Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 15 (1866), ab Seite: 349. (Quelle)
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Locatelli, Jacob (Arzt, geb. zu Canneto, einer damals zum Gebiete von Brescia, heute jedoch zu jenem von Mantua gehörigen Ortschaft, im Jahre 1756, gest. zu Mailand 19. April 1838). Entstammt einer wohlhabenden Familie und begann seine Studien zu Brescia, wo damals seine Eltern wohnten. Die philosophischen Studien horte er zu Mantua und nun begab er sich nach Pavia, um an der dortigen Hochschule die medicinischen Studien, für die er sich aus eigener Neigung entschieden, zu beginnen. Männer, wie Borsieri [Bd. II, S. 76], Scarpa, Scopoli, Spalanzani, Tissot, lehrten an dieser damals berühmtesten Hochschule Italiens. Im Jahre 1782 erlangte L. die medicinische Doctorwürde. Um jene Zeit stand Erzherzog Ferdinand als Statthalter an der Spitze der Provinz, und durch Tissot an diesen Fürsten empfohlen, schickte ihn derselbe auf Reisen nach Frankreich und England, wo er die berühmtesten Lehranstalten und medicinischen Institute dieser Länder kennen lernte, die Vorträge ausgezeichneter Lehrer seines Faches besuchte, mit vielen persönlich bekannt wurde und später im literarischen Briefwechsel die Bekanntschaft fortsetzte. Von seiner Reise zurückgekehrt, widmete er sich nun der ärztlichen Praxis; sein Mäcen, der Erzherzog, ernannte ihn zum Hofarzte, und so ward ihm als Nachfolger Borsieri’s auf diesem Posten rasch ein Weg gebahnt, den andere mühsam erklimmen müssen und oft gar nicht erreichen. In seiner bald sehr ausgebreiteten Praxis erwarb er sich durch Geschicklichkeit, Würde und Humanität einen ausgezeichneten Ruf. Er wurde nun erster Arzt am großen Hospital von Mailand und erhielt dann die Lehrkanzel der medicinischen Klinik, welche vor ihm der berühmte Johann Peter Frank [Bd. IV, S. 320] bekleidet hatte. Um jene Zelt beschäftigte die italienischen Aerzte und selbst die Lehrer auf den Universitäten das System Brown’s, welches mit jedem Tage mehr Anhänger gewann. Locatelli hatte die Ansichten Brown’s noch während seiner Anwesenheit in Edinburgh, als er dort die Vorträge Cullen’s besuchte, kennen gelernt und war nie von ihrer Stichhältigkeit überzeugt worden. Jetzt hatte er sich zur Aufgabe gemacht, dieser neuen Heilmethode, deren Schädlichkeit er in ihren Folgen erkannte, mit der ganzen Macht der Wissenschaft entgegen zu treten, ihre Gebrechen und Nachtheile rückhaltlos aufzudecken und so einer monströsen Anarchie, die unausbleiblich schien, wenn dieses System in der ärztlichen Behandlungsweise festen Fuß faßte, vorzubeugen. Seine Bestrebungen blieben nicht ohne Erfolg; daß [350] aber mit dem bloßen Verneinen und Widerlegen eines bereits von Anhängern gepflegten und vertheidigten Systems nicht geholfen sei, fühlte L. selbst nur zu sehr, und um dennoch seinen Ansichten mehr Wirksamkeit zu verleihen, setzte er selbst an die Stelle des von ihm abgewiesenen Systems ein anderes, gewann für seine antiphlogistische Methode, die viel einfacher war und den Vortheil einer einheitlichen Methode besaß, unter den praktischen Aerzten immer mehr und mehr Anhänger und wurde auf diese Art vor Rasori der Begründer des sogenannten italienischen Systems in der Medicin [vergleiche das Nähere in den Quellen]. Die politischen Veränderungen, welche indessen in Italien stattgehabt, blieben im Allgemeinen auf ihn selbst ohne Einfluß, nur in seinen wissenschaftlichen Studien traten bei dem Drunter und Drüber der Revolution für ihn sehr unangenehme, jedoch nicht zu beseitigende Störungen ein. Als der Republik das neue Königreich Italien, mit einer neuen Dynastie und einer veränderten Verwaltungsform folgte, wurde L. 1805 durch Ernennung zum Leibarzte am Hofe des Vicekönigs und im folgenden Jahre durch die Verleihung des Ordens der eisernen Krone ausgezeichnet. Seine klinischen Vorträge hielt L. so lange, bis alle Specialschulen, welche bis dahin an den einzelnen Spitälern sich befanden, aufgehoben und zu den Universitäten einbezogen wurden. Damals legte L., der indessen schon alt geworden, auch sein Lehramt nieder und behielt nur noch die Stelle eines Primararztes bei Santa Catarina und an der von einigen menschenfreundlichen Bürgern Mailands gestifteten Casa di salute. Schriftstellerisch auf seinem wissenschaftlichen Gebiete war es dem durch eine ausgebreitete Praxis stark in Anspruch genommenen L. nur ausnahmsweise zu wirken gegönnt. Bald nach seiner Rückkehr von der wissenschaftlichen Reise veröffentlichte er ein paar Abhandlungen, und zwar: „Intorno a chimici lavori di Lubbok“ und „Sull’ innestamento dell Morbillo“. Im Jahre 1819 erschien von ihm im Drucke das Werk: „Annotazioni di medicina pratica sulle malattie curate nella clinica dell’ ospedale maggiore di Milano diretta dal professore Locatelli“ (Milano, 8°.), durch welche er eine hartnäckige Polemik mit seinem einstigen Schüler Enrico Acerbi hervorrief. Locatelli schloß diesen gelehrten Streit mit dem Aufsatze: „Osservazioni sulle febbri continue, intermittenti e sui morbi d’infiamazzione“, abgedruckt in Omodei’s „Annali universali di Medicina“. Außerdem ließ er über wichtige Fälle aus seiner Praxis dann und wann Aufsätze in Fachzeitschriften erscheinen, übersetzte auch einiges Fachwissenschaftliche aus anderen Sprachen, schrieb eine Geschichte der Krankheit des Malers Errante, welche seiner Zeit in Mailand großes Aufsehen machte und arbeitete an seinen Memoiren, welche er handschriftlich zurückgelassen. Sein gelehrter Briefwechsel mit Andre, Blak, Monro, Valentin, Rubini und Anderen möchte unter der entsprechenden Redaction eines Fachmannes für die Wissenschaft mannigfaches Interesse darbieten. L. war Mitglied mehrerer Gelehrten-Gesellschaften und Akademien, und aus freiwilligen Spenden wurde ihm im großen Spitale zu Mailand, dessen Leitung so lange in seine Hände gelegt war, ein Denkmal zur bleibenden Erinnerung an den ausgezeichneten Arzt errichtet.

Tipaldo (Emilio de), Biografia degli italiani illustri nelle scienze, lettere ed arti del [351] secolo XVIII e de’ contemporanei (Venezia 1836, tipografia di Alvisopoli, gr. 8°.) Tomo III, p. 176 e s.Biblioteca italiana (Milano, 8°.) 1836, Märzheft. – Commentari dell’ Ateneo di Brescia (Brescia, tipogr. della Minerva, 8°.) L’anno academico 1841, p. 228. – Schivardi (Antonio), Biografia dei Medici illustri Bresciani con la cronaca degli spedali della città o Provincia (Brescia 1852, Venturini, 8°.) p. 7–18: „Giacomo Locatelli clinico medico“. – Ueber Locatelli’s Anspruch auf die Begründung der neuen sogenannten „italienischen Schule“ in der Arzeneikunst äußert sich ein Fachmann, Omodei, der Herausgeber der Mailänder „Annali universali di Medicina“ in seiner Schrift über das Fleckfieber (petecchiale), indem er schreibt: „Mille testimonianze viventi possono dichiarare che da tempo l’illustre professore Locatelli aveva già avvertito gl’incauti del gravissimo errore in che era caduto il riformatore Scozzese, riducendo a picciolissimo numero le malattie infiammatorie, e che tanto nella Clinica dell’ ospedale, quanto nella pratica privata, quel dotto Medice seguitava a curare antiflogisticamente i mali che 1’ antichità aveva proclamato per tali, specialmente le petecchiale. ... E le „Annotazioni patologiche“ spacciate da alcuni scrittori come cose nuove, erano verità chel’illuminato Locatelli insegnava fino dal finire del passato secolo. II perchè se a taluno fra’ Lombardi appartiene la gloria di aver mantenuto ed ampliato l’impero della flogosi, ed averne perfezionato il metodo curativo, egli e certamente a quegli, cui era in quel tempo affidato il clinico insegnamento nell’ ospedale civile di Milano, cui tutta quella gloria si appartiene.“