Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Bei den Cernirungstruppen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 768–770
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[768]

Wache im Dorfe Marly vor Metz.
Nach der Natur aufgenommen von Chr. Sell.

[769]
Bei den Cernirungstruppen.
Erinnerungen an die Tage vor Metz.


„Gott sei Lob und Dank, das freut uns für unsere armen Soldaten!“ So riefen Tausende in Deutschland, als die Nachricht der Uebergabe von Metz kam. Nicht die Großartigkeit des Triumphs und das Ungeheuerliche dieser feindlichen Niederlage bestimmte den ersten Eindruck, sondern die Theilnahme für die braven Kämpfer, welche dort nur allzulange den gesundheitsfeindlichsten Unbilden der Witterung preisgegeben waren. Die Krankenzüge, die von Metz her nach Deutschland kamen, stellten dem dortigen Lagerleben gar betrübende Zeugnisse aus.

Beim Baierischen in Fleury vor Metz.
Nach der Natur aufgenommen von Chr. Sell.

Erst nachdem die böse Regenzeit vorüber war, kam auch in unsere Berichterstatter wieder Leben, und einer dieser Wandervögel erzählte uns Eingehendes von dort Erlebtem und Erschautem, wovon wir auch jetzt, nachdem der Siegesjubel den Soldaten alle ausgestandene Drangsal vergessen läßt, wenigstens das Wesentlichste mittheilen, denn unseren Lesern würde ein ebenso leichtes Gedächtniß weniger gut anstehen und für ihre Dankbarkeit gegen unsere Truppen ein gar zu gefährliches Fundament bilden.

„Der heiterste Himmel,“ so schreibt uns H. v. B., „begünstigte am 11. September den Marsch eines kleinen Commandos einer von Wunden und Krankheiten wiedergenesenen Mannschaft, die von Pont à Mousson gegen Metz aufbrach. Ihr schloß ich mich sofort an, warf mein Gepäck auf den Bagagewagen und marschirte wohlgemuth mit vorwärts. Die Landschaft am linken Moselufer hin gemahnte mich an die von Gebirgsausläufern durchzogenen Gegenden Thüringens und Frankens.

Nachdem wir in Novéant, des eigenen Proviants bereits bar, Wein, Brod und Speck aus einem Johanniterdepôt erlangt und auf Gartenmauern und Holzstößen sitzend Alles rein aufgezehrt hatten, theilte sich unsere Schaar und ich folgte der Hauptmacht auf das rechte Moselufer, um das achte und siebente Armeecorps aufzusuchen. Von ersterem fanden wir, nachdem wir Corny mit dem dermaligen Residenzschlößchen des Prinzen Friedrich Karl passirt, in Jouy das Hauptquartier des Generals von Goeben. Da zugleich General von Steinmetz damals noch sein Hauptquartier hier hatte, so war der Ort bis auf den obersten Boden und bis auf die letzte Kammer jedes Hauses mit Soldaten angefüllt. Die Bivouacs standen meist verlassen, aber auch die Pappelreihen waren verschwunden, welche die Chaussee geschmückt hatten. Der Anblick eines Parkwaldes erfreute uns erst wieder bei dem Landschloß Frescaty, in welchem noch im August Napoleon sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Unsere Patrouillen waren ganz entzückt über die Anmuth der innern Einrichtung und die Schonung, die bis dahin auch der prachtvollen Bibliothek zu Theil geworden war. Sogar ein Kinderschlafzimmer enthielt noch all’ die zierlichen Schmucksachen und Spielgeräthe in dem liebenswürdigen Durcheinander, als ob die Kleinen sie eben erst verlassen hätten. Ob und wie sie’s wohl wiederfinden mögen?

Wir waren längst mitten im Cernirungsbereich marschirt, als wir gegen Abend in Marly sur Seille Halt machten. Kaum achthundert Schritte von den äußersten feindlichen Vorposten entfernt, [770] war der Ort, so zu sagen, bis an die Zähne bewaffnet. Sämmtliche, sehr starke Mannschaft war in Alarmhäusern concentrirt, um jeden Augenblick kampfbereit bei der Hand zu sein. Der treffliche Sell hat hier eine Zeichnung vollendet, welche eine solche Wache im Schloßhofe am Eingange des Dorfes darstellt (s. S. 768). Das ganze Dorf war in Vertheidigungszustand versetzt; überall sah man Schießscharten in Häuser und Mauern gebrochen, Verhaue gebaut und durch Barrikaden alle Zugänge gesperrt, an denen für Ablösungen und Patrouillen nur kleine Oeffnungen gelassen waren. In gleicher Weise hatte man alle Dörfer, Wälder, Straßen, Hügel und Berge befestigt, sehr oft mehrere Vertheidigungslinien übereinander angelegt und an allen geeigneten Punkten Einschnitte und Aufwürfe für die Artillerie angebracht. Man muß dieses Meisterstück der Feldbefestigungskunst gesehen haben, um die Thatsache zu begreifen, daß eine Armee von mehr als hundertsiebenzigtausend Mann von zweihunderttausend Deutschen so umschlossen werden konnte, daß nach keiner Seite hin und durch keine Anstrengung und Tapferkeit ihr der Durchbruch möglich wurde.

Unser Commandoführer hatte hier sein Regiment – die Neununddreißiger Füsiliere – wiedergefunden; die Officiere desselben gönnten auch mir ein Strohlager in dem Bauernhäuschen, in welches sie zusammengedrängt waren. Nach einer Abendmahlzeit von Chocolade, Brod und Speck schliefen wir wie die Götter und der Himmel schenkte uns dazu eine alarmfreie Nacht. Mit dem Tagesgrauen kochte das Regiment auf den Straßen und in den Gärten seinen Kaffee und rückte um sechs Uhr weiter östlich, nach Fleury vor, wo es theils Bivouacs, theils Cantonnements bezog.

Hier fand ich auch das Infanterieregiment Nr. 74 und bei demselben mehrere Freunde, die mich zu einem trefflichen Frühstück in einem Chausseegraben einluden. Meine Mittagsruhe hielt ich im Stroh einer großen Ziegelei, welche etwa fünfhundert Soldaten beherbergte. Die Stimmung der Truppen war überall mit dem Sonnenschein hell und heiter geworden; auch die Ruhranfälle hatten wenigstens ihren bösartigen Charakter verloren. Darum fehlte es auch nicht an Vergnüglichkeit aller Art, zu denen vor Allem die öffentlichen Bälle auf dem Dorfplatz im Mondenschein gehörten, zu welchen die Regimentsmusik aufspielte. Eine sehr gemüthliche Frühstücksscene hat ebenfalls durch Sell’s unermüdlichen Griffel ihre Verherrlichung gefunden (s. S. 769). Ich hatte die Freude, sie mit zu erleben. Als nämlich unsere Neununddreißiger hier in die Alarmquartiere eingerückt waren und wir nach abgelegtem Gepäck einen Gang durch’s Dorf machten, verbreitete sich rasch wie ein Lauffeuer das Gerücht, ein Marketender sei mit bairischem Bier angekommen. Ich schloß mich einigen Officieren an, welche die ersehnte Spur verfolgten, und wir entdeckten die Labequelle unweit des Dorfbrunnens. Hier faßten wir Posto und machten uns über den braunen Gerstensaft her, der natürlich sehr bald eine zahlreiche Anbeterschaft um sich versammelt hatte. Lang dauerte das Vergnügen nicht, denn nach einem kurzen Stündchen war kein Tropfen mehr vorhanden, aber reizend schön war der genossene Augenblick und für alle Theilnehmer der illustrirten Erinnerung werth.

Was ich später über die Zustände von Land und Leuten um Metz her beobachtete, ist wohl um so mehr zur Mittheilung geeignet, als jetzt, nach der Eröffnung von Metz, das Bild der Umgebung während der Belagerung bald unter der Hand des Fleißes aus bitterster Noth eine heilsame Umwandlung erfahren wird.

Die Lage der Landbevölkerung um Metz war und ist natürlich in diesem Augenblick noch eine wahrhaft trostlose. Jüngere Leute sah ich fast gar nicht. Die Männer waren theils zu den Nationalgardisten geeilt, theils hatten sie in Metz mit gehungert, Dank ihren Pfaffen und Geistlichen, die ihnen von den „preußischen Barbaren“ nicht Schauderhaftes genug beizubringen wußten. Nur alte Leute und kleine Kinder zeigten sich hier und da; fast genau so, wie es uns aus den schlimmsten Zeiten des dreißigjährigen Kriegs erzählt wird, waren die meisten Häuser „wüst und leer“. – Ich muß ausdrücklich bemerken, daß unsere Soldaten gegen solche zurückgebliebene Bewohner sich, mit wenigen Ausnahmen, äußerst rücksichtsvoll benahmen. Selbst in den am stärksten mit Truppen belegten Dörfern überließ man den bejahrten Eigenthümern die besten Zimmer und ihre Betten; ja viele derselben wären vielleicht elend verkommen und verhungert, wenn nicht der Soldat seine Mahlzeit mit ihnen getheilt hätte. Den besten Beweis für die große Thorheit derer, welche, oft mit allen nur transportabeln Habseligkeiten, ihre Wohnungen verlassen hatten, lieferte der friedliche Verkehr, welcher sich sehr bald zwischen ihnen und unseren Soldaten entspann. Unsere Truppen nahmen nur, wo sie nichts kaufen konnten; wo aber ein Eigentümer sich zeigte, da kauften sie, bezahlten stets baar und gönnten den Leuten für gute Waare gern den Vortheil guter Geschäfte. Ich sah in Verny und anderen Orten ganze Heerden von Schafen, Schweinen, Gänsen von ihren alten Hirten zur Weide führen wie im tiefsten Frieden; Niemand vergriff sich an dem also gehüteten Eigenthum. Ebenso sah ich nicht selten unsere Musketiere den alten Männern und Frauen bei schweren Arbeiten kräftige Hülfe leisten, für Ruhe im Hause sorgen, wenn jemand krank war, und selbst kleine Kinder auf den Armen herumtragen, um den Müttern die Arbeit im Hause zu ermöglichen. Noch spricht man hier mit inniger Theilnahme von der Alten von St. Remy, über die sicherlich die Zeitungen voll waren. St. Remy liegt bekanntlich nördlich von Metz; unsere Granaten haben es ebenfalls in einen Schutthaufen verwandelt und alle Bewohner daraus vertrieben. Nur ein Paar Katzen sind der Heimath treu geblieben und eine alte Frau. Letztere gehört nunmehr zum Inventarium der dort einquartierten Feldwache, von welcher sie stets der ablösenden Mannschaft mit übergeben wird. Da sie auf alle Bitten, sich von dem Orte zu entfernen, der von den nur dreihundert Schritt davon in Labonchamp hausenden Franzosen noch jetzt nicht selten mit Granaten beworfen wird, nur die Versicherung giebt, daß sie hier ausharren werde bis zu ihrem Tode, so suchten die deutschen Soldaten der Alten wenigstens ihre Umgebung so freundlich als möglich einzurichten; sie bauten ihr eine Strohhütte, teilten Kaffee und Mittagskost mit ihr und gaben ihr einen Soldatenrock zur Decke in den kalten Nächten. Das gute deutsche Herz verleugnete sich auch hier nicht, wenn ihm guter Wille manierlich entgegen kam.

Wie vielen Schaden hätten die Landleute sich ersparen können, wären sie daheim geblieben! Des unvermeidlichen Unglücks war immer noch genug, um das Land in ungeheuren Strecken und viele Familien auf Jahre, wenn nicht auf immer zu ruiniren. So ging die letzte Ernte größtentheils verloren. Das Getreide war zwar meistens eingeheimst, ehe der Krieg sich hierher zog, durch die Flucht der Bauern fehlten aber die Hände zum Dreschen, und so sah ich in den Bivouacs und in den Pferdeställen Massen der herrlichsten Weizengarben als Streu und als Material zum Hüttenbau verwendet. Noch schlimmer steht es mit der zukünftigen Feldbestellung. Meilenweit um Metz herum sind die Aecker zertreten, zerfahren, in Lagerplätze und Feldbefestigungen verwandelt. Mit der Wintersaat ist’s für dieses Jahr schon ganz vorbei –; und kehren nun auch die Flüchtigen zurück, wie viele Dörfer sind in den Schlachten vor Metz und in den Ausfallsgefechten niedergebrannt, wie viele Heimkehrende finden selbst in den noch stehenden ihre Häuser nicht wieder oder in kaum bewohnlichem Zustande! Und wenn auch dies, wie viele werden das ganz verschwundene Zugvieh, die zerstörten Ackergeräte, die fehlende Aussaat sich erschwingen können, um nicht auch der künftigen Sommersaat verlustig zu gehen? Wahrlich, die ganze weite Gegend um Metz geht einer sehr harten Zeit entgegen!

Nicht viel bessere Aussicht bieten der einst so einträgliche Weinbau und die gesegnete Obstzucht. In der Nähe der Lager ist die vogelfreie Ernte den Soldaten zu Gute gekommen, auf großen Strecken fehlten die arbeitenden Hände und der Erntesegen ist dem Verderben überlassen. Was noch zu retten ist, das verdankt die Bevölkerung dem deutschen Waffensieg, welcher der lothringischen Jungfrau Metz so bald den Kranz vom stolzen Haupte gerissen hat.