Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 22 (1870), ab Seite: 27. (Quelle)
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Perl, Joseph (israelitischer Pädagog, geb. zu Tarnopol in Galizien im Jahre 1773, gest. ebenda im Jahre 1839). Der Sohn eines wohlhabenden Israeliten, der in Tarnopol, einer damals noch unbedeutenden galizischen Provinzialstadt, einen Weinhandel und außerdem einen Ausfuhrhandel mit Rohproducten nach Deutschland betrieb. Unter glücklichen häuslichen Verhältnissen verlebte Joseph seine Jugend und, erst dreizehn Jahre alt, hatte er sich schon nicht unbedeutende talmudische Kenntnisse angeeignet. Mit 14 Jahren heirathete er, und aller Lebenssorge enthoben, indem die reichen Eltern lange Jahre ihn sammt Frau und später auch mit Kindern bei sich behielten und für deren Lebensunterhalt ausgiebig sorgten, hatte der Sohn Muße genug, seinen talmudischen, später auch kabbalistischen Studien mit Eifer obzuliegen. So vergingen seine Jünglingsjahre in nutzlosem geistigem Brüten und Träumen, woraus sein Uebertritt zum Chassidismus, der sich eben damals zu regen begann, zu erklären. Der Chassidismus war eine Art Sectirerei, welche in den Neunziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts mächtig zu Tage trat. Während in der angegebenen Zeitperiode die große Gährung, durch die französische Revolution hervorgerufen, in allen Geistern begann und Sitten und Denkart aller Völker sich neu gestalteten, blieben die polnischen Juden allein vom Geiste der Zeit unberührt, ja noch mehr, sie versanken in den finstersten abgöttischen Aberglauben der rohesten Jahrhunderte zurück. Die Bemühungen Mendelssohn’s und seiner Schüler negirend und verhöhnend, führten sie den despotischen Cultus einer irregeleiteten Phantasie, einen alle edleren menschlichen Triebe lähmenden Fatalismus im Judenthume ein, alle Andersdenkenden offen und heimlich verfolgend. Und zu den Anhängern dieses Irrwahns gehörte auch der junge Perl. Aber die Ausartung des Chassidismus weckte in Perl’s Seele zuerst Zweifel und mit dem Beginne derselben entwand sich alsbald sein Geist dem finstern Wahne, der ihn lange genug in seinen Banden gehalten. Er erwachte aus seiner unfreiwilligen Verirrung und der Vater, der längst mit Besorgniß diese unheilvolle Richtung des Sohnes beobachtet hatte, benützte sogleich die veränderte Stimmung desselben und stand ihm hilfreich zur Seite. Er führte ihn in das Geschäftsleben ein, suchte in ihm Sinn für Handel und Erwerb zu wecken, schickte ihn auf Reisen nach Ungarn und nach Wien, von denen der Sohn, geistig genesen, zurückkehrte. Ein anderer wesentlicher und den Umschwung in Perl’s Denkungsart mächtig fördernder Umstand war seine Bekanntschaft mit Beer Günzburg – wohl der Vater des Dichters Johann Franz Günzburg [Bd. VI, S. 17) – der damals eine ehrenvolle Stelle in der hebräischen Literatur einnahm und an den sich Perl mit solcher Innigkeit anschloß, daß er den Vater dahin zu stimmen wußte, Günzburg in’s Haus nehmen zu dürfen, in [28] welchem dieser nun zwei Jahre verweilte, Perl’s Studien leitete und ihm Geschmack für die hebräischen Werke der neuen Berliner Schule, sowie für deutsche Sprache und Literatur einzuflößen verstand. Als Günzburg später Perl’s Haus verließ und in seine Heimat zurückkehrte, blieb er doch noch viele Jahre mit seinem Zöglinge in brieflichem Verkehre. Allmälig erweiterte sich Perl’s Gedankenhorizont. Neue Bekanntschaften mit tüchtigen und gebildeten Geschäftsleuten, mit bedeutenden Gelehrten seiner Nation, wie mit Bloch [Bd. I, S. 435], Krochmal [Bd. XIII, S. 239], Bodek, Rapaport u. A. blieben nicht ohne Einfluß auf seine Absichten, die zunächst auf Reformen in seinem Volke abzielten. Der Gedanke, eine Schulanstalt für die verwahrloste Jugend seiner Gemeinde zu gründen, beschäftigte ihn bald ausschließlich und er sann nur mehr auf die Mittel, diesen Gedanken auszuführen. Die Hoffnungen, die er auf seine Mitbürger richtete, zeigten sich aber nur zu bald als trügerisch. Die damaligen politischen Wirren und feindlichen Invasionen ließen den Leuten wenig oder gar nicht Zeit, sich mit humanistischen Ideen zu beschäftigen, und der durch die immerwährenden Kriege in Frage gestellte Handel hatte tiefe Wunden in Vermögen und materiellen Besitz geschlagen, so daß oft dort, wo es am Willen nicht gebrach, auf Perl’s Ideen einzugehen, die erforderlichen Mittel zur Verwirklichung derselben fehlten. So arbeitete Perl selbst im Stillen an der Ausführung seines Planes fort und trat, nachdem er mit sich selbst über das Wie einig geworden, im Jahre 1812 damit auf. Glücklicher Weise hatte er doch einige Freunde und Familien für seine Absicht, zunächst eine Privatschule zu errichten, gewonnen und schritt rasch an die Ausführung. Den größten Theil des eigenen Hauses räumte er zum Schullocale ein, gewann tüchtige Lehrer und eröffnete im Jahre 1813 mit 16 Schülern einen Lehrcurs im Elementarunterrichte der hebräischen, deutschen und französischen Sprache. Tarnopol und der ganze Kreis waren damals zu Rußland gehörig. Der russische Senator Theyls, dem die Verwaltung dieser russischen Provinz zugewiesen worden war, förderte auf das Ernstlichste Perl’s Unternehmen. Bald wuchs die Zahl der Schüler zusehends, und als sie gar hundert erreichte, stellte sich das unabweisbare Bedürfniß heraus, ein eigenes Schulgebäude zu erbauen. Auch dafür sorgte Perl. Innerhalb zwei Jahren stand ein schönes Schulhaus und eine reich ausgestattete Synagoge in Tarnopol da. P. hatte die Baukosten zum großen Theile aus eigenen Mitteln und den Rest aus der Summe bestritten, um welche die Sitze in der Synagoge verkauft wurden. Am Wochenfeste 1815 wurde die neue Schule von ihrem Stifter selbst eingeweiht. Als bald darauf Tarnopol an Oesterreich zurückkam, erhielt nach einiger Zeit der verdienstvolle Perl von Kaiser Alexander die goldene Ehrenmedaille. P. blieb nun nicht bei der Schule stehen, er errichtete neben ihr auch eine hebräische Druckerei und veröffentlichte einen Kalender, dem ein belletristisches Jahrbuch beigegeben wurde. Bisher war aber die Schule eine Privatanstalt; Perl’s Streben war nun darauf gerichtet, ihr von der Regierung einen bleibenden Fond zu verschaffen, was ihm denn auch im Jahre 1819 gelang, in welchem die Anstalt zu einer öffentlichen deutsch-israelitischen Hauptschule erhoben und ihren Zöglingen das [29] Recht eingeräumt wurde, aus ihr unmittelbar in höhere Lehranstalten zu übertreten. Außer allen in österreichischen Normalschulen vorgetragenen Lehrgegenständen wurden in derselben noch hebräische Grammatik, der Elementarunterricht im Talmud, das Ceremonialgesetz für die Knaben, sowie weibliche Handarbeiten gelehrt. Im Jahre 1820 trat Perl die Gebäude sammt Einrichtung der Gemeinde als Eigenthum ab, auf alle von ihm daran gewendeten Auslagen und auf die Bezeichnung „Perl’sche Schule“ verzichtend, an deren Stelle der Titel: „Deutsch-israelitische Hauptschule zu Tarnopol“ trat, nur behielt er sich einen jährlichen 6procentigen Ertrag von 2000 fl. C. M. vor, den er als Unterstützungsfond für jüdische Handelslehrlinge bestimmte. Für seine Verdienste wurde nun P. von Kaiser Franz im Jahre 1821 mit der mittleren goldenen Medaille sammt Oehr und Band ausgezeichnet, auch wurde er zum lebenslänglichen Director der Schule mit einem Jahrgehalte von 600 fl. C. M., den er nie beziehen wollte, ernannt, mit dem Rechte, seinen Nachfolger ernennen zu können, welches Recht auf den jedesmaligen Director sich vererbt. Das Jahr vorher war auch an ihn von Seite der Regierung der Ruf ergangen, nach Lemberg zu kommen, um daselbst bei der Ausarbeitung des neuen Judengesetzes, welches man zu erlassen beabsichtigte, mitzuwirken. Perl’s Beispiel wirkte zündend auf seine gleichgesinnten Glaubensgenossen, die jüdischen Gemeinden Galiziens erwachten allmählig aus ihrer Unthätigkeit, überall gab sich das Streben kund, es dem Vorbilde in Tarnopol gleich zu thun; Brody gründete zuerst eine tüchtige Realschule; Lemberg emancipirte sich sofort von der langjährigen Tyrannei, welche von einer orthodoxen, reichen und mächtigen Judenfamilie ausgeübt wurde, Männer wie Rappaport, Leo Mises, Erter traten in die erste Reihe der Kämpfer gegen den bisher geübten geistigen Druck; Krochmal in Zolkiew gewann durch diese Vorgänge Muth und wagte es nun, öffentlich gegen seine Verfolger, die Chassidim, aufzutreten und sich mit einem Kreise gleichgesinnter junger strebender Leute zu umgeben, und dieser durch Perl hervorgerufene Umschwung wurde auch außerhalb Galizien freudig vermerkt, und die Gesellschaft für Cultur und Wissenschaft des Judenthums in Berlin, deren Leitung Männer wie Gans, Zunz, Marcus besorgten, nahm im Jahre 1822 Perl unter ihre Mitglieder auf. Perl, der mittlerweile durch den Tod seines Vaters Erbe eines nicht unbeträchtlichen Vermögens geworden, richtete nunmehr sein Augenmerk auf die Erweiterung seiner Zwecke, mit der Vervollkommnung seiner eigenen Selbstbildung und mit der Erziehung seines Sohnes Michael beginnend. Er legte eine reiche Büchersammlung an, in welcher die Fächer der Theologie, Geschichte, Polytechnik, Linguistik und Legislatur in trefflichen Werken vertreten waren und die in seinem Hause zu Jedermanns Benützung offen stand. Auch wendete er sein Augenmerk der Verbreitung des Handwerks unter den Israeliten zu, worin seine Bemühungen von den glücklichsten Erfolgen begleitet waren, denn bald besaß Tarnopol ganz tüchtige Israeliten, welche die verschiedensten Handwerke mit großem Geschicke ausübten. Minder glücklich aber waren Perl’s Versuche, den Ackerbau unter den Juden in Schwung zu bringen. Im Jahre 1830 unternahm er eine Reise nach Wien, um das den Juden verbotene [30] Apothekergewerbe denselben zugänglich zu machen, was ihm jedoch nicht gelang, wohl aber wurde Perl’s Sohne Michael durch einen besonderen Gnadenact des Kaisers Franz gestattet, die in Wien begonnenen pharmaceutischen Studien zu beendigen und ausnahmsweise in Tarnopol eine Apotheke zu eröffnen. Nach des Vaters Tode übernahm Michael dessen Stelle als Schuldirector. Selbstverständlich war Perl, der Vater, der seine Reformbestrebungen auch durch Schriften unterstützen wollte, als Schriftsteller thätig. Er hat folgende Werke herausgegeben: „מְגַלֵה טְמיִריִן‎ Briefe (151) in der Weise der Epistolae obscurorum virorum, zur Verspottung der Chassidim und zur Verhöhnung ihres Treibens, ihrer Rabbi’s und ihrer Unwissenheit“ (Wien 1819, 4°.). Perl hatte diese Schrift unter dem Pseudonym: Joseph ‘Obadja b. Petachja herausgegeben; – „דִבְרֵי צַדִּיקִים‎ Ueber die Chassidim und ihre Zaddiks“ (Wien 1830, 8°.); – „בּוֹהֵן צַדִּיק‎ Verschiedene Meinungen über sein Buch Megalle Temirin in höchst ergötzlicher, die Chassidim verhöhnender Weise vorgetragen. Dazu eine Beschreibung der jüdischen Colonien am schwarzen Meer“ (Prag 1833, 8°.). Perl starb zu Tarnopol im Alter von 651/2 Jahren, in seinem Geburtsorte und unter der Reformpartei des gesammten Judenthums ein gesegnetes Andenken hinterlassend.

Mannheimer (I.), Leichenrede auf Joseph Perl (Wien 1840, 8°.). – Rappaport (Sal. L.), Betrachtung über den Hintritt Perl’s in hebr. Sprache (Prag 1841, 8°.). – Wiener Mittheilungen. Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst, orientalische Studien und israelitische Culturzustände. Von Dr. M. Letteris (Wien, 4°.) VIII. Jahrgang (1861), Nr. 15, 17, 19, 20 u. 22: „Joseph Perl. Biographische Skizze von Dr. Nathan Horwitz“. –