BLKÖ:Sommerfeld, Wilhelm

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Sommer (Caplan)
Band: 35 (1877), ab Seite: 291. (Quelle)
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Sommerfeld, Wilhelm (Publicist, geb. zu Königsberg in Preußen im Jahre 1822, erschoß sich selbst in Wien 6. Juni 1874). In Königsberg machte S. seine Studien und war ein Schüler von Karl Rosenkranz. Dann betrat er die juridische Laufbahn und gehörte als Regierungsassessor zu den hervorragenden Mitgliedern der Fortschritts-Partei. Nachdem er sich an der Bewegung des Jahres 1848 betheiligt, hatte er dafür in der Festung Spandau gebüßt. Seiner Haft entlassen, war seines Bleibens nicht länger in Preußen, er begab sich nach Oesterreich und zunächst nach Pesth. Dort diente er im Anbeginne als Secretär der Pesther Handelskammer, dann als Professor an der Handels-Akademie, war aber zugleich als Publicist auf national-ökonomischem Gebiete thätig. Nachdem ihn, wie die „Allgemeine Zeitung“ in dem ihm gewidmeten Nachrufe schreibt, „aus Pesth das nationalitätstrunkene Magyarenthum verjagte“, wandte er sich nach Wien, wo er die Stelle eines Secretärs des Vereins für volkswirthschaftlichen Fortschritt, den Graf Kinsky zur Förderung seiner Candidatur für das Finanzportefeuille gegründet hatte, einnahm. Als seine Grundsätze mit denen der Majorität des genannten Vereines nicht mehr harmonirten, legte er diese Stelle nieder und gründete in Gemeinschaft mit Franz Freiherrn von Sommaruga [S. 284] und dem damaligen Professor und nachmaligen Minister Schäffle [Bd. XXIX, S. 54] die volkswirthschaftliche Wochenschrift: „Oesterreichischer Oekonomist“, deren Redaction er übernahm und mit seltenem Mannesmuth, da er gegen die in Finanzkreisen beginnende Corruption energisch auftrat, führte. Mit scharfer und gewandter, aber auch schonungsloser Feder geißelte er die Auswüchse auf nationalökonomischem Gebiete, sein entschiedenes Auftreten gegen den damaligen Minister des Aeußern in der bekannten Türkenlos-Affaire zog ihm von Seite eines im Solde dieses Staatsmannes stehenden Blattes gemeine Ehrangriffe zu, gegen welche er den Schutz des Gerichtes anrufen mußte, das ihm auch durch die Geschworenen volle Genugthuung gewährte. Seither kämpfte er, wie alle ehrlichen Publicisten, nur wenig vom Publikum unterstützt, wacker, unermüdet und unerschrocken gegen Corruption und Schwindel, von welchen bald alle Kreise der Gesellschaft angesteckt waren. Man muß in jener Zeit gelebt, das Hasten der [292] Menge nach ohne Mühe – durch sogenannte Luftkäufe – gewonnenen, aber unter allen Umständen unreellen und unsittlichen Erwerb beobachtet und den Kampf der Leidenschaften in unmittelbarer Nähe gesehen haben, um das mannhafte Ringen dagegen eines Mannes wie Sommerfeld in seiner ganzen Größe und Bedeutung zu würdigen. Zwei Jahre vorher hatte er in seinem Blatte den großen Krach angekündigt, zwei Jahre hindurch gewarnt, mit selbstischer Aufopferung unablässig Ehrenbeleidigungs- und Verläumdungsklagen provocirt, um den Beweis der Wahrheit antreten zu können und sich, als alles vergeblich war, selbst als beleidigt angestellt, um die Manipulationen des obenerwähnten Staatsmannes vor das Forum der gerichtlichen Oeffentlichkeit zu bringen. Aber als er, was er gewollt, erreicht, siegte das Herz über den Verstand. Mit Ablehnung aller Anerbietungen ließ er sich im entscheidenden Momente herbei, den Namen des Staatsmannes außer Spiel zu lassen, wodurch begreiflicherweise dem Processe vor den Geschworenen die Spitze abgebrochen ward. Als dann der Krach erfolgte, wurde auch sein Blatt schwer getroffen und es wurde ihm unmöglich vom Ertrage seiner Feder zu leben. Da gab ihm die bevorstehende Weltausstellung neuen Schwung und er versuchte es mit einer Erfindung: mit jener der Egon’schen Wagenfedern, welche z. B. bei Eisenbahnwagen, sogar bei Lastwagen jeden Stoß abschwächen. Er hatte darauf alle seine Hoffnung gesetzt. Aber nicht er sollte den Nutzen davon haben. Nachdem er alle Opfer gebracht, sah er sich um die Frucht betrogen. „E- und Andere“, schreibt Sommerfeld einige Tage vor seinem Selbstmord, „werden an demselben Unternehmen reich werden, an dem ich zu Grunde gegangen“. S. hatte nicht nur sein eigenes kleines Vermögen in diese Unternehmung geworfen, sondern auch von Freunden ansehnliche Summen zu diesem Zwecke entlehnt, für welche er haftbar blieb. Als alle erwarteten Erfolge ausblieben und er seine Verbindlichkeiten einlösen sollte und nicht konnte, verließ den sonst so muthigen Kampfer die moralische Kraft und er nahm sich selbst das Leben. In einem zurückgelassenen Schreiben bezeichnete er zerrüttete Vermögensverhältnisse als Anlaß zu seinem verzweifelten Schritte. „Eine edle und vortrefflich angelegte Natur hat sich gewaltsam von uns losgerissen“, schreibt die Allgemeine Zeitung. „Hochgespanntes Ehrgefühl ohne die Beigabe praktischer Routine hat einen bedeutenden Menschen in die Wirbel der Verzweiflung gezogen, so daß er zuletzt nicht mehr mit vollem ungetrübten Bewußtsein zu handeln vermochte. Den satten Göttern dieser Erde bleibe das billige Nasenrümpfen. Wer aber Menschengeist versteht und Menschenschicksal begreift, der wird Sommerfeld mit einer bittern Thräne nachtrauern“.

Allgemeine Zeitung (Augsburg, Cotta, 4°.) 1874, 27. Juni, Nr. 178, S. 1779. – Schramm-Macdonald (Hugo Dr.), Die Urne. Jahrbuch für allgemeine Nekrologie (Leipzig 1876, C. G. Thiele, 8°.) II. Jahrgang (1874), S. 78.