BLKÖ:Roth, Stephan Ludwig
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 27 (1874), ab Seite: 98. (Quelle) | |||
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Pestalozzi, dessen Zuneigung er durch seinen geraden Sinn und seine Begeisterung für den Lehrerberuf in so hohem Maße gewann, daß ihm Pestalozzi den ehrenvollen Antrag machte, ihn als Lehrer an seinem Institute anzustellen, welchen R. auch annahm. Es wurde ihm eine ausgedehnte Wirksamkeit im Institute eingeräumt, er wohnte im Schlosse, galt als ein Mitglied des Hauses, führte die Aufsicht einer Classe und erhielt den Auftrag, einen Entwurf für den Elementarunterricht in der lateinischen Classe nach den Grundsätzen Pestalozzi’s auszuarbeiten. In dieser Wirksamkeit verblieb R. bis zum April 1820 und nahm, mit einem eigenhändigen ehrenvollen Zeugnisse Pestalozzi’s ausgestattet, seine Entlassung. Er kehrte nun nach Tübingen zurück, um dort zu doctoricen, und schrieb bei dieser Gelegenheit die Inaugural-Dissertation: „Das Wesen des Staates als eine Erziehungsanstalt für die Bestimmung des Menschen“. Dann schickte er sich zur Heimreise an und traf über Wien am 23. September 1820 im väterlichen Hause ein. Anfänglich wendete er sich dem Lehramte zu. stieß aber bei den verschiedenen Reformen, deren Durchführung er im Sinne hatte, bald auf unübersteigliche Hindernisse. Unter anderen forderte er die sächsischen Gymnasiallehrer zur Herausgabe einer sächsischen Schulzeitung unter dem Titel: „Der sächsische Schulfreund. Eine vaterländische Zeitschrift für Erziehung und Unterricht“ auf, ohne jedoch seine Bemühungen in dieser Richtung von einem Erfolge begleitet zu sehen. Nicht nur, daß es ihm nicht gelang, im Großen durchzugreifen, und eine principielle Umgestaltung des Unterrichts und der Erziehung, so nothwendig dieselbe auch war, durchzuführen, er zog sich für seine Bemühungen nur Unannehmlichkeiten zu, wurde als Neuerer von allen Seiten angefeindet, sah seine Absichten vereitelt und seinen Charakter verkannt. So vertauschte er denn, nachdem [99] er seit 1823 als Lehrer am Obergymnasium, seit Mai 1831 als Gymnasial-Rector zu Mediasch gewirkt, im Jahre 1835 das weltliche Kleid mit dem geistlichen und wirkte nun als Religionslehrer und Prediger, bis ihn im Jahre 1837 die Gemeinde von Niemesch und im Jahre 1847 jene von Meschen als ihren Seelsorger berief. Daselbst war er als Priester und wahrer Freund des Volkes für das Wohl desselben thätig. Durch zahlreiche, bald mehr, bald minder umfangreiche Arbeiten über nationale, politische und national-ökonomische Tagesfragen lenkte er in kurzer Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, am meisten durch seine 1842 erschienene kleine Schrift über den Sprachkampf [die Titel der von Roth herausgegebenen Schriften folgen auf S. 100 u. 101], in welcher er die Rechte der Sachsen gegen die Angriffe der Ungarn in ebenso nachdrücklicher als origineller Weise vertheidigte und das Vorgehen der Magyaren entschieden bekämpfte. Die Schrift blieb nicht nur unerwiedert, die Antwort darauf erschien unter dem Titel: „Der Sprachkampf und seine Bedeutung in Siebenbürgen“ (Leipzig 1847, Franz Köhler), hat aber mit ihren persönlichen Verunglimpfungen nichts widerlegt, sondern, ohne es zu wollen, die Ansichten Roth’s nur noch mehr bekräftigt. Hatte R. schon durch die oberwähnte Schrift die Ungarn gegen sich aufgeregt, so geschah dieß noch mehr, als er im Jahre 1845 württembergische Einwanderer nach Siebenbürgen berief und im darauffolgenden Jahre bei Gelegenheit der Versammlung des Vereins für siebenbürgische Landeskunde in Mühlbach in einem Kreise patriotischer Männer dem freien Bürgerthume, als demjenigen Stande, zu welchem der Adel herab- und der Unterthan hinaufsteigen müsse, ein begeistertes Hoch brachte. In den Stürmen des Jahres 1848 diente Roth, mit Hintansetzung seiner zahlreichen mutterlosen Familie seinem Volke und seiner rechtmäßigen Regierung als Vertreter in der sächsischen National-Versammlung, als Mitglied des Pacifications-Comité’s und als Geschäftsführer bei der provisorischen Administration. Auf diesem Posten wirkte R., ungeachtet der herannahende Sturm Alles zu vernichten drohte, auf dem ihm von dem General-Commando angewiesenen Platze bis zum 17. Jänner 1849, an welchem Tage durch den traurigen Ausgang der Schlacht bei Galfalva ein Theil des Sachsenlandes in die Hände der Insurgenten fiel. Am 18. Jänner rückte Bem in Mediasch ein und war Herr des ganzen gleichnamigen sächsischen Stuhles. Roth blieb, obgleich ihm Alles zur Flucht rieth, unerschrocken auf seinem Platze. So lange nun Bem in Siebenbürgen war, blieb Roth unangefochten, kaum aber hatte Bem, in’s Banat gehend, Siebenbürgen verlassen, so war es auch um Roth geschehen, der Parteihaß wollte sein Opfer haben. Am 21. April wurde R. von einem Insurgenten-Officier mit etwa 12 Mann Bedeckung auf seinem Pfarrhause in Meschen aus den Armen seiner fünf noch ganz unerzogenen, mutterlosen Waisen gerissen und zunächst über Mediasch nach Schäßburg geführt, wo er am folgenden Tage eintraf. Nach einigen Tagen wurde er nach Klausenburg geschafft, wo er im städtischen Gefängnisse seinem Urtheile entgegensah. Dasselbe zu vollziehen, war dem magyarischen Regierungscommissär Ladislaus Csányi [Bd. III, S. 42] vorbehalten. Am 11. Mai 1849 sprach das gemischte Stadtgericht in Klausenburg, nachdem der Staatsanwalt Nikolaus [100] Krisbay für Roth als einen Feind des Vaterlandes die Verurtheilung zum Tode verlangt hatte, diese aus und um 5 Uhr Nachmittag wurde Pfarrer Roth erschossen. Sein Tod ist zu heldenmüthig, um ihn nicht nach Aussagen von Zeugen mitzutheilen. Nachdem Roth auf dem Executionsplatze angekommen war, übergab er dem ihm begleitenden Pfarrer von Klausenburg, Georg Hintz, ein Taschentuch mit der Bitte: „Lieber Bruder, tauchen Sie, wenn ich gefallen bin, dieß Tuch in mein Herzblut und überschicken Sie es meiner ältesten Tochter“. Hierauf wurde Stille geboten und einer der Blutrichter verlas den Urtheilsspruch, bei dessen Beginn Roth zu Hintz sprach: „Hören Sie jetzt das Lügengewebe“, und als der Richter die Stelle las: „Der Verurtheilte hat die h. Schrift mit dem Schwerte vertauscht“, rief Roth: „Es ist nicht wahr, ich habe nie ein Schwert geführt“. Hierauf ließ sich Roth auf’s Knie nieder und betete ein Vaterunser. Dann seinen Hut rückwärts werfend, sprach er, zum commandirenden Officier sich wendend: „Nun stehe ich zu Ihrem Befehle. Herr Hauptmann“. Die Anordnung, ihm die Augen mit einem weißen Tuche zu verbinden, wies er mit den Worten zurück: „Verzeihen Sie, Herr Hauptmann, auch als zum Tode Verurtheilter habe ich das Recht, darüber zu bestimmen. Ich werde die Augen ohnehin bald auf immer zumachen, bis dahin aber will ich die schöne Welt Gottes schauen, so lange es mir nur möglich ist. Wohin soll ich mich stellen?“ Auf den angewiesenen Platz stellte sich nun Roth mit über die Brust gekreuzten Armen, den verklärten Blick gegen den Himmel gerichtet. Nun erscholl das Commando: „Feuer“ und in kurzen Pausen folgten auf einander drei Schüsse. Der erste Schuß traf den rechten Oberarm, den Roth sogleich sinken ließ, ohne übrigens seine Stellung auch nur im geringsten zu verändern. Der zweite Schuß traf die linke Seite in der Lendengegend, jetzt sank Roth auf’s Knie und bedeckte mit der linken Hand die Wunde, und in dem Augenblicke fuhr die dritte Kugel durch den Kopf und todtgetroffen stürzte R. zusammen. Lautlose Stille herrschte, nachdem das Opfer gefallen, bei der unabsehbaren Menschenmenge. Da trat der commandirende Officier, hingerissen von der Seelengröße und dem Todesmuthe des gefallenen Mannes, vor und rief mit bebender Stimme: „Soldaten, lernt von diesem Manne, wie man für sein Volk stirbt“. Roth’s irdische Ueberreste wurden durch seine Anverwandten in seine Vaterstadt nach Mediasch zurückgebracht und dort am 19. April 1850 in heimischer Erde zur Ruhe bestattet. Aus zwei Ehen, zuerst mit Sophie, der Tochter des evangelischen Pfarrers in Groß-Kopisch, G. G. Auner, und dann mit Karoline, der Tochter des Pfarrers von Bogatsch, Henter, hinterließ er fünf unversorgte Kinder, deren jedem bis zur erlangten Volljährigkeit eine jährliche Unterstützung von 200 Gulden von Sr. Majestät dem Kaisers angewiesen wurde. Wie bemerkt worden, war R. vielfach als Schriftsteller thätig. Zahlreiche Aufsätze aus seiner Feder enthalten die beiden deutschen Siebenbürger, in Kronstadt und Hermannstadt erscheinenden Zeitungen. Selbstständig hat er herausgegeben: „An den Edelsinn und die Menschenfreundlichkeit der sächsischen Nation in Siebenbürgen, eine Bitte und ein Vorschlag“ (1821); – „Ode honoribus Speciabilis ac Generosi Domini Andreae Krauss de Ehrenfeld, Urbis sedisque Mediensis Consulis, Installationis die [101] dicata“; – „Rede am Grabe der Sophie Regina Zoppelt“; – „Der Sprachkampf in Siebenbürgen“ (Kronstadt 1842, Joh. Gött); – „Die Zünfte. Eine Schatzschrift“ (Hermannstadt, v. Hochmeister); – „Wünsche und Rathschläge. Eine Bittschrift für’s Landvolk“ (ebd. 1843, v. Hochmeister’sche Erben); – „Der Geldmangel und die Verarmung in Siebenbürgen, besonders unter den Sachsen“ (Kronstadt 1843, Jos. Gött); – „Stand- und Leichenrede bei der Beerdigungsfeier weiland des hochw. Herrn Johannes Bergleiter, evangl. Pfarrer in Birthälm, u. s. w.“ (Hermannstadt 1843, v. Hochmeister); – „Der Birthälmer Pfarrer und der lutherische Superintendent“ (Kronstadt 1843, Jos. Gött); – „An mein Volk, ein Vorschlag zur Herausgabe von drei absonderlichen Zeitungen für siebenbürgisch-deutsche Landwirthschaft, Gewerbe, Schul- und Kirchensachen“ (Hermannstadt 1843, Sam. Filtsch). In Handschrift hinterließ er: „Dissertatio de divisione historiae in genere et Transilvanicae in specie“ (1826), eine deutsche Uebersetzung der in rumänischer Sprache von Joseph Pap-Söleschau von Ilyesfalva verfaßten Geschichte des Glaubens der Rumänen, ferner Bruchstücke aus der Geschichte von Siebenbürgen und mehrere Aufsätze über siebenbürgische Feldwirtschaft. Wie aus der vorstehenden Uebersicht erhellet, war R. weniger ein Schriftsteller vom Fache, denn[WS 1] er schrieb nur, um seinen gemeinnützigen Bestrebungen Eingang zu verschaffen. Dabei besaß er allerdings die unentbehrlichen Eigenschaften eines volksthümlichen Schriftstellers: Geschick und Freimuth, durch welch letzteren er aber nicht selten anstieß und sich manchen Gegner machte, was ihn jedoch nicht irre machte und hinderte, seine Ansichten mit unerbittlicher Rücksichtslosigkeit auszusprechen.
Roth, Stephan Ludwig (evangelischer Pfarrer, geb. zu Mediasch in Siebenbürgen 24. November 1796, erschossen zu Klausenburg von den ungarischen Rebellen 11. Mai 1849). Sein Vater Stephan Gottlieb (gest. am 16. December 1847), zuletzt Pfarrer in Kleinschelken, leitete die erste Erziehung seines Sohnes, später schickte er ihn auf das evangelische Gymnasium nach Hermannstadt, wo er im Jahre 1816 seine Studien beendete und im Frühjahre 1817 die Universität Tübingen bezog. In Tübingen widmete er sich dem Studium der Theologie, nebenbei aber suchte er auch nach anderen Richtungen seine Kenntnisse zu erweitern, unterrichtete sich daselbst und auf kleinen Reisen, die er in den Ferien unternahm, unablässig über die Fortschritte Deutschlands in der Agricultur und Industrie, denn er fühlte es gar wohl, wie sein zwischen rohe Völker eingekeiltes Sachsenvolk nur der Anregung bedurfte, um aus dem Stillstande, in den es hineinregiert worden, herauszutreten. Eine Stelle aus Roth’s Tagebuche aus jener Zeit gibt Aufschluß, wie er schon damals die Situation richtig erfaßte und auf Abhilfe sann. „Der alte Adam“, steht es darin, „der behaglichen Selbstzufriedenheit bei unserem Volke muß ersäuft werden und der Geist der Rührung mehr in dasselbe fahren; Stillstand sind Spuren des Todes, Fortschritt bekundet dauerhaftes Leben.“ Nach zweijährigem Aufenthalte in Tübingen begab sich R., um sich umfassende praktische Kenntnisse, namentlich im Unterrichts- und Erziehungsfache zu verschaffen, nach Iverdon zu- Gräser (Andreas), Dr. Stephan Ludwig Roth, nach seinem Leben und Wirken dargestellt (Kronstadt 1852, Joh. Gött, gr. 8°.), 122 S.). – Hintz (Georg), Die letzten Lebensmomente St. L. Roth’s (Kronstadt 1850). – Deutsches Museum. Herausgegeben von Prutz (Leipzig, gr. 8°.) 1858, Nr. 31, S. 184: „Aus Siebenbürgen“. – Europa. Redigirt von Gustav Kühne (Leipzig, 4°.) 1856, Nr. 39: „Ein Schüler Pestalozzi’s in Siebenbürgen“, von Franz Obert. – Hermannstädter Zeitung 1861, Nr. 148, S. 1246: „Aus einem Trinkspruch Stephan L. Roth’s, 1863, Nr. 107: „Eine Holzschneider-Geschichte“. Transilvania (Hermannstädter Blatt, gr. 4°.) 1858, Nr. 35: „Die Rothfeier in Mediasch“. – Vierteljahrschrift für die Seelenlehre. Herausgegeben von Neugeboren und Korodi. Bd. III, S. 272: „Friedrich Ludwig Jahn und St. L. Roth. Zwei Lebensbilder“, von Heinrich Neugeboren. – Kirche und Schule. Beilage zur Hermannstädter Zeitung (8°.) 1862, Nr. 15: „St. L. Roth als Schriftsteller“. – Steger (Friedr. Dr.), Ergänzungsblätter zu allen Conversations-Lexiken (Leipzig und Meißen 1850 u. f., gr. 8°.) Bd. V, S. 292. – Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände (Hildburghausen, Bibliogr. Institut, gr. 8°.) Zweite Abthlg. Bd. VI, S. 408, Nr. 15. – Neuer Nekrolog der Deutschen (Ilmenau, Bernh. Fr. Voigt, kl. 8°.) XXVII. Jahrg. (1848), S. 333. – Czetz (Johann), Bem’s Feldzug in Siebenbürgen in den Jahren 1848 und 1849 (Hamburg 1850, Hoffmann u. Campe, 8°.) S. 273. – Gartenlaube (Leipzig, Ernst Keil, 4°.) 1862, S. 407; „Ein deutscher Heldentod in Siebenbürgen“. – Roth’s Denkmal. Im Schulgarten zu Mediasch erhebt sich auf dem Grabe Roth’s ein anspruchsloses Denkmal, ein gußeiserner Obelisk. Die Erinnerung an den edlen Patrioten, der für sein Vaterland den Märtyrertod gestorben, wird von den Siebenbürgern alljährlich durch ein sinniges Schulfest begangen, das in Mediasch stattfindet.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: den.