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Titel: Beamtenfängerei
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 214–215
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[214]

Beamtenfängerei.

Es giebt eine Art Hazardspiel, nicht weniger schlimm, als das Kartenspiel, eine Art Glücksspiel, welches nicht bei verschlossener Thür eines feinen Restaurants und nicht an dem Tische einer Spielhölle à la Monaco, sondern offen an den Börsen unserer großen Städte getrieben wird. Der Lauf der Geschäfte, der wechselnde Ertrag der Ernten und die Fehler oder Siegestrumpfe der Diplomaten bewirken es, daß der Werth der verschiedenartigsten Actien, der verschiedensten Producte des Bodens und der Staatspapiere ewigen Schwankungen ausgesetzt ist. Auf der Actie steht z. B. ihr nomineller Werth mit 100 Mark verzeichnet, aber auf dem Geldmarkte werden für dieselbe Actie bald 105, bald nur 95 Mark bezahlt. Heute kosten, um das Beispiel zu erweitern, 1000 Kilogramm Weizen 160 Mark, aber in sechs Monaten muß man für dieselbe Waare vielleicht 180, vielleicht auch nur 140 Mark, je nach dem Ausfalle der Ernte, bezahlen. Der Kaufmann und der Banquier müssen mit diesen naturgemäßen Schwankungen rechnen, sie müssen speculiren und die Speculation in den Bereich ihrer geschäftlichen Erwägungen ziehen. Darüber ist kein Wort zu verlieren.

Nun giebt es aber Leute, welche dieses Steigen und Fallen der Preise dazu benutzen, um aus dem Kaufen und Verkaufen der Werthe ein besonderes Geschäft zu machen, welche Actien kaufen, um sie zu höherem Preise zu verkaufen und den mühelosen Gewinn in ihre Taschen zu streichen. Das müssen wohl reiche Leute sein, werden unsere Leser sagen; denn, um einige hundert Mark zu verdienen, muß man für viele Tausend Actien kaufen. So denken die Meisten und erklären wohl: was gehen uns die wenigen Herren an, die um das goldene Kalb tanzen!

Aber sie irren. Jenes Spiel auf der Börse kann in Wirklichkeit mit viel geringeren Mitteln betrieben werden. Man braucht nur eine Art Wette einzugehen, einen Vertrag abzuschließen, der etwa folgendermaßen lautet: Schulze verpflichtet sich, Kohlenactien irgend welcher bestimmten Art für 100,000 Mark, welche heute, am 1. April dieses Jahres, auf der Börse mit 105 Mark pro Stück notirt werden und also den Werth von 105,000 Mark repräsentiren, am 1. October dieses Jahres an Müller zu demselben Preise zu liefern, und Müller verpflichtet sich, am genannten Termine für die tausend Stück Actien Herrn Schulze die vereinbarten 105,000 Mark auszuzahlen. Schulze speculirt: die Actien werden inzwischen fallen und am 1. October nur mit 100 Mark pro Stück notirt werden, ich werde also bis dahin 5000 Mark verdienen, denn ich kann die Actien, wenn das Glück mir günstig bleibt, für 100,000 Mark kaufen, werde sie aber für 105,000 veräußern. So setzt Schulze auf das Sinken der Werthe seine Hoffnung, und er speculirt auf die Baisse, wie man an der Börse sagt. Müller ist dagegen der entgegengesetzten Meinung, er denkt sich: die Actien werden steigen, am 1. October wird man für das Stück 110 Mark zahlen müssen, und der gute Schulze muß sie mir für 105 Mark liefern, ich verdiene also meine 5000 Mark. So setzt Müller seine Hoffnung auf das Steigen der Werthe, er spielt à la hausse.

Aber die Herren denken nicht daran, die 1000 Stück Actien wirklich zu kaufen: denn keiner von Beiden besitzt ein Vermögen von 100,000 Mark. Sie verpflichten sich nur gegenseitig am 1. October den Gewinn oder den Verlust, das heißt die Differenz, auszuzahlen und legen zu diesem Zwecke bei einem Banquier eine Caution von ein paar Tausend Mark nieder. Die Caution kann natürlich verloren gehen, sie kann aber auch, wenn der Spieler richtig speculirt hat, das Dreifache und Vierfache der deponirten Summe einbringen. In der That, ein verlockendes Geschäft! Aber es ist nur ein Hazardspiel, das wir, freilich ohne auf alle Finessen desselben einzugehen, nur in großen Zügen hier schildern konnten.

[215] Geht nun ein Familienvater in eine Gesellschaft, wo hoch gespielt wird, und setzt er seine Ersparnisse auf die Karte, so verdammen wir seine Handlung mit Recht, denn sie ist unsittlich. Spielt er aber an der Börse, so begeht er ein gleiches Vergehen, das muß jeder billig denkende Mensch zugeben. Lange war die Börse für den schlichten Mann aus dem Volke unzugänglich, und das war ein Segen. In neuester Zeit aber haben sich Leute an den hauptstädtischen Börsen etablirt, welche sich als Banquiers dem Volke vorstellen, diejenigen, die sich ein kleines Vermögen erspart haben, zum Börsenspiel einladen, und dabei den Unerfahrenen vorspiegeln, diese Art Speculation sei die sicherste Kapitalanlage!

Umsonst thun das die Herren freilich nicht. Wer sollte auch von ihnen diese Menschenfreundlichkeit verlangen! Für ihre Mühe berechnen sie sich von jedem Geschäftchen eine kleine Provision, und da die Masse es bringt und der Vermittler nichts riskirt, so ist dieses Spiel für ihn in der That eine sichere und lucrative Erwerbsquelle.

Es ist daher die höchste Zeit, das Volk vor derartigen Verlockungen, wie wir ihnen fast täglich in den Annoncen größerer und kleiner Blatter begegnen und wie sie uns auf gedruckten Circularen in’s Haus geschickt werden, auf das Entschiedenste zu warnen. Namentlich scheinen es die biederen Vermittler „der sichersten Capitalsanlage“ gegenwärtig auf den Beamtenstand abgesehen zu haben, und wir veröffentlichen deshalb die uns aus den betheiligten Kreisen zugegangene nachfolgende Zuschrift:

„In jüngster Zeit werde ich, ein Beamter, zum Glück ohne Vermögen, daher vergeblich, von Zeit zu Zeit mit mechanisch vervielfältigten Zuschriften eines hauptstädtischen ‚Banquiers‘ beehrt, worin mir in reizvoller Abwechselung heute die Anschaffung, das nächste Mal die Abschaffung und dann wieder der Ankauf immer wieder derselben Speculationspapiere, selbstverständlich zu bewirken durch Vermittelung des wohlwollenden Briefschreibers, mit vielen und süßen Worten anempfohlen wird.

Als Gründe für den Ankauf erscheinen bald ein überraschender Geldüberfluß an der Berliner Börse, bald – die derzeitige Baisse, welche von den treibenden Kräften nur erzeugt worden sei, um desto rapider in ihr Gegentheil verkehrt zu werden. Dazwischen wird, jedenfalls der Abwechselung halber, ein Alarmartikel der ‚Vossischen Zeitung‘ über die russischen Rüstungen wörtlich zum Abdruck gebracht, um mich zum schleunigen Verkauf der kaum erworbenen Papiere zu ermuthigen. Drei Wochen später dagegen ‚glaubt‘ der gute Freund bereits wieder, mir ‚jetzt eine Speculation à la hausse mit Ruhe empfehlen zu können‘. Dieselben Papiere werden heute als ‚sehr festliegend und steigerungsfähig‘, in vierzehn Tagen als ‚gefährdet‘ und abermals in drei Wochen als ‚besonders gesund und steigerungsfähig‘ angepriesen oder verdächtigt. Immer aber erscheint im Hintergrunde die ‚haute finance‘ als die mystische, indessen vom Briefschreiber vollständig durchschaute Gottheit, deren verschlungenen Wegen ich nur andächtig nachzuwandeln brauche, um schnell und sicher reich zu werden.

Schnell und sicher! Der geschäftskundige Leser wird keinen Augenblick im Zweifel sein, daß der in eignen Angelegenheiten zumeist am wenigsten geschäftskundige Beamte, auf den es der gute Freund in erster Linie abgesehen hat, zwar nicht immer schnell, aber ganz sicher seine kleinen sauer zurückgelegten Ersparnisse vermindert und aufgerieben sehen wird. Der Briefwechsel zweier Liebenden ist freilich eine Schneckenpost gegen die Correspondenz, welche sich aus der ‚Geschäftsverbindung‘ zwischen dem guten Freunde und dir, du guter, harmloser, aber schnell reichwerdenwollender Beamter, entwickelt. Ein Brief jagt den andern; die dringliche Depesche überholt beide. Nur schade, daß auch die letztere regelmäßig zu spät kommt, denn ehe man den Auftrag, die Papiere zu verkaufen, geben kann, hat sich ihr Werth an der Börse bereits zu Ungunsten des Adressaten geändert. Der Rath des guten Freundes mag im gegebenen Falle ehrlich, er mag golden sein. Aber er hätte, als er erteilt wurde, auch schon befolgt sein müssen. Denn die ‚haute finance‘ wartet nicht, bis die Kaufs- oder Verkaufsordres des kleinen Kapitalisten aus der Provinz schweißtriefend am Börsenort angelangt und befolgt sind. Schon hat sie, ach, in ihrer unerforschlichen Weisheit einen neuen Feldzugsplan gefaßt und verwirklicht, und merkwürdiger Weise gerade das Gegentheil von dem bisherigen!

So wird der kleine Kapitalist nicht blos nervös gemacht, sondern auch ausgehöhlt durch die tropfenförmigen Porti, Telegrammgebühren, Provisionen, Depositalgebühren und Auslagen des guten Freundes, der doch auch leben will, schlimmer freilich noch durch die gießbachartigen Zinsverluste, Coursweichungen und Zubußen bei Zeitgeschäften. Der arme Mann führt sehr drastisch an sich selbst die schöne Geschichte von Hans im Glück auf, und mag zusehen, was er für seinen kleinen, aber gediegenen Goldklumpen (gelbe Doppelkronen oder biedere Staatspapiere) dereinst vom guten Freunde zurückerhalten wird.

Aber, sagt hier der gütige Leser, warum soll nicht ein Jeder mit seinem Pfunde wuchern oder es vergeuden dürfen, wie es ihm gefällt? Was kümmert’s uns, wenn und wie ein Beamter reich oder arm wird?

Gestatte man mir nur soviel Worte, als man Seiten darüber schreiben könnte, wie sehr das allgemeine Wohl und darum auch du, lieber Leser, bei diesem Dinge betheiligt ist.

Zuerst giebt’s nicht zum Spaße einen ‚landesüblichen Zinsfuß‘, eine Grenze des Gewinns, über welche hinaus normal und auf die Dauer das bloße Wuchernlassen von Capital – vom Kaufmann, der mit seinem Gelde arbeitet, ist hier keine Rede – nicht führen kann und daher, meine ich, auch nicht führen darf; am wenigsten in der Hand des Beamten, der sich das öffentliche Vertrauen durch strengste und meinetwegen philiströse Rechtschaffenheit tagtäglich neu verdienen muß. Sucht dieser, anstatt bei sicherster Anlage vier, durch Börsenspeculation acht oder zwölf Procent aus seinem Pfunde herauszuschlagen, so ist er noch lange kein Wucherer. Aber, ohne es zu ahnen, steht er auf der ersten Stufe der Leiter, die in den Sumpf und die moralische Verderbniß des Wuchers hinabführt.

Nimmt nun die Sache den üblen Verlauf, wie wir oben sahen, so haben wir Beamte, die in ihrem Alter nichts haben und bei ihrem Tode nichts hinterlassen, als den Gnadengehalt, den der Staat ihnen oder den Ihrigen verheißen hat, das heißt: zu viel zum Verhungern, zu wenig zum anständigen Leben und gerade genug, daß das fatale Beamtenproletariat um eine neue Sippe vermehrt wird. Und doch gehören diese noch zu den Glücklichen, die den Ihrigen als bestes Erbtheil einen unbefleckten Namen zurücklassen.

Aber kennt ihr nicht die zahllosen Fälle aus Gerichtsverhandlungen und mehr noch aus eurer eigenen Umgebung, wo ein Beamter durch die Aufregung und Mühelosigkeit des Speculirens die Lust an ernster und strenger Berufs- und Geistesarbeit verloren, den schnell errafften Börsengewinn noch schneller in gemeinem Hazardspiele oder in Luxus über seine Kräfte hinaus vergeudet und, wenn dann die Verluste kamen und der klaffende Spalt wieder aufzufüllen war, in Angst und Bedrängniß die anvertraute Casse erst vorübergehend und dann gründlich angegriffen oder sonst sich zu Mißbrauch des Amtes oder gar zu Fälschung hat hinreißen lassen? Und er war doch ein rechtschaffener, von liebevollster Sorge für die Seinen erfüllter, nur leider nicht ein geschäftskundiger Hausvater!

Daß die Zahl solcher Beamtencarrièren nicht vermehrt und daß die Unantastbarkeit des deutschen Beamtenstandes erhalten werde, ist eine Angelegenheit des ganzen Volkes. Und wenn diese Zeilen in Etwas dazu beitragen, einen oder den andern Empfänger jener Briefe stark und kalt zu machen gegen die Lockungen des guten Freundes, dann ist ihr ganzer Zweck erfüllt.

„Auch mit deinen Ersparnissen bleibe im Lande, Beamter, und nähre Dich redlich!“