,1
Der Zuwachs betrug daher per Jahr 10,6

Auf 145 Angehörige kommt hienach jährlich 1 Trauung, während 1 solche im Landesdurchschnitt auf 143,3 kommt. Auf 1 Ehe entfallen 6,4 Angehörige.

5) Verhältnisse im Gang der Bevölkerung und deren Wachsthum.

a) Die Geburtsziffer berechnet sich für 1812/22 wie 1 : 25,91 oder auf 10.000 Einwohner treffen jährlich 386 Geburten; für 1842/52 wie 1 : 24,17 oder auf 10.000 Einwohner kommen jährlich 414 Geburten. Dabei | entfallen auf 1000 geborene Mädchen für 1812/22 1100,7; für 1842/52 1089,3 geborene Knaben.

Das Verhältniß der unehelich Geborenen berechnet sich für 1812/22 wie 1 : 8,10; für 1842/52 wie 1 : 8,38. Auf 100 Geborene überhaupt kamen nämlich in dem Dezennium 1812/22 12,34; in dem Dezennium 1842/52 11,92 uneheliche.

Das Verhältniß der Todtgeborenen stellte sich für das Jahrzehnd 1812/22 = 1 : 20,34, oder auf 1000 Geburten überhaupt trafen 49,1 Todtgeburten. Für das ganze Land berechnet sich dasselbe wie 1 : 26,0.

b) Das Verhältniß der Gestorbenen zu den Lebenden gestaltete sich für 1812/22 wie 1 : 34,64; für 1842/52 wie 1 : 35,24 oder von 10.000 Einwohnern starben jährlich resp. 288,6 und 283,7. Dieses Verhältniß ist also neuerlich hier ein günstigeres geworden. Dabei kamen auf 1000 Gestorbene weiblichen Geschlechts für 1812/22 1100,3; für 1842/52 1109,7 Gestorbene männlichen Geschlechts.

Betreffend die Altersklassen der Gestorbenen (welche in den neuern Listen nicht berücksichtigt werden), so starben in dem Zeitraum 1812/22

            unter 10.000 Gestorbenen
männliche weibliche
vor der Geburt 000.85,0 000.45,4
unter 1 Jahr alt 00.314,5 00.274,7
vom 01. bis 07. Jahr 00.148,0 00.166,9
07. 14. 000.40,6 000.55,3
14. 25. 000.50,6 000.43,7
25. 45. 000.97,4 00.107,6
45. 60. 000.91,5 00.119,4
über 60 Jahre alt 00.172,4 00.187,0
  10.000 10.000

Von sämmtlichen Gestorbenen dieses Jahrzehends sind also mehr als 1/3 (36 %) theils Todtgeburten, theils Säuglinge, die der Tod vor vollendetem 1. Lebensjahr hinwegraffte, und doch ist die Sterblichkeit der Neugeborenen noch größer im Durchschnitt des Landes, nämlich 41,3 %. Vergleicht man die Zahl der Geborenen dieses Jahrzehends mit der bis zum 1. Lebensjahr gestorbenen Kinderzahl, so findet man, daß von jenen 26,8 % vor vollendetem 1. Lebensjahr starben, im Durchschnitt des Landes aber 34,6 Prozent.

c) Die Sterbfälle verhalten sich zu den Geburten, in dem Zeitraum 1812/22 wie 1000 : 1346; in dem Zeitraum 1842/52 wie 1000 : 1458. Dabei entfallen auf 1000 männliche Gestorbene für 1812/22 1346; für 1842/52 1445 männliche Geborene; und auf 1000 weibliche Gestorbene für 1812/22 1345; für 1842/52 1472 weibliche Geborene.

| d) Der natürliche Zuwachs.
Der Überschuß der Geborenen   von 1812/22 von 1842/52
männl. weibl. männl. weibl.
über die Gestorbenen betrug 1115 1012 1972 1885
Zusammen 2127 3857
Die Zunahme der Bevölkerung überhaupt 0636 0776 1131 1165
Zusammen 1412 2296
also die jährliche Zunahme 0,674 % 0,805 %
ferner befanden sich unter 1000 Seelen des
     natürlichen Zuwachses
0524 0476 0511 0489
unter 1000 Seelen, der Zunahme überhaupt 0450 0550 0493 0507

Aus den vorliegenden Durchschnittsberechnungen ergeben sich für die einzelnen Gemeinden des Bezirkes, für die Periode von 1842/52 folgende bemerkenswerthe Verhältnisse:

Durch die höchste Geburtsziffer zeichnen sich aus: Hesselbach, wo auf 1000 Einwohner jährlich 48,48 Geburten kamen; ferner Ober-Mußbach 48,16; Schömberg 48,00; Unter-Iflingen 47,90; Röth 46,80; Grünthal 45,99 u. s. w.

Die wenigsten Geburten kamen vor: in Erzgrube, auf 1000 Einwohner jährlich 31,43; ferner Neuneck 32,76; Herzogsweiler 33,30; Wörnersberg 33,56; Dornstetten 34,52; Hochdorf 34,76 u. s. f.

Die meisten unehelichen Geburten zählten: Unter-Mußbach, wo unter 100 Geburten überhaupt 24,24 unehelich waren; ferner Loßburg 21,04; Neuneck 20,88; Reinerzau 18,97; Rodt 18,05; Schömberg 18,01 u. s. w.

Die wenigsten unehelichen Geburten hatten die Gemeinden: Heßelbach, unter 100 Gebornen überhaupt 2,56; Unter-Iflingen 2,68; Thumlingen 3,83; Böfingen 4,17; Hörschweiler 8,00; Dornstetten 8,07; Röth 8,10; Erzgrube 8,20 u. s. w.

Die größte Sterblichkeit herrschte in den Gemeinden: Wittendorf, wo unter 1000 Seelen jährlich 36,67 starben; Schömberg 36,38; Lombach 33,81; Unter-Iflingen 33,79; Heßelbach 33,56; Ober-Iflingen 31,78 u. s. w.

Die Sterblichkeit zeigte sich am geringsten in den Gemeinden Ober-Mußbach, wo von 1000 Einwohnern 20,28 jährlich starben; ferner Wörnersberg 21,97; Besenfeld 22,03; Schopfloch 23,34; Reinerzau 24,19; Dietersweiler 24,26; Röth 25,18 u. s. f.

Die meisten alten Leute, über 70 Jahre zählend, hatten im Jahr 1846: Schömberg, wo auf 1000 Einwohner 32,3 dergleichen | kamen; Erzgrube 29,6; Heßelbach 26,0; Wörnersberg 23,4; Hochdorf 22,1; Böfingen 20,5 u. s. w.

Die wenigsten Leute dieses Alters zählten: Besenfeld, unter 1000 Einwohnern deren 6,5; Loßburg 7,4; Herzogsweiler 7,8; Lombach 8,5; Göttelfingen 8,6; Unter-Iflingen 9,1 u. s. f.

2. Abstammung und Eigenschaften der Einwohner.

Die Einwohner des Bezirks gehören im Allgemeinen dem schwäbischen Volksstamme an, obgleich sie sich in dem südwestlichen Theile (Reinerzau) dem allemannischen Stamm des Breisgau’s, im nördlichen, im Murgthal, den Pfälzern etwas nähern. Eine Ausnahme machen die Einwohner von Freudenstadt, deren Voreltern im Jahr 1599 aus Kärnthen, Steyermark, Krain und Salzburg eingewandert sind. Die vorzugsweise aus Laboranten bestehende Einwohnerschaft von Christophs- und Friedrichsthal, so wie die von Buhlbach und Schönmünzach haben im Lauf der Zeit aus verschiedenen Ländern (Steyermark, Holland, Rhein-Bayern, Rhein-Preußen, Sachsen etc.) Zuwachs erhalten.

Der Menschenschlag ist im Allgemeinen nicht sehr kräftig, eher unter, als über mittlerer Statur, eher dürftig, als gut genährt, mehr von blasser und kränklicher, als frischer und gesunder Gesichtsfarbe. Dieß gilt besonders von Baiersbronn, dessen Bevölkerung durch übermäßige Arbeiten und Entbehrungen aller Art physisch herabgekommen und verkümmert ist, und den von Kretinismus besonders heimgesuchten Orten Glatten, Dietersweiler, Neuneck, Dornstetten, Böffingen, Loßburg. Ungeachtet dieses schwächlichen Aussehens sind aber diese Leute, namentlich die Baiersbronner, gegen atmosphärische Einflüsse und körperliche Strapazen sehr abgehärtet und zeigen eine ungewöhnliche Lebenszähigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und körperliche Verletzungen. Durch höheren Wuchs, kräftigere Constitution und behäbigeres Aussehen zeichnen sich die Einwohner von Reinerzau, Schömberg, Schwarzenberg, Röth, Hochdorf, Besenfeld, Ober-Iflingen, Wittendorf, Schopfloch, Wörnersberg etc. aus. Eine fünfjährige durchschnittliche Zusammenstellung der Conscriptionspflichtigen des Landes (s. Württ. Jahrb. 1833, S. 384 ff.) liefert für den Bezirk im Allgemeinen keine günstigen Ergebnisse. Nach dieser war die mittlere Größe der Conscriptionspflichtigen 5′7,89″, was dem Maximum (O.A. Wangen) um 0,95″ nachsteht, das Minimum (O.A. Maulbronn) nur um 0,12″ übertrifft. Unter 1000 Conscriptionspflichtigen besaßen eine Größe von 6′ und darüber 182, das Minimum (O.A. Maulbronn) 145, das Maximum (O.A. Rottweil) | 382; eine geringere Größe als 5′5″ hatten 202, was den in dieser Beziehung ungünstigsten Oberamtsbezirk Marbach nur um 27 übertrifft, dem günstigsten aber (Waldsee) um 160 nachsteht. Untüchtig wegen Gebrechlichkeit erscheinen in dem genannten Durchschnitt unter 1000 Pflichtigen des Bezirks 404 (das Minimum O.A. Mergentheim 250, das Maximum O.A. Cannstadt 535). Etwas günstiger stellt sich im Bezirk das Verhältniß der Untüchtigen wegen allgemeiner Körperschwäche und Kränklichkeit, nämlich unter 1000 nur 69 (das Maximum O.A. Ulm 157, das Minimum O.A. Saulgau 26).

Was den Gesundheitszustand und vorherrschende Krankheiten betrifft, so ist die körperliche Entwicklung beider Geschlechter eine entschieden verspätete. Beim weiblichen tritt die Menstruation durchschnittlich erst im 17.–18. Lebensjahre ein, und die Fälle, daß dieß erst im 20. und 21. geschieht, sind nicht so gar selten, und die Zurückstellungen Militärpflichtiger auf das kommende Jahr wegen ungenügender Körperentwickelung finden hier mehr, als anderswo, in den natürlichen Verhältnissen eine hinreichende Begründung. Im Allgemeinen ist der Gesundheitszustand ein guter.

Die am häufigsten im Bezirke vorkommenden Krankheiten sind Rheumatismen in allen Formen, vom einfachen, fieberlosen, rheumatischen Zahn-, Kopf- und Ohrenweh bis zum rheumatischen Seitenstich und Rheumatismus acutus. An diese reihen sich catarrhalische Affectionen, weniger der Verdauungs-, als der Athmungswerkzeuge und der Bindehaut der Augen und Augenlieder, welche besonders im Winter und Frühjahr mehr oder weniger verbreitet herrschen und unter begünstigenden atmosphärischen Verhältnissen einerseits zur epidemischen Grippe, andererseits zum epidemischen Keuchhusten sich steigern. – Grippe-Epidemieen herrschten im Bezirke im Frühjahr 1833 und 1837, im Winter von 1847/48, von 1850/51 und von 1854/55. – Der Keuchhusten trat im Laufe der letzten 34 Jahre mit mehr oder weniger starker Verbreitung im Sommer 1828 und 1831, im Sommer und Herbst 1832, im Frühling 1842 und 1843, im Winter 1844/45, im Herbst 1847, im Sommer 1849, im Frühjahr 1850, im Winter 50/51, im Herbst 1854, durch das ganze Jahr 1855 und 1856 auf. – Die nächst häufigsten Krankheitsformen sind Entzündungen, besonders der Lungen und des Lungenfells, und bei Kindern des Gehirns und seiner Häute mit großer Neigung, in Hydrocephalus acutus überzugehen. Sie haben in der Regel den rheumatischen Charakter. Ungleich seltener sind Entzündungen der Unterleibsorgane. – Die häutige Luftröhren-Entzündung (Croup) kommt nicht selten vor und fordert in jedem Jahr einige | Opfer. – Die Masern herrschten im Bezirk mit epidemischer Verbreitung, aber meist gutartigem Character im Winter 1822, Frühjahr 1824, Winter 1824/25, Frühjahr 1826, Winter 1827/28, Winter 1832/33, Frühjahr 1833, Winter 1838/39, Frühjahr 1841, Frühjahr und Sommer 1843, Frühjahr 1845, Herbst 1846, Frühjahr 1847, Herbst 1852, Winter und Frühjahr 1853. – Vom Scharlachfieber sind seit dem Jahre 1838 nur sporadische Fälle beobachtet worden, nämlich im Sommer 1842, im Winter von 1844/45, im Frühjahr und Sommer 1850 und 1856. Im letzteren Jahre gewann die Krankheit in einigen Gemeinden (Wörnersberg, Göttelfingen, Besenfeld) eine ziemlich beträchtliche, doch keine eigentlich epidemische Verbreitung. Als Epidemie trat sie im Sommer und Herbst 1825, im Winter 1831/32 und 1832/33, im Herbst 1837 und Winter 1837/38 auf. – Unter die besonders im Sommer und Herbst häufiger auftretenden acuten Krankheiten gehören die Rothlaufformen (meist erysipelatöse Anginen oder Gesichtsrothlaufe).

Obschon die lokalen und klimatischen Verhältnisse ein entschiedenes Überwiegen des rheumatisch-entzündlichen Krankheitscharacters bedingen, so macht doch der von allgemeineren atmosphärischen und tellurischen Einflüssen abhängige, über größere Länderstrecken verbreitete Genius epidemicus auch hier seinen Einfluß auf die herrschenden Krankheiten geltend. Es kommt daher auch alljährlich eine nicht unbeträchtliche Zahl gastrischer und typhöser Erkrankungen im Bezirke vor. Zu förmlichen Epidemieen erhob sich der Typhus im Jahre 1823 (Sommer), 1832 und 1836 (Herbst), 1838 (Sommer), 1839 (Frühjahr, Sommer und Herbst), 1840 (Sommer und Herbst), 1841 (Herbst), 1842 (Frühjahr, Sommer und Herbst), 1843 (Frühjahr), 1844 (vom Frühjahr bis in den Winter), 1845 (Frühjahr), 1846 (Herbst), 1852/53 (Winter), 1853 (Sommer und Herbst), 1854 (Frühjahr). Am stärksten verbreitet war die Krankheit in dem Zeitraum vom Jahr 1842 bis 1846, von wo an eine unverkennbare Abnahme der Disposition zu typhösen Erkrankungen sich bemerkbar machte. Die in den folgenden Jahren aufgetretenen Epidemieen hatten, sofern sie sich auf einzelne Orte beschränkten, mehr einen isolirten und lokalen Charakter. – Die Ruhr kommt sporadisch in jedem Spätjahr vor. Sie herrschte als Epidemie in einem größeren oder kleineren Theile des Bezirks im Herbst der Jahre 1834 bis 1838 (incl.), 1848, sowie von 1850 bis 1854 (incl.).

Die häufigste Kinderkrankheit in den Sommermonaten ist die Brechruhr, welche mit ungewöhnlicher Heftigkeit und Verbreitung im Sommer 1854 herrschte.

| Von chronischen Krankheiten kommen, abgesehen von der Krätze, am häufigsten vor: Scropheln, englische Krankheit (Rhachitis), chronischer Catarrh und Lungen-Emphysem mit Kurzathmigkeit, Gicht und Lungentuberculose. – Die vorherrschenden Formen, unter denen die Scropheln sich darstellen, sind scrophulöse Augenentzündungen, Kopfausschläge und Tabes meseraica. Nicht so gar selten sind auch scrophulöse Gelenksleiden und Beinfraß, namentlich an Hüft- und Kniegelenken. – Die englische Krankheit ist besonders unter den niedern Volksklassen sehr verbreitet. An Lungen-Emphysem und Athmungsbeschwerden leiden viele ältere Personen in Folge vernachlässigter Catarrhe und Brustentzündungen. Das Übel endigt in der Regel mit Brustwassersucht.

Seltener ist die tuberculose Lungenschwindsucht und, wenn sie vorkommt, meist in hereditären Verhältnissen begründet. Die Gicht kommt ziemlich häufig, namentlich beim weiblichen Geschlechte in und nach den climacterischen Jahren, unter der Form der Arthritis anomala vaga, Gries- und Blasensteinbildung dagegen nur ausnahmsweise und vereinzelt vor. Dasselbe gilt von der Bleichsucht. Carisnomatöse Leiden sind ziemlich selten. Organische Herzkrankheiten, meist von Rheumatismus acutus abstammend, sind keine seltene Erscheinung. Von nervösem Hüftweh (ischias), rheumatischen Ursprungs, kommen zahlreichere Fälle, als an anderen Orten, zur Beobachtung. Epilepsie und Hysterie, namentlich die letztere, werden selten beobachtet. Syphilitische Krankheiten sind im Ganzen selten.

Die Krätze war in früheren Jahren im Bezirke sehr stark verbreitet. Auffallend war die Vermehrung der Zahl der Krätzigen in dem Zeitraum vom Jahr 1849 bis 1855. Sie mußte in den Jahren 1852 und 1855 in mehreren Orten (Loßburg, Baiersbronn, Göttelfingen, Besenfeld) unter unmittelbarer Staatsfürsorge behandelt werden. – Eigentlich endemisch herrschte sie in den vereinzelten Parcellen von Baiersbronn. Seit Ende des Jahres 1855 hat sich eine sichtliche Abnahme ihrer Verbreitung im Bezirke bemerklich gemacht.

Geisteskrankheiten sind gleichfalls nicht besonders häufig. Nur der Säuferwahnsinn, eine Folge des unter der arbeitenden Klasse noch herrschenden Missbrauchs des Branntweins, macht hievon eine Ausnahme.

Von endemischen Krankheiten im engeren Sinne sind zu erwähnen: Wechselfieber, Kropf und Cretinismus. Erstere sind eine seltene Erscheinung und, wenn sie vorkommen, meist von außen hereingebracht. Kropf und Cretinismus herrschen als endemische Leiden vorzugsweise auf dem Muschelkalkgebiete und hier wieder am | stärksten im Glatthale und den in dasselbe einmündenden Seitenthälern. Die am stärksten heimgesuchten Orte sind: Glatten, Dietersweiler, Neuneck, Böffingen, Aach, Dornstetten. Dann kommen Loßburg, Wittendorf, Unter-Iflingen und Pfalzgrafenweiler. Die im übrigen Bezirke vorkommenden Fälle sind mehr vereinzelt und durch individuelle Verhältnisse (Trunksucht des Vaters u. dergl.) bedingt.

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Anlangend die Beschäftigungsweise der Einwohner, so fallen, wenn man den Bezirk in 4 dem Umfang nach ungefähr gleiche Gebiete abtheilt, nämlich in ein nördliches (Murg und Nagold), westliches (Vorbach, Buhlbach und Anfang der Murg), südliches (Vorbach und Kinzig) und östliches (Glatt und Waldach), die drei ersteren vorzugsweise der Waldkultur, das letztere hauptsächlich dem Feldbau anheim. Die Thätigkeit des größten Theils der Bevölkerung der Walddistrikte wird durch die Bearbeitung und Verwerthung des Hauptproduktes des Schwarzwaldes, des Holzes, in Anspruch genommen. Von den verschiedenen, bei der Ausbeutung dieser alle übrigen in den Hintergrund drängenden Erwerbsquelle beschäftigten Personen ist der Natur der Sache nach die unterste Klasse, die der Holzhauer oder Holzmacher, der Zahl nach überwiegend. Sie bringen, so lange die Jahreszeit und Witterung es zuläßt, den ganzen Tag im Walde zu. Im Winter, der vorzugsweise zum Abführen (Schleifen) des Langholzes aus den Waldungen benützt wird, sind sie theils hiebei, theils mit gewöhnlichen Taglöhnersarbeiten (Holzspalten, Dreschen etc.) beschäftigt. Andere sind beim Verkohlen des Holzes, wieder Andere beim sog. Holzrießen (Herabrutschenlassen der Holzstämme und Scheiter von den Gebirgshöhen), beim Zurüsten, Einbinden und Abführen des Floßholzes thätig. Eine nicht unbedeutende Zahl findet auch in den zahlreichen Sägmühlen und bei den Jahr aus Jahr ein die Straßen belebenden, mit Sägeklötzen und Brettern beladenen Fuhrwerken Arbeit und Lebensunterhalt. Aber auch in diesen Distrikten fehlt es keineswegs an landwirthschaftlichem Betriebe. Vielmehr findet sich in denselben, da gerade hier der Boden noch weniger zerstückelt ist, eine beträchtliche Zahl größerer Gutsbesitzer, Hofbauern oder vorzugsweise „Bauern“ genannt, welche neben der Bewirthschaftung ihres Gutes in der Regel noch Holzhandel treiben. Auch besitzen die meisten Holzhauer zugleich einige kleine Güterstücke, die sie nebenher bebauen. – Die östlich und südöstlich gelegenen Orte des Bezirks beherbergen eine vorherrschend Ackerbau und Viehzucht treibende Bevölkerung. Dieselbe zerfällt in die Classe der selbstständig ihr Gut mit Hülfe von Knechten, Mägden und Taglöhnern bewirthschaftenden Bauern und die der „kleinen Bauern“ oder Taglöhner, | welche neben der Bewirthschaftung eines kleineren Gütercomplexes zugleich im Taglohn arbeiten.

Was die gewerbliche Thätigkeit im Bezirke betrifft, deren weiter unten (vergl. Kunst- und Gewerbfleiß etc.) näher erwähnt werden wird, so sind zunächst die im Staatsbetrieb stehenden Eisenschmelz- und Hammerwerke in Christophs- und Friedrichsthal, und von Privat-Unternehmungen das Hammerwerk im Glattthal, die chemische Fabrik in Ödenwald, die Glasfabriken Buhlbach und Schönmünzach, so wie einige Spinnereien, welche einer beträchtlichen Anzahl männlicher und weiblicher Personen Beschäftigung und Lebensunterhalt gewähren. – Außerdem sind die Gewerbe nur in der Oberamtsstadt, in Dornstetten und etwa noch in Reichenbach und Pfalzgrafenweiler stärker vertreten, unter welchen der Zahl nach in Freudenstadt bei weitem die Nagelschmiede überwiegen. Die meisten Gewerbtreibenden besitzen zugleich einige Morgen Felder, die sie nebenher bewirthschaften.

Die Lebensweise der Bevölkerung ist im Allgemeinen eine sehr einfache. Die Hauptnahrung der unteren Klassen, insbesondere der Taglöhner und Holzhauer, bilden Kartoffeln, Mehl- und Milchspeisen und selbstgebaute Gemüse. Ihre Mahlzeiten bestehen in der Regel nur aus einem oder zwei Gerichten. – Sie genießen nur ausnahmsweise Fleisch oder Kaffee. – Die Gewerbtreibenden und der bemitteltere Theil der Landwirthschaft treibenden Einwohner dagegen ist an den täglichen Genuß von Fleisch und Kaffee gewöhnt. – Der Besuch der Wirthshäuser ist im Ganzen ein mäßiger. Auch kommen Excesse im Trinken nicht häufiger, als in anderen Gegenden vor. Von spirituösen Getränken steht bei den niederen Klassen der Branntwein obenan. Derselbe äußert auch nicht selten seine nachtheiligen Wirkungen auf die Gesundheit. Doch ist in neuerer Zeit sein Gebrauch durch das Bier, das von Jahr zu Jahr mehr in Aufnahme kommt, glücklicher Weise bedeutend beschränkt worden. Die vermöglicheren Klassen halten sich vorzugsweise an Bier und Wein. – Obstmost wird, da die Obstproduction im Bezirke selbst mit Ausnahme weniger Orte unbedeutend ist, nur in obstreicheren Jahren und auch in diesen nicht in der Ausdehnung, wie Bier und Wein, getrunken.

Die Volkstracht, wobei dunkle Farben vorherrschen, hat im Allgemeinen etwas Ernstes und Anständiges; sie besteht im eigentlichen Schwarzwald bei den Männern in einem Schlapphut, blauem, grün ausgeschlagenem Rock mit großen platten Metallknöpfen und kurzer, breiter Taille, grünem Hosenträger, einer blauen Tuchweste (Brusttuch) mit zwei Reihen enge aneinander gesetzten platten Metallknöpfen | und schwarzen Lederhosen, den Sommer über aber auch grobe Leinwandhosen. Die weiblichen Personen tragen gelbe Strohhüte mit schwarzen Verzierungen, schwarze, reich gefältelte Wiflingröcke mit kurzer Taille, schwarze Kittel und ebenfalls schwarze Mieder und hellblaue Bänder. In der Reinerzau ist die Tracht dadurch verschieden, daß die Männer schwarze, grün ausgeschlagene Tuchröcke mit stehenden Krägen tragen, bei den weiblichen Personen aber das mit blauen Bändern gezierte Mieder von schwarzem Sammt und die Taille noch kürzer ist, auch über den Hüften Bäuste getragen werden. In der zur Reinerzau gehörigen Parcelle Zwiselberg kleiden sich die Bewohner ganz nach Art ihrer badischen Nachbarn, wie sie auch in anderen Beziehungen (Dialekt, Confession, Sitten und Manieren) mit denselben übereinstimmen. Bei beiden Geschlechtern haben hier die Röcke das Eigenthümliche, daß die Taille auffallend kurz ist, indem sie nur bis an das untere Ende der Schulterblätter reicht, wodurch der natürliche Wuchs verdeckt und verunstaltet wird. Die Männer tragen einen schwarzen, runden, breitkrämpigen Hut, einen schwarzen, nicht ganz bis an die Kniee reichenden Rock oder einen kurzschößigen Kittel mit hochrothem Futter und weißen metallenen Knöpfen, eine hochrothe Weste mit ähnlichen Knöpfen, schwarze, unter den Knieen geknüpfte Beinkleider, blaue Strümpfe mit rothen Zwickeln und Schuhe mit Schnallen. Die Bekleidung des weiblichen Geschlechts besteht aus einer schwarzen, mit gleichfarbigen Spitzen garnirten oder einer rothen, mit gelbem Boden versehenen und rothen Bändern verzierten Haube, einem hochrothen, faltigen Rocke und Mieder, weißen Ärmeln, ähnlichen Strümpfen, wie die der Männer, und Schuhen ohne Schnallen. – In der Oberamtsstadt und in Dornstetten ist die bürgerlich-städtische Tracht die übliche; dieselbe hat sich auch in größeren, an Hauptstraßen gelegenen Orten, wie in Pfalzgrafenweiler, Reichenbach eingeschlichen und die ländliche Tracht theilweise verdrängt. In den im Südosten des Bezirks gelegenen Orten, die mehr auf den Feldbau angewiesen sind, nähert sich die Tracht etwas der im Mittelland herrschenden, und an der Stelle des Schlapphuts erscheint der dreieckige Bauernhut; auch tragen die weiblichen Personen nicht selten das sog. deutsche Häubchen.

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In Absicht auf Gesittung und Moralität kommt das vorherrschend phlegmatische Temperament des Schwarzwälders in Betracht. Derselbe ist in seinem Benehmen ruhig, gelassen, höflich, selbst unterwürfig. Er ist nicht leicht in Aufregung zu bringen und weiß sich auch im Affekte zu beherrschen. Deßhalb kommen auch Verstöße gegen die Schicklichkeit und die conventionellen Formen, sowie | Händel und Streitigkeiten an öffentlichen Orten weniger häufig vor, als in anderen Landestheilen; noch seltener sind Schlägereien und Körperverletzungen. In seinem Auftreten und Benehmen hat der Schwarzwälder unseres Bezirks häufig etwas Ansprechendes und Gewinnendes, indem er den Eindruck der Bescheidenheit, Gutmüthigkeit, Treuherzigkeit und eines unverdorbenen, wenn auch etwas linkischen Wesens macht. Unter dieser harmlosen Oberfläche verbirgt er aber nicht selten einen ungewöhnlichen Grad von Vorsicht, Verschmitztheit und egoistischer Berechnung; er ist gefällig und dienstfertig, dabei aber mißtrauisch und stets mehr oder weniger auf den eigenen Vortheil bedacht. Sein Streben ist vorherrschend auf das Praktische und Lucrative gerichtet. Doch fehlt es ihm keineswegs an geistigem Interesse; nur müssen die Fragen, um die es sich handelt, auf die Wirklichkeit und die practischen Verhältnisse des Lebens Bezug haben. – Hinsichtlich des Verstandes, der Intelligenz und Schulbildung nimmt er zum Mindesten keine tiefere Stufe ein, als seine Standesgenossen in anderen Gegenden des Landes. – Er hat viel religiösen Sinn, ohne jedoch zur Frömmelei oder Schwärmerei sich hinzuneigen. Die Sittlichkeit und das moralische Gefühl verletzende Handlungen ereignen sich im Bezirke nicht häufiger, als anderwärts auch.

Der Glaube an die Einwirkung übernatürlicher Kräfte, an gute und böse (Mittwoch und Freitag) Tage, Verhexungen, sympathetische Heilungen von Krankheiten u. dergl. ist noch sehr verbreitet. So herrscht z. B. unter dem Volke ziemlich allgemein der Glaube, daß Neugeborenen durch böse Geister, Hexen etc. so lange Gefahr drohe, als sie nicht getauft seyen. Zur Abhaltung derselben läßt man in manchen Orten zur Nachtzeit ein Licht bei dem ungetauften Kinde brennen. Um die Viehställe vor Hexen zu schützen, werden dieselben mit Stinköl bestrichen. – Am Charfreitag hält man es für gefährlich, irgend etwas, seyen es Nahrungsmittel oder andere Gegenstände, aus dem Hause abzugeben, weil dadurch dem Einfluß von Hexen Thür und Thor geöffnet werde. – Bei Trauungen steht dem Bräutigam und der Braut in der Kirche ein Freund und eine Freundin zur Seite, welche, wenn sich jene zum Altar begeben, sogleich deren Plätze einnehmen, damit sie nicht von Hexen besetzt und dadurch Unfriede und anderes Unheil in der Ehe gestiftet werde. – Ähnliches ließe sich noch mehr anführen.

Besondere Gewohnheiten und Gebräuche sprechen sich in Folgendem aus. Bei Hochzeiten, zu denen der mit Bändern und Strauß geschmückte Hochzeitlader unter Hersagung eines Spruchs feierlich einladet, wird in den meisten Orten auf dem Lande die | „Hochzeiterin“ (Braut) am Hochzeitmorgen von einer oder zwei „Gspielen“ (Gespielinnen) und „Gesellen“ nebst dem „Auffänger“ mit Musikbegleitung in das Haus des „Hochzeiters“ (Bräutigams) geleitet. Ist sie aus einem anderen Orte gebürtig, so wird sie in einem Gefährte, das nicht selten von ledigen Burschen und andern Personen zu Pferd und zu Wagen und von Musik begleitet wird, abgeholt. Im Hause des Bräutigams wird sodann, ehe der festliche Zug in die Kirche stattfindet, die sog. Morgensuppe, aus Kaffee, Wein, Brod, Käse etc. bestehend, eingenommen. Während des Abholens der Braut und des Gangs in die und aus der Kirche werden fortwährend von ledigen Burschen Pistolen abgefeuert. In einigen Orten eröffnen sogar die „Schießer“ den Hochzeitszug. An den Altar begibt sich die Braut und der Bräutigam jedes für sich oder erstere vom „Brautführer“, einem mit ihr verwandten verheiratheten Manne, geführt. Vom Altar wird sie vom Brautführer, oder, wenn sie keinen solchen hat, vom „Auffänger“, einem ledigen Burschen, abgeholt, worauf sich der Zug, die Gespielin gleichfalls am Arm eines „Auffängers“, der Bräutigam und Gesell allein, in das Wirthshaus begibt. Hier eröffnen 2 oder 3 Paar den Tanz, nämlich der Brautführer oder Auffänger und die Braut, ein anderer Auffänger und die Gespielin und hie und da der Geselle und ein anderes von ihm gewähltes Mädchen. – Die Brautleute, Gespielinnen, Gesellen, Brautführer und Auffänger tragen künstliche Blumensträuße oder vergoldete Rosmarinstengel an der Brust und zwar das weibliche Personal auf der rechten, das männliche auf der linken Seite, letzteres zugleich einen Strauß auf dem Hut. – In manchen Orten trägt die Braut und Gespielin einen eigenthümlichen kranzförmigen, aus künstlichen Blumen und Flittergold zusammengesetzten Kopfputz, die sog. Schappel. Beim Weggehen der angeseheneren, besonders auswärtigen Hochzeitsgäste aus dem Wirthshause werden denselben von einem Theile der Musikanten vor der Hausthüre oder aus den Fenstern noch ein oder einige lustige Stücke aufgespielt. – Bei Kindtaufen werden gleichfalls vielfach Pistolen während des Taufzugs abgefeuert. In einzelnen Orten wird es ärmeren Kindern nachgesehen, daß sie den Taufzug die Straße durch Vorhalten einer Stange oder eines quer ausgespannten Bandes absperren und gegen Entrichtung eines kleinen Geschenks von Seiten des Vaters wieder öffnen. – Nach der Taufe wird im Hause der Eltern oder im Wirthshause ein Schmaus, die sog. Taufsuppe, abgehalten, der meist aus einer vollständigen Mahlzeit mit Wein und nachfolgendem Kaffee und dickem Kuchen besteht, von welchem die Gäste, | insbesondere die Pathen, größere Portionen in farbigen Tüchern oder Säckchen in der Hand mit nach Hause nehmen. Zu der Taufsuppe werden außer den Gevatterleuten und der Hebamme häufig auch der Ortsgeistliche und Schulmeister mit ihren Frauen eingeladen. – Nach einem alten Gebrauche müssen die Gevatterinnen den Gevattermännern nach der Taufsuppe Nüsse zum Geschenk machen, und, falls sie sich dessen weigern, sich gefallen lassen, daß ihnen diese die Rocktaschen abschneiden. – Außerdem verlangt die Sitte, daß die „Dote“ dem „Dötle“ nach 1/4 bis 1/2 Jahr einen theilweisen und nach 11/2 bis 2 Jahren einen vollständigen Anzug machen lasse. Ersterer wird „Hebhäs“, letzterer „Dotenhäs“ genannt. – Bei Leichen, Jahrmärkten, Kirchweihen etc. finden keine besondere, von anderen Gegenden abweichende Gebräuche statt. – Die sog. „Heukatz“ besteht in dem Regaliren der „Ehehalten“ (Dienstboten) und Taglöhner mit Wein und sog. „Straubezen“ (ein Schmalzbackwerk) nach glücklich beendigter Heuernte.

Hie und da kommt auf dem Lande das „Maienstecken“ noch vor, d. h. es wird am 1. Mai dem einen oder dem andern Mädchen entweder zu Ehren eine kleine, mit Bändern verzierte Rothtanne, oder zum Schimpf eine Weißtanne ohne Bänder oder gar die „Mistbähr“ vor den Fenstern aufgepflanzt.

Eine allgemeine Sitte ist das Zutrinken in den Wirthshäusern, wobei die Nichtannahme des mit dem Ausdruck: „Trink auch“ oder „Will Dir’s gebracht haben“ angebotenen Glases als Zeichen einer unfreundlichen Gesinnung oder unter Umständen selbst als Beleidigung angesehen wird. – Das Schießen in der Neujahrsnacht findet zwar noch statt, aber in weit beschränkterem Maße, als früher.

Volksspiele, wie das Eierlesen, die Johannisfeuer etc. sind längst abgegangen, indessen wird in Grömbach 14 Tage vor Weihnachten von den ledigen Burschen der sog. Schanden Klos (St. Nicolaus) noch gefeiert; dabei wird ein vermummter, mit Schellen behängter Bursche im Ort herum gejagt, während die jagenden Burschen mit Peitschen knallen. Der sog. Klos führt Kohlen bei sich, mit denen er Mädchen und Anderen, die ihm begegnen, das Gesicht schwarz macht.


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