Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Scheller, Christian
Band: 29 (1875), ab Seite: 189. (Quelle)
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Scheller, Jacob (Violin-Virtuose, geb. auf dem Fürstenbergischen Gute Schettal unweit Racknitz in Böhmen am 16. Mai 1759, gest. in einem [190] friesischen Dorfe im größten Elend im Jahre 1800). Eine der merkwürdigsten Erscheinungen in der Musikwelt, und der nach Allem, was er auf seinem Instrumente, der Violine, ausführte, als ein Vorläufer Paganini’s angesehen werden kann. Seine Schicksale sind – wie dieß bei großen Virtuosen zuweilen vorkommt – wenig erbaulich und enden traurig. Von seinen Eltern für den geistlichen Stand bestimmt, kam er nach Prag in die Jesuitenschule und hatte bereits die Rhetorik – so hieß damals die zweite Humanitätsclasse am Gymnasium – beendet, als er, seinem unbezwingbaren Drange zur Musik folgend, die Studien aufgab und sich ausschließlich der Kunst widmete. Als ganz junger Musicus kam er nach Wien, das muß also schon mehrere Jahre früher gewesen sein, als Dittersdorf bei seinem Besuche Wiens im Jahre 1786 Scheller’s gedenkt. Von Wien begab sich S. nach München, wo er unter einem tüchtigen Meister Namens Gröner seine Studien fortsetzte. Nun kam er nach Mannheim, erhielt dort eine Anstellung beim Theaterorchester, welche er zwei Jahre inne hatte, während welcher Zeit ihn die Unterweisungen des berühmten Abbé Vogler in seiner Kunst wesentlich förderten. Von Mannheim ging er in die Schweiz, dann nach Italien und zuletzt nach Paris, wo er durch drei Jahre verweilte und Gelegenheit fand, mit den größten Meistern seines Instrumentes, einem Viotti, Saint George u. A. zusammen zu spielen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland trat er 1785 in Dienste des Herzogs von Württemberg als Concertmeister seiner Hauscapelle zu Mömpelgard. Sieben Jahre bereits versah er diesen Posten, als der Einfall der Franzosen im Jahre 1791 den Herzog zur Flucht zwang und S.’s bisheriges Dienstverhältniß auflöste. Scheller, nun wieder sich selbst überlassen, zog von Ort zu Ort, und dieß wüste Wanderleben brachte ihn bei seiner Neigung zum Trunke völlig herunter. Ungeachtet dessen erregte er überall, wo er sich hören ließ, mit seinem Spiele Bewunderung und grenzenloses Erstaunen. Der Bericht über ein von ihm im Jahre 1794 zu Sondershausen gegebenes Concert läßt einigermaßen seine Virtuosität ahnen. Er ließ sich im Juli g. J. hören. Er spielte eines der schönsten Concerte von Hoffmeister mit seltener Meisterschaft. Den ganzen ersten Satz des Rondo trug er in Flageolettönen auf seinem Instrumente so wahr, leicht und rein vor, daß es in keiner Weise vom Blasinstrumente, dessen Töne es nachahmte, zu unterscheiden war. Außer den zahlreichen Schwierigkeiten, welche dieses Concert schon an sich besitzt, brachte S. noch ganz besondere in die von ihm virtuos ausgeführten Cadenzen: „Piquirte Läufer von mehr als zwei Octavengriffen in höchster Geschwindigkeit, theils durch Tonleitern von zwei Octaven, theils in Melodien, Terziengängen von mancherlei Art, Läufer durch halbe Töne über das ganze Griffbrett der Geige, anhaltende heftige Passagen von der höchsten Lage bis zu tiefen Tönen; und seine gebrochenen und laufenden Passagen führte sein Bogen mit solcher Kraft, daß sie einem heftigen Schlossenwetter im Anprallen an die Fenster glichen. Und dieß Alles mit einer Gleichheit, Deutlichkeit und Fülle des Tones, daß auch der der Musik unkundigste Zuhörer davon bewegt wurde. Dabei fehlte es nicht am tempo rubato und an Bogenkünsten.“ Zur Belustigung der Damen spielte er den damals allgemein beliebten „Marlborough“ oder [191] andere gern gehörte Stücke „mit mannigfaltigen Variationen, theils mit Begleitung einer Violine, theils ganz allein. Endlich legte er seine Dose auf die Geige und phantasirte so, bis er den fürchterlichen Chorgesang der alten Kapuzinernonnen anstimmte und damit das ganze Auditorium nöthigte, in ein lautes Gelächter auszubrechen. Den Beschluß machte er mit seiner sogenannten Harmonika, indem er seinen Bogen abschraubte, die Haare über die Saiten und den Stock unter den Bogen der Geige brachte, und so, die Dose ebenfalls auf der Violine liegend, alle vier Saiten auf einmal in langsamen, wohlgewählten Accorden und Modulationen eine Zeit lang ertönen ließ.“ In einem im Jahre 1799 veranstalteten Concerte, da er bereits durch Trunkenheit und wüstes Leben so heruntergekommen war, daß er nicht einmal mehr ein eigenes Instrument besaß und ein solches, wenn er auftrat, entlehnen mußte, fing, „indem er zu spielen begann, sein Saitenhalter immer mehr und mehr nachzulassen an, indeß er immer im Tone des übrigen Orchesters fortarbeitete, bis seine Geige am Ende des Concertes um eine Terz tiefer stand“. Allmälig sank S. in das tiefste Elend, aus dem ihn emporzuraffen es auch seiner Kunst nicht mehr gelang, und in demselben starb er auch, erst 41 Jahre alt. Von sich selbst sehr eingenommen, pflegte er in seiner Künstlerbescheidenheit von sich nur: „Ein Gott – ein Scheller“ zu sagen.

Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Angefangen von Dr. Julius Schladebach, fortges. von Ed. Bernsdorf (Dresden 1857, Rob. Schäfer, gr. 8°.) Bd. III, S. 459. – Dlabacz (Gottfr. Joh.), Allgemeines historisches Künstler-Lexikon für Böhmen und zum Theile auch für Mähren und Schlesien (Prag 1815, Haase, 4°.) Bd. III, Sp. 38 [läßt ihn zu Prag geboren sein und weiß von ihm nur zu sagen, daß er ein großer Künstler auf der Violine gewesen sei]. – Rochlitz (F.), Für Freunde der Tonkunst, Bd. II, S. 356.