| 5. Dagersheim,
evangelisches Pfarrdorf mit 1184 Einwohnern, worunter 11 der Pfarrei Dätzingen zugetheilte Katholiken. Eine Stunde westlich von der Oberamtsstadt an der Landstraße von Stuttgart nach Calw liegt zu beiden Seiten der Schwippe ziemlich uneben der meist aus alten unregelmäßig gebauten Häusern bestehende minder schöne Ort. Die Straßen sind enge, übrigens gut im Stande; und gesundes Trinkwasser, welches aber nur aus Pump- und Ziehbrunnen gewonnen wird, ist hinreichend vorhanden. Da das Schwippethal hier noch nicht so tief eingeschnitten ist, daß die Thalwände dem Ort den nöthigen Schutz gegen rauhe Winde gewähren könnten, und zudem sich das Thal gegen Nordosten öffnet, so ist die Luft etwas rauh und wegen der Nähe der moorigen Thalgründe häufig feucht und nebelig. Die Nächte sind daher auch im Sommer kühl und Frühlingsfröste häufig. Von Hagelschlag wurde die Gemeinde seit 1811 mit unbedeutenden Ausnahmen nicht mehr heimgesucht. Die beinahe mitten im Ort gelegene, in einfachem germanischen (gothischen) Style gehaltene
| Pfarrkirche hat viel Ansprechendes und gehört zu den gefälligsten des Bezirks. Die Grundform des Schiffs bildet ein länglichtes Viereck, an das sich gegen Osten, ein namhaft schmäleres, – mit einem halben Sechseck endendes Chor anschließt. An letzteren sind zwischen 6 Strebepfeilern 5 hohe spitzbogige Fenster angebracht, die in den Bogenfeldern geschmackvolle, gothische Füllungen haben. Das Schiff mit seinen unverzierten glatten Wänden hat ebenfalls gothisch gefüllte Fenster und spitzbogige Eingänge. Im Innern ist die Kirche hell und geräumig; das Chor mit seinem schön zusammengesetzten Netzgewölbe, an welchem die ehemalige Malerei unter der, der ganzen Kirche gewordenen weißen Tünchung, noch durchschimmert, hat eine wirklich schöne Construktion. An den 6 oberen Kreuzungspunkten der Gurten befinden sich Schlußsteine, auf denen in der Richtung von Westen nach Osten folgende Figuren ausgehauen sind: 1) der Schutzpatron der Kirche, der heilige Fridolin, 2) die heilige Margaretha, 3) der heilige Antonius, 4) die heilige Catharina mit dem Rade, 5) der heilige Benedictus, 6) Maria mit dem Christuskinde und 7) ein Engel, der einen Schild hält, auf dem ein Steinmetzzeichen eingehauen ist. In einem der Chorfenster befinden sich drei sehr gute Glasmalereien; das eine 2 Fuß 5 Zoll hohe stellt den heiligen Benedictus in ganzer Figur dar, diesem zu beiden Seiten ist je ein rundes, etwa 1 Fuß im Durchmesser haltendes Glasgemälde angebracht, das eine die Kreuzigung, das andere die Anbetung Christi vorstellend. An den beiden Langseiten des Chors stehen alte gut geschnittene Chorstühle. Leider sind alle diese Sehenswürdigkeiten durch die Orgel, welche störend in das Chor eingebaut wurde, verdeckt und verfinstert. An der Orgel hängt ein gut geschnittenes Holzbild des Gekreuzigten, das 1681 in die Kirche gestiftet wurde; bei der Renovation der Kirche erhielt dasselbe durch einen Ortsschreiner einen geschmacklosen Anstrich, wodurch es sehr verloren hat. Im Schiff der Kirche befindet sich, außer einigen Grabdenkmalen aus dem 16. Jahrhundert und der im gothischen Geschmack aus grobkörnigem Sandstein schön gearbeiteten Kanzel, nichts Interessantes. In der Sacristei ist eine hölzerne Statue des heiligen Fridolin aufbewahrt. Der viereckige Thurm mit 6 Fuß dicken Mauern, ein monströses, schmuckloses Bauwesen, das nur schußschartenartige Lichtöffnungen und an der Südseite 20 Fuß über der Erdfläche einen Eingang hat, trägt ein später aufgesetztes, gelb angestrichenes Stockwerk, das Glockenhaus, mit einem an beiden Giebeln abgestutzten Satteldach, das mit dem übrigen Bauwesen auf das Unangenehmste contrastirt. Der Thurm hatte nie einen steinernen Einbau, sondern nur an den
| Innenseiten Absätze, auf welche Holzböden gelegt werden konnten und erinnert lebhaft an einen sogenannten Mantel. Aus diesem geht hervor, daß derselbe früher in Verbindung mit dem ummauerten Kirchhof auch zum Schutze und zur Vertheidigung der Einwohner diente. Von den 3 Glocken, die auf dem Thurme hängen, wurde die größte umgegossen; sie trägt außer den Namen der damaligen geistlichen und weltlichen Vorstände die Inschrift: „1783 gegossen in Stuttgart von C. F. Blüher.“ Die mittlere Glocke hat die Umschrift: „zur Ehr Gottes leut ich Hans Miller in Eßlingen gos mich 1613.“ Auf der kleinsten steht: „gegossen von Heinrich Kurz in Stuttgart 1828.“ Nach einer im Innern der Kirche angebrachten Inschrift wurde dieselbe 1491 erbaut und 1827 renovirt; mit der Erbauungszahl stimmt die Bauweise der Kirche überein, der Thurm aber scheint weit älter zu seyn und ist ohne Zweifel noch von der früheren Kirche, die auf der Stelle der gegenwärtigen stand, übriggeblieben. Das Eigenthum und die Unterhaltung der Kirche steht dem Heiligen zu, der übrigens wegen Vermögenlosigkeit von der Gemeinde unterstützt werden muß. Der Begräbnißplatz lag früher um der Kirche, ist aber schon vor langer Zeit an das östliche Ende des Orts verlegt und 1831 namhaft erweitert worden. Das gut eingerichtete Pfarrhaus, welches von dem Staat und der Universität Tübingen gemeinschaftlich unterhalten werden muß, liegt gesund und angenehm an der Landstraße. Es wurde 1791 von der Universität Tübingen erbaut und gibt mit dem Öconomiegebäude und dem Garten, das freundliche Bild eines geschlossenen Pfarrhofes. Das Schulhaus mit Lehrerwohnung ist 1812 erbaut und 1833 vergrößert worden. An der Schule unterrichten 1 Lehrer und 1 Lehrgehilfe. Den Winter über besteht eine Industrieschule. An der steinernen Brücke, welche im Ort über die Schwippe führt, steht von allen Seiten frei, das 1803 erbaute, wohl erhaltene Rathhaus. Früher bestand ein Bad im Ort, das am östlichen Ende des Dorfs lag, wo ein Haus noch vor wenigen Jahren 43 kr. Badstubenzins jährlich bezahlte. Ein sogenanntes Fridolinspfründhaus zahlt jährlich 1 fl. 2 Hlr. und ein Frühmeßhaus 1 fl. 10 kr. 2 Hlr. an das Königl. Cameralamt. Die im Allgemeinen nicht unbemittelten Einwohner sind fleißig, sparsam und haben viel Sinn für Religion, der aber nicht selten in eine überspannte Stimmung ausartet. Ihre Hauptnahrungsquellen bestehen in Feldbau und Viehzucht; ersterer wird mit vieler Umsicht betrieben und steht auf einer blühenden Stufe, wozu die beinahe ebene Lage der Felder und der fruchtbare Boden, bestehend aus einem tiefgrundigen Diluviallehm, viel beitragen. – Der Brabanter Pflug findet immer mehr Eingang und als
| Besserungsmittel des Bodens werden außer dem gewöhnlichen Dünger, Jauche und Gyps angewendet. Im üblichen Dreifeldersystem baut man besonders Dinkel, Hafer, Gerste, weniger Roggen und Weizen. Auf den Morgen werden an Dinkel 7–8 Simri, an Hafer 4 Simri und an Gerste 3 Simri ausgesät und im Durchschnitt 10 Scheffel Dinkel, 5–6 Scheffel Hafer und 4–5 Scheffel Gerste per Morgen eingeerntet. Der auswärtige Verkauf an Früchten wird zu 2000 Scheffel jährlich angegeben. In der Brache, die ungefähr zur Hälfte angebaut wird, zieht man Kartoffeln, Kraut, Futterkräuter, wenig Flachs und ziemlich viel Hanf. Letzterer wird im Ort versponnen und zu Tuch gewoben, welches theilweise nach Außen zum Verkauf kommt. Von Handelsgewächsen baut man außer dem Hanf noch Reps und Leindotter. Der niedrigste Preis eines Morgens Acker ist 100 fl., der mittlere 200 fl. und der höchste 400 fl. Die Wiesen sind zweimähdig und können theilweise bewässert werden; sie erzeugen gutes Futter, das zum Theil nach Außen verkauft wird. Eine gegenwärtig bewaldete Halde in der Nähe der Bärenklinge wird „im Wengertsberg“ (Weingartenberg) genannt, was auf früheren Weinbau schließen läßt. Wegen der rauhen Winde und der häufigen Frühlingsfröste geräth das Obst selten, die Obstzucht ist daher unbedeutend und beschränkt sich nur auf die gewöhnlichen Mostsorten, die übrigens nicht einmal das örtliche Bedürfniß befriedigen. Baumschulen sind zwei vorhanden. Etwa 1000 Morgen größtentheils gut bestockte Waldungen, von denen in neuerer Zeit auch ein Theil mit Nadelholz kultivirt wurde, sind Eigenthum der Gemeinde und liefern einen jährlichen Ertrag von 150 Klaftern und 6–7000 Stück Wellen. Hiervon erhält jeder Bürger jährlich
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2 Klafter Holz und 75 Stück Wellen; der Rest wird um 6–700 fl. verkauft. Die Allmandweide ist 1849 aufgehoben und an die Bürgerschaft zum Anbau vertheilt worden. Die namhafte Rindviehzucht beschäftigt sich mit einer guten, durch Simmenthaler Kreuzung veredelten Landrace. Es kommt ziemlich viel Vieh zum Verkauf nach Außen. Seit 1849 ist die Schafzucht aufgehoben. Was die Schweinezucht betrifft, so werden 1 Eber und 8 Mutterschweine gehalten; Ferkel und gemästete Schweine kommen zum Verkauf. Die Gewerbe dienen meist dem örtlichen Bedürfniß mit Ausnahme einiger Seiler, die ihre sehr gesuchten Waaren nach Stuttgart, Reutlingen, Tübingen etc. absetzen und mehrere Zeuglesweber, welche nach Böblingen und Plieningen arbeiten. Ein Damastweber verfertigt schöne Arbeit auf Bestellung. Am östlichen Ende des Orts stehen 2 Mühlen jede mit 2 Mahlgängen, außer diesen befinden sich noch 4 Schildwirthschaften, worunter eine mit Brauerei, sowie eine
| selbstständige Brauerei im Ort. Ein Viehhändler handelt mit Mastochsen und Schafen nach Frankreich. Durch den Ort führt außer der schon oben angeführten Stuttgart–Calwer Landstraße auch noch eine Vicinalstraße von Sindelfingen nach Aidlingen.
Das Vermögen der Gemeinde besteht neben den Einnahmen aus den Waldungen und aus 30 Morgen Gemeindewiesen, die jährlich um 300–500 fl. verliehen werden, in 7000 fl. Capitalien. Der durch Schul- und Kirchenbauten geschwächte Heilige besitzt derzeit nur 1500 fl. Vermögen.
Grundherr ist der Staat, welcher den großen Zehenten theilweise Namens der Universität Tübingen bezieht. Der kleine Zehente kam an denselben bei Gelegenheit der Verwandlung der ungeeigneten Einkommenstheile der Pfarrei. Der Heuzehente ist abgelöst; neben dem Staate stehen der hiesigen Stiftungspflege noch einige grundherrliche Gefälle zu.
Der Name des Orts kommt ohne Zweifel von dem altdeutschen Mannsnamen Dagram her.
Ursprünglich zur Grafschaft Calw gehörend kam Dagersheim im dreizehnten Jahrhundert an die Pfalzgrafen von Tübingen. Im
Jahr 1303, als Gotfried Graf von Tübingen dem Kloster Herrenalb das Dorf Gechingen verkaufte, worauf seine Gemahlin Elisabeth bewidemt gewesen, verschrieb er ihr dagegen Dagersheim und Darmsheim; 1334 Febr. 23. erhielt bei der Theilung zwischen den Grafen Conrad und Rudolph von Tübingen der erstere die Leute zu Dagersheim und Darmsheim. Böblingens (s. daselbst) Schicksale theilend, kam Dagersheim mit diesem an Württemberg.
Die erstmalige Nennung des Ortes steht im Hirschauer Codex, worin eine um 1120 geschriebene Urkunde ausgezogen wird, wonach Liutprand von Hausen drei Huben in Dagersheim an Kloster Hirschau vergabte (S. 53 ed. Stuttg.).
Der älteste bekannte Pfarrer in Dagersheim ist Waltherus plebanus de Dagersheim, im Jahr 1252 in Böblingen Zeuge Graf Wilhelms von Tübingen für das ebengenannte Kloster Reichenbach (Kuen Coll. 2, 71). Der Kirchensatz war im dreizehnten Jahrhundert pfalzgräflich tübingisch; im Jahr 1304 Juli 8. veräußerte Graf Gotfried von Tübingen ihn nebst einem Hof und drei Jaucherten Felds für 124 Pfund Heller an die Ritter Conrad, Eberhard und Berthold, Söhne Eberhards von Mönsheim; von den Herren von Mönsheim erkaufte solchen im Jahr 1339 Nov. 29. Walther von Urbach, welcher ihn schon im Jahr 1342 Sept. 12. an Stift Sindelfingen veräußerte.
Mit diesem Stift, welchem im Jahr 1350 die Kirche einverleibt worden war, kam diese im Jahr 1484 an die Universität
| Tübingen. Im Jahr 1522 war das Patronat Dagersheim gleich dem von Darmsheim Gegenstand eines Streits zwischen der eigentlichen Universität auf der einen und dem Probst und Capitel der St. Georgenkirche (welche hienach eine von den Chorherrn-Professoren verschiedene Körperschaft ausmachten) auf der andern Seite; die Entscheidung erfolgte dahin: daß die beiden Pfarreien abwechselnd von dem Probste und von der Universität besetzt werden sollten (Cleß C. 747). Gegenwärtig wechselt bei Dagersheim wie bei Darmsheim die Collatur zwischen der Krone und der Universität, in den Jahren 1811–1819 hatte die erstere solche ausschließlich.
An der Kirche bestand eine Caplanei des St. Fridolin-Altars, welche im Jahr 1429 Güter in Dagersheim von Konrad Sölr von Richtenberg erkaufte; nach dem Jahre 1484 wurde sie von Probst Johann Degen von Tübingen an Georg Last für die St. Blasiencaplanei auf dem Bläsiberg ausgetauscht.
Das Ortswappen hat einen Stern, ein Hufeisen und eine Schlange im Schilde.