Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 51 (1885), ab Seite: 317. (Quelle)
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Vraz, Stanko (slovenisch-croatischer Poet, geb. zu Čerovec, einem slovenischen Dorfe in Untersteiermark an der ungarisch-croatischen Grenze, am 30. Juni 1810, gest. in Agram 24. Mai 1851). [318] Er hieß eigentlich Jacob Fras. Den deutschen Familiennamen slavisirte er in Vraz. Stanko aber ist die Slovenisirung des Namens Constantin, den er bei der Firmung erhielt. Das Gymnasium besuchte Vraz zu Marburg, und nachdem er es beendet hatte, bezog er die Hochschule Gratz, an welcher er acht Jahre zubrachte, ohne zu einem eigentlichen Abschlusse seiner Studien – er betrieb anfangs mathematische, später rechtswissenschaftliche Disciplinen – gelangen zu können. Schon 1846 begann er auf dem Gebiete der slovenischen Literatur thätig zu sein, trat auch, noch Student, in Beziehungen zu Ljudivit Gaj [Bd. V, S. 58], dem eigentlichen Begründer des croatischen Illyrismus und der neueren croatischen Literatur, dann zu dem Abte Krizmanić, welcher Milton’s „Verlorenes Paradies“ in seine Muttersprache übersetzt hatte und zu jener Zeit als Nestor der croatischen Literatur galt. In der Zwischenzeit, 1837–1840, sammelte er sorgfältig slovenische Volkslieder und durchwanderte zu diesem Zwecke Kärnthen, Krain, Steiermark und Ungarn. 1838 übersiedelte er, mit dem Entschlusse, sich ganz der Literatur zu widmen, nach Agram. Jahre vergingen, ohne daß es ihm gelang, eine feste Anstellung zu finden, er schrieb daher in illyrischer Sprache und unterstützte Gaj, als dieser die Zeitschrift „Danica“, d. i. Der Morgenstern, herausgab. Aus einem Schreiben des Dichters an Prešern [Bd. XXIII, S. 267] ddo. Gratz 19. November 1837 erfahren wir, wie sich diese Wandlung vom Slovenen zum Croaten vollzog. „Ich habe“, schreibt Vraz, „mich seit dem verflossenen Frühjahre vom undankbaren Felde, das ich fünf Jahre mit aller Liebe bebaute, zurückgezogen, um nicht wieder zurückzukehren. Mit dem Slovenismus habe ich es abgethan, zumal ich auf meiner letzten Reise alle meine Schriften, die ich vom Jahre 1832–1836 im Slovenischen besaß, verlor. Seit vorigem Jahre (1836) schreibe ich nur illyrisch“. Endlich, 1846, fiel auf ihn die Wahl zum Secretär der Agramer Matica – Name einer literarischen Gesellschaft, welcher sich alsbald auf ähnliche Vereine anderer slavischer Idiome verpflanzte – in welcher Eigenschaft er auch die Redaction der croatischen Zeitschrift „Kolo“ – Name eines slavischen Rundtanzes – übernahm. An der Herausgabe dieser letzteren betheiligten sich für die ersten drei Bände 1842 und 1843 Vukotinovic und Dragotin Rakoveć [Bd. XXIV, S. 361]; den vierten bis zum achten (letzten) 1850 gab Vraz ganz allein heraus. Im Jahre 1845 ging er für einige Zeit nach Prag, um sich an Ort und Stelle mit der čechischen Literatur vertraut zu machen; auch legte er dort die letzte Feile an seine Liedersammlung „Gusle i tambure“, die dann daselbst herauskam. Das Jahr 1848 rüttelte auch ihn aus seinen poetischen Träumereien, nicht nur daß er den regsten Antheil an der Bewegung überhaupt nahm, er betheiligte sich auch persönlich an derselben, freilich nur in friedlicher Weise, indem er die Croaten und Slovenen auf dem Slavencongreß zu Prag vertrat. Daselbst stand er bereits in so hohem Ansehen, daß man ihn zum ersten Vicepräsidenten des Congresses ernannte. Der Keim des Leidens, den er seit Jahren in sich trug, begann sich nun rascher zu entwickeln, und im besten Mannesalter von 41 Jahren wurde Vraz vom Tode dahingerafft. Seiner journalistischen Thätigkeit haben wir bereits gedacht, er gab [319] überdies einige poetische Werke heraus, deren Titel sind: „Narodne pěsme ilirske koze se pěvaju po Štajerskoj, Kranjskoj, Koruškoj i zapadnoj strani Ugarske“, d. i. Illyrische Nationallieder, wie solche im Steirischen, Krainischen, Kärnthnerischen und im Süden Ungarns gesungen werden (Agram 1839, 8°., XXXI und 204 Seiten); – „Djulabje, ljubezne ponude za ljubicu“, d. i. Rosenäpfel. Eine Liebesgabe für die Geliebte (Agram 1841, L. Gaj, 8°., 138 S.); – „Glasi z dubrave žeravinske“, d. i. Töne aus dem Zeraviner Walde (Agram 1841, L. Gaj, 8°., 138 S.), und „Gusle i tambure“, d. i. Geigen und Tamburinen (Prag 1845, 8°., 147 S.). Nach seinem Tode gab die Matice ilyrska seine gesammten Dichtungen in vier Bänden (1861), zweite Auflage 1864, heraus, welchen ein fünfter folgen sollte, zusammengestellt aus seinem reichen literarischen Nachlaß, der sich bei der Matice vorgefunden hat. Derselbe enthielt eine Menge Original- und übersetzte Arbeiten und überdies die größere Abhandlung: „Ueber die Nationaltrachten der Slovenen“. Unter seinen Uebersetzungen finden sich deren aus allen europäischen Literaturen. Die slavischen Literarhistoriker stellen Vraz sehr hoch, sie gaben ihm einen Platz unter den ersten slavischen Poeten und räumen ihm große Verdienste um die Entwicklung der croatischen Literatur ein. Als Erotiker steht er unbedingt hoch, wenngleich es den Anschein hat, als habe er in seinen Liebesgedichten (Rosenäpfel) bei Saphir’s „Wilden Rosen“ manche Anleihe gemacht. Auch als epischer Dichter versuchte sich Vraz, und seine Balladen und Romanzen sind ziemlich volksthümlich geworden. Daß er sich auch mit den romanischen Literaturen bekannt machte und einige schönere Stücke daraus übertrug, kam nur seinen eigenen Dichtungen zu Statten, weil er dadurch in nicht geringem Maße seinen Styl rundete, denn seine Thätigkeit als slovenischer Poet begann er eben mit Uebersetzungen einiger Sonette Petrarca’s, verschiedener spanischer Poeten und einzelner Dichtungen Lamartine’s. Wissenschaftlichen Werth, namentlich für Forscher im Gebiete des slavischen Volksliedes, besitzt seine oberwähnte Sammlung „illyrischer“ Volkslieder, wie er dieselben in Krain, Kärnthen, Steiermark und im südlichen Ungarn unmittelbar aus dem Volksmunde hörte. Durch diese Sammlung kam er auch in brieflichen Verkehr mit Anton Alexander Grafen Auersperg (Anastasius Grün), der sich selbst mit slovenischen Volksliedern und einer Uebertragung derselben ins Deutsche beschäftigte. Aber die Correspondenz endete mit einer Dissonanz, was bei Vraz’s keineswegs anmuthender Gemüthsart nicht gerade Wunder nimmt. Am 8. September 1880 fand in unseres Schriftstellers Geburtsorte Čerovec ein Erinnerungsfest statt, indem an jenem Hause, in welchem er als Sohn schlichter Landleute das Licht der Welt erblickte, eine Gedenktafel mit Angabe seines Geburts- und Sterbetages enthüllt wurde. Dieser Feier folgte ein Symposion, ein Festconcert u. s. w. in Friedau, einem steirischen Städtchen, wobei es zu einer Verbrüderung zwischen den anwesenden Slovenen und Croaten kam. Eine politische Demonstration jedoch, auf welche es bei dieser Enthüllungsfeier vielleicht abgesehen war, unterblieb, weil die eigentlich tonangebenden Persönlichkeiten in Agram und Laibach nur durch ihre Abwesenheit glänzten. Des Stanko Vraz’ Dichterruhm kommt durch den [320] Umstand, daß er als Slovene croatisch schrieb, nicht zur eigentlichen Geltung, denn weder die Croaten noch die Slovenen können ihn ganz den Ihrigen nennen, überdies erscheint er den Letzteren als Abtrünniger, den Ersteren als eingepfropftes Reis. Erst in einem Königreiche Slovenien, das sich mit Annexion croatischer Gebietstheile zu bilden anstrebt, wird der Dichter Stanko Vraz die Stelle einnehmen, die ihm nationale Eifersucht bis nunzu nicht einräumen will.

Ilirska čitanka za gornje gimnazije. Knjiga druga, d. i. Illyrische Chrestomathie für Obergymnasien. Zweiter Theil (Wien 1860, k. k. Schulbücher-Verlag, gr. 8°.) S. 133 bis 149. – Bleiweis (J. Dr.). Koledarček slovenski za navadno let 1855, d. i. Slovenischer Kalender auf das Jahr 18553 (Laibach, 12°.) S, 27–32 Biographie von Davorin Terstenjak. – Prager Zeitschrift 1852, Nr. 21. – Slavische Blätter. Illustrirte Monatshefte für Literatur, Kunst und Wissenschaften... der slavischen Völker. Herausgegeben und redigirt von Abel Lukšič (Wien, 4°.) I. Jahrgang (1865) S. 258: „Deutsche Uebersetzungen einiger Gedichte von Stanko Vraz“.
Porträt. Unterschrift: Facsimile des Namenszuges: „Stanko Vraz“ (12°.); auch im obengenannten „Koledarček“ von Dr. Bleiweis.