BLKÖ:Müller, Friedrich (Sprachforscher)

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
Band: 19 (1868), ab Seite: 348. (Quelle)
[[| bei Wikisource]]
Friedrich Müller (Sprachwissenschaftler) in der Wikipedia
Friedrich Müller in Wikidata
GND-Eintrag: 118737414, SeeAlso
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für Wikipedia 
* {{BLKÖ|Müller, Friedrich (Sprachforscher)|19|348|}}

14. Müller, Friedrich (Sprachforscher und Orientalist, geb. zu Jemnik in Böhmen 5. März 1834). Der ältere Bruder des gleichfalls als Linguist, und zwar als Orientalist ausgezeichneten Alois Müller [s. d. S. 339, Nr. 4]. Der Vater beider, Apotheker, war an der zu Jemnik befindlichen Schwefelsäurefabrik als Chemiker angestellt. Seine Erziehung und Schulbildung erhielt Friedrich in Rötz in Niederösterreich, wo seine Eltern bis zum Jahre 1845 sich aufhielten. Von 1845 bis 1848 studirte er am Josephstädter Gymnasium in Wien, von 1848 bis 1851 am Gymnasium zu Znaim, und von 1851 bis 1853 am Gymnasium der Theresianischen Ritterakademie in Wien, wo er sich auch der Maturitätsprüfung unterzog. Er widmete sich darauf von 1853 bis 1856 an der Wiener Universität philosophisch-philologischen Studien; namentlich trieb er Philosophie, griechische Philologie und orientalische Sprachen. Nachdem er mittlerweile an der damals unter A. Auer’s Leitung stehenden k. k. Hof- und Staatsdruckerei eine Beschäftigung als Corrector für orientalische Sprachen gefunden hatte, wurde er 1858 auf Grund seiner in den Sitzungsberichten der kais. Akademie der Wissenschaften (Bd. XXV) abgedruckten Abhandlung: „Der Verbalausdruck im ârisch-semitischen Sprachkreise“, von der Universität Tübingen zum Doctor philosophiae promovirt. Von 1858 bis 1860 als Amanuensis an der k. k. Universitäts-Bibliothek angestellt, trat er im Jahre 1861 in derselben Eigenschaft an die kais. Hofbibliothek über. Nachdem er mittlerweile im J. 1860 an der Wiener Universität als Privatdocent für allgemeine Sprachwissenschaft und orientalische Sprachen sich habilitirt hatte, wurde er 1866 zum außerordentlichen Professor der orientalischen Linguistik ernannt. Anfangs für die classisch-philologische Laufbahn bestimmt, um bei seiner gänzlichen Mittellosigkeit als Lehrer an einem Gymnasium sein Fortkommen zu finden, wendete sich Müller, durch die sorgenfreie Stellung als Hofmeister in dem Hause des Advocaten Dr. Eduard Kafka dazu veranlaßt, mit besonderer Liebe dem Studium der Sprachwissenschaft zu, zu welchem er durch das Erlernen des [349] Sanskrit unter der Leitung A. Boller’s den Grund legte. Später warf sich M. ohne jegliche Anleitung mit eisernem Fleiße (er pflegte oft 12–14 Stunden täglich zu arbeiten) auf andere Sprachen, so auf das Arabische, Hebräische, Persische, Aethiopische. Mit besonderer Vorliebe pflegte er aber frühzeitig die érânischen und indischen Sprachen (Zend, Persisch, Armenisch, Pali, Prakrit, Hindustani, Bengali), deren damals noch nicht bearbeitete vergleichende Grammatik ihn stets beschäftigte. Nachdem er seit 1858 eine Reihe sprachwissenschaftlicher Abhandlungen, größtentheils Vorarbeiten zu dem eben erwähnten großen Werke, in den Sitzungsberichten der kais. Akademie veröffentlicht hatte, wurde ihm von Seite der letzteren die Bearbeitung der von der Novara-Expedition gesammelten sprachlichen Materialien übertragen. Durch diese Arbeit, welche ihn auf das Studium der malayo-polynesischen, afrikanischen und australischen Sprachen führte, gewann er die genaue und sichere Detailkenntniß einer Reihe von Sprachen, welche er bis dahin nur im Grundrisse zu kennen Gelegenheit gehabt hatte. M. ließ im Jahre 1867 jene Abtheilung, welche die für die Sprachwissenschaft gewonnenen allgemeinen Resultate umfaßt, als „Linguistischen Theil des Novara-Reisewerkes“ erscheinen; die zweite Abtheilung, welche die Lexika, einzelne Specialgrammatiken und Texte umfaßt, wird in kurzer Zeit abgesondert herausgegeben werden. Das Werk, welches eine vergleichende Darstellung der süd- und ost-afrikanischen, der indischen (Dravida- und Sanskrit-) Sprachen, des Singhalesischen, ferner der australischen und malayo-polynesischen Sprachen enthält, wurde von der deutschen, englischen und französischen gelehrten Kritik mit ungetheiltem Beifalle aufgenommen und als eine der vorzüglichsten Leistungen der modernen Sprachwissenschaft bezeichnet. Während des Druckes des linguistischen Theiles erging an M. die Einladung, in Gemeinschaft mit Dr. K. von Scherzer auch den ethnographischen Theil des Novara-Reisewerkes zu bearbeiten. Nachdem jedoch Dr. K. v. Scherzer durch seine mittlerweile erfolgte Ernennung zum Ministerialrathe im Ministerium für Handel und Volkswirthschaft an der Betheiligung an dem projectirten Werke verhindert wurde, fiel M. die Aufgabe zu, das Werk allein auszuführen. Dasselbe erschien 1868. Als Anerkennung für die Bearbeitung des linguistischen Theiles des Novara-Werkes wurde M. von Sr. Majestät die goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft verliehen. Derselbe wurde 1868 von der kais. Akademie der Wissenschaften zum correspondirenden Mitgliede erwählt. Die von Friedrich Müller durch den Druck bisher veröffentlichten Schriften sind: „Reise der österreichischen Fregatte Novara um die Erde in den Jahren 1857, 1858, 1859. Linguistischer Theil (Wien 1867, 4°., VI u. 357 S.); – „Reise der österreichischen Fregatte Novara um die Erde in den Jahren 1857, 1858, 1859. Ethnographischer Theil“ (ebd. 1868, 4°., XXX u. 225 S., mit einer Karte und 10 photographirten Tafeln); – „Der Verbalausdruck im ârisch-semitischen Sprachkreise (ebd. 1858, 8°.), auch in den Sitzungsberichten der philosophisch-historischen Classe der kais. Akademie der Wissenschaften, Bd. XXV; – „Das grammatische Geschlecht (genus)“ (ebd. 1860, 8°.), Sitz. Ber., Bd. XXXIII; – „Einiges über das ν ἐφελκυστικόν im Griechischen vom sprachwissenschaftlichen Standpuncte“ (ebd. 1860, 8°.), S. B,. Bd. XXXIV; – „Zur Suffixlehre des indogermanischen Verbums“ [350] (ebd. 1860, 8°.), S. B., Bd. XXXIV; – „Der Dual im indogermanischen und semitischen Sprachkreise“ (Wien 1860, 8°.), S. B., Bd. XXXV; – „Die Stellung des Ossetischen im érânischen Sprachkreise“ (ebd. 1861, 8°.), S. B., Bd. XXXVI; – „Zwei sprachwissenschaftliche Abhandlungen zur armenischen Grammatik“ (ebd. 1861, 8°.), S. B., Bd. XXXV; – „Beiträge zur Lautlehre der armenischen Sprache, I. II. III.“ (ebd. 1862–1863, 8°.), S. B., Bd. XXXVIII, XLI, XLII; – „Ueber die Sprache der Avghânen (Paschta). I. II.“ (ebd. 1862–1863, 8°.), S. B., Bd. XL u. XLII; – „Beiträge zur Lautlehre der neupersischen Spruche“ (ebd. 1862–1863, 8°.), S. B., Bd. XXXIX u. XLIII; – „Beiträge zur Conjugation des armenischen Verbums“ (ebd. 1863, 8°.), S. B., Bd. XLII; – „Zendstudien. I. II.“ (Wien 1863, 8°.); S. B., Bd. XL u. XLIII; – „Beiträge zur Lautlehre des Ossetischen“ (ebd. 1863, 8°.), S. B., Bd. XLI; – „Beiträge zur Declination des armenischen Nomens“ (ebd. 1864, 8°.), S. B., Bd. XLIV; – „Das Personalpronomen in den modernen armenischen Sprachen“ (ebd. 1864, 8°.), S. B., Bd. XLIV; – „Die Conjugation des neupersischen Verbums, sprachvergleichend dargestellt“ (ebd. 1864, 8°.), S. B., Bd. XLIV; – „Die Conjugation des ossetischen Verbums, sprachvergleichend dargestellt“ (ebd. 1864, 8°.), S. B., Bd. XLV; – „Ueber die Harari-Sprache im östlichen Afrika“ (Wien 1864, 8°.), S. B., Bd. XLIV; – „Die Sprache der Bari. Ein Beitrag zur afrikanischen Linguistik“ (ebd. 1864, 8°.), S. B., Bd. XLV; – „Beiträge zur Kenntniss der neupersischen Dialekte. I. Mâzandarâni-Dialekt. II. Kurmânģi-Dialekt. III. Zaza-Dialekt“ (ebd. 1864–1865, 8°.), S. B., Bd. XLV, XLVI, XLVIII; – „Armeniaro. I.“ (ebd. 1865, 8°.), S. B., Bd. XLVIII; – „Ueber den Ursprung der armenischen Schrift“ (ebd. 1865, 8°., mit einer Tafel), S. B., Bd. XLVIII; – „Ueber den Ursprung der himjarisch-äthiopischen Schrift“ (ebd. 1865, 8°., mit einer Tafel), S. B., Bd. XLIX; – „Ueber den Ursprung der Schrift der malayischen Völker“ (Wien 1865, 8°., mit einer Tafel), S. B., Bd. L; – „Die Conjugation des avghânischen Verbums, sprachvergleichend dargestellt (ebd. 1867, 8°.), S. B., Bd. LV; – „Der grammatische Bau der Algonkin-Sprachen, ein Beitrag zur amerikanischen Linguistik“ (ebd. 1867, 8°.), S. B., Bd. LVI; – „Beiträge zur Kenntniss der Pâli-Sprache. l. II.“ (ebd. 1867–1868, 8°.), S. B., Bd. LVII. Ferner in dem zu Göttingen von Th. Benfey herausgegebenen „Orient und Occident“, im I. u. II. Bande: „Sprachwissenschaftliche Beiträge“; – im II. Bande: „Ueber die sprachwissenschaftliche Stellung der kaukasischen Sprachen“; – im III. Bande: „Ueber die Sprache der Belutschen“ ; – „Kurdisches und syrisches Wörterverzeichniß“; – „Bari-Texte“; – „Einiges zur Theorie des semitischen Verbalausdrucks“; – „Ueber die Sprache der Bedscha im nordöstlichen Afrika“; – „Sprachwissenschaftliche Beiträge“; – „Wortbildungslehre der armenischen Sprache“; – in der Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft, Bd. XVI: „Die äthiopischen Handschriften der k. Wiener Hof-Bibliothek“; – in der Deutschen Vierteljahrschrift für theologische Forschung von M. Heidenheim, im II. Bande: „Die armenischen Handschriften der k. Wiener Hof-Bibliothek“; – in Behm’s Geographischem Jahrbuche, Bd. I: „Linguistische Ethnographie“; – Bd. II: „Entwurf eines neuen Systems der linguistischen Ethnographie“, außerdem mehrere bald größere, bald kleinere Abhandlungen im II. bis V. Bande der „Beiträge zur vergleichenden [351] Sprachforschung auf dem Gebiete der arischen, slavischen und celtischen Sprachen von A. Kuhn und Schleicher“, dann Recensionen linguistischer Werke in verschiedenen Zeitschriften, einige Artikel in der Wiener Wochenschrift, mit F. M–r gezeichnet, im Mannheimer Album u. s. w. Recensionen über die verschiedenen Arbeiten M.’s finden sich im „Literarischen Centralblatt“ von Zarncke, in den „Göttinger gelehrten Anzeigen“ und in den „Beiträgen zur vergleichenden Sprachforschung“ von Kuhn und Schleicher. Das von M. bebaute Gebiet der Sprachwissenschaft ist vor ihm theils nur wenig, theils noch gar nicht gewürdigt und bearbeitet worden. M. hat somit das Verdienst, gleichsam Bahnbrecher zu sein, und die übereinstimmenden Urtheile der Fachmänner über seine Arbeiten weisen ihm eine hervorragende Stelle unter den Pflegern der Sprachwissenschaft der Gegenwart ein, und seine Jugend – denn M. zählt erst 34 Jahre – berechtigt noch zu Bedeutendem. Friedrich Müller ist seit dem Jahre 1866 mit Emilie Kurz, der Tochter des Schulrathes Johann Kurz in Linz, vermält.

Allgemeine Literatur-Zeitung (Wien) 1867, Nr. 18. – (Augsburger) Allgemeine Zeitung 1867, Beilage Nr. 126 u. 127. – Heidelberger Jahrbücher für Literatur 1867, Nr. 18, S. 273 u. f. – Göttinger gelehrte Anzeigen 1867, S. 712 u. f. – Petermann’s geographische Mittheilungen, Jahrg. 1867, S. 355 u. f. – Literarisches Centralblatt von Zarncke (Leipzig) 1865, Sp. 1254 u. f.; 1867, Sp. 1143 u. f. – Beiträge zur vergleichenden Sprachforschung, herausgegeben von Kuhn und Schleicher (Berlin), Bd. V, S. 376 u. f. – Annales des voyages, dirigés par Malte Brun (Paris), 1867, p. 221 et s. – Revue critique (Paris) 1867, Nr. 22. – Trübner’s Oriental record (London) 1867, Nr. 26.