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Titel: Beethoven und „das Kind“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 314-315
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[314]
Beethoven und „das Kind“.

Ein Verwandter des im Jahre 1857 verstorbenen königlich bairischen Appellraths Dr. A… B… theilt uns aus dessen handschriftlich hinterlassenen Jugenderinnerungen folgende Einzelheiten über Bettina Brentano, die später berühmt gewordene Herausgeberin des „Briefwechsels Goethe’s mit einem Kinde“, mit:

„Ich war während meiner Universitätszeit zu Landshut im Familienkreis des mir unvergeßlichen Professors von Savigny eingeführt. Dort lernte ich dessen damals noch unverheirathete Schwägerin Bettina kennen. Gleich lebhafter Enthusiasmus für Musik bildete schnell den Angelpunkt unserer Gespräche, und bald wurde an mich die schmeichelhafte Bitte gerichtet, die junge Dame in die Lehre der Harmonien einzuführen. Der brennende Eifer meiner interessanten Schülerin machte mir diese Aufgabe zum eigenen größten Vergnügen, und wir studirten und componirten nach Herzenslust und mit übereinstimmendem Geschmack. Einmal jedoch liefen unsere Ansichten weit auseinander. Bettina [315] hatte nämlich die kühne Idee, eine Ouverture zu Faust componiren zu wollen, und bestand darauf, hierbei der Trommel eine überwiegende Rolle anzuweisen, was ich begreiflicherweise nicht zugeben konnte, und so scheiterte das gewagte Project schon im Beginnen. Unwiderstehlich dagegen herrschte Bettina auf dem Gebiete des Gesanges. Hier entfaltete sie völlig ihre wunderbare Eigenthümlichkeit. Selten wählte sie geschriebene Lieder – singend dichtete sie und dichtend sang sie mit prachtvoller Stimme eine Art Improvisation. So zum Beispiel wußte sie in die einfach getragene Scala ebensowohl als in die ihr momentan entquellenden Solfeggien eine Fülle der Empfindung und des Geistes zu legen, daß ich hingerissen ihrem schöpferischen Genius lauschte.

Da ich das Glück hatte, fast immer ihre musikalischen Gedanken zu verstehen und zu errathen, somit ihr auf dem Instrumente mit den richtigen Accorden entgegenkam und sie nach ihrem Sinne weiter begleitete, erwarb ich mir bald ihre Zufriedenheit, endlich ihr freundschaftliches Wohlwollen, und sie erfreute mich später noch mit einigen Briefen, deren Thema, ähnlich wie im mündlichen Verkehr, fast ausschließend die Tonkunst bildete. Gewöhnlich saß Bettina während des Musicirens auf einem Schreibtische und sang von oben herab wie ein Cherub aus den Wolken.

Ihre ganze Erscheinung hatte etwas Besonderes. Von kleiner, zarter und höchst symmetrischer Gestalt, mit blassem klarem Teint, weniger blendend schönen als interessanten Zügen, mit unergründlich dunkeln Augen und einem Reichthum langer schwarzer Locken, schien sie wirklich die in’s Leben getretene „Mignon“ oder das Original dazu gewesen zu sein. Abgeneigt modischem Wechsel und Flitter trug sie fast immer ein schwarzseidenes, malerisch in offenen Falten herabfließendes Gewand, wobei Nichts die Schlankheit ihrer feinen Taille bezeichnete, als eine dicke weiße oder schwarze Cordel, deren Ende, ähnlich wie an Pilgerkleidern, lang herabhing.

Eines Abends, im Begriff zu einer Gesellschaft zu gehen, bemerkte sie erst, daß ihre Kleidung zu diesem Zwecke allzu abgetragen war. Augenblicklich entschlossen, ließ sie schwarzen Taffet holen, schnitt denselben in mehrere einfache, gerade Theile von verschiedener Länge, heftete diese Theile mit unzähligen Stecknadeln zusammen, gürtete sich mit der bekannten Cordel, und besuchte auf solche Weise die Soirée, wobei die Wenigsten ahnten, auf welche leichte Art das äußerst malerische Gewand zu Stande gekommen war. Fast immer traf sie der Eintretende auf niedrigen Fenstertritten oder Fußbänken sitzend, bequem zusammen gekauert, einen Band von Goethe’s Werken auf dem Schooße haltend. Mit weiblichen Arbeiten scheint sie sich wenig befaßt zu haben. Wer diesem eigenthümlichen Wesen jemals nahe getreten war, konnte es im Leben nicht mehr vergessen. Ihr reicher Geist, ihre sprudelnde Regsamkeit, voll poetischer Gluth und Phantasie, verbunden mit ungesuchter Anmuth und grenzenloser Herzensgüte, machten sie im Umgange unwiderstehlich. Großmuth, diese gemeinsame Eigenschaft genialer Naturen, trat auch bei ihr in glänzender Weise hervor; so brach sie einmal, da sie veranlaßt war, eine unbemittelte Person zu unterstützen, rasch eine Rolle Geldes mitten auseinander und reichte, ohne zu überlegen oder nachzuzählen, der Betreffenden die eine Hälfte dar.“

So viel von den Notizen des Erzählers über Bettina selbst. Hier möge noch ein Auszug eines Briefes folgen, den sie von Wien aus an ihn richtete und der uns im Original vorliegt. Eine Zusammenkunft mit Beethoven schildernd, hinterließ sie darin eine Skizze dieses großen Tondichters, welche unseren Lesern nicht unwillkommen sein dürfte. Daß an der Spitze des Briefes die Jahreszahl fehlt (es steht dort lediglich, selbst mit Uebergehung der Ortsangabe: „am 9. Juli“), wird bei der bekannten Flüchtigkeit der Schreiberin Niemanden wundern. Wir heben nun aus dem sehr umfangreichen Briefe Bettina’s, dessen erster Theil von dem Auftreten eines Wiener Sängers eingehend erzählt, nachfolgende Stelle wörtlich heraus:

Beethoven habe ich erst in den letzten Tagen meines dortigen Aufenthalts kennen gelernt; beinahe hätte ich ihn gar nicht gesehen, denn Niemand wollte mich zu ihm bringen, selbst, die sich seine besten Freunde nannten, nicht, und zwar aus Furcht vor seiner Melancholie, die ihn so befängt, daß er sich um nichts interessirt und den Fremden eher Grobheiten als Höflichkeiten erzeigt. Eine Phantasie von ihm, die ich ganz vortrefflich vortragen hörte, bewegte mir das Herz, und hatte ich von demselben Augenblicke eine Sehnsucht nach ihm, daß ich Alles aufbot. Kein Mensch wußte, wo er wohnte, er hält sich oft ganz versteckt. – Seine Wohnung ist ganz merkwürdig, im ersten Zimmer zwei bis drei Flügel, alle ohne Beine auf der Erde liegend, Koffer, worin seine Sachen, ein Stuhl mit drei Beinen, im zweiten Zimmer sein Bett, welches Winters wie Sommers aus einem Strohsack und dünner Decke besteht, ein Waschbecken auf einem Tannentisch, die Nachtkleider liegen auf dem Boden; hier warteten wir eine gute halbe Stunde, denn er rasirte sich gerade. Endlich kam er. Seine Person ist klein (so groß sein Geist und Herz ist), braun, voll Blatternarben, was man nennt: garstig, hat aber eine himmlische Stirn, die von der Harmonie so edel gewölbt ist, daß man sie wie ein herrliches Kunstwerk anstaunen möchte, schwarze Haare, sehr lang, die er zurückschlägt, scheint kaum dreißig Jahre alt, er weiß seine Jahre selbst nicht, glaubt aber doch fünfunddreißig.

Ich hatte nun viel gehört, wie behutsam man mit ihm sein müsse, um ihn nicht scheel zu machen; ich hatte aber sein edles Wesen auf eine ganz andere Art berechnet und nicht geirrt. In einer Viertelstunde war er mir so gut geworden, daß er nicht von mir lassen konnte, sondern immer neben mir herging, auch mit uns nach Hause ging und zur größten Verwunderung seiner Bekannten den ganzen Tag da blieb. Dieser Mensch hat einen sogenannten Stolz, daß er weder den Kaiser noch den Herzögen, die ihm eine Pension umsonst geben, zu Gefallen spielt, und in ganz Wien ist es das Seltenste, ihn zu hören. Auf meine Bitte, daß er spielen möchte, antwortete er: ‚Nun, warum soll ich denn spielen?‘

‚Weil ich mein Leben gern mit dem Herrlichsten erfüllen will und weil Ihr Spiel eine Epoche für dieses Leben sein wird,‘ sagte ich.

Er versicherte mich, daß er dieses Lob zu verdienen suchen wolle, setzte sich neben das Clavier auf die Ecke eines Stuhls und spielte leise mit einer Hand, als wollte er suchen, den Widerwillen zu überwinden, sich hören zu lassen. Plötzlich hatte er alle Umgebung vergessen, und seine Seele war ausgedehnt in einem Weltmeere von Harmonie. Ich habe diesen Mann unendlich lieb gewonnen. In Allem, was seine Kunst anbelangt, ist er so herrschend und wahrhaft, daß kein Künstler sich ihm zu nähern getraut, in seinem übrigen Leben aber so naiv, daß man aus ihm machen kann, was man will. Er ist durch seine Zerstreuung darüber ordentlich zum Gespött geworden; man benutzt dies auch so, daß er selten so viel Geld hat, um nur das Nothdürftige anzuschaffen. Freunde und Brüder zehren ihn auf; seine Kleider sind zerrissen, sein Ansehen ganz zerlumpt (das soll Nußbaumer sich merken), und doch ist seine Erscheinung bedeutend und herrlich. Dazu kommt noch, daß er sehr harthörig ist und beinahe gar nichts sieht. Wenn er aber gerade componirt hat, so ist er ganz taub und seine Augen sind verwirrt im Blicke auf das Aeußere; das kommt daher, weil die ganze Harmonie sich in seinem Hirne fortbewegt und er nur auf diese seine Sinne richten kann; das also, was ihn mit der Welt in Verbindung hält (das Gesicht und Gehör), ist ganz abgeschnitten, so daß er in der tiefsten Einsamkeit lebt. Wenn man zuweilen lange mit ihm spricht und auf eine Antwort wartet, so bricht er plötzlich in Töne aus, zieht sein Notenpapier hervor und schreibt. Er macht’s nicht wie der Capellmeister Winter, der hinschreibt, was ihm zuerst einfiel; er macht erst großen Plan und richtet seine Musik in eine gewisse Form, nach welcher er nachher arbeitet.

Er kam diese letzten Tage, die ich noch in Wien zubrachte, alle Abend zu mir, gab mir Lieder von Goethe, die er componirt hatte, und bat mich, ihm zum wenigsten alle Monate einmal zu schreiben, weil er außer mir keinen Freund habe.

Warum ich Ihnen nun dies Alles so umständlich schreibe? – weil ich erstens glaube, daß Sie wie ich Sinn und Verehrung für ein solches Gemüth haben, zweitens weil ich weiß, wie Unrecht man ihm thut, gerade weil man zu klein ist, ihn zu begreifen – so kann ich’s nicht lassen, ihn ganz, wie er mir ist, darzustellen. Noch obendrein sorgt er mit der größten Güte für Alle, die sich ihm in Bezug auf Musik vertrauen; der geringste Anfänger darf sich ihm vertrauensvoll überlassen; er wird nicht müde, Rath und Beistand zu leisten, dieser Mann, der es nicht einmal über sich gewinnen kann, eine Stunde seiner Freiheit abzuzwacken.“