Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Sitte, Franz
Band: 35 (1877), ab Seite: 35. (Quelle)
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Sitte, Camillo (Architekt, geb. in Wien am 17. April 1843). Einziger Sohn des Architekten Franz Sitte [s. d. Folg.]. Besuchte nach Beendigung des Gymnasiums in der Wiener Josephstadt das k. k. Polytechnicum[WS 1] in Wien und die von Architekt Professor Ferstel daselbst geleitete Bauschule. Gleichzeitig hörte er von 1863 bis 1868 die archäologischen und kunstgeschichtlichen Vorträge an der Wiener Universität als ordentlicher Hörer der philosophischen Facultät, und betheiligte sich hier besonders an allen durch Hofrath E. von Eitelberger geleiteten praktischen Uebungen, Vorarbeiten zur Quellenschriftsteller-Ausgabe u. s. w. Eine in den Grundzügen während dieser Zeit bereits festgestellte ästhetische Untersuchung über alle diejenigen Erscheinungen im Gebiete der bildenden Künste, deren Wurzel in den physiologischen Verhältnissen des Sehens zu suchen und das Bestreben auch die Zeichnung und Modellirung der menschlichen Figur zu erfassen, führten ihn am Ende dieser Studienzeit noch an die medicinische Facultät, an welcher er durch drei Winter-Semester an den Secirübungen unter Leitung Hyrtl’s theilnahm. Die praktische Ausbildung im Bauwesen erhielt er durch seinen Vater, in dessen Atelier er von frühester Jugend an beschäftigt war. In den Jahren von 1869 bis 1875 ging er zweimal nach Oberitalien und viermal nach Deutschland, das Ziel dieser Studienreisen waren die architektonischen Meisterwerke Oberitaliens und der deutschen Renaissance, sowie die Kunst-Sammlungen von München, Dresden, Berlin, Stuttgart, Venedig u. s. w. Unter seinen ausgeführten architektonischen Werken verdient die in den Jahren 1873 und 1874 erbaute Mechitaristenkirche in Wien besondere Erwähnung. Sie erregte nicht gewöhnliche Aufmerksamkeit in den Wiener Kunstkreisen durch den Umstand, daß sie nicht gothisch, sondern frei und heiter in deutscher Renaissance durchgeführt ist und plastische, malerische und architektonische Wirkung zu einem untrennbaren Ganzen schon in den Grundzügen vereinigt erscheinen. Dieses Werk trug dem Erbauer den ehrenvollen Antrag zu Entwürfen des Raimundtheaters [36] ein, dessen Bau eben beabsichtigt wurde. Die Pläne hiezu fanden allgemeinen Beifall, aber die Ausführung unterblieb in Folge der eingetretenen Börsenkrise und des daraus folgenden Rückganges aller Unternehmungen. Außer einer Anzahl kleinerer Bauarbeiten, vollendete S. in dieser Zeit eine bedeutende Anzahl von Original-Aufnahmen architektonischer und kunstgewerblicher Gegenstände für das k. k. österr. Museum für Kunst und Industrie in Wien, von welchen mehrere in Bucher und Gnauth’s „Kunsthandwerk“ mitgetheilt sind und für die k. k. Central-Commission zur Erhaltung der Baudenkmale. Mit diesen Aufnahmen Hand in Hand gingen Entwürfe zu kunstindustriellen Gegenständen, Miniatur-Malereien und Radirungen, von welchen einige als Tafeln zu Dr. Lippmann’s Werk „Ueber chinesische Emailvasen“ enthalten sind. Seine künstlerischen Ansichten vertritt S. auch mit der Feder und kann als künstlerisches Glaubensbekenntniß die 1875 bei Guttmann in Wien erschienene Broschüre: „Richard Wagner und die deutsche Kunst“ gelten. Kleinere kunstgeschichtliche Studien erschienen in den Wiener Tagesblättern. So: „Ueber Genelli“ [Wanderer 1869, 17. u. 27. April), „Mackart“ [Tagespresse 1871, 19. August]. Ferner im Tagblatt von 1871 bis 1875: „Das Inquisitionsgericht von Kaulbach“; – „Scaramuzza’s Dante-Illustration“; – „Die Sensationsvenus von Schlösser“; – „Die Gallerie Gsell“; – „Die vierte internationale Ausstellung im Künstlerhause“; – „Mateyko“; – „Thetis und Peleus von Schlösser“; – „Hoffmann’s Landschaften“; – „Die komische Oper“; – „Die Familie Alt“; – „Gottfried Semper“; – „Hildebrand’s Reise um die Welt“; – „Unter Platonikern“; – „ Führich und Dombaumeister Schmidt“. Eine andere u. z. neue Thätigkeit begann mit dem Jahre 1875 durch Annahme einer Berufung zur Organisation der k. k. Staatsgewerbeschule in Salzburg. Diese Anstalt, welche aus einer baugewerblichen und kunstgewerblichen Abtheilung besteht, wurde durch S., welcher als Vorstand gegenwärtig dieselbe leitet, ganz neu eingerichtet und erfreut sich jetzt (nach zwei Jahren) bereits eines ausgezeichneten Rufes und starken Besuches: 450 Schüler, darunter Abiturienten der Realschule, Bauzeichner, Baumeister, Poliere u. s. w., welche von 25 Lehrern den Unterricht erhalten. Von seinen zahlreichen öffentlichen Vorträgen während dieser Zeit sind gedruckt erschienen: „Ueber Zweck und Nutzen des gewerblichen Unterrichtes“ (Salzburg 1876, Dieter, gr. 8°.); – „Die Lehrmittel des gewerblichen Unterrichtes“ [Salzburger Zeitung, April 1875]; – „Die gegenwärtige Lage des Bau- und Kunstgewerbe-Unterrichtes in Deutschland und Oesterreich“ [Salzburger Zeitung, November 1875]; – „Die Ledergalanterie seit der Pariser Weltausstellung“ u. m. A. Größere Arbeiten liegen druckbereit, wie z. B. eine „Geschichte des perspectivischen Zeichnens“, in welcher zum ersten Male die Geschichte der Perspective aus den Monumenten heraus dargestellt ist. Auch hat er die Vorarbeiten zu einem Majolika-Service vollendet, auf welchem die „Meistersinger von Nürnberg“ vollständig zur Illustration kommen sollten.

Jahresbericht des k. k. Ministeriums für Cultus und Unterricht für 1875 und für 1876. – Deutsche Zeitung (Wiener polit. Blatt) 1874, 8. März. – Neues Wiener Tagblatt 1873, 1. October: „Ueber die Entwürfe des Raimund-Theaters“, von Petz. – Neue freie Presse 1874, 4. Juli: „Ueber die Mechitaristen-Kirche“. Von A. Ilg. – Dieselbe 1875, 21. August: „Ueber die Salzburger Bau- und Kunstgewerbeschule“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Politechnicum.