BLKÖ:Willmann, Otto Philipp August
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 56 (1888), ab Seite: 191. (Quelle) | |||
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Amos Comenius, der Verfasser des „Orbis pictus“ und der „Didactica magna“, das Rectorat bekleidete. 1854 bezog Willmann die Universität Breslau. Anfänglich dem Studium der Mathematik sich zuwendend, vertauschte er dasselbe schon nach einem Jahre mit jenem der Philosophie und der Philologie, welches er von Ostern 1859 in Berlin fortsetzte. Daselbst waren auf die Richtung seiner Studien besonders die Philosophen Trendelenburg und Steinthal und die Philologen Boeckh und Albrecht Weber von bestimmendem Einfluß. 1862 erlangte er die philosophische Doctorwürde und gab bei dieser Gelegenheit die Inauguraldissertation „De figuris grammaticis“ heraus, worin die grammaticalischen Figuren mit den Lautveränderungen verglichen und nach diesem Gesichtspunkte systematisirt werden. Nachdem er 1863 in Berlin das Staatsexamen für das höhere Lehramt bestanden hatte, begab er sich im Herbste dieses Jahres, um die Herbart’sche Philosophie und Pädagogik näher kennen zu lernen, nach Leipzig, wo er in das im ersten Aufstreben begriffene pädagogische Seminarium Ziller’s und in den Lehrkörper der Erziehungsschule, eines von Ernst Barth im Sinne Ziller’s geleiteten Gymnasialinstitutes eintrat. Aus seiner Thätigkeit an diesen Anstalten gingen seine beiden ersten Schriften hervor: „Die Odyssee im erziehenden Unterrichte“ (Leipzig 1868, 8°., IV u. 256 S.) und die „Pädagogischen Vorträge über die Hebung der geistigen Thätigkeit durch den Unterricht“ (Leipzig 1869, 8°., X u. 134 S.; 2. Aufl. 1886). Aus der ersteren Schrift erwuchs sein verbreitetes „Lesebuch aus Homer“ (1869 und öfter), dem sich das [192] „Lesebuch aus Herodot“ (1872 und öfter) anschloß. Bald sollte sich ihm Gelegenheit bieten, selbständig und auf neuem Boden die Unterrichtsgrundsätze des Ziller’schen Kreises anzuwenden; er wurde nämlich 1868 zum Ordinarius des in Wien errichteten städtischen Pädagogiums zur Fortbildung der Volksschullehrer und zum Oberlehrer der damit zu verbindenden Uebungsschule ernannt. In dieser Stellung wirkte er drei und ein halbes Jahr in verdienstlichster Weise mit Eifer und Erfolg, obwohl der Geist, welcher damals in der Anstalt herrschte, nicht derart war, daß er stille ernste Arbeit begünstigt hätte. Adolf Kolatschek in seiner in den Quellen genannten Schrift gibt eine ungemein lehrreiche Darstellung der Hindernisse, welche sich Willmann in dieser Anstalt entgegenstellten und von keinem Geringeren ausgingen, als von dem Director der Anstalt selbst, von Dr. Dittes, der, wie wir aus Kolatschek’s Buche (S. 51) erfahren, dem Doctor Willmann abträglich gesinnt war und dieser Gesinnung, so wenig pädagogisch ein solcher Vorgang erscheinen mag, bei jeder Gelegenheit, die sich ihm darbot, Ausdruck zu geben versuchte. Doch vermochte dieses wenig collegiale Vorgehen weder Willmann’s pädagogische und Lehrtätigkeit in genannter Anstalt ernstlich zu beeinträchtigen, noch die Aufmerksamkeit der maßgebenden Persönlichkeiten von ihm abzulenken, denn schon im Frühjahr 1872 erfolgte durch den Minister des Unterrichts, Herrn von Stremayr, Willmann’s Berufung als außerordentlicher Professor der Philosophie und Pädagogik nach Prag. Daselbst verband unser Gelehrter, um die Lehrvorträge den Bedürfnissen der Studirenden näher anzupassen, mit den Vorlesungen pädagogische Uebungen zunächst theoretischer Natur, aus welchen das im Herbste 1876 ins Leben getretene pädagogische Seminar sich entwickelte, die erste derartige Anstalt in Oesterreich. Die Seminarübungen hatten dadurch, daß denselben fast durchwegs einzelne Mittelschullehrer anwohnten, eine gewisse Fühlung mit der Schulpraxis; durch die 1887 erfolgte Einführung von praktischen Uebungen an dem Gymnasium, welchem Dr. J. Walter als Director vorstand, kam das praktisch methodische Element zu weiterer Geltung. Indessen unterbrach Willmann seine schriftstellerische Thätigkeit nicht, richtete aber in derselben sein Augenmerk zunächst darauf, für das akademische Studium Hilfsmittel herzustellen, um dadurch jene Disciplinen in dem Kreise der Universitätswissenschaften einzubürgern. Diesem Zwecke dient seine Ausgabe von J. Fr. Herbart’s „Pädagogischen Schriften in chronologischer Reihenfolge“, 2 Bände (Leipzig 1873–1875), welche er mit Einleitung, Anmerkungen und comparativem Register versah und worin er sich als gründlicher Kenner der Herbart’schen Pädagogik bekundete; dann die Wiederausgabe von Kant’s „Schrift über Erziehung“ und von Th. Waitz’s „Allgemeiner Pädagogik und kleineren pädagogischen Schriften“ (Braunschweig 1876 und 1883). Seine eigenen Anschauungen aber legte er dar in dem Werke: „Didaktik als Bildungslehre nach ihren Beziehungen zur Socialforschung und zur Geschichte der Bildung“ I. Band (Braunschweig 1882, Vieweg, XV u. 421 S.), in welchem er die geschichtlichen Typen des Bildungswesens, also eine gesammte Geschichte der Erziehung von ihren ersten Anfängen bis auf die neueste Zeit gibt, wie K. A. Schmid in seiner „Geschichte [193] der Erziehung“ schreibt, ebenso mit umfassendster Sachkenntniß und Zuverlässigkeit im Einzelnen, als kritischer Sichtung und geistiger Beherrschung des reichen Materials, so daß die bis jetzt vorliegende Literatur über das Gesammtgebiet der Erziehungsgeschichte in seiner Arbeit zwar selbstverständlich noch keinen Abschluß bildet, wohl aber zu weiterer Forschung anregt. Diesem ersten methodischen und historischen Theile soll ein zweiter folgen, welcher die Analyse der Bildungsarbeit nach deren Zwecken, Inhalten, Formen, Veranstaltungen und Beziehungen zur Aufgabe hat. Willmann befürwortet die engste Verknüpfung des Gymnasiums mit der Universität, besonders durch Erneuerung des philosophischen Unterrichtes; ferner die Sichtung des Lehrstoffes auf Grund der Unterscheidung der fundamentalen Bildungsmittel (Religionslehre, Philosophie, Mathematik, Philologie) und der accessorischen (Geschichte, Geographie und Naturkunde), ferner die Concentration des Lehrstoffes unter religiös sittliche Gesichtspunkte, endlich die Erneuerung der alten Stufenfolge: Sprachlehre, Mathematik, Philosophie. Die Fachkritik hat sich bisher einstimmig ebenso über den pädagogisch-philosophischen Vorgang, den er in seiner Methode beobachtet, wie über die Gediegenheit seiner in dieser Richtung bisher veröffentlichten Schriften ausgesprochen. Ein wahres Glück aber war es für ihn, daß das österreichische Unterrichtsministerium die ganze Bedeutung des jungen gelehrten Pädagogen erkannte und ihn durch die Berufung auf einen selbständigen Posten der von Kolatschek gezeichneten ungesunden Dittes’schen Sphäre entzog, für die Zwecke aber, welche es verfolgte, einen Mann gewann, dem es schon jetzt an Stelle autodidaktischer probirender eine stattliche Anzahl geschulter, auf wissenschaftlicher Grundlage ihr verantwortliches Amt ausübender Pädagogen verdankt. Willmann wurde 1877 zum ordentlichen Professor und darauf zum Mitgliede des k. k. Landesschulrathes für Böhmen ernannt, welch letzterem er bis 1883 angehörte. Ueberdies ist er Director des pädagogischen Seminars in Prag und Mitglied der k. k. wissenschaftlichen Staatsprüfungscommission für das Gymnasiallehramt in Prag.
Willmann, Otto Philipp August (Schulmann, geb. zu Polnisch-Lissa in Posen am 24. April 1839). Seine Eltern, katholischer Confession, stammten aus Schlesien. Der Vater war Director des Lissaer Gerichtes; die Vorfahren der Mutter, einer geborenen Schiller, waren durch mehrere Geschlechterfolgen Beamte des Breslauer Domcapitels gewesen. Zehn Jahre alt, trat der Knabe in das Gymnasium seiner Vaterstadt ein, eine Anstalt, welche 1555 die nach ihrer Vertreibung daselbst eingewanderten „böhmischen Brüder“ gegründet hatten, und an welcher 1627 der berühmte- Dumreicher. Verwaltung der Universitäten u. s w., S. 16. – Kolatschek (Adolf). Das Wiener Pädagogium in den Jahren 1868–1881 (Leipzig 1886, Georg Reichardt, 8°.) [an mehreren Stellen dieses Werkes, welches die wahre Wirksamkeit des seit zwei Jahrzehnten in den nimbusartigen Nebel der Reclame gehüllten Institutes darstellt, finden sich Aufschlüsse über Willmann und seine Verdienste als Pädagog). – Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung, 1882, Nr. 75, S. 454. – Wissenschaftliche Monatblätter. Herausgegeben von Oskar Schade. III. Jahrg., 1875, Nr. 1. – Schmid (K. A). Geschichte der Erziehung (Stuttgart 1884, 8°.) Bd. I, S. 26. 27.