Belgisches Städte-Mittelalter

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Titel: Belgisches Städte-Mittelalter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 153, 156
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[153]

Alte Bauwerke in Belgien.
Nach der Natur aufgenommen von Hermann Effenberger.

[156] Belgisches Städte-Mittelalter. (Mit Abbildung, S. 153.) Jeden Tag sieht man, daß in Europa so ziemlich überall, wo der Verkehrsstrom die Menschen mit sich fortreißt, das Alte, sobald es dem Neuen nicht mehr ansteht oder sich ihm gar in den Weg stellt, diesem weichen muß; je größer die Städte werden, desto kleiner wird die Pietät, welche früher Alles hütete, was den Altvordern lieb und theuer war oder als Denkzeuge stand für ein heimisches Ereigniß. Hat doch selbst Nürnberg, das mittelalterliche Schmuckkästchen des deutschen Reichs, vor diesem Zug der Zeit nicht bewahrt bleiben können. Es wird bald so weit kommen, daß man alte Städtebilder weit abseits von den Verkehrsstraßen suchen muß, wo dann nur Noth und Bedürfniß sie erhält, nicht die Pietät. – Gegenwärtig ist diese Suche nach Mittelaltersspuren in stillen Winkeln noch nicht nöthig; wir finden Einzelnes noch in den Städten modernsten Triebgeistes, wenn sie überhaupt im Mittelalter schon Wichtigkeit genug hatten, um mit baulichen Sehenswürdigkeiten sich auszurüsten. Jedenfalls ist’s aber schon jetzt geboten, derlei Ueberbleibsel der Vergangenheit, deren Vernichtung unausbleiblich ist, durch Abbildungen für die Nachwelt zu retten. Sie gehören zur Geschichte und sind nicht der geringste Beitrag zur Kunde der Vorzeit. Die „Gartenlaube“ hat mit solchen Mittheilungen längst begonnen und fährt mit der Abbildung aus dem „Belgischen Städte-Mittelalter“ nur damit fort.

Von den alten Städten Flanderns und Brabants zeichnen sich Gent, Brügge und Antwerpen durch wohlerhaltene alte Bauwerke aus ihren mittelalterlichen Glanztagen aus. Eine Zierde des alten Antwerpen ist in dem Stadttheile hinter dem Rathhause Alba’s Haus. Besonders stattlich tritt der schmucke Erker über dem massigen niedrigen Thore hervor, durch das so oft die finstere Gestalt des gefürchteten Spaniers geschritten. Die Spuren früherer Pracht sind noch erhalten; jetzt dient dasselbe als Museum für Alterthümer. – Nicht weniger malerisch sind die beiden Straßenbilder von Antwerpen mit ihren Thoren und Thürmen, hängenden Erkern und ragenden Giebeln, die in den engen äußeren Gassen nach oben sich immer näher kommen.

Gent und Brügge bieten Ausgezeichnetes in der Vereinigung von Resten mittelalterlicher Massenbauten neben der zierlichen Formenschönheit des gothischen und des Flamboyantstils, welch letzterer bekanntlich wegen seiner flammenartigen Ornamentik so genannt ist. In Gent gehören zu solchen Sehenswürdigkeiten die am Kai liegenden sogenannten Schifferhäuser. Als Gent noch, wie im fünfzehnten Jahrhundert, dreißigtausend Mann in’s Feld stellte und Karl der Fünfte von ihm, seinem Geburtsorte, sagte, „er könne ganz Paris in seinen Handschuh (gant) thun“, in jenen Glanztagen erstanden die Prachtbauten des Bürgerthums, des Staates und der Kirche, die jetzt der Hauptschmuck derselben sind. Unsere Illustration zeigt von Gent außer den Schifferhäusern mit ihrer reichen Abwechselung architektonischer Masseneintheilung, wo in steindurchbrochenen Pilasterwerken Fenster an Fenster sich in den verschiedenen Formen aneinander reihen und die Giebel voll Säulen- und Ornamentenschmuck hoch auftragen, – im obersten Felde noch ein Stück der Reste der Abtei St. Bavon (des Schutzheiligen der Stadt), eine Viertelstunde von Gent entfernt liegend. Noch an den Trümmern dieses Kreuzgangs erkennt man die Großartigkeit und künstlerische Vollendung, welche diesen Bau zu einer Berühmtheit ersten Ranges erhob. – „Niemals,“ sagt unser Künstler, „werde ich den zauberisch schönen Anblick vergessen, wie die scheidende Sonne ihre Strahlen durch wildes Gestrüpp und den Alles umrankenden Epheu, auf die vielgegliederten Säulen zwischen den hohen Bogen sendete, zitternde Blätterschatten, goldige Lichter werfend auf das morsche grau-grünliche Gestein, hinweg streifend über so viel wunderliche Heilige und Grabplatten, wie sie an den Wänden und am Boden herumlehnen und liegen.“

Noch tiefer, als Gent, ist Brügge von seiner einstigen Höhe gesunken. Die Stadt, welche im Mittelalter als Welthandelsplatz unermeßlich reich und als Flanderns Herzogsresidenz voll Glanz und Pracht war und über zweihunderttausend Bewohner in ihrem weiten Mauerkranze beherbergte, hat sich, seit ihrem Falle durch Antwerpens Steigen, noch nicht zu fünfzigtausend wieder erhoben. Darum muß man heute ihre alten festen Thore entfernt von der jetzigen Stadt, im Freien suchen, aber eben deswegen betrachten wir sie sie mit um so wärmerer Theilnahme. Eine dritte Darstellung aus Brügge führt uns vor das sogenannte alte Frankenschloß hinter dem Rathhause. Wie es, leicht und bizarr in seinen Contouren, mit seinen Erkern und Thürmchen aus dem Wasser aufsteigt, bietet es, nach unseres Künstlers Anschauung, vereint mit seiner Umgebung und dem massigen Thurme der Kathedrale im Hintergrunde, namentlich wenn dies Alles im Mondenlichte sich im Canal spiegelt, ein durchaus fremdes, einer anderen Zeit angehörendes Bild, entspricht also ebenfalls dem Charakter, welchen unsere gesammte Illustration zum Ausdrucke bringen will.