Bei dem Dichter Oskar von Schweden

Textdaten
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Autor: Ludwig August Frankl
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Titel: Bei dem Dichter Oskar von Schweden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 804–806
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Bei dem Dichter Oskar von Schweden.[1]

Die schwedische Sprache, von welcher Tegnér mit Stolz singt:

Männlich und edel erklingst Du, Sprache des Ruhms und des Sieges,
     Rein wie Metall Dein Klang, fest wie die Sonne Dein Gang.
Wo die Donner reden, der Sturm, Du wohnst auf den Höhen,
     Nicht geboren für niedriger Thäler Genuß.
Spiegle Dein Antlitz im Meer, befreie die männlichen Züge
     Endlich vom fremden Staub – wenn es vielleicht nicht zu spät!

gehört bekanntlich mit unserer deutschen zu demselben großen germanischen Sprachstamme, und die schwedische Literatur hat mit der deutschen, der sie in ihrem Entwickelungsgange mehrfach ähnelt, das gemein, daß sie einer vorübergegangenen Glanzepoche nachtrauert und in den Erscheinungen der Gegenwart, wie edel sie sich auch darstellen, nur ein Epigonenthum erblickt.

Jedes Volk, das eine Kunst, eine Literatur besitzt, hat eine solche Epoche nachzuweisen; sie ist eine naturgemäße. Der Volksgeist, der Blüthen und Früchte trieb, hat, wie ein Baum, ein Ackerland seine Kraft aufgebraucht und bedarf der Erholung. Aber zu beklagen sind die Talente einer solchen Epoche. Den edelsten Geistern, auf die ein Volk für alle Zeiten stolz ist, oft ebenbürtig, fehlt ihnen nur der originale Stoff, die aus der Reibung religiöser, socialer, politischer Zustände hervorbrechende neue Weltanschauung. Es ergeht ihnen, wie den modernen Baumeistern, welchen die Aufgabe wird, die in bewegten Zeiten unvollendeten Dome auszubauen.

Es ist eine bedeutende Gruppe von Dichtern, die jetzt in Schweden leben, und es war mir eine Freude, einzelne kennen zu lernen, unter ihnen den Prinzen Friedrich Oskar von Schweden, Herzog von Ostgothland, der, 1829 geboren, mit seinen Gesängen auf die schwedische Flotte den goldenen Preis errungen und um sein Vaterland sich das schöne Verdienst erworben hat, Herder’s „Cid“ und Goethe’s „Tasso“ in seine Muttersprache zu übertragen und zum kostbaren Besitze Schwedens zu machen. Dieses Land bietet jetzt die eigenthümliche Erscheinung, daß zwei Brüder, der eine, welcher als Carl der Fünfzehnte den Thron innehat, und der andere, der einst König sein wird, um den poetischen Lorbeer ringen, während der erstere noch einer zweiten Kunst, der Landschaftsmalerei huldigt, und die Hallen und Gemächer seiner Paläste mit Gemälden schmückt, welche die Freude eines jeden Gastes wecken.

Der Prinz von Schweden führte eben für den aus seinem Schlosse Bekaskog verweilenden König die Regentschaft, als ich ihm vorgestellt wurde. Im Vorzimmer fand ich Generäle und Minister versammelt, und als ich den Saal betrat, in dem sich der Prinz befand, schritt mir eine sehr hohe schlanke Gestalt in militärischem dunkelblauem Rocke entgegen, an dem uns unter mehreren Sternen ein kleines rothes Kreuzlein entgegenglänzte und auffiel, der Orden Carl’s des Dreizehnten, der, nur für Freimaurer höchsten Ranges bestimmt, von dem Prinzen als Großmeister getragen wird. Der schwarze Vollbart und das dunkle Haupthaar contrastirten schön mit dem leuchtenden Eigenthume der meisten nordischen Männer und Frauen, den blauen Augen. Die ganze Erscheinung machte den Eindruck einer edlen Ritterlichkeit, als träte sie uns aus einem goldenen Rahmen in einer Gemälde-Galerie entgegen.

„Ich grüße Sie, meine Herren,“ begann der Prinz in correctem, [805] von fremdem Accent nicht angehauchten Deutsch, und mir die Rechte reichend: „Seien Sie willkommen in Schweden!“ Nach einigen Fragen über meine Reise beklagte der Prinz, daß ich auf der Eisenbahn kommend nur einen wenig fruchtbaren einsamen Theil des Landes gesehen habe, der aber seiner fortgesetzten Ebene wegen gerade für den Bau einer Eisenbahn sich am besten eignete. „Und den prächtigen Anblick Stockholms, wenn man durch die Ostsee anfährt, haben Sie ebenfalls entbehren müssen! Wenn Sie durch eine Ausfahrt in die See oder den Mälar zurückkehrend den Anblick der Stadt gewinnen, so ist es nicht mehr ein erster, wirklich großer Eindruck.“

Der Prinz lud mich darauf zum Sitzen ein, und es begann ein bequem geselliges Gespräch, wie es zwei Schriftsteller in lebhaftem Interesse für die schönen Künste sich gegenseitig anregend gerne führen mögen. Nichts mahnte, wenn nicht die blitzenden Sterne an seiner Brust, an den Prinzen. Diese freundliche Weise, die nichts von vornehmer Herablassung hat, wird der ganzen geistvollen Familie der Bernadottes in Schweden nachgerühmt; sie hält die glatte Kürze, das aristokratische Fernhalten für keine Stütze der Majestät, es genügt ihr menschlich schön zu erscheinen, durch nichts Anderes zu imponiren, als durch Geist und Bildung.

Als ich auf die Poesien des Prinzen anspielte, der ein Schüler des berühmten Dichters und Erzbischofs Wallin war, den sie seiner einfach-mächtigen Kirchenlieder wegen die „Davidsharfe des Nordens“ nennen, fing er, von sich bescheiden ablenkend, über die moderne schwedische Literatur zu sprechen an. Es freute ihn, zu hören, daß sich die Deutschen Tegnér’s „Frithjofsage“ durch sechszehn Uebersetzungen angeeignet haben und daß die eben erschienenen neuen Gedichte seines königlichen Bruders von dem kundigen, poetisch nachempfindenden Freiherrn Lüttgendorff bereits verdeutscht worden. Die Literaturbewegung in Deutschland, die Dichter der Gegenwart regten manche seiner Fragen an, die eine theilnahmvolle Beschäftigung mit ihnen deutlich erkennen ließen.

Prinz Oskar von Schweden.

Eine Gesprächswendung veranlaßte meinen Begleiter, den österreichischen Legationsrath Freiherrn Herbert, zu erwähnen, daß Jenny Lind eben in Stockholm anwesend sei. Ich erzählte von der Wirkung schwedischer Volkslieder, die sie uns in Wien gesungen. „Unsere Volkslieder,“ versetzte der Prinz, „sind sehr einfach und darum so schön.“ Der Stoff, über Volkspoesie zu reden, war geboten. und ich machte den Prinzen auf die urthümliche Poesie der serbischen Helden- und Liebeslieder aufmerksam. „Ich kenne nur eines,“ antwortete Oskar, „und zwar durch Goethe, das von der Frau des Assan Aga singt.“ Ich erlaubte mir, auf meine eigenen Uebersetzungen aus dem Serbischen hinzuweisen, die unter dem Namen „Gusle“ erschienen sind. Der Name regte die Neugier des Prinzen an. Ich schilderte ihm die einsaitige kleine Geige der Serben, die Gusle, und die Art und Weise, sie zu spielen und wie das Volkslied in den „schwarzen Bergen“ noch heutzutage als wilde, schöne Blume blüht. Wie zuweilen im Bernstein uns die Gattung einer vorweltlichen Fauna erhalten wurde, so in der serbischen Nation die Genesis des Volksliedes, das einzelne Rhapsoden sangen, bis Homer und Ossian ihre Gesänge zu einem Kunstwerke verbanden. Dem serbischen Volke muß dieser große letzte Volksdichter noch auferstehen. Als ich die allgemeine Bemerkung aussprach, wie eigenthümlich es sei, daß die lyrischen Gesänge des Volkes immer von weichen, melancholischen Melodien getragen werden, erwiderte der schwedische Poet: „Es ist der durch die ganze Menschheit gehende Schmerz und die Sehnsucht, die in den Liedern eines jeden Volkes widerhallen. Die Menschheit hat das Paradies, einen seligen Zustand, eingebüßt und hofft und sehnt sich nach der Wiederkehr eines goldenen Zeitalters. Wenn das Volk sich dessen auch nicht bewußt ist, unwillkürlich kommt, wenn es singt, dieser ideale Schmerz und die ahnungsvolle Hoffnung zum Ausdruck. Bei uns im Norden hat das noch einen ganz besonderen Grund: der Hirt aus den Bergen fühlt sich einsam, er weiß, daß stundenweit kein menschliches Wesen weilt. Er möchte reden, sich mittheilen, aber wem? und da beginnt er zu singen. Es ist ein melancholischer Gesang, die Molltöne herrschen vor. Wenn aber eine andere ebenfalls sich einsam fühlende Stimme ihm aus weiter Ferne ein Lebenszeichen giebt, so jubelt er laut empor. Die Sänger können sich aber nicht erreichen, Schneeklüfte, Wasserfälle liegen zwischen ihnen, und wenn es gar Sänger und Sängerin sind, die miteinander in Liedern Zwiesprache halten, so erwacht der Sehnsuchtslaut und wieder tönen Melancholie und Sehnsucht in Mollaccorden aus.“

Das Gespräch erhielt bald eine andere Richtung. Der Prinz fragte mich: „Welche Erscheinung hat in Schweden einen besonderen Eindruck auf Sie gemacht?“

Ich sprach von dem seltsamen Lichte, das um ein Uhr Nachts noch gestattet, ohne Kerzen anzünden zu müssen, den kleinsten Druck zu lesen, und das, fast nur in Dämmerung übergehend, um zwei Uhr des Morgens wieder seine volle Kraft gewinnt. „Der König Carl der Fünfzehnte von Schweden,“ schloß ich, „kann mit vollem Rechte von sich sagen, was ein anderer Carl der Fünfte usurpirt hat: in meinem Reiche geht die Sonne nicht unter!“

Oskar Bernadotte lachte: „Dafür geht sie in diesem Reiche eine Zeit lang im Winter auch gar nicht auf! Wären Sie um Johanni zu uns gekommen, Sie hätten die ganze Nacht hindurch ohne Kerzenlicht lesen können!“

In diesen Formen wurde noch ein mannigfacher, auf Kunst, Wissenschaft, auf locale Zustände sich beziehender Gesprächsstoff gesellig angenehm verhandelt. Unser Besuch währte lange Zeit und die antichambrirenden Minister und Generäle mögen Wunder gedacht haben, was die beiden Oesterreicher so lange mit ihrem Herzoge von Ostgothland zu verhandeln hatten. Der Prinz verabschiedete

[806] uns endlich mit einigen freundlichen, von herzlichem Händedruck begleiteten Worten und fragte mich um meine Wohnung in Stockholm, um mir seine Uebersetzungen aus dem Deutschen als Andenken überschicken zu können. Ich war kaum im Hotel angelangt, als ein Kammerherr des Prinzen mir ein illustrirtes Prachtexemplar von Herder’s „Cid“ und Goethe’s „Torquato Tasso“ überbrachte mit der Einschrift: „Zur Erinnerung des Uebersetzers. Oskar.“
Ludw. Aug. Frankl.



  1. Wie unsere Leser wissen, war der Marschall Bernadotte, einer der Heerführer unter Napoleon, 1810 von dem König Carl dem Dreizehnten zu dessen Thronfolger und zum Kronprinzen von Schweden vorgeschlagen und von den Ständen des Reichs einstimmig als solcher angenommen worden. Infolge dessen bestieg er 1818 als Carl der Vierzehnte Johann den schwedischen Thron. Sein einziger Sohn Oskar folgte ihm im Jahre 1844. Oskar war ein geistreicher und wissenschaftlich hochgebildeter Mann, der sich auch als Schriftsteller, namentlich durch sein in mehrere Sprachen übersetztes Werk „über Strafe und Strafanstalten“ ausgezeichnet hat, wie er sich ebenso und nicht ohne Glück in der musikalischen Composition versuchte. Diese Schriftstellerader scheint sich auf seine beiden Söhne, den jetzigen König von Schweden, Carl den Fünfzehnten Johann, und dessen Bruder Oskar, Herzog von Ostgothland, vererbt zu haben. Der Erstere machte sich besonders durch eine Reihe lyrischer Dichtungen bekannt, die von einer wahren poetischen Begabung zeugen, und auch der letztere, Prinz Oskar, ist ein Dichter von Gottes Gnaden, für uns Deutsche aber noch dadurch besonders beachtenswerth, daß er den Schweden mehrere unserer größten deutschen Meisterwerke durch vorzügliche Uebertragungen erschlossen hat.
    D. Red.