Textdaten
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Autor: Paul Günther Lorentz
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Titel: Bei den Fjeldlappen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 629–634
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Bei den Fjeldlappen.


Nordisches Culturbild, von Dr. P. G. L–tz.[WS 1]

Als man mich im vorigen Jahre nach Norwegen schickte, um die Moose dieses sumpf- und bergreichen Landes für die Herbarien der Mitglieder des Kryptogamischen Reisevereins einzutragen, war das, worauf ich am meisten gespannt war, die Begegnung mit den Lappen.

Wenn für uns das Interessanteste das ist, was von dem, was wir zu sehen gewohnt sind und kennen, am meisten abweicht, so giebt es wohl in Europa nicht leicht ein interessanteres Object als dieses Nomadenvolk der norwegischen Hochgebirge, die biederen Stammverwandten unserer ritterlichen Ungarn.

Auf der Rückfahrt nach dem Süden versäumte ich nicht, den Aufenthalt in Tromsö zu benutzen, um das Lappenlager daselbst zu besuchen. Es liegt im Tromsdale, circa anderthalb Stunden vom Landungsplatze entfernt. Die lange Trockenheit hatte den sonst ziemlich bodenlosen Weg durch den Wald einigermaßen gangbar gemacht, und so war es eine vergnügliche Abendwanderung, [630] die ich dahin unternahm. Um vom Landungsplatze nach dem Eingange des Thales zu gelangen, muß man eine niedrige Bodenanschwellung übersteigen. Je höher man an derselben emporsteigt, desto herrlicher und imposanter thun sich die Gebirge vor dem Blicke auf. Es sind wilde, edelgeformte Zacken

Fjeld-Lappen in Festtracht vor ihren Zelten.
Nach norwegischen Skizzen.

mit schrecklichen Wänden, kühnen Spitzen, weiten Schneefeldern, welche den Mittelgrund des Bildes einnehmen, zu beiden Seiten von öden Fjelden flankirt, jenen endlosen langgezogenen sanftwelligen Bergflächen, die so charakteristisch für Norwegens Hochgebirge sind.

Vorn liegt Tromsö auf einer flachen Insel, deren Höhe angenehmer Birkenwald bedeckt, deren Seiten Saatfelder, Wiesen und Höfe einnehmen, während unten die hölzerne Stadt mit der hölzernen gothischen Kirche sich malerisch ausdehnt. Auf dem Meeresarme endlich, welcher die Insel vom Festlande trennt, bewegt sich der verschiedenartigsten Schiffe und Kähne buntes Gewimmel. Da ich mich nicht enthalten konnte, eine Farbenskizze dieser wunderlichen Fernsicht meinem Skizzenbuche einzuverleiben, so wurde es zehn Uhr, ehe mir das Gebell der gelben, zottigen Hunde die Nähe des Lappenlagers verkündete.

Diese Lappen sind schon halbcultivirte Nomaden; die meisten Fremden, welche das Dampfschiff bringt, besuchen sie, und sie sind speculativ genug, den Tag, wo das Dampfschiff anlandet, die Heerde von dem Hochgebirge zu holen, der reichen Engländer

[631]

Die Fjeld-Lappen auf ihrer Sommer-Alm am Eismeer.
Nach einer norwegischen Abbildung.

[632] gewärtig, welche diesem Schauspiele nachgehen. Heute war ich der einzige Fremde, welchen der Wind hierher verweht, und wurde denn auch meiner Würde gemäß empfangen. In einer aus Birkenprügeln errichteten Verzäunung weideten gegen fünfhundert Rennthiere: wie ich vernahm, etwa der vierte Theil des Besitzstandes, über welchen das Familienhaupt gebietet. In den mannigfaltigsten Stellungen lagerten oder standen die schönen Thiere mit den sanften, klugen Augen umher, und jauchzend und plaudernd sprang eine Anzahl Kinder und Erwachsener zwischen denselben ab und zu; die Buben warfen den Kühen den Lasso um’s Genick, das Geweih war noch zu jung und noch mit Fell überzogen; dann wurden sie an einem der umherliegenden Birkenklötze festgebunden und von den Mädchen gemolken. Die Böcke, oft mit den kolossalsten Geweihen, sodaß man kaum begriff, wie das Thier dieses Gewicht tragen konnte, standen oder lagerten, von dieser Procedur unbehelligt, zwischen den anderen. Die Thiere waren ziemlich scheu, ließen sich nicht gern anrühren, auch nicht von den Lappen; sie wechselten eben das Haar, und über dem jungen ließ sich das alte leicht in dicken Büscheln ausraufen. Zwischen den braunen Thieren befand sich eine ganze Anzahl weißer.

Doch auch der männlichen Heerde blieb es nicht erspart, ihren Tribut zum Besten der Familie zu zahlen, wenn nicht in Milch, so doch in Blut; denn mit Verwunderung sah ich, daß auch einem Bocke die Schlinge über das Genick fiel und denselben an den Block fesselte. Afrajo, der Familienälteste, stieß ihm das Messer mit raschem Stoße in’s Herz und ließ es daselbst stecken. Mit unendlich hülfeflehendem Blicke seiner großen Augen blickte das arme Thier umher, bis es nach kurzer Frist wankte, in die Kniee sank und bald verendete. Es wurde dann rasch ausgeweidet, das Blut sorgfältig gesammelt und ein Theil das Fleisches zum Mahle bestimmt. Ich lud mich dazu ein.

Es waren echte Gammen, welche von den hier ansässigen Leuten bewohnt wurden, nicht die leichten Sommerzelte, welche die Lappen sonst auf ihren Wanderungen in der guten Jahreszeit begleiten. Diese Familien schienen wenigstens den ganzen Sommer hier zuzubringen und haben sich deshalb zu festen Wohnsitzen bequemt. Auf gekrümmten Hölzern sind Rasenstücke aufgebaut, und so ein halbkugeliger Erdhaufen aufgeschichtet, welcher in seinem Innern den Wohnraum birgt. Das Ganze ist etwa von Manneshöhe. In der Mitte ist der Feuerherd, über dem ein großer Kessel hängt; eine weite Oeffnung in der Decke gestattet dem Rauche den Abzug. Der Raum unter dem Rasendache ist am Boden mit weichen Rennthierfellen belegt und dient den Familiengliedern und den Hunden zur Lagerstatt. Die wenigen Geräthe, deren eine Lappenfamilie bedarf, sind unter den Zelten untergebracht, die in der Nähe der Gamme stehen; solcher Zelte bedienen sich die Lappen indessen nur bei schlechtem Wetter; jetzt waren es blos einige Stangengerüste, an denen allerlei Kleidungsstücke und Geräthe hingen.

Während das Mahl bereitet wurde, trieb ich mich noch außen herum und plauderte mit den Leuten, so weit es das beiderseitige gebrochene Norwegisch gestatten wollte. Allerlei kleine Gegenstände wurden mir zum Kaufe angeboten: Komager, die spitzen Schnabelschuhe aus Rennthierfell, sowie ganz zierlich geschnitzte Löffel aus Rennthierhorn u. s. f.; auch mit Rennthiermilch ließ ich mich bewirthen, die, indem sie durch einen Haarballen gegossen ward, nothdürftig von Haaren und Schmutz befreit wurde. Es ist eine köstliche, feste, aromatische Milch, von der aber jede Kuh nur äußerst wenig giebt.

Nun war es zum Abendessen Zeit, und die Familie versammelte sich in der Hütte; mir wurde der Ehrenplatz gegenüber der Thür angewiesen; zu meiner Rechten saß der Familienälteste, ein häßlicher, schmutziger Lappe von unangenehmem Gesichtsausdrucke, zu meiner Linken Prinzessin Gula, ein gar nicht häßliches Lappenmädchen von kleiner Gestalt und angenehmem Gesichte. Leider war die entsetzlich schmutzige Kleidung von abgeschabten Rennthierfellen wenig geeignet, ihre Reize zu erhöhen. Rechts und links folgten noch mehr Familienglieder, nächst der Thür saßen die Kinder zweifelhaften Geschlechts. Die älteren Frauenzimmer tragen einen grobwollenen Unterrock, die Kinder gehen ebenso gekleidet. Zwischen die Menschen drängten sich die Hunde; wir schienen im engern Familienkreise zu sein, die nächste Gamme schien dem Gesinde anzugehören.

Zuerst wurde nun ein Stück vom Bug des Thieres in dem brodelnden Kessel kaum halbgahr gesotten, von Prinzessin Gula auf ihrer Schürze zerlegt und an die einzelnen Glieder der Familie vertheilt. Auch ich bekam mein vollgemessen, gerüttelt und geschüttelt Maß und fand das Fleisch sehr wohlschmeckend, abgesehen davon, daß das Salz fehlte. Darauf wurde in die Fleischbrühe vom Blute des Thieres gethan, dann Milch, zerschnittene Stücke von Herz, Leber und Lunge und ein wenig Mehl; zuletzt wurde das Ganze abermals gekocht; als dieses Gemisch fertig war, ward es in hölzernen Näpfen an die Einzelnen vertheilt und mit gleicher Begierde wie das Fleisch, größtentheils mit den Fingern vertilgt. Auch diesem Gerichte konnte ich meinen Beifall nicht versagen, nur daß ich die gleiche Ausstellung wie bei dem vorigen zu machen hatte, nämlich in Betreff des Mangels an Salz.

Für die Bewirthung wie für die Kleinigkeiten, die ich gekauft hatte, waren die Forderungen nur mäßig. Auch die reichen Engländer werden nicht stärker geschröpft, wie ich früher aus den Preisen der von ihnen gekauften Sachen ersah.

Mitternacht war nun nicht allzu fern, aber es war doch nicht Nacht; zwar die Zeit der vollen Mitternachtssonne war vorüber, und das Gestirn tauchte schon fast seine volle Scheibe unter den Horizont, aber es blieb hell und warm. Die Rennthierheerde wurde nun aus der Fenz entlassen; die gesättigten Familienglieder mit den ihnen zugehörigen Hunden eilten jauchzend voraus, langsam folgte die Heerde und kletterte unter Grunzen und häufigem Stillstehen an den Berghängen empor – ein schöner Anblick, wie sich die Heerde an demselben zerstreute, von den kläffenden Hunden zusammengehalten, aufgescheucht vorwärts getrieben; das bekannte eigenthümlich knisternde Geräusch der Kniekehlen machte sie dem Ohre noch aus ziemlicher Ferne vernehmbar.

Kurz darauf hatte ich Gelegenheit, den echt nomadischen Lappen in ihren Eiswüsten einen Besuch zu machen und in ihren Sommerzelten auszurasten. Es war auf einem Ausfluge nach dem Sulitelma. Dieser Umstand war für uns Ursache, einem in der Nähe befindlichen Lappenlager einen Besuch abzustatten. Wir glaubten das Ziel noch weit und wollten nun eine förmliche Entdeckungsreise arrangiren: ein Pferd für’s Gepäck, Decken und Felle, um nöthigenfalls im Freien zu übernachten – alles das sollte herbeigeschafft werden. Es war aber gerade die Zeit der Heuernte; die Leute hatten wenig Zeit, und die dortigen Pferde sind weit von den berühmten norwegischen Bergpferden in Hardanger etc. verschieden, werden zudem wie Kindbetterinnen geschont. Sich selbst legen die Leute alle möglichen Anstrengungen auf, aber dem geliebten Gaul darf nichts passiren. Wir wurden daher an die Lappen gewiesen; diese seien vertraut mit Weg und Steg im Gebirge und den Pfaden über die Gletscher und Abgründe, bei ihnen könnten wir auch Rennthiere für’s Gepäck miethen.

Wir mußten nach unserm Ziel ein Stück über den Langvandsee rudern. Wenn es irgendwie weitere Entfernungen gilt, scheinen dem Normann die Füße ganz ungeeignete Beförderungsmittel; obgleich das Seeufer keine irgend bedeutenden Terrainhindernisse bot, führte doch kein Weg an demselben auch nur bis zum nächsten, etwa eine Stunde entfernten Nachbar, und nun ging’s durch das Langvandsthal hinan. Der See bietet keine besonderen Naturschönheiten, er ist rings von langgestreckten Fjelden umgeben, jenen sanften, endlos gedehnten Gebirgsformen, welche das nordische Hochland charakterisiren und aller kühnen Formen bar sind; aber an diesen Bergen, welche den See umgeben, donnern von allen Seiten ungeheure Wasserfälle herab; die Mulden des Hochgebirges sind von Ketten großer Seen ausgefüllt, oben wie in den tieferen Thälern läßt der Wasserreichthum keinen Fußbreit ebenen Landes frei, alle Tiefen sind mit Seen bedeckt; erst wo das Land ansteigt, findet der Fuß Raum. Diese Seen entleeren Gewässer in den Langvand, und sie stürzen in imponirenden Massen theils über sanfter geneigte Abhänge in raschem Schusse herab, theils donnern dieselben über Felswände in schauerliche Rotunden hinunter, die sie sich selbst gewühlt haben. Mehrere dieser Fälle würden in besuchten Gegenden Ziel mancher Wallfahrten von Naturschwärmern werden, zumal ob der ungeheuren Wassermassen, die sie zu Thale senden. Hier donnern sie Jahr aus, Jahr ein ihre gewaltige Melodie, ohne daß ein Mensch derselben lauscht.

[633] An einem dieser Fälle kletterten wir denn empor durch dichten Wald und üppiges Kraut, welches den Boden bedeckte. Riesige Fichten, Balsambirken und der Vogelbeerstrauch waren hier die drei einzigen Vertreter baumartiger Vegetation.

Nicht lange hatten wir zu steigen, so lag die Waldregion hinter uns, und wir bogen nun in ein ödes Hochthal ein; die Vegetation schwand mehr und mehr; die todte Erde, das nackte Gestein behielten die Oberhand über die spärliche Grasnarbe; öde Steinhalden, Uten, ziehen sich von den Berghängen herab. Schneezungen leckten von den Schneefeldern des Hochgebirges herein, und schon verkündete das Bellen der Hunde die Nähe der Lappländer und ihrer Heerde. In der That kamen sie eben vom Gebirge herab, an dreihundert Stück, und bald wurden uns auch die Zelte sichtbar, denen sie zustrebten.

Ehe wir dieselben erreichten, wurde uns aber auch bereits die Zwecklosigkeit unseres Besuches klar, denn wo sich das Langvandsthal nach dem Hochgebirge öffnet, schaute finster und imponirend die gewaltige Gestalt des Sulitelma herein; wir sahen seine scharfe Schneide mit ihren Zacken, die gewaltige Felswand, mit der er zum Gletscher abstürzt, in scheinbar unmittelbarer Nähe vor uns.

Es war noch früh am Tage, baldiges Einbrechen der Nacht nicht zu besorgen; also wurde frisch an die Besteigung des gewaltigen Berges gegangen. Die Resultate dieser Wanderung werden an anderm Orte eine breitere Darlegung finden. Hier sei nur erwähnt, daß Nebel uns hinderte, die Spitze zu erreichen, daß wir den ungeheuren Gletscher blos ein Stück weit begehen konnten, welches sich zwischen den verschiedenen Häuptern des Sulitelma ausbreitet. Endlich senkte sich der Nebel von der Bergspitze herab und drohte uns den Weg völlig zu verdunkeln, indem er uns mit seinem finstern Schleier umhüllte. Trostlose Wanderung in dunklem, feuchtem Nebel durch die endlosen, gedehnten einförmigen Schnee- und Felswüsten des nordischen Hochgebirges! Als wir uns dann wieder in’s Thal herabsenkten und sich der Nebel in Regen auflöste, boten uns die Zelte der Lappen eine willkommene Station.

Die beiden Zelte sind in der einen unserer Abbildungen dargestellt; über einige Birkenstangen, die sich oben kegelförmig zusammenneigen, ist grobes Segeltuch gespannt; es bedeckt das Stangengerüst nicht ganz, sondern läßt oben eine weite Oeffnung zum Ausgange des Rauches frei; auf dem Boden breitet sich das Segeltuch noch eine Strecke neben dem Zelte hin und gewährt der spärlichen Habe der Familie eine nothdürftige Decke; die eine Seite des vieleckigen Zeltes bildet die Thür. Das Segeltuch ist über eine Anzahl Querstäbe gespannt und kann so leichter emporgehoben werden. Nach der Windseite hin ist die Bedeckung doppelt, und auch über das Rauchloch ist nach dieser Richtung hin noch ein Fetzen Tuch gehängt, um das Einblasen des Windes in das Zelt zu verhüten. Das Innere trägt die einfache Einrichtung der Gammen: ein eiserner Kessel über dem Feuerherde, rings um das Feuer weiche Rennthierfelle, auf denen die Menschen und Hunde lagern. Wir trafen eine zahlreiche Familie im Innern des Zeltes und fanden kaum noch Platz, uns am Feuer zu lagern und zu wärmen. Eine Mutter zahlreicher Kinder, welche wie die Orgelpfeifen den ehelichen Segen des Himmels priesen, bildete den Mittelpunkt der Gruppe.

Unterdeß war der Termin gekommen, wo zwei Glieder der Familie zwei andere ablösen und die Wache über die Rennthierheerde im Gebirge übernehmen mußten; pfeifend riefen sie ihre Hunde an sich und zogen mit ihnen dem Hochgebirge entgegen. Immer muß diese Wache stattfinden, bei Tage wie bei Nacht, selbst in dem fürchterlichsten Wetter; kein Glied der Familie, das den Dienst leisten kann, ist davon ausgeschlossen; jedes trifft die Reihe, jedes hat dann seine eigenen Hunde, welche es selbst aufgezogen und die nur ihm gehorchen, und zieht mit ihnen zu den eisigen Höhen, um die scheuen, nur halbzahmen Thiere zusammenzuhalten und den Wolf zu verscheuchen.

Letztere Gefahr hat seit einigen Jahren bedeutend abgenommen; der Wolf, den die Lappen früher aus abergläubischer Furcht nicht schossen, sondern nur verscheuchten, wird jetzt von denselben erlegt, da sie gern die von der Regierung festgesetzte Prämie verdienen. Noch mehr aber wurde die Zahl dieser Raubthiere vermindert durch eine epidemische Krankheit, welche unter denselben grassirte. In Folge dieser Verminderung der Wölfe haben sich die wilden Rennthiere, sowie die Elke bedeutend vermehrt, wozu außerdem noch die trefflichen Gesetze über die Schonung nützlicher Thiere viel beitragen.

Um die Gäste zu ehren und zu erwärmen, bereitet die Hausfrau einen Kaffee – o Cultur, die alle Welt beleckt! Kaffee in einem Lappenzelte, im norwegischen Hochgebirge, an der lappländischen Grenze! Ich hörte jedoch, daß dieses Genußmittel vielen Eingang unter den Lappen gefunden hat, und es mag wohl zum Theil einen willkommenen Ersatz für den Branntwein bilden. In einem ganz modernen Theekessel wurde das Wasser gewärmt, alsdann der Kaffee gemahlen und hineingethan, das Gebräu (Gott sei Dank, ohne es durchzugießen) in Kaffeetassen gegossen, die vorher vor unseren Augen ausgespült wurden, Rennthiermilch hinzugesetzt und das Ganze uns präsentirt. Es war eine willkommene Erquickung. Der Regen wollte nicht aufhören, und meine beiden normannischen Begleiter hatten keine Lust aufzubrechen, sondern plauderten mit den Leuten, welche des Normannischen leidlich mächtig waren. Einige Männer beschäftigten sich mit Schnitzereien zur Reparatur von Hausgeräthen; halbwüchsige Kinder beiderlei Geschlechts bewunderten uns; die Scene wiegte mich in sanften Schlaf, in dessen Armen ich ruhte, bis zum Aufbruche geblasen wurde. Wir langten in später Nacht und gründlich durchnäßt wieder am Seeufer an und fanden im Stadel auf duftigem Heu, über das Rennthierfelle gebreitet waren, während Schaffelle uns als Deckbett dienten, eine willkommene Nachtruhe.

Die Lappen, welche wir besucht hatten, waren in Schweden zu Hause; dort stehen ihre Gammen, und dort haben sie ihre eigentliche Heimath; den Sommeraufenthalt im Hochgebirge betrachten sie nur als Erholung, er ist ihr Tegernsee oder Partenkirchen. – In Schwedens dichten Wäldern wohnen sie meist etwas dichter beisammen, oft in der Nähe einer Kirche, wo sie auch Vorrathshäuser besitzen; dieselbe bildet das Centrum ihres geistigen und geselligen Verkehrs. Schlitten oder der leichte Schneeschuh führen sie dort zusammen; dort finden sie die normannischen Kaufleute, die ihnen liefern, was sie bedürfen, und dafür Pelze, Komager, Handschuhe, Schneehühner, welche sie in unendlicher Menge fangen, gefrornes Rennthierfleisch, Rennthierschinken, Rennthierkäse und gefrorne Rennthiermilch eintauschen, welche sie nach dem Süden liefern, sodaß wir jetzt sogar an Herrn Murschel’s*[1] gastlicher Tafel davon zu genießen bekommen. Dort vollzieht sich auch der Verkehr unter den Lappen selbst; die Jugend trifft sich, zarte Herzensverhältnisse knüpfen sich an und schließen, wenn die Alten über die Zahl der Rennthiere einig geworden sind, mit der Prosa der Ehe.

Schmilzt aber der Schnee, schattirt sich das weiße Winterkleid des Hasen mit Braun, dann läßt sich das Rennthier nicht mehr in den Niederungen zurückhalten; ihm folgen die Familien und stieben nach allen Richtungen des öden, endlosen Hochgebirges auseinander. Je höher die Sonne steigt, desto höher steigt auch der Lappe in’s Gebirge, und desto mehr nähert er sich dem Meere, über dem sich im Norden die höchsten Gebirgserhebungen unmittelbar aufbauen und dann in dasselbe hinabstürzen. Es ist oft ein mühseliger Dienst, den die lappischen Hirten zu besorgen haben; das Zelt steht im Thale, in einer Höhe, daß wenigstens Birkengestrüpp zur Feuerung in der Nähe ist; die Thiere weiden oft viele Stunden entfernt im Hochgebirge und werden nur an einzelnen Tagen zum Melken herbeigetrieben. Ein solches Lager am Ufer des nördlichen Eismeeres stellt unsere außerordentlich charakteristische Landschaft dar.

Neigt sich aber die Sonne bereits wieder um Mitternacht unter den Horizont, dann treten die Lappen allmählich wieder den Rückzug an; der sinkenden Jahreszeit entsprechend, steigen sie nach und nach an der langsam nach der Ostsee sich abdachenden Gebirgsplatte herab, bis der erste dauernde Schnee sie wieder in ihren Gammen findet.

Dieses wandernde Leben ist das Ideal des Stammes; nur bei ihm findet sich der Lappe frei und glücklich. Wenn sich seine Heerde so weit vermindert, daß sie ihm nicht mehr Unterhalt gewährt, muß er an der Meeresküste bleiben und Fischer werden; aber die Sehnsucht nach dem Nomadenleben erlischt nie, und jeden Augenblick ist der Seelappe bereit, seinen Kahn und seine Hütte mit dem Zelte und der Gamme zu vertauschen.

Die Zelte unseres Holzschnittes stellen die beiden Sommerzelte [634] dar, unter deren Leinwand wir gastlichen Unterschlupf fanden; zur Linken ist ein Gestell, an dem die blutigen Theile eines frischgeschlachteten Rennthiers hängen; zu oberst sehen wir den Magen, welcher mit Rennthierkäse gefüllt ist.

Die Gruppe jedoch vor dem einen Zelte stellt verschiedene Trachten und Typen der Lappen dar. Der Lappe links ist etwas willkürlich in seiner Wintertracht dargestellt, dem dicken, weißen Pelze mit dem Rauhen nach innen und der großen Pelzhaube aus Otterfell, welche einen Theil des Kopfes einhüllt.



  1. * Eine Münchener Restauration

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: K. G. L–tz