BLKÖ:Reinhard, Reinhardt, auch Reinhart, Walter

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 25 (1873), ab Seite: 209. (Quelle)
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Reinhard, Reinhardt, auch Reinhart, Walter. An diesen Namen knüpft sich die vielgenannte Reinhart’sche Millionen-Erbschaft aus Ostindien, womit so viele falsche Hoffnungen erweckt, so viele arme Leute um ihre Habe gebracht wurden, Alles nur, um eine sonst ziemlich klare Sache zu verwirren und den rechtmäßigen Erbansprechern die Möglichkeit auf ein anzuhoffendes Erbe zu benehmen. Hinter der ganzen systematisch eingefädelten Intrigue stecken in erster Linie die ostindische Compagnie und als Helfershelfer dieser längst geschichtlich und culturgeschichtlich gebrandmarkten Societät von gewissenlosen Crösusen in zweiter Linie das englische Bankhaus Coutts u. Comp. in London und die in dieser Angelegenheit auch nicht ganz reine Großhausfirma Habtmann in Hamburg. Diese Angelegenheit kann hier nicht in ihrer ganzen Weitläufigkeit auseinander gesetzt, sondern nur das eben Wesentliche davon vermerkt werden, insofern nämlich der Ursprung der ganzen Geschichte auf einen gebürtigen Oesterreicher, auf den zu Montafon in Vorarlberg gebornen Walter Reinhard, zurückzuführen ist, dessen abenteuerliches Leben selbst noch actenmäßiger Forschung harret, wenn diese überhaupt je möglich werden dürfte, während es von der Poesie zu öfteren Malen unter dem geheimnißvollen Titel: „Begum Somroo“, zuerst von Paul (Faust) Pachler [Bd. XXI, S. 164], dann von Halm und in Romanform schon lange vorher in der „Neuen Europa“ 1846, und später in der „Pest-Ofner Bürger-Zeitung“ 1860, Nr. 10–21, ist bearbeitet worden. Der eigentliche Sachverhalt, insofern es sich nämlich um die Erbschaftsangelegenheit und das ganze Gewebe von Intriguen und Schwindel, das drum und dran hängt, handelt, ist in der alten Presse, in den in den Quellen S. 213 angegebenen Aufsätzen in sehr klarer und übersichtlicher Weise dargestellt, daher denn auch auf diese als die einzig authentisch anzusehenden Aufsätze für Jene hingewiesen wird, in deren Interesse es ist, sich darüber genau und zuverlässig zu unterrichten. Auch ist die bei den englischen Gerichten, deren schnelle Erledigung – im entgegengesetzten Sinne – sprichwörtlich geworden, zur Zeit anhängige Angelegenheit noch nicht beendet, aber jedenfalls schon so reif, daß der letzte Ausspruch, gegen den natürlich dann weiter keine Appellation mehr möglich ist, mit jedem Tage zu gewärtigen steht. Der Sachverhalt aber ist in Kürze folgender: Walter Reinhard, um das Jahr 1725 zu Montafon in Vorarlberg geboren, ist in ziemlich jungen Jahren, wie es den Anschein hat, um 1750 ausgewandert, während seine damals noch lebenden Eltern und Geschwister, man gibt deren vier bis fünf an, in ihrer Heimat zurückgeblieben sind. In den damaligen bewegten Zeiten, wo mancher Abenteurer aus eigenem Antriebe seine letzte Zuflucht im Soldatenstande suchte, noch mehrere aber wider ihren Willen dazu gepreßt wurden, kam auch Reinhard unter die Soldaten, und zwar, so scheint es – eben diese Parthie im Leben des Abenteurers ist die dunkelste und doch der zu [210] erweisenden Erbschaftsansprüche wegen die wichtigste – in Straßburg in ein französisches Regiment, in welchem er nach Einigen wegen seiner braunen Gesichtsfarbe, nach Anderen wegen seines verschlossenen düsteren Charakters, nach einer dritten Auslegung wegen seines Spitznamens „Sommer“, von seinen Collegen Sombre (der Düstere) genannt wurde, welcher Name in Indien, wohin sein Regiment eingeschifft worden, in Somru – nach englischer Schreibung Somroo – entstellt wurde. Im französischen Regimente soll er es zum Sergeanten gebracht haben. Später verließ er dasselbe und nahm Dienste in der englischen Armee, aus welcher er aber desertirte und nach einander bei zwei oder drei indischen Fürsten, zuletzt bei dem Nabob von Bengalen Dienste nahm. Zwei Jahre später brach der Krieg zwischen diesem Fürsten und der Regentschaft Calcutta aus, deren Joch der Nabob abwerfen wollte. Einige Engländer, die in des Nabobs Gewalt gefallen waren, ließ dieser hinrichten, und Sombre (Reinhardt), der zwei Bataillone Seapoys commandirte und den man englischer Seits überhaupt als den Anstifter des ganzen Krieges ansah, hatte den Arm zu diesen Hinrichtungen geliehen. Die Lage des Nabobs wurde immer bedrängnißvoller, und als er im Juni 1763 aus Bengalen vertrieben worden, sah er sich genöthigt, mit seinen Schätzen, seinem Vertrauten Somru (Reinhardt) und den Ueberresten seiner Armee, welche dieser eben befehligte, bei einem benachbarten indischen Mogul Zuflucht zu suchen. Der Nabob und der Mogul vereinigten nun ihre Streitkräfte und rückten zu neuem Kampfe gegen Bengalen, wurden aber von den Engländern im Jahre 1764 zu wiederholten Malen geschlagen und zurückgetrieben. Somru (Reinhardt) verließ nun nach diesen Niederlagen – ob heimlich oder offen ist nirgends gesagt – die Dienste des Nabob und begab sich zu den Dschatten, einem anderen, aber mächtigen und kriegerischen Volksstamme, der sich bei den damaligen Revolutionen in Hindostan mehrerer großer Landstriche bemächtigt halte. Um die unter sein Commando gestellten Truppen erhalten zu können, wurde ihm der zwölf Stunden lange und neun Stunden breite Bezirk Serdana angewiesen, wo er eine Frau aus vornehmer Familie, Namens Rajpoot, heirathete. Diese Frau gebar ihm einen Sohn Alois Ludwig Balthasar Reinhardt-Sombre (indisch Nawab Muzufaroot Douleh, persisch Nawab Zaffer Guile Khan). Die im übrigen merkwürdigen und romantischen Schicksale des Vaters endeten im Jahre 1787, in welchem er – wie es scheint, auf Befehl seiner Gattin – in seinem Palaste zu Serdana ermordet wurde. Nach dem Tode Somru’s wurden dessen Frau und Sohn im Commando der Truppen und der Benützung des Fürstenthums bestätigt. Die Frau war durch ihren Mann veranlaßt worden, das Christenthum anzunehmen und spielte die Rolle einer Begum (Fürstin). Ihre Macht bestand aus 5 Bataillonen, die von Europäern befehligt wurden; in einem Dorfe bei der Hauptstadt Serdana befand sich ihr Arsenal und ihre Kanonengießerei. Durch Muth und Charakterstärke wußte sie Ordnung, Frieden und Wohlstand in ihrem kleinen Staate zu bewahren; sie zog die Christen dahin, begünstigte Ackerbau und Industrie und machte ihr Land zu einem der reichsten und fruchtbarsten in Hindostan. Als die Engländer durch den Frieden mit den [211] Mahratten noch mehr Uebergewicht erhalten hatten, nahm die Begum Somru ihren Aufenthalt zu Delhi in einem prachtvollen Palaste, den sie sich bauen ließ. Sie leistete hier durch ihre Talente und ihre Unerschrockenheit dem Kaiser bei mehreren Gelegenheiten wesentliche Dienste, und die außerordentliche Frau wurde von ihm mit dem Titel zeyn-elnissa (Zierde des Geschlechts) belohnt. Als die Engländer Herren von Delhi geworden waren, kam die Begum Somru oft, in europäischer Kleidung mit Hut und Schleier, bald im Palankin, bald zu Pferde oder auf einem Elephanten in das Hauptquartier; sie schien 50 Jahre zu zählen, war von mittlerer Größe und mußte einmal schön gewesen sein. Sie wußte sich von dem Verdachte zu reinigen, mit den Mahratten in Verbindung gestanden zu haben und starb endlich zu Delhi im Alter von 96 Jahren. In ihrer Hauptstadt Serdana hatte sie unter andern eine schöne Kirche bauen lassen. Der oberwähnte Sohn Alois Ludwig Balthasar Reinhardt-Sombre vermälte sich mit einer Juliane Anna Lefevre, aus welcher Ehe eine Tochter Dominica Theresia Reinhart-Sombre stammt, welche am 5. October 1806 mit dem berüchtigten englischen Residenten, dem Schottländer Georg Alexander Dyce, von dem Pater Angelus, Präfecten der Tibetanischen Mission und Rector der katholischen Kirche zu Serdana, ehelich getraut wurde. Dominica Theresia gebar ihrem Gatten im Jahre 1808 einen Sohn David Dyce Ochterloni Reinhart de Sombre, den Verfasser des in der Folge angefochtenen Testamentes. Außerdem aber soll Georg Dyce noch zwei illegitime Töchter hinterlassen haben. David Dyce Ochterloni Reinhardt de Sombre, der Erbe eines ungeheuren Vermögens, man schätzt es außer einer großen Menge liegender Ländereien auf über 70 Millionen Francs – nach Anderen gar Sterling! – wurde bald Gegenstand der zärtlichen Obhut der ostindischen Compagnie, welche ganz folgerichtig dachte, daß nach seinem Ableben ein solches Erbe nothwendiger Weise die Dividenden der Actionäre steigern müßte. Die in der Quelle angegebenen Aufsätze der Presse geben nun ein anschauliches Bild des verruchten Systems, das schon bei der ursprünglichen Erziehung des jungen Crösus angewendet wurde, den man durch Trinken, Spielen und Umgang mit zweideutigen Frauenzimmern physisch und moralisch zu Grunde zu richten suchte. Als nun gar die alte Begum Sombre, die Urgroßmutter des Dyce Ochterloni, am 27. Jänner 1836 das Zeitliche gesegnet und ihr Urenkel der alleinige Erbe ihres ungeheuren Vermögens wurde, wendete sich die zärtliche Sorgfalt der ostindischen Compagnie mit verdoppelter Innigkeit dem glücklichen Erben zu, dessen völlige Verkommenheit die Compagnie zu den schönsten Erwartungen berechtigte. David Dyce Ochterloni hatte sich am 26. September 1840 mit Miß Mary Anna Jorris St. Vincent, Tochter des englischen Admirals St. Vincent, vermält und lebte mit ihr einige Zeit in London ganz glücklich, eine lucullische Pracht entfaltend, so daß Eugen Sue in seinem Romane: „Der ewige Jude“ das Original zu dem im Romane auftretenden indischen Prinzen im obigen David Dyce Ochterloni gefunden hatte. Aber das eheliche Glück zwischen David Dyce und Mary Anna war nur von kurzer Dauer. Die [212] Laster des Asiaten, während der Flitterwochen niedergehalten, traten nun um so unbändiger hervor, und es kam zuletzt so weit, daß die Verwandten seiner Gattin den reichen Indier für verrückt erklären und ihn in ein Narrenhaus sperren ließen. Richard Dyce Sombre gelang es aber, seinen Wächtern zu entspringen, er begab sich nach Paris, wo er im Juli 1844 ankam und seinen Geisteszustand von den ersten Aerzten der Seinestadt prüfen ließ, die ihn für völlig zurechnungsfähig und geistesgesund erkannten. Nach mannigfachen Wanderungen auf dem Continente, 1845 in Deutschland, 1848 in Rom, kehrte er 1849 nach London zurück, wo er am 1. Juli 1851 mit Hinterlassung eines Testamentes starb. In diesem Testamente hatte nun David Dyce Reinhardt-Sombre, nachdem er kinderlos war – denn eine Tochter Penelope aus seiner Ehe mit Miß Mary Anna Jorris St. Vincent war schon wenige Monate nach der Geburt gestorben – aus Rache gegen die Verwandten seiner Frau, die ihn ein Jahr hindurch, 1842–1843, bis zu seiner Entweichung als Narren eingesperrt gehalten hatten, enterbt und die ostindische Compagnie zum Erben eingesetzt. So wäre denn diese zum längst geplanten Ziele gekommen. Aber so leicht sollte es ihr nicht werden, die Frucht des von ihr gestreuten Samens zu pflücken. Das Testament wurde von mehreren Seiten angefochten, und zwar von der Witwe Mary Anna Dyce Ochterloni, dann von den zwei illegitimen Schwestern desselben, nämlich Anna Mary vermälte Major Troup? in London und Georgine vermälte Baron Solaroli in Turin, und vom englischen Fiscus, welcher mit der Witwe und mit den beiden illegitimen Schwestern die Nichtigkeit sämmtlicher Verfügungen des Erblassers prätendirte. Der Proceß zog sich längere Zeit hin, bis der englische Gerichtshof bei sorgfältiger Prüfung aller vorhandenen Familienpapiere im Jahre 1855 – und seit dieser Zeit datirt der Zeitungslärm – die Entdeckung machte, daß der Urgroßvater des Erblassers, von welchem eigentlich die Nabobschätze herrühren, kein geborner indischer Fürst, sondern ein Abenteurer deutschen Stammes, ein gewisser Walter Reinhardt, gewesen sei, und demzufolge den Colleteral-Verwandten des Stammvaters auch Erbansprüche auf das mittlerweile von dem englischen Fiscus verwaltete Vermögen zu vindiciren seien. Das darauf erfolgte Erkenntniß des englischen Gerichtshofes fiel nun folgendermaßen aus: Der Witwe des Erblassers, Mary Anna Dyce Sombre, fällt ein Drittheil des ganzen Vermögens zu; die beiden illegitimen Schwestern, welche übrigens von David Dyce Ochterloni bereits bei ihrer Verheirathung jede zwei Millionen Francs Aussteuer erhalten hatten, wurden mit ihren Ansprüchen abgewiesen, die übrigen zwei Drittheile gehören den Verwandten des um das Jahr 1750 ausgewanderten Walter Reinhardt-Sombre, wenn diese über ihre Verwandtschaft sich rechtsgenügend legitimiren können. Die Frage war nun, wer und wo sind diese Verwandten? Und um die Beantwortung dieser Frage, die im Ganzen eben nicht schwer erscheint, wenn die Abstammung Walter Reinhardt’s aus Montafon in Vorarlberg einmal festgestellt ist, zu verwirren und in ein unlösbares Dunkel zu hüllen, haben das Bankhaus Coutts u. Comp. in London, wahrscheinlich im Interesse der ostindischen Compagnie und von derselben [213] gewonnen, und die Großhandlungsfirma Habtmann in Hamburg, welche mit ihren durch Gott weiß welche Motive veranlaßten Ankündigungen, daß sich alle Reinhart’s, welche Ansprüche auf das vorerwähnte Erbe erheben können, melden sollen, und dadurch viele Oesterreicher und Andere zur Auslage von vielen Tausenden verlockten, das Ihrige in der bestmöglichen Art und Weise beigetragen. Die letzten Erbansprecher waren im Jahre 1858 ein k. k. Oberlieutenant Reinhart von Roßbach-Infanterie und dessen lange für verschollen gehaltener Bruder aus Ungarn. [Theater-Zeitung 1858, Nr. 283.] Die Schlußentscheidung des englischen Gerichtshofes, die, wie es scheint, bisher nicht erfolgt ist, dürfte kaum mehr lange auf sich warten lasten. Auch über den judiciellen Stand der Frage bei dem englischen Gerichtshofe, welche für die Rechtsansprüche der verschiedenen Erbschafts-Prätendenten eintraten, endlich über die Intriguen und Unfüge des Bankiershauses Coutts in London gibt die alte Presse in Nr. IV der in den Quellen genannten Aufsätze ausführliche Nachricht. Noch sei bemerkt, daß in französischen Schriften der Name Reinhard mit der Schreibung Reinart, ja sogar zu Rénard entstellt vorkommt.

Presse (Wiener polit. Blatt) 1865, Nr. 21, im Feuilleton: „Zur indischen oder Reinhardischen Erbschaftsgeschichte. Eingesendet aus der Schweiz“; – dieselbe 1866, Nr. 38, 39, 43 u. 44, im Feuilleton: „Zur indischen oder Reinhardischen Erbschaftsgeschichte: Documentarische Aufschlüsse, eingesendet aus der Schweiz. I–IV.“ – Die Debatte (Wiener polit. Blatt) 1867, 17. October, im Feuilleton: „Somroo und seine Familie“.