BLKÖ:Selinger, Engelbert Maximilian

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Selinger
Band: 34 (1877), ab Seite: 54. (Quelle)
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Selinger, Engelbert Maximilian (Schriftsteller, geb. zu Sternberg in Mähren 13. October 1802, gest. um 1854). Die Gymnasialclassen besuchte S. zu Kremsier, die philosophischen und juridischen Studien beendete er an den Hochschulen zu Olmütz und Wien. An letzterer erlangte er im Jahre 1827 die juridische Doctorwürde. Nun seinem Drange, die Well zu sehen, folgend, unternahm er eine längere Reise, auf welcher er einen großen Theil der Schweiz, ganz Deutschland und Italien besuchte. Nach seiner Rückkehr ließ er sich in Olmütz häuslich nieder und nahm daselbst die Advocatenpraxis. Da ihm aber diese Beschäftigung auf die Dauer nicht zusagte, begab er sich nach Wien, um sich dort dem Lehramte zuzuwenden, erhielt auch im Jahre 1829 provisorisch die Lehrkanzel der juridisch-politischen Wissenschaften an der k. k. orientalischen Akademie [55] und stand außerdem als Supplent und Adjunct durch mehrere Jahre in Verbindung mit der Wiener Hochschule, die er aufgab, nachdem er im Jahre 1836 an der genannten Akademie zum wirklichen Professor der bezeichneten Gegenstände ernannt worden war. Indem Selinger’s schriftstellerische Thätigkeit weiter unten eingehende Würdigung finden soll, verfolgen wir hier weiter seinen äußeren Lebenslauf. Seine Zuverlässigkeit im Lehramte hatte ihm eine Censorstelle eingebracht, welche er bis zum Jahre 1848 versah, in welchem er, als die Wahlen für den österreichischen Reichstag ausgeschrieben wurden, in seinem Geburtsorte Sternberg zum Reichstags-Abgeordneten gewählt wurde. Im Reichstage selbst wäre seine parlamentarische Thätigkeit kaum beachtet worden, wenn nicht sein mit einer kleinen Anrede begleiteter Antrag vom 14. August 1848: „Der österreichischen Armee in Italien und Tirol für ihre heldenmüthige Tapferkeit und opferfreudige Vaterlandsliebe die dankbare Anerkennung des Reichstages zu votiren“ viel Staub aufgewirbelt hätte. Es war dieß auch eine Signatur der damaligen Zustände, daß es für eine sich von selbst verstehende Sache eines Antrages bedurfte, und noch mehr, daß sich über einen solchen Antrag eine Debatte entspinnen sollte. Der Aufforderung: Dank und Anerkennung ohne Debatte auszusprechen, entsprach das Centrum des Hauses mit freudiger Acclamation. Da aber die ganze Linke und von der Rechten der größte Theil der böhmischen Abgeordneten dagegen war, so nahm Selinger seinen Antrag zurück! Ein Verfahren, das den schwachen, schwankenden Mann ganz kennzeichnet. Nun aber nahm der entschlossene Abgeordnete Strasser aus Tirol den Antrag alsogleich wieder auf und es kam thatsächlich nach mehreren Wochen, nämlich am 13. September, zur Debatte. Die Frackpolen und die Demokraten der Linken ergingen sich in Betrachtungen über die Zwecklosigkeit des italienischen Krieges, über die wahre Soldatenehre, über die Gefahr, die der Freiheit von Armeen und Officieren drohe, die nicht auf die Verfassung beeidet zu politisiren beginnen und dem Reichsrathe sogar zu drohen wagen. Als der Abgeordnete Borchowski [Bd. II, S. 67] die Worte sprach: „Wenn dieselbe Armee, für welche wir jetzt eine Dankadresse votiren, vor den Thoren Wiens erscheinen und dieselbe zu uns sagen würde, was sie jetzt zu den Italienern sagt: „Eure Preßfreiheit, eure Redefreiheit ist uns gefährlich, die dürfen wir nicht dulden“ – was werden Sie dann einzuwenden haben?“ da gerieth der Kriegsminister so außer sich, daß er den Redner unterbrach. Aber dagegen erhoben sich die Rechte und die Linke. Der Selinger-Strasser’sche Antrag blieb jedoch unerledigt, denn die Ereignisse des genannten Tages, die ungarische Deputation des 19. September, die Verhandlung über die Finanzen und endlich die October-Revolution waren dazwischengetreten. Selinger’s Antrag ist nur mehr eine typographische Seltenheit, denn er erschien gedruckt als: „Rede des Abgeordneten Engelbert Selinger zu Gunsten der österreichischen Armee in Italien und Tirol. Gehalten in der Reichstags-Sitzung am 14. August 1848“ (Wien, Karl Ueberreuter, 4°., 4 S. ). Selinger wurde in Folge seines loyalen Verhaltens im Reichstage zum Director der orientalischen Akademie ernannt und erhielt später das Ritterkreuz des Franz Josephs-Ordens. Nur wenige Jahre versah S. diesen Directorsposten; eine gewisse Leidenschaftlichkeit, [56] von der er sich nie freizumachen verstand, hinderte ihn, die Leitung des ihm anvertrauten Institutes mit jener Ruhe zu führen, welche eine solche Stellung erfordert. Eine Differenz, die er zwar im Geiste der Unparteilichkeit, aber doch nicht ganz mit dem nöthigen Tacte zu schlichten versucht hatte, gab den Anlaß, daß er im August 1852 unerwartet von seinem Directorsposten entfernt, dagegen zum Sectionsrathe im außerordentlichen Dienste des k. k. Ministeriums des Aeußern befördert wurde. Nur ein paar Jahre – und diese waren durch fortdauernde Krankheit getrübt – brachte er in diesem Dienste zu. Ein übertriebener Glaube an die heilkräftige Allmacht des kalten Wassers hatte ihn zu fortgesetzten excessiven hydropathischen Experimenten an seinem eigenen Körper verführt, durch welche er seine Gesundheit völlig untergrub, sich völlige Erblindung und zuletzt einen frühen Tod zuzog, denn S. war, als er starb, 52 Jahre alt geworden. Frühzeitig hatte ihn die Literatur mit ihren Erscheinungen angezogen und ihn zu eigenen Leistungen angeregt, in welchen sich aber ein ungemein großes Selbstbewußtsein ausspricht, das mit dem Geleisteten nicht immer im gleichen Verhältnisse steht. So wurde denn schon seine Erstlingsarbeit: „Nachtstationen eines Reisenden“ (Wien 1835, Wallishausser, 8°.) von der selbst nachsichtigen Kritik der damals von Johann Schickh redigirten „Wiener Zeitschrift“ wenn nicht geradezu abgelehnt, so doch dem Autor bedeutet, daß er nichts geboten habe, was auch nur im mindesten das Maß des Gewöhnlichen überschreite. Mit etwas mehr Glück versuchte er sich auf der Bühne, wo sein dreiactiges Lustspiel: „Frauen-Emancipation“ unter dem Pseudonym Dr. Wilhelm Marchland im Josephstädtertheater Wiens zur Aufführung gelangte, sich auch einer günstigen Aufnahme zu erfreuen hatte, ohne jedoch sich auf dem Repertoire erhalten zu können. Das Hofburgtheater aber, welches er vorzugsweise in’s Auge gefaßt, blieb ihm trotz seiner freundschaftlichen und mit Hinblick auf das beiden gemeinsame Censuramt collegialen Beziehungen zu dem Vice-Intendanten Deinhardstein fortwährend verschlossen. Besser gelang es ihm in seinem Vaterlande Mähren. Im Jahre 1845 hatte der damalige Theaterdirector in Brünn, Glöggl, bei Gelegenheit der zweihundertjährigen Jubelfeier der glücklich vereitelten schwedischen Belagerung Brünns eine Preisbewerbung für ein neues, jenen Stoff behandelndes Drama ausgeschrieben. Dieser Preis wurde dem Schauspiele: „Macht der Treue“, dessen Verfasser Selinger war, zugesprochen und das Stück wird bisweilen noch jetzt am Gedächtnißtage der Befreiung (am 15. August) dort aufgeführt. Als Manuscript gedruckt ist es im Jahre 1845 erschienen. Die Titel der übrigen Schriften Selinger’s sind: „Gräfenberg, Einladungen, Mittheilungen. Betrachtungen“ (Wien 1841); – „Denksteine deutscher Geschichte des Jahres 1842“ (Wien 1843). – und „Vincenz Priessnitz, eine Lebensbeschreibung“ (ebd. 1852), lauter harmlose, gutgemeinte Arbeiten ohne literarische Bedeutung.

Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1837, 8°.) Bd. VI, im Supplement S. 600. – Feierstunden. Herausg. von Ebersberg (Wien, 8°.), Jahrg. 1835, S. 213. – Deutsche Zeitung (Wiener polit. Blatt) 1873, Nr. 535 in Hans Kudlich’s „Rückblicken und Erinnerungen“.