Textdaten
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Autor: Karl Wartenburg
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Titel: Böse Räthe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10–11, S. 129–132, 145–150
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[129]
Böse Räthe.[1]
Historische Novelle von Karl Wartenburg.
I.

Am Charfreitag des Jahres 1474 bot die Stadt Breisach im Elsaß einen seltsamen Anblick dar. Während die ganze Christenheit an diesem Tage in allen Städten und Dörfern, sonntäglich gekleidet, zu den Kirchen und Domen eilte, um unter Gebet und Gesang die Todesfeier des Heilands zu begehen, und in der Nähe und Ferne die Glockentöne hell und klar durch die Morgenluft klangen und die Gemeinden zum Gottesdienst riefen, in den Walddörfern des nahe gelegenen Schwarzwaldes, wie in den Alpenthälern des nachbarlichen Bernerlandes, zog zu Breisach in der neunten Morgenstunde ein dichter Haufen Volkes: Männer, Frauen, Jünglinge und Mädchen in ihren Werkeltagskleidern und mit Hacken, Schaufeln, Spaten, Karren und Aexten ausgerüstet, hinaus aus dem Stadtthor zu den Ufern des Rheins, welcher unweit der Stadt vorbeifließt. Zur Linken und Rechten der Leute aber ritten mit blanker Wehr und Waffe burgundische Reiter, Flamländer und Picarden, wilde, verwegene Gesichter, die in ihrer rauhen, fremden Sprache die Säumigen, die hie und da hinter dem Zug zurückblieben, mit gotteslästerlichen, wüsten Flüchen zur Eile antrieben. Zuweilen traf auch wohl ein Schlag mit der Klinge die Schultern eines alten Mannes oder einer schwachen Frau, die seufzend unter der ungewohnten, schweren Last der Hacken und Schaufeln, die sie trugen, mit den rüstigeren Gefährten nicht gleichen Schritt halten konnten. Erscholl dann ein jäher, schriller Schmerzensschrei der Getroffenen, so blickten die Männer und Jünglinge mit finsteren, zornigen Blicken zu den Reitern empor, und trotz dem heiligen Tage entfuhr mancher Fluch den Lippen der Bürger und manche Faust faßte den Stiel der Hacke oder Axt fester, während die Zähne im verbissenen Grimm knirschten. Doch die Reiter kümmerten sich weder um die drohenden Blicke, noch um die zwischen den Zähnen gemurmelten Flüche. Die Verwünschungen und Flüche verstanden sie nicht, und über die Drohblicke lachten sie, im Gefühl jener übermüthigen Sicherheit, die dem Bewaffneten seine Wehr dem Wehrlosen gegenüber fast immer verleiht, nicht beachtend, daß sich in der Hand der haßerfüllten Männer der Kieselstein am Wege, den der Huf ihrer Rosse traf, zum tödtlichen Wurfgeschoß, die Erdhacke zur mordenden Streitaxt verwandeln könnte … –

So ging der Zug weiter und weiter bis zu den Ufern des Rheins, von welchem tiefe, frischaufgeworfene Erdgräben sich eine ziemliche Strecke weit nach der Stadt hinzogen. Die Reiter stiegen von den Pferden, die sie zusammenkoppelten, und trieben dann das Volk zur Arbeit an, die darin bestand, von dem Rheinufer an breite Gräben bis an die Mauern der Stadt und um diese herum zu ziehen. – Als der ganze Haufe nun in Thätigkeit war und hier von den Männern gehackt und gegraben, dort von den Frauen und Mädchen die Erde in den Karren weggefahren und wieder an anderer Stelle von den alten Leuten, die zum Graben und Fahren zu schwach waren, die Erde zusammengeschaufelt wurde, setzten sich die Reiter auf den grünen Rasen, um, während das Volk fuhr, grub und schaufelte, zu trinken und zu würfeln.

So früh es auch noch im Jahre war – es war im Monat April – so fielen die Strahlen der Sonne doch schon heiß auf die arbeitenden Männer und Frauen nieder, und lockten auf manche, von der Anstrengung geröthete Stirn helle Schweißtropfen. Am härtesten aber wurde die schwere Arbeit den Frauen und Mädchen, deren Körperkräfte die ungewohnte Anstrengung kaum zu ertragen vermochten. Und doch bat Keine von ihnen einen der Reiter, die in sorgloser Trägheit zusahen, wie sich das arme Volk abmühte und plagte, um Nachsicht oder Befreiung von der Frohnarbeit, denn sie kannten die rohe Weise dieser verwilderten Krieger, die weder Zucht noch Sitte achtend, das Schrecken aller Frauen und Mädchen der Stadt und des platten Landes waren. –

Die Arbeit an den Erdgräben mochte ungefähr drei Stunden gewährt haben, als zwei der Männer, die am äußersten Ende des einen Grabens arbeiteten und mit scharfer Hacke die Erde aufrissen, in der Ferne leichte, aufwirbelnde Staubwolken erblickten. Der Eine der Männer, eine große, kräftige Gestalt mit breiten Schultern und starken Armen, legte, um die Augen vor den Sonnenstrahlen zu schützen, die Hand an die Stirn, und blickte dann scharf nach der Richtung, wo die Staubwölkchen von der Landstraße aufwirbelten.

„Er ist es, Heinrich,“ sprach er nach einigen Secunden unverwandten Hinschauens zu seinem jüngeren und schwächer gebauten Gefährten, und ein Ausdruck des tiefsten Hasses wurde in den für gewöhnlich ruhigen, ernsten Zügen des Mannes sichtbar; „ich erkenne ihn und seine Begleiter. Es ist der Vogt des Herzogs mit den beiden Baronen, dem Bilgeri von Hewdorf und Konrad von Eptingen.“

„Wer ist es?“ rief der Andere mit erschrockener Miene, während sein Auge mit ängstlich besorgtem Ausdruck von dem heransprengenden Reitertrupp zu einer Gruppe junger Frauen flog, die eben im Begriff waren, auf einem grünen Rasenhügel ihr Mittagsmahl zurecht zu legen; „der Landvogt – der Hagenbach? [130] Und man sagte doch, daß er das Osterfest zu Freiburg feiern wollte?“ Er schwieg einen Augenblick und setzte dann mehr für sich als zu dem Andern gewendet hinzu: „Und heute gerade muß Elsbeth mit am Rheinbau sein. Geb’ der Himmel, Friedrich, aber mir ahnt nichts Gutes, er ist ein gar wüster, wilder Herr, der Landvogt.“

Und der junge Mann seufzte, sein Auge noch immer auf die Gruppe der jungen Frauen geheftet, besorgt auf und strich sich mit der weißen Hand, der man es ansah, daß sie nicht, wie die breite Faust des Anderen, gewöhnt war, die schwere Eisenhacke zu führen, das blonde Haar aus der Stirn zurück. Sein älterer Gefährte warf ihm einen mitleidigen Blick zu und sprach dann, den Jüngeren auf die Schultern klopfend: „Kennst Du nicht das Sprüchwort, Heinrich, gestrenge Herrn regieren nicht lange? Und der Hagenbach ist Einer von der schlimmsten Art. Aber nur Geduld, Vogt,“ und er hob seine Faust drohend gegen den Reitertrupp, „Deine Zeit wird kommen, wie die des Wolfenschieß, den der Baumgarten erschlug, und wie des Geßler, den der Tell erschoß, kam.“

„Um Gott, Bruder!“ rief der Jüngere, und schaute sich erschrocken um, als wollte er sich vergewissern, daß Niemand des Bruders verwegene Rede gehört, „um Gott, was sprichst Du da, Friedrich? Wenn es der Vogt oder einer seiner Zuträger hörte, es wäre um Dich geschehen!“

„Oder um ihn!“ sprach der Andere mit kalter Ruhe, indem er die scharfe Axt gegen die Erde schleuderte.

Gleich darauf sprengte ein kleiner Reitertrupp an den Brüdern vorbei, an dessen Spitze ein großer, starker Mann in glänzender Kleidung ritt. Das Gesicht dieses Mannes war nicht unschön zu nennen. Die Stirn war hoch und bedeutend, an den Schläfen scharfkantig, wie aus Stahl gemeißelt; die Nase, lang und etwas gebogen, deutete auf unternehmenden, kühnen Sinn und die hellen, grauen Augen waren scharf, wie die eines Raubvogels. Der Mund war entschieden sinnlich geformt, groß und mit vollen, starken Lippen, während das Kinn, fest, kurz und breit, Entschlossenheit und Kraft des Willens verkündete. Dabei lag aber in dem ganzen Gesicht ein solcher Ausdruck von Härte und Gewaltthätigkeit, daß sich Jeder, der diesem Mann gegenüber stand und nicht zu seinen vertrauten Freunden zählte, von ihm abgestoßen fühlte. Uebrigens war er nicht mehr jung, wenn auch die einzelnen grauen Haare, die sich unter das braune Haupt- und Barthaar mischten, vielleicht mehr die Folgen eines stürmisch und rasch genossenen Lebens, als die eines kaum fünfzigjährigen Alters waren. Der Name dieses Mannes, den die Frauen und Mädchen im Breisgau, Schwarzwald, Sundgau und im Elsaß nur zitternd und zagend, wie den des Bösen, nannten, den die Männer aber unter Verwünschungen und Flüchen aussprachen, war: Peter von Hagenbach, Landvogt oder Statthalter der Herzogs Karl des Kühnen von Burgund in den ihm, seit dem Spätsommer von 1469 vom Erzherzog Sigismund von Oesterreich verpfändeten, sogenannten österreichischen Vorlanden.

Müde der ewigen Reibungen und Kriege mit der schweizerischen Eidgenossenschaft und des Geldes benöthigt, hatte nämlich der Erzherzog Sigismund seine sämmtlichen Besitzungen im Elsaß, Sundgau, Breisgau, auf dem Schwarzwalde, die Grafschaft Pfyrt und endlich die vier Städte: Rheinfelden, Seckingen, Lauffenberg und Waldshut – welche Besitzungen insgemein die österreichischen Vorlande genannt wurden – an Herzog Karl den Kühnen von Burgund gegen die Summe von 80,000 Gulden verpfändet. Die Beweggründe, die den Erzherzog zu dieser unpolitischen Handlung, welche einem der mächtigsten und eroberungslustigsten Fürsten seiner Zeit den Schlüssel Deutschlands in die Hände gab, verleiteten, waren, wie erwähnt, Ueberdruß an den ewigen Fehden mit der benachbarten Schweiz und außerdem Haß und Erbitterung gegen die Eidgenossen, hervorgerufen und genährt durch die Einflüsterungen des Adels in den Vorlanden und zum Theil in der Schweiz selbst, denen die Entwickelung des eidgenössischen Bundes, das Selbstbewußtsein und die wachsende Macht dieser Kuhbauern, wie die Barone im übermüthigen Spott die Schweizer nannten, ein Dorn im Auge war. Durch die Verpfändung an den mächtigen Herzog von Burgund, der nun der Eidgenossenschaft nächster Nachbar wurde, sollten zwischen dieser und dem Herzog Verwickelungen und Kriege erzeugt werden, die, nach der Meinung der Barone, nur mit der größten Demüthigung der Eidgenossenschaft endigen könnten – denn Herzog Karl war ein Fürst mit so gewaltiger Macht, daß selbst der eilfte Ludwig von Frankreich und der deutsche Kaiser Friedrich ihn fürchteten.

In diese ihm verpfändeten Länder setzte nun Herzog Karl als Landvogt den Ritter Peter von Hagenbach, einen stolzen, ungerechten und frevelmüthigen Mann, wie sich ein alter Chronist über ihn ausdrückt. Zu Breisach hatte der Landvogt seinen Sitz aufgeschlagen, und von hier aus drückte und knechtete er das Volk, das sehnlichst die milde Regierung des Erzherzogs Sigismund zurückwünschte. Obgleich mit einer schönen und liebenswürdigen Frau, einer Gräfin von Thengen, vermählt, schonte doch des Landvogts zügellose Begierde weder Frau noch Mädchen, ja selbst die Klostermauern und der Nonnenschleier schützten nicht vor des Mannes wilder Leidenschaft. Mit blutiger Strenge jede Auflehnung unterdrückend, wie er denn einst zu Tann vier der vornehmsten Bürger durch Henkershand hinrichten, zu Freiburg aber den Mitgliedern einer gegen ihn gerichteten Verschwörung, die sich die Zeisigen nannten, die Augen ausstechen und die Zunge ausschneiden ließ, hatte er diese Lande so eingeschüchtert, daß Alles vor ihm zitterte, und Niemand seine Stimme gegen den mächtigen Statthalter des Herzogs zu erheben wagte.

Angestachelt durch seine zwei vertrauten Freunde, die Barone von Hewdorf und Eptingen, reizte er selbst die Eidgenossenschaft durch seinen Uebermuth, und ließ in dem bernischen Amte Schenkenberg durch einen seiner Hauptleute, den Dietrich von Hasbein, sogar burgundische Fahnen aufstecken, eine Handlung, welche Bern, nachdem es die Fahnen mit Gewalt weggenommen, im Wiederholungsfalle als eine Kriegserklärung anzusehen drohete. Als nun vollends im April 1474 zu Constanz zwischen Eidgenossen und dem Erzherzog Sigismund, dem das Schicksal seiner verpfändeten Vorlande sehr zu Herzen ging, und der sie gern wieder von Herzog Karl einlösen wollte, die „ewige Richtung“ beschworen wurde, nach welcher von nun an alle Feindseligkeiten zwischen dem Hause Oesterreich und der Eidgenossenschaft ein Ende haben sollten, da wurde des Freiherrn von Hagenbach Benehmen ein noch viel drohenderes und herausfordernderes und er suchte vor Allem Breisach, wo er seinen Sitz genommen, zu befestigen und zu einem Hauptwaffenplatz der burgundischen Herrschaft zu machen.

Aus diesem Grunde nahm er auch den Rheinbau vor; er ließ nämlich Gräben um die Stadt ziehen, um dann den Rheinstrom hineinleiten zu können, und dadurch die Stadt uneinnehmbar zu machen; ein Werk, welches er mit solcher Eile betrieb, daß selbst an dem höchsten Feiertag der Christenheit die gesammte Bürgerschaft, Frauen und erwachsene Mädchen nicht ausgeschlossen, an den Gräben arbeiten mußte. Nur wer eine Buße von fünf Gulden zahlte, konnte sich an dem Tag von dem Frohndienst befreien. Allein nur die Wenigsten konnten bei den ohnedies so hohen Steuern und Abgaben, die unter der burgundischen Herrschaft eingeführt worden waren, diese Summe erschwingen. Und wer nicht zahlte, mußte arbeiten, denn der Vogt war unerbittlich.

So war des Mannes Wesen, dem Herzog Karl der Kühne von Burgund das Regiment in den ihm verpfändeten Ländern anvertraut hatte. Nach dieser nothwendigen Auseinandersetzung fahren wir in unserer Erzählung der Begebenheiten fort.

Wie der Landvogt so einhergesprengt kam, flogen die Hüte von den Köpfen aller Männer, die am Wege standen, und selbst Friedrich Vögelin, der unerschrockene Huf- und Waffenschmied, der neben seinem Bruder Heinrich, dem Goldschmied stand, rückte seinen breitkrämpigen Hut, wenn er ihn auch nicht so ganz ehrerbietig lüftete, wie die Uebrigen. Der Landvogt, der keinen Gruß erwiederte, bemerkte es auch, als er im schnellen Galopp an dem Brüderpaar vorüberritt, und mit herrischer Stimme rief er dem Waffenschmied zu: „Hut ab, Mann, Hut ab, oder es geht Dir an Kopf und Kragen!“

Der Schmied wurde dunkelroth im Gesicht, seine Faust umklammerte die Axt fester, und ein drohender Blick traf den Landvogt, als ihm sein Bruder Heinrich zuflüsterte:

„Friedrich, Friedrich – um Gottes Willen bezähme Dich!“

Mit einer gewaltigen Anstrengung bezwang sich auch der Schmied und da der Landvogt längst vorbei nach jener Gruppe von Frauen hingesprengt war, zu welcher der junge Goldschmied beim Nahen des gefürchteten Landvogts so ängstlich hingeschaut, murmelte er: „Du hast Recht, Heinrich, ich werde noch ein paar Tage warten.“

[131] Fragend blickte Heinrich, der den Sinn dieser Worte nicht verstand, den Bruder an, als dieser, der noch immer dem Landvogt nachschaute, ausrief: „Sieh da, sieh da, Heinrich, der Landvogt spricht mit Deiner Elsbeth!“ Und er deutete auf die oben bezeichnete Gruppe von Frauen, vor welcher der Landvogt mit seinen Begleitern hielt.

Eine tiefe Blässe flog bei des Bruders Worten über des jungen Mannes Gesicht, mit bebender Hand faßte er des Waffenschmieds Arm und indem er die Worte: „Komm’, komm’, Bruder!“ stammelte, zog er ihn nach der Gruppe zu, wo der Freiherr von Hagenbach mit einer jungen, schönen Bürgersfrau, die erröthend[WS 1] die Augen niedersenkte, sprach. Es war dies eine Auszeichnung, die Schlimmes bedeutete, denn der Landvogt sprach nie mit einer hübschen jungen Frau, falls er nicht Böses gegen sie im Sinne hatte.

„Helfe mir Gott!“ rief er in munterer Weinlaune, denn er kam von der Mittagstafel, „da treffe ich auf einmal das schöne Kind, das immer so ehrbar hinter dem Erkerfenster am Markte sitzt. Hätte ich doch nie geglaubt, daß im Breisgau so schöne Blumen wüchsen! Ich habe zwar schon so manches hübsche Blümlein gesehen, aber solch’ eine schöne Rose doch noch nicht! – Meint Ihr’s nicht auch, Herr von Eptingen?“

Der Herr, an den die Frage gerichtet war, zuckte verächtlich die Schultern, und entgegnete kurz und trocken:

„Ich bin mein Leben lang kein Liebhaber oder Kenner von solchen Dingen gewesen, Herr Freiherr, aber wäre ich es, so würde ich wahrlich nicht viel Federlesens machen und die Rose, wie ihr sagt, pflücken, wo ich sie fände.“

Der, welcher so sprach, war der Baron Konrad von Eptingen, einer jener handelsüchtigen, stolzen Edelleute, die seit Jahren mit der Eidgenossenschaft in Fehde und Feindschaft lebten und, stets besiegt, endlich in burgundische Dienste getreten waren, um den Herzog Karl so lange zu reizen, bis er der Schweiz den Krieg erkläre, da sie allein zu ohnmächtig waren, etwas gegen den Kuhstall, wie sie verächtlich die Eidgenossenschaft nannten, zu unternehmen. Das geeignetste Werkzeug für ihre Pläne aber war der Freiherr von Hagenbach, der, von gleichem Haß gegen die Eidgenossenschaft erfüllt, ihren Rathschlägen bereitwillig Gehör gab, und den sie auch deshalb stets umlagert hielten.

Die junge Frau erglühte bei des Barons von Eptingen brutaler Rede in Wahrheit wie eine dunkle Rose und trat einen Schritt zurück, um sich hinter den anderen Frauen zu verbergen, als sie sich plötzlich am Arm gefaßt fühlte und eine ihr wohlbekannte Stimme mit zornigem Beben zu dem Baron sagen hörte: „Aber die Rosen haben auch Dornen, gnädiger Herr, und die Dornen stechen bis auf’s Blut.“

Der Mann, der diese kühnen Worte sprach, war der junge Goldschmied Heinrich Vögelin, des jungen Weibes Gatte, der mit seinem Bruder, dem Waffenschmied, in demselben Augenblicke an die Gruppe herangetreten war, als der Herr von Eptingen die schnöde Antwort auf des Landvogts Frage gab. Das sonst so sanfte, fast schüchterne Gesicht des jungen Goldschmieds, der sich in seinem Theuersten gekränkt fühlte, glühte und ein Zittern flog über seine ganze Gestalt. Der Landvogt aber, ganz erstaunt über die kühne Gegenrede des jungen Mannes, richtete sich in den Steigbügeln hoch empor und rief:

„Wie kannst Du, Fant, es wagen, dem Herrn von Eptingen so dreiste Antwort zu geben? Hast Du vergessen, daß er unseres gnädigsten Herzogs Rath ist und ich sein Landvogt in diesen Landen bin? Wahre Deine Zunge, Gesell,“ setzte er drohend hinzu, „mich könnte sonst die Lust anwandeln, Dich stumm zu machen, wie die grünschnäbligen Zeisige zu Freiburg.“

Bei dieser Anspielung auf die oben erwähnte grausame Bestrafung der Verschwörer zu Freiburg erbleichten alle die Männer und Frauen rings herum und selbst des Waffenschmieds herkulische Gestalt, der bis jetzt ruhig, wie ein jeder anderer Zuschauer, neben seinem Bruder gestanden, schauerte zusammen. Die junge Frau aber, der die Drohung des Landvogts alles Blut aus den Wangen gejagt, rief, die Hände flehend zu dem Freiherrn empor streckend, mit Thränen im Auge: „Um der heiligen Jungfrau willen, gnädigster Herr, Ihr werdet nicht Solches thun –“

Der Freiherr lachte spöttisch und indem er sich vom Pferde herabbeugte und die junge Frau auf die Wangen klopfte, sprach er:

„Wenn ich es nicht thue, so geschieht es nicht der heiligen Jungfrau willen, mein Närrchen, sondern Deinetwillen – Gottes Tod, Schurke, was ist das?“ unterbrach sich der Landvogt plötzlich selbst mit erschrecklicher Stimme und Geberde.

Heinrich, seiner beim Anblick der schmachvollen Liebkosung des Landvogts nicht mehr mächtig, hatte das Pferd des Freiherrn beim Zügel ergriffen und es mit Gewalt von seiner jungen Gattin zurückzuziehen versucht. Diese Geberde brachte den Landoogt, dessen Groll ohnedies noch nicht beschwichtigt war, außer sich.

„Lacroix!“ rief er, außer sich vor Wuth, dem burgundischen Rottmeister, welcher die Reiterescorte befehligte, in flamländischer Sprache zu, „bindet den Mann und schafft ihn zur Stadt in den Thurm.“

War auch die Sprache, in welcher der Landoogt seinen Befehl ertheilte, den meisten der versammelten Männer unverständlich, so erriethen sie doch den Sinn desselben sogleich aus dem Verfahren des Rottmeisters, der sich mit einigen der Reiter dem jungen Goldschmied, den sein Weib angstvoll umfaßt hielt, näherte, und ein dumpfes Gemurmel des Unwillens lief durch die Gruppen und Reihen des Volkes. Der Landvogt hörte es und sich höher im Sattel emporrichtend rief er mit dröhnender Stimme:

„An die Arbeit, Ihr Leute, und keine Meuterei oder ich will Euch einen stillen Freitag anrichten, wie noch keiner zu Breisach gefeiert wurde.“

Aber das drohende Gemurmel verstummte nicht und hie und da machten einige junge Leute schon Miene, den Reitern bei der Ausführung ihres Auftrags Widerstand zu leisten, als der Waffenschmied mit lauter Stimme rief:

„Ruhe, Ihr Männer und Leute von Breisach.“ Darauf fuhr er, sich zu dem ihn erstaunt anblickenden Freiherrn gewendet, fort: „Uebermorgen ist das heilige Osterfest. Und zu Ostern gab der römische Landpfleger Pontius Pilatus den Barrabas los, der doch ein Mörder war, warum sollte der Herr Landvogt mit meinem Bruder, der nicht einmal so schwerer Unthat schuldig, nicht ein Gleiches thun?“

Ein unwilliges Gemurmel der Frauen war die Antwort auf diese Rede des Waffenschmieds, die Vielen unbrüderlich und lieblos klang und selbst einige der Männer schauten ihn betroffen an, der Waffenschmied aber kümmerte sich nicht weiter darum, sondern schlug seinen Bruder tröstend auf die Schulter, indem er dabei sagte:

„Und nun gehe getrosten Muthes, Bruder, der Herr Landvogt wird es gnädiglich mit Dir machen und übermorgen ist Ostern.“

Der Landvogt, ganz überrascht von diesem geschmeidigen Benehmen des Waffenschmiedes, den er immer als einen unverzagten, ihm und der burgundischen Herrschaft abhold gesinnten Mann kannte, wußte für den Augenblick nicht, was er auf des Mannes Rede entgegnen sollte. Im Grunde war er aber froh über dieses Benehmen des Schmiedes. Denn wenn er sich auch vor einer etwaigen Meuterei zu Gunsten des Gefangenen nicht fürchtete, so wäre ihm doch bei den jetzigen politischen Zuständen ein Aufstand inmitten der burgundischen Herrschaft nicht lieb gewesen. Spöttisch lachend rief er daher, sein Pferd herumwerfend:

„Du sollst Recht haben, Waffenschmied, wie Pontius Pilatus den Barrabas, will ich zu Ostern Deinen Bruder freigeben. Und Du, mein schönes Kind,“ fuhr er, sich zur weinenden Elsbeth wendend, fort, „weine Deine schönen Aeuglein nicht roth und gräme Dich nicht allzu sehr, vielleicht findet sich für den Gemahl ein Stellvertreter.“

Seine Begleiter lachten hell auf und weiter jagten die Herren, während die Soldaten den jungen Mann gebunden nach der Stadt führten und das Volk unter heimlichen Verwünschungen gegen die burgundischen Dränger wieder zur Arbeit ging. Als sich nun Alles wieder zerstreut hatte, zog der Waffenschmied seine weinende Schwägerin bei Seite und sprach zu ihr:

„Seid ruhig, Elsbeth, und härmt Euch nicht allzu sehr – es geht dem Heinrich nicht an den Kragen, nehmt mein Wort darauf. Und nun geht heim zu Eurem kleinen Johannes und haltet Euch still in Eurem Hause. Wenn Ihr an meinem Laden vorübergeht, so grüßt meine Gertrud und sagt ihr, sie solle unbesorgt sein, wenn ich nicht gleich vom Rheinbau nach Hause käme. Ich habe noch einen Gang über Land zu machen und werde vor Nachts nicht wieder da sein – Nun Gott befohlen, Elsbeth!“

Und während die junge Frau schluchzend zur Stadt ging, kehrte der Waffenschmied wieder an seine Arbeit zurück.



[132]
II.

Unweit Breisachs lag zu jener Zeit, in der noch nicht die Axt, wie jetzt, die Wälder gelichtet und ihren Boden zu Ackerland verwandelt, eine große Waldung, der St. Martin’s-Wald genannt, der sich nach Westen bis an das Ufer des Rheins erstreckte, während er im Osten durch eine weite mit bräunlichen Farrnkräutern bedeckte Heide begrenzt wurde. Es war Abends in der achten Stunde und der Mond warf schon seinen silbernen bleichen Glanz auf die Haide, als ein Mann in raschem, fast wildem Laufe über die Haide nach dem Saume jener Waldung zueilte. Zuweilen warf er, immer dabei laufend, einen spähenden Blick hinter sich, wie Einer der sich verfolgt glaubt und die Entfernung zwischen sich und seinen Verfolgern berechnen will, und einmal hielt er sogar im Laufe an, und legte sich, das Ohr lauschend an den Boden drückend, platt auf die Erde nieder; aber seine Befürchtung schien eine vergebliche gewesen zu sein, denn als er sich wieder aufrichtete, flog ein zufriedenes Lächeln über sein offenes, männliches Gesicht und er sprach, sich den Schweiß von der Stirn trocknend:

„Die burgundischen Spürnasen waren mir scharf auf der Fährte, aber eher soll eine Taube einen Sperber oder ein Hase einen Hund fangen, als sie den Friedrich Vögelin – Aber heda! was ist das?“ Und der Waffenschmied – denn er war der Mann – betrachtete seine Hand, die, als er sie von der Stirn zurückzog, mit Blut gefärbt war. „Blut, Blut,“ sprach er, die blutige Hand betrachtend, „so hat mich doch Einer von den Schurken getroffen. Ja, ja, die blauen Bohnen sausten mir hart am Kopfe vorbei und da mag mich wohl eine etwas geschunden haben. Indessen,“ setzte er mit trockenem Humor zu, „lieber geschunden, als gebunden.“ Er wischte hierauf die blutige Hand an einem Büschel abgerissener Farrnkräuter ab und eilte dann weiter auf den Martinswald zu, dessen Saum er bald erreichte. „Nun mögen sie suchen,“ sprach der Waffenschmied, „und wenn es ihrer soviel sind, als es im Martinswald zur Herbstzeit Buchnüsse gibt, sie sollen mich nicht finden. Wie der Fuchs in seinem Bau, kenne ich hier jeden Weg und Steg.“ Und er drang immer tiefer in den Wald ein, nach der Seite zu, wo dieser vom Rhein begrenzt wurde, mit den Armen die Aeste der jungen Tannen- und Fichtenbäume und das Gezweige der Haselnußbüsche auseinander theilend. Nachdem er auf diese Weise eine Stunde lang vorwärts gegangen war, kam er auf eine kleine Waldwiese, wo er einen Augenblick stehen blieb, um die Gestirne zu betrachten und daran zu erkennen, wie viel es an der Zeit wäre.

Wie er so ruhig dastand, traf ein Geräusch, wie das eines in der Ferne dahinrauschenden Wassers, sein Ohr.

„Das ist der Rhein,“ sprach er für sich, „vorwärts, nun bin ich bald an Ort und Stelle; und es ist Zeit, daß ich komme, ste werden schon Alle da sein.“

Und mit neuer, frischer Hast drang er in das Dickicht ein. Je weiter er vorwärts schritt, desto deutlicher hörte er das dumpfe Rauschen der Wasserfluten und von der Gegend her, wo das Ufer des Stromes war, glänzte ihm durch die dunkle, grüne Waldesnacht ein röthlicher Schein entgegen. Allmälig wurde der Lichtschein immer heller und als der Waffenschmied vielleicht noch fünfzig Schritt vom Stromufer entfernt war, konnte er eine Gruppe von vielleicht zehn Männern unterscheiden, die in lebhaftem Gespräch auf einem etwas erhöhten von Buschwerk und Tannen umgebenen Platz standen, und von denen einige brennende Kienfackeln in den Händen hielten. Da ihm aber die Meisten den Rücken zugewendet hatten und das röthliche, vom Wind bewegte, hin und her flackernde Licht der Kienfackeln, sowie der von dem harzigen, brennenden Holz aufsteigende Qualm die Züge der Andern nicht genau unterscheiden ließ, so blieb er stehen, um ganz sicher zu sein, daß jene Männer die von ihm Gesuchten wären, und ließ jenen eigenthümlichen knarrenden Ton, der dem Spechte eigen ist, erschallen. Ein scharfer Schrei, gleich dem eines Falken, antwortete ihm und die ganze Gruppe gerieth in eine lebhafte Bewegung. Auf dieses Erkennungszeichen hin trat der Waffenschmied rasch an die Männer heran, die ihn mit herzlichem Gruß und Handschlag bewillkommten. Es waren lauter schlichte Bürgersleute aus den umliegenden Ortschaften, die hier im Walde zu abendlicher Stunde zusammengekommen waren, einfache Innungsmeister und Kaufleute aus den verpfändeten Vorlanden, die das harte, tyrannische Regiment des Statthalters von Hagenbach nicht mehr zu ertragen Willens und deshalb entschlossen waren, es zu brechen auf diese oder jene Weise und, wenn es nöthig, selbst mit Wehr und Waffen und auf die Gefahr des eigenen Lebens hin. Nur ein Einziger unter ihnen war ein Eidgenosse, ein Bürger aus Bern, dem durch des Hagenbach’s Freunde und Rathgeber, die Barone Bilgeri von Hewdorf und Konrad von Eptingen, der Bruder, wie er mit anderen Kaufleuten von Bern nach Frankfurt am Main zur Messe zog, überfallen und erschlagen worden war. Den erschlagenen Bruder zu rächen an den übermüthigen Baronen, war er mit eingetreten in den Verein der Männer, die sich zusammengethan bei des Landes Noth, um dem Elend, unter welchem es seufzte, ein Ende zu machen. Er war es auch, der zuerst das Wort ergriff.

„Was für eine Botschaft bringt Ihr, Meister,“ frug er den Waffenschmied, „gute oder böse?“

„Wie Ihr’s nehmt, schlimme und gute, Herr. Der Landvogt ist übermüthiger und Bürger und Bauersmann aufgebrachter als je.“

Und er erzählte Ihnen des Landvogts Gewaltthat, die er an dem heutigen Tage wieder zu Breisach an seinem Bruder verübt.

„Und Ihr ließet den Bruder vor Euren Augen gefangen fortführen?“ frug der Berner fast mit einem gewissen Vorwurf im Ton.

„Ja, ich that es, Herr,“ entgegnete der Waffenschmied, „aber Ihr könnt es mir wohl glauben, es geschah nicht aus bleicher, hasenherziger Furcht und Feigheit, sondern weil mich die Frauen, die Kinder und die Greise jammerten, die ringsherum standen, die wehrlosen Männer, die kaum eine Axt oder einen Spaten als Waffe hatten und die, hätte ich den Landvogt vom Pferd heruntergerissen und ihm den Schädel eingeschlagen, von den Hufen seiner burgundischen Reiter zertreten worden wären. Blutschuld wäre auf die Stadt gefallen und durch’s ganze Land hätten die Adligen Zeter über den Mord geschrien. Er wird fallen, der Landvogt, und noch ehe zwei Monden vergehen, aber durch Henkers Hand.“

„Ihr vergeßt das Sprüchwort, Meister, das bei den Leuten da im Reich gäng und gebe: die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn. Ehe wir den Vogt richten können, müssen wir ihn haben.“

„Darüber zu rathen, sendete ich in vergangener Wochen den vertrauten Boten an Euch, werthe Herren,“ antwortete der Waffenschmied, „denn die Saat, die der Landvogt gesäet, ist aufgegegangen und gereift und harret der Sichel.“ Die Männer blickten ihn erwartungsvoll an und er fuhr fort: „Gleich nach meines Bruders Gefangennehmung eilte ich von dem Bau an den Gräben hinaus auf’s Land, um unsern Freunden das Zeichen zu geben, daß sie beim ersten Lärmen zur Stadt eilen sollen. Die burgundischen Reiter, die der Vogt, seitdem unser alter Herr, der Erzherzog, und die Eidgenossenschaft rüstet, das Land durchstreifen läßt, waren mir dabei hart auf den Fersen. Zum Glück war, als sie auf mich stießen, der Abend schon hereingebrochen, so daß mich keiner von ihnen erkannt hat, wenn sie mir auch einen Denkzettel angehängt haben.“ Und er deutete auf den Streifschuß an der Stirn –

Darauf traten die Männer dichter zusammen und beriethen, wie sie Land und Leute frei machen könnten von dem Dränger, dem Landvogt, und der burgundischen Herrschaft überhaupt. Und als sie darüber einig geworden, streckten sie die Hände empor zum Himmel mit fernen flimmernden Sternen und gelobten einander mit einem theuren, heiligen Eide, wie es einst in jener Herbstnacht des Jahres 1307 die drei Männer Fürst, Melchthal und Stauffacher auf dem Rütli gethan: die alten Freiheiten, die sie unter dem Erzherzog besessen, wieder zu erobern, den tyrannischen Landvogt und die harte burgundische Herrschaft zu vertreiben, einander bei Gericht und Recht zu schirmen und daran Leib und Leben zu setzen –

Der Berner aber sprach dazu das Amen in Gottes Namen, und versicherte den Männern aus den Vorlanden, daß ihnen der Eidgenossen Hülfe nicht fehlen würde, wenn es zum Aeußersten käme. Hierauf trennten sie sich, nachdem sie verabredet, daß das heilige Osterfest auch der Tag ihrer Auferstehung aus den Banden der Knechtschaft sein solle. –

[145]
III.

Während der Waffenschmied so mit seinen Freunden über des Landes Noth und seine Errettung aus des Landvogts und der burgundischen Herrschaft Händen berieth, saß der Freiherr von Hagenbach mit seinen zwei vertrautesten Freunden und Räthen, den Baronen Bilgeri von Hewdorf und Konrad von Eptingen, in einem Gemach des Herrnhauses zu Breisach, sich mit ihnen über die Maßregeln besprechend, die gegenüber dem aufgeregten Volke und den drohenden Bündnissen zwischen der Eidgenossenschaft, dem Erzherzog Sigismund und den Städten der sogenannten niederen Vereinigung, an deren Spitze Basel und Straßburg standen, zu ergreifen wären. Denn dem scharfen Blick des burgundischen Statthalters war die dumpfe Gährung im Lande, der verbissene Grimm und Trotz der Leute, der besonders in der letzten Zeit zu Tage getreten, nicht entgangen und er wußte auch, daß es nur eines geringen Anlasses bedurfte, um das Land aller Orten in hellen Aufruhr zu bringen. Dazu kam noch, daß ihm ein Gerücht zu Ohren gekommen, nach welchem die Herren von Bern und Straßburg entschlossen seien, eine Gesandtschaft an den Herzog Karl von Burgund zu senden, die sich über Hagenbach’s Regiment, so er im Lande führte, so wie über seine unnachbarliche, feindselige Gesinnung gegen die Eidgenossenschaft beschweren sollte. Er und die beiden Barone von Hewdorf und Eptingen wußten nun aber recht wohl, daß dem Herzog Karl vor allen Dingen an Frieden und Freundschaft zwischen Burgund und der Eidgenossenschaft gelegen war und daß er einen offenen Friedensbruch seines Gouverneurs in den Vorlanden mit schwerer Ahndung getroffen haben würde. Aber der Landvogt und seine zwei Freunde, die Barone von Hewdorf und Eptingen, die, nachdem sie ihre Besitzungen in den Fehden mit der Eidgenossenschaft verloren, in burgundische Dienste getreten waren, wollten eben diesen Krieg zwischen Burgund und der Schweiz, sie wollten sich rächen dadurch an diesen übermüthigen Kuhbauern, wie die Edlen die Schweizer nannten. Besiegt in allen Fehden von den Bauern aus den Waldstetten, brannten die stolzen Barone, die Schmach ihrer Niederlagen in dem Blute der Eidgenossen zu ersticken, und in wem konnten sie ein besseres Werkzeug ihrer Rache finden, als in dem mächtigen Burgunderherzog Karl dem Kühnen, dem es nach der Königskrone des arelatischen Reiches gelüstete, eines Reiches, das bis jetzt nur in den Träumen des ehrgeizigen, phantastischen Fürsten bestand, dessen Grenzen aber von der Schelde bis hinunter zu den Ebenen der Lombardei sich erstrecken sollten.

Unterstützt von einer kleinen, einflußreichen Partei am burgundischen Hofe, war es Hagenbach und seinen Freunden bis jetzt auch gelungen, die Klagen des Volkes in den Vorländern über seine tyrannische Herrschaft und die der benachbarten Eidgenossen über sein herausforderndes, übermüthiges Wesen gegen sie von des Herzogs Ohr fern zu halten, und so die wahre Lage der Dinge zu verbergen. Es galt jetzt noch eine Anstrengung, um auch diesen letzten Versuch einer Aussöhnung der Eidgenossenschaft mit Burgund zu vereiteln, und das Spiel der Barone war gewonnen: Krieg zwischen Burgund und der Schweiz unvermeidlich.

Dies war der Gegenstand des Gesprächs, welches die drei Männer in des Freiherrn Cabinet mit leidenschaftlicher Erregung führten. Der Landvogt war dieses Mal anderer Ansicht, als seine zwei Freunde, die Barone von Hewdorf und Eptingen, und in lebendiger Rede suchte er ihnen das Richtige seiner Ansicht zu beweisen.

„Sprecht, was Ihr wollt,“ rief er endlich, vor den beiden Herren stehend bleibend und die Arme übereinander kreuzend, „sprecht, was Ihr wollt, Ihr Heren, ich bleibe bei meiner Meinung. Der Herzog ist kein Feind der Eidgenossen; kann er den Krieg vermeiden, so thut er es sicherlich. Und dies geschieht, falls die Herren von Bern und Straßburg vor Euch zu ihm in’s Lager kommen. Ich kenne das Bürgerpack der beiden Städte. Sie werden den Herzog mit ihren Beschwerden und Querelen über mein Regiment in diesen Landen, so wie über mein wenig freundnachbarliches Benehmen gegen sie so lange in den Ohren liegen, bis er den niederländischen Duckmäuser, seinen Kanzler van Hugonnet, mir über den Hals schickt. Und dann gebt Acht, was geschieht! Dann wird das Bürger- und Bauernvolk gelaufen kommen und dem alten griesgrämigen Federfuchser klagen, wie ich ihnen den Daumen auf’s Auge gehalten und mich zuweilen mehr, als es meiner landesväterlichen Fürsorge ziemte, mit ihren Weibern und Töchtern beschäftigte, und die von Bern und Basel und Mühlhausen, und wie die Nester alle heißen, werden in den Chorus einstimmen und die Geschichte von den Fahnen zu Schenkenberg ihm vorlamentiren, und ein Jedes wird seine Litanei vorbringen, bis das Sündenregister voll ist und der Kanzler mich zum Teufel schickt. Doch kommt Ihr zuerst zum Herzog, so wendet sich der Spieß, wir spielen das praevenire und unser ist das Spiel.“

„Bedenkt Euch noch einmal, Herr Landvogt,“ warf Bilgeri von Hewdorf ein, indem er sich von seinem Sitz erhob und an das Fenster trat, von dem aus man die vom Mond beglänzte Landschaft, [146] den breiten, silbernen Rheinstrom, die weite Ebene und die dunklen Berge des Schwarzwaldes erblicken konnte, „bedenkt Euch wohl, ehe Ihr uns zu Herzog Karl sendet. Das ganze Land, das Euer Auge von diesem Fenster aus überschauen kann, haßt die burgundischen Farben bis auf’s Blut. Aber noch mehr haßt es Euch, haßt es uns, die wir die Freiheiten der Städte dieses Landes vernichtet, ihre Rechte niedergetreten haben. – Aber wenn es uns haßt, so fürchtet uns auch das Volk. Traut Ihr Euch nun allein Macht zu, ohne uns dies empörungslustige, rachsüchtige Volk niederzuhalten? Ihr wißt es, Landvogt, es geht ein Geist des Aufruhrs und der Rebellion durch’s ganze Land. Selbst hier zu Breisach schwankt der Boden unter unseren Füßen. Fühlt Ihr nun den Muth und die Kraft in Euch, in solcher schweren Zeit die Zügel des Regiments allein, ohne unseren Beiralh und Hülfe zu führen – wohlan, so reiten wir noch heute zum Herzog und die Berner Botschaft wird unverrichteter Dinge wieder abziehen.“

„Ob ich den Muth und die Kraft in mir fühle?“ rief der Freiherr von Hagenbach mit gerötheter Stirn und sichtlich gereizt durch den Zweifel des Barons von Hewdorf, dem der Andere, Konrad von Eptingen, durch sein bedeutsames Schweigen beizustimmen schien, „ob ich die Kraft in mir fühle,“ wiederholte er, „Gottes Tod! Herr Bilgeri von Hewdorf, ich habe in mehr als zwanzig Gefechten und Feldschlachten gegen den eilften Ludwig von Frankreich und die Herren von Gent unter meines gnädiges Herrn, des Herzogs, Fahne gefochten, und niemals dem Feind den Rücken gezeigt oder gezittert und werde es solchem armseligen Volke gegenüber niemals lernen. Tragt Ihr nur deshalb Sorge, werthe Herren, so zieht in Frieden.“

„Es sei denn,“ sprach Herr von Eptingen, indem er aufstand und nach seinem Reitermantel griff, „Ihr Wille geschehe, Freiherr, aber ich spreche wie Pilatus, ich wasche meine Hände in Unschuld, und wenn Euch etwas Menschliches in diesen bedenklichen Zeitläuften widerfahren sollte: animam meam salvavi.“

„Ein bibelfester Herr, unser Baron von Eptingen,“ sprach mit spöttischem Ton der Landvogt zu dem Herrn von Hewdorf, der düster und sinnend in die Nacht hinaus sah, „er kennt das Evangelium, wie der Meßpriester das Credo.“ Bilgeri von Hewdorf zuckte stumm mit den Schultern und Hagenbach, dem die Situation unangenehm wurde, und der sich trotz seines Spottes bei den wie prophetisch klingenden Worten eines leichten Schauers nicht erwehren konnte, brach die Unterhaltung mit den Worten ab: „Und nun gute Nacht, wir sprechen uns noch, bevor Ihr morgen aufbrecht. – Seid gegrüßt, Ihr Herren!“

Die beiden Barone erwiederten den Gruß und verließen das Cabinet, den Landvogt allein in demselben zurücklassend.

Wie spöttisch auch der Freiherr des Herrn von Eptingen Mahnung hingenommen, so kamen ihm doch, als er so allein in dem großen mit dunklen Tapeten ausgeschlagenen Gemach blieb, das nur matt von den zwei Wachskerzen auf dem silbernen Leuchter erhellt wurde, die düsteren Worte jener Prophezeihung wieder in den Sinn, und vergebens suchte er die unheimliche Stimmung, die sich seiner bemächtigte, zu bemeistern. Mit einem Male sprang er heftig von seinem Sitz auf, indem er ausrief: „Narr, der ich bin, sitze hier und grüble und vergesse, daß unten in der Stadt ein hübsches Weibchen, deren Mann im Thurme sitzt, sich härmt und traurig bei ihrer einsamen Lampe sitzt. – He, Duval!“ Und er klingelte seinem burgundischen Leibdiener. „Meinen Mantel und Regenhut,“ befahl er, „die Nacht ist windig und kühl, und ich muß noch hinab zur Stadt. Erwarte mich bis zur Nachhausekunft, Duval.“

Der Diener reichte dem Freiherrn Hut und Mantel, worauf dieser das Zimmer verließ, um hinunter nach der Stadt zu gehen. –

Dem Rathhause auf dem Markt zu Breisach gerade gegenüber stand damals ein schmales, zweistöckiges Haus mit einem Erkerfenster im ersten Stockwerk und einem Verkaufsgewölbe im Erdgeschoß. In diesem Hause wohnte der junge Goldschmied, Meister Heinrich Vögelin, den der Landvogt am heutigen Mittag draußen am Rheinbau von seinen burgundischen Reitern hatte in Haft nehmen lassen, und der schwache Lichtschimmer, der durch die Gardinen auf die Straße fiel, strömte von der großen kupfernen Lampe, bei welcher Frau Elsbeth, des Meisters junges Weib, mit verweinten Augen und in einander gefalteten Händen saß. Zur Linken stand ein Spinnrocken, dessen Faden, von Thränen befeuchtet, den Fingern der jungen Frau entglitten, und zu ihrer Rechten schaukelte sich in leiser Bewegung die Wiege, in welcher das erste Kind des jungen Paares, ein Knäblein von kaum einem Jahre mit rosigen Wangen und hellem, blondem, goldig schimmerndem Haar, jenen süßen ruhigen Schlaf schlummerte, der dem Menschen nur in seiner unschuldigen Kindheit beschieden. Von Zeit zu Zeit beugte sich die junge Mutter über das schlummernde Kind, um einen leichten Kuß auf seine weiße Stirn zu hauchen, dann aber versank sie stets wieder in ihren Trübsinn, und ihre schönen blauen Augen begannen von Neuem sich mit Thränen zu füllen. – Die jungen Gatten hatten bis auf den heutigen Tag ein so stilles, zufriedenes, heiteres Leben geführt; glücklich in ihrer Liebe und in der Liebe zu ihrem Kinde, und eine verhängnißvolle Stunde zerstörte dieses ganze Gebäude stillen, häuslichen Glückes! Der Landvogt war genugsam als ein harter, grausamer Herr bekannt, um Frau Elsbeth das Schlimmste für ihren Gatten fürchten zu lassen, und hatte er nicht mehr als einmal die Männer der Frauen, nach denen sein wildes, zügelloses Gelüste stand, in den Thurm werfen und unter nichtigem Vorwand foltern und quälen lassen, bis er seinen Zweck erreicht?

War es nicht eine Ahnung ihres Ehegatten gewesen, als er am heutigen Morgen, da Elsbeth den kleinen Johannes zu der alten Base, die mit im Hause wohnte, tragen wollte, damit sie ihn, so lange die Eltern draußen am Rheinbau wären, warte und pflege, zu ihr sagte: sie solle heute daheim bleiben, er wolle das Bußgeld von fünf Gulden für sie zahlen; sie wisse doch, daß der Landvogt, seit er sie einst beim Vorbeireiten am Fenster gesehen, ihr nachstelle, und wenn auch sage, daß er in Freiburg sei, so könne doch der Böse seine Hand im Spiele haben, und den Vogt nach Breisach herauf führen. –

Aber sie hatte dazu gelacht und gemeint, der Freiherr werde ihretwegen nicht von Freiburg nach Breisach reiten, die fünf Gulden könnten sie besser in der Wirthschaft anwenden, junge Anfänger, die vorwärts kommen wollten, müßten den Heller zusammennehmen, geschweige fünf Gulden, und dergleichen Dinge mehr. – Und nun war auf einmal doch das Unglück gekommen und stand riesengroß vor ihr! Die junge, kaum neunzehnjährige Frau konnte den Gedanken nicht ertragen, daß es mit ihrem Glücke und ihrer Lebensfreude nun zu Ende sein sollte, und wie der Gedanke daran sie mit Gewalt erfaßte, verbarg sie ihr Gesicht in ihre schwarzseidene Schürze und brach in lautes Schluchzen aus, so daß das Kleine in der Wiege unruhig wurde und Frau Elsbeth alle Schlummerlieder singen mußte, um den kleinen Johannes wieder einzuschläfern.

Das Kind war schon längst wieder eingeschlafen, die kleinen Händchen, die aus dem weißen Nachthemdchen hervorsahen, vorn auf der Brust zusammengefaltet und Elsbeth sang noch immer mit leiser Stimme, als sie die Stiege unter einem festen Tritt knarren hörte, die Thüre sich öffnete und ein in einen Mantel gehüllter Mann in’s Zimmer trat. Wie Elsbeth den dunklen Schatten dieses Mannes an der Wand erblickte, glaubte sie im ersten Augenblick der Ueberraschung, es sei ihr Gatte, den der Landvogt in einer Aufwallung gnädiger Laune seiner Haft entlassen, und mit dem Ausruf: „Heinrich, Heinrich!“ flog das junge Weib ihm entgegen. Aber bleich und zum Tode erschrocken prallte sie zurück, als der Eintretende, den Mantel rasch zurückschlagend, auf sie mit den Worten zutrat:

„Es ist nicht Heinrich, mein schönes Weibchen, aber ein Mann, der Euch eben so wie Heinrich und vielleicht noch glühender liebt.“

„Um Gott, Herr Landvogt,“ stammelte, an allen Gliedern bebend und sich mit der Hand auf den Rand der Wiege ihres Kindes stützend, die junge Frau, „was begehrt Ihr noch zu so später Stunde in unserem stillen Hause?“

„Was ich begehre,“ entgegnete der Freiherr von Hagenbach, einige Schritte vorwärts tretend und mit stechenden Blicken die junge Frau, die ihn mit entsetzter Miene anstarrte, betrachtend, „was ich begehre? Bei Gott, Niemand als Dich – aber so tritt doch näher, sehe ich denn so fürchterlich und schreckhaft aus?“ Und er streckte seine Hand nach dem jungen, zitternden Weibe aus.

„Um der hochgelobten Jungfrau willen, gnädiger Herr,“ flehete, die Hände faltend und wie Espenlaub zitternd, Elsbeth, während sie sich scheu zurückbeugte, „Ihr werdet nichts Böses gegen mich im Sinne führen –“

„Böses gegen Dich im Sinne,“ lachte der Freiherr und ließ [147] seinen Bart in fieberhafter Erregung durch durch die Finger seiner Hand gleiten, „bewahre, im Gegentheil, nur Gutes und Liebes – nur darfst Du nicht so blöde sein.“

„O, gnädigster Herr,“ entgegnete, die Hände gegen ihn aufhebend und mit einem rührenden Ausdruck von Unschuld und Herzenseinfalt das junge Weib, „wenn Ihr nur Gutes mir erweisen wollt, so gebt mir den Gatten wieder frei, und mein Lebelang will ich für Euch beten, und meinem Kinde ein Gleiches zu thun lehren.“

Ueber des Freiherrn Züge flog ein seltsames Lächeln.

„Kind, ich bin mein Lebelang ein gottloser Patron gewesen, und habe es nicht viel mit dem Beten gehalten, aber desto mehr mit dem Küssen. Das Beten will ich Dir deshalb erlassen, wenn Du mich aber küssen und ein wenig lieb haben willst, so gebe ich Dir mein Wort, daß Dein Gatte noch morgen Abend sein Gefängniß verlassen soll.“

Die dunkle Röthe der Scham verdrängte bei diesen leichtfertigen Worten des Landvogts die bleiche Farbe der Angst aus Elsbeth’s Gesicht und mit leiser, aber fester Stimme entgegnete sie: „Herr Landvogt, Ihr könnt nicht verlangen, daß ich so Böses gegen meinen Gatten thue. Seid Ihr nicht des Herrn Herzogs Statthalter und uns von ihm zur Obrigkeit verordnet, wie dürft Ihr also Solches von mir verlangen?“

„Närrchen, ich verlange ja nichts Böses, sondern nur Liebes von Dir!“ rief ungeduldig der Freiherr, indem er seinen Arm nach der jungen Frau ausstreckte, „und nun sträubt Euch nicht länger, denn ich bin nicht gewohnt, so lange um ein Weibsbild zu girren.“

Bei dieser dreisten Geberde und Rede des Landvogts stieß Elsbeth einen lauten Angstschrei aus und zugleich schrie das Kind, aus dem Schlafe geweckt, laut auf.

„Um dieses unschuldigen Kindes willen habt Barmherzigkeit mit mir, gnädiger Herr,“ wimmerte die geängstigte Elsbeth, indem sie das Kind, das weinend seine Aermchen um der Mutter Hals schlang, wie einen Schild, der sie schützen sollte, an ihre Brust drückte. Aber noch ehe der Landvogt etwas entgegnen konnte, legte sich eine breite Hand schwer und fest auf seine Schulter und eine tiefe ernste Stimme sprach hinter seinem Rücken: „Laß Dich nicht gelüsten nach Deines Nächsten Weib, spricht der Herr.“

Bei dem Klänge dieser Stimme stieß die junge Frau, indem sie sich rasch nach der Richtung, von der sie kam, umdrehte, einen Freudenschrei aus, der Landvogt aber drehte sich mit hastiger, zorniger Geberde nach dem Störer seines Zwiegesprächs mit Elsbeth um, während seine Rechte mit jäher Bewegung nach der Waffe an seinem Gürtel griff. Aber er stieß die Klinge wieder in die Scheide zurück, als er das Gesicht des Eingetretenen erblickt hatte. Es war der Waffenschmied, der jungen Frau Schwager, der vor ihm stand, das Gesicht geröthet von eiligem Lauf und innerer Aufregung, mit wirrem, von Blut und Schweiß auf der Stirn zusammengeklebtem Haar. Betroffen von dem Anblick wich der Freiherr unter dem Eindruck der ersten Ueberraschung einen halben Schritt zurück, doch bald faßte er sich wieder und sprach mit rauhem, hartem Tone: „Was führt Euch zu so später Stunde noch hierher, Meister Schmied, habt Ihr“ und ein höhnisches abscheuliches Lächeln spielte um seinen Mund, „vielleicht auch ein Auge auf Eure Schwägerin geworfen, oder,“ und seine Stimme wurde drohender und seine Stirn zog sich in Falten, „oder spürt Ihr mir nach und seid mir vielleicht gar nachgeschlichen? Dann hütet Euch, hütet Euch, denn ich habe manchen Kopf fallen lassen, der so fest wie der Eure zwischen seinen Schultern saß.“

„Es ist meines Bruders Haus, den Eure Soldaten in den Thurm gesperrt, wo wir sind; was führt Euch hierher, Herr Landvogt?“ entgegnete der Waffenschmied ernst und ohne irgend welche Furcht vor des Landvogts Drohung zu zeigen.

Der Freiherr antwortete dem Bürger nicht sogleich, aber er maß ihn mit einem so stolzen und verächtlichen Blick, daß ein weniger entschlossener Mann, als der Waffenschmied, ihn kaum würde ertragen haben; dann sprach er, nach seinem Baret greifend und dicht an den Meister herantretend, kalt und geringschätzend:

„Wisset, mein Bursche, daß ich noch niemals Eures Gleichen Rede und Antwort gestanden und zu Gott hoffe, daß es auch niemals geschehen werde.“

Und ohne eine Entgegnung abzuwarten, schritt er an dem Waffenschmied vorbei zur Thüre hinaus; der Meister aber blickte ihm mit einem düsteren Blicke nach und sprach für sich:

„Wahrlich, Landvogt, dies wird eher geschehen, als Du Dir träumen läßt.“

Dann wendete er sich zu Elsbeth, die, das Kind in den Armen, stumm und zitternd dem Ende dieses Auftrittes entgegengeharrt, und erzählte ihr, wie er, eben von seinem Gange über Land in die Stadt zurückgekommen, Licht in dem Erkerfenster gesehen; um ihr Trost einzusprechen, wäre er heraufgekommen, gerade zur rechten Zeit, um dem Landvogt eine neue Frevelthat zu ersparen –

„Und nun gute Nacht, Elsbeth,“ sprach der Waffenschmied, der jungen Frau die Hand zum Abschied reichend, „gute Nacht, und grämt Euch nicht allzu sehr um den Heinrich. Zum Osterfeste wird er wieder frei, dessen seid versichert – und bis dahin ist keine Ewigkeit mehr. – Und nun gute Nacht und schließt Euer Haus wohl zu.“

Er ging, und nachdem die junge Frau die Hausthür hinter ihm geschlossen, eilte sie wieder zur Wiege ihres Kindes, wo sie auf die Kniee niedersank und in heißem Gebet Gott für die unerwartete Hülfe, die er ihr gesandt, dankte und ihn um die Befreiung ihres Mannes bat. Die Stirn auf das Kissen ihres Kindes gedrückt, blieb sie in dieser Stellung, bis ein sanfter Schlaf ihre Augenlider schloß.




IV.

Am anderen Tage – es war der Sonnabend vor dem Feste – liefen dunkle, beängstigende Gerüchte durch die Stadt. Die Abreise der beiden Barone von Hewdorf und Eptingen zum Herzog Karl von Burgund, so geheim sie auch gehalten worden, war dennoch bekannt geworden, und diese Nachricht vernichtete die letzte Hoffnung des Volks auf eine friedliche Aenderung der Zustände. Man kannte den Haß der Herren von Hewdorf und Eptingen gegen die Eidgenossenschaft und die Städte der niederen Vereinigung und wußte nur zu gut, daß die Berner Gesandtschaft, welche dem Herzog Vorstellungen wegen des harten, rücksichtslosen Waltens seines Statthalters sowohl gegen das Volk in den Vorlanden, als gegen die benachbarte Schweiz machen sollte, wenig oder nichts ausrichten würde, wenn es den beiden Baronen gelingen sollte, vor den Berner und Straßburger Herren zu dem Herzog zu gelangen. Man wußte, wie Hagenbach und die beiden Barone, so wie ein Theil des Adels Alles aufboten, um einen Krieg zwischen der Eidgenossenschaft und dem mächtigen Burgunderherzog herbeizuführen, und die Stimmung war deshalb eine sehr gedrückte, beklemmende. Zugleich munkelte man, daß Erzherzog Sigismund von Oesterreich, den das Loos seines Volkes in den Vorlanden jammerte und der vergebens dem Herzog Karl die Einlösung gegen Rückerstattung des Pfandschillings angeboten, mit Bern und den übrigen eidgenössischen Orten einen heimlichen Vertrag zum Schutz und Trutz wider Burgund geschlossen – ein Gerücht, welches durch die von Jobst von Sillinen, Administrator des Hochstifts zu Grenoble und Propst des Beromünsters in Luzern, bewirkte Aussöhnung zwischen der Eidgenossenschaft und dem Hause Oesterreich an Wahrscheinlichkeit gewann – daß der französische König Ludwig XI., der noch von der Schlacht bei St. Jacob an der Birs her die eidgenössische Tapferkeit kenne, das Feuer der Zwietracht durch schlaue Intriguen schüre, um dadurch Burgund zu schwächen und ihm ein Theil seines Gebiets abzunehmen, und daß endlich der Landvogt einen neuen Gewaltstreich gegen die Bürger von Breisach im Schilde führe –

Dieses letzte Gerücht erzeugte vor Allen am meisten böses Blut unter der Bürgerschaft, und in den Wirthshäusern und Weinschenken sprachen sich einige hitzige Köpfe ungescheut dahin aus, daß nun der Zeitpunkt gekommen sei, wo man Gewalt mit Gewalt vertreiben müßte.

So verstrich der Tag und die Nacht und der Morgen des ersten Ostertags 1474 brach an – Es war ein heiterer, sonniger Frühlingsmorgen; ein reiner, blauer Himmel wölbte sich über der Landschaft, warme Frühlingsluft wehte in den Straßen und in den Fluthen des Rheins funkelte und glitzerte hell und goldig das Sonnenlicht. Das Gebetbuch in der Hand, eilten schon aus dem und jenem Hause Frauen und Mädchen nach der Frühmetten und vom Dome klang ein frohes Ostergeläute weit [148] hinaus in’s Land. Da schallt vom Herrenhause her, in dem der Landvogt residirt, durch die sonntägliche Stille ein heller, scharfer Trompetenstoß und zugleich erblicken einige der anwohnenden Bürger einen Trompeter des Landvogts in Begleitung burgundischer Soldaten vom Herrenhause hinunter zum Marktplatz reiten, wo er still hält und nach einer schmetternden Fanfare der Bürgerschaft kund und zu wissen thut: daß der Landvogt, der hier im Namen des Herzogs von Burgund das Regiment führe, ihnen bei schwerer Leibes- und Lebensstrafe gebiete, binnen vierundzwanzig Stunden alle Wehr und Waffen in seine, des Statthalters, Hände abzuliefern.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich dieser neue Befehl des Landvogts in der ganzen Stadt und rief eine unbeschreibliche Aufregung hervor. Auf allen Plätzen und Straßen strömten die Bürger zusammen und riefen laut und drohend, daß sie sich nicht wie wehrlose Lämmer dem Metzger an’s Messer liefern würden. Nicht der Herzog von Burgund, sondern der Erzherzog Sigismund von Oesterreich wäre ihre rechte Obrigkeit, der hätte ihre Freiheiten geachtet und gewahret, der Landvogt aber trete sie mit Füßen.

Der Freiherr von Hagenbach, welcher von seinem Fenster aus diese Zusammenrottungen sehen konnte, schickte einen seiner Offiziere auf die Straße hinab, der die Zusammenrottungen zerstreuen und die Bürger vor Meuterei warnen sollte. Aber das Volk antwortete dem Offizier mit Drohung und hie und da funkelten schon Waffen unter der Menge, die immer aufgeregter wurde. – Erstaunt über diese unerhörte Widersetzlichkeit und an sklavische Ausführung seiner Befehle gewöhnt, eilte der Landvogt, nur von einigen Hauptleuten seiner Wache begleitet, selbst hinunter auf die Straße, wo die Bürger jetzt mit lautem, tumultuarischem Geschrei die Zurücknahme des Befehls zur Ablieferung der Waffen verlangten. –

Die persönliche Erscheinung des Landvogts rief eine augenblickliche Stille hervor und so groß war die Macht der Gewohnheit des Gehorsams und der Furcht vor dem harten Mann, daß auf seine strenge Frage: „Was verlangt Ihr, was ist Euer Begehr, Männer von Breisach?“ für den Augenblick Keiner ihm Bescheid zu geben wagte.

Der Landvogt, der den Eindruck, den seine Erscheinung auf die Bürger hervorgebracht, wohl bemerkt hatte, wiederholte noch einmal seine Frage, indem er mit erhobener Stimme rief:

„So sprecht, was ist Euer Begehr?“

In dem Augenblicke entstand eine drängende Bewegung und eine tiefe Stimme rief: „Gebt den Gefangenen los, den jungen Goldschmied, den Ihr am Charfreitag habt ungerechter Weise in den Thurm werfen lassen, gebt ihn los, Ihr habt’s öffentlich vor dem Volke versprochen.“

Des Freiherrn Zornesader schwoll, seine Hand legte sich an den Griff seines langen, spanischen Stoßdegens und er rief: „Wer wagt es, dem Landvogt des Herzogs von Burgund Vorschriften zu machen!“

„Ich, Herr Landvogt, ich wage es,“ rief dieselbe Stimme, welche die Forderung gestellt, und der Waffenschmied arbeitete sich, gefolgt von neun andern bewaffneten Männern durch die Menge und trat dicht an den Landvogt heran, „ich, der Waffenschmied Friedrich Vögelin.“

Einen Augenblick schien der Freiherr außer Fassung zu sein, aber im nächsten Moment rief er, sich zu den ihn begleitenden Officieren wendend:

„Im Namen Sr. Hoheit, des Herzogs von Burgund, faßt diesen Mann als Meuterer und Rebell.“

Die Officiere, eingeschüchtert durch die drohende Haltung der Menge, zögerten und einer eilte vom Platze, um die burgundische Wache zu holen, aber noch ehe er zehn Schritte gegangen war, riefen die Männer, die den Waffenschmied begleiteten – es waren die Verbündeten, die in der Nacht jenen Eid geleistet – „Nieder mit dem Landvogt, nieder mit Burgund, hoch Oesterreich, hoch der Erzherzog!“ und der Waffenschmied faßte den Landvogt an der Brust, indem er mit lauter, weithin dröhnender Stimme ausrief: „Im Namen des Herzogs Sigismund verhafte ich Euch, Freiherr Peter von Hagenbach!“

Der Landvogt stieß einen Wuthschrei aus und machte eine verzweifelte Anstrengung, um sich von dem eisernen Griff des Waffenschmieds zu befreien, aber die anderen Männer umringten ihn und ehe noch die bestürzten Officiere und die allmälig herbeieilenden Burgunder – es lagen zwei Fähnlein in der Stadt – ihm beistehen konnten, ward er entwaffnet und inmitten der Volksmenge nach dem Rathhause als Gefangener abgeführt. Diese kühne That war so urplötzlich vor sich gegangen, daß die ihres Hauptes beraubte burgundische Besatzung, in vollständiger Rathlosigkeit und Bestürzung, gar keine Miene zur Befreiung des Landvogts machte, und als ihnen die Bürger erklärten, daß man ihnen nichts zu Leide thun wolle, falls sie ruhig abzögen, so eilten Officiere, wie Soldaten, die ohnehin an Zahl viel schwächer als die Bürger und das durch das Sturmgeläute herbeigerufene und von allen Selten in die Stadt strömende Landvolk waren, in schleunigem Abzug aus der Stadt. Dann brach das Volk die Gefängnisse auf, in denen noch eine Menge Gefangene, unschuldige Opfer der Willkür des Landvogts, saßen, und befreite sie.

Wer vermag das Entzücken Derer zu schildern, die so plötzlich und unerwartet der Freiheit, ihrer Familie und ihren Freunden wiedergegeben wurden? Wer die beseligende Freude, als der junge Goldschmied, Meister Heinrich, von seinem Bruder aus dem Kerker hervorgezogen, in die Arme seiner Elsbeth flog und seinen kleinen Johannes, der zappelnd und lachend ihm die Händchen entgegenstreckte, an seine Brust drückte?

Solche Augenblicke, voll von Schauern des Entzückens, vermag weder des Malers Pinsel noch des Dichters Feder treu zu schildern; die Farben und die Tinte sind zu bleich und matt.

Auf den schnellen Fittigen des Gerüchts flog die Kunde von der kühnen That der Bürger zu Breisach durch’s ganze Land, bis hinauf zu den einsamsten Waldhütten des Gebirges und bis in die einsamsten Alpenthäler des Berner Landes. Tausende von Herzen klopften rascher und freudiger, als sie die Nachricht vernahmen, und der Sonnenschein der Freude glänzte auf allen Gesichtern. –

Nur Einer theilte nicht jene allgemeine Freude des Volks; es war der Berner, dem die Barone von Eptingen und Hewdorf den Bruder erschlagen. Vergebens war er ihnen, auf die Kunde ihrer Abreise in’s Lager des Herzogs von Burgund, mit einigen vertrauten Freunden nachgesetzt; sie entrannen, um durch ihre unheilvollen Rathschläge jenen Brand der Zwietracht zu schüren, der einen der zerstörendsten, verhängnißvollsten Kriege herbeiführte und dem Herz Europa’s eine ganz andere Staatengestaltung gab.

Wenige Tage später, nach der Gefangennehmung des Landvogts, erschien der Erzherzog Sigismund in den Vorlanden, begrüßt wie ein Vater und Erlöser von dem Volke, nach dem Zeugniß des alten Chronisten. Mit ihm und seinen Truppen kamen zugleich zweihundert Züricher, die zu Basel im Namen aller übrigen Eidgenossen zu ihm gestoßen waren und gemeinschaftlich mit des Erzherzogs Kriegsvolk die Vorlande zur Abwehr eines burgundischen Ängriffs besetzten.

Die erste Handlung des Erzherzogs war die, daß er dem Volke in den Vorlanden die ihm unter der burgundischen Herrschaft entrissenen Freiheiten und Rechte wiedergab, die zweite, daß er dem gefangenen Landvogt wegen seiner willkürlichen, grausamen und tyrannischen Amtsführung einen Rechtstag auf den 9. Mai des Jahres 1474 zu Breisach setzte, damit jeder komme, der gegen ihn zu klagen habe.




V.

Eine dichte Volksmenge füllte schon in den frühen Morgenstunden des 9. Mai 1474 den Markt zu Breisach, auf welchem im Namen des Erzherzogs und der Vorländer, öffentlich vor dem Landgericht, Klage erhoben werden sollte wider den Freiherrn Peter von Hagenbach, durch Hermann von Eptingen, einen Verwandten jenes Konrad von Eptingen, welcher von dem Erzherzog zum Landvogt in den wiedergewonnenen Vorlanden eingesetzt worden war. Umsonst hatte der Herzog von Burgund, den dieses Verfahren gegen einer seiner vornehmsten Diener auf das Tiefste erbittert, den Erzherzog und die mit ihm verbündete Eidgenossenschaft abgemahnt von dem Proceß gegen seinen Landvogt, der nur ihm, seinem Souverain, Niemandem weiter verantwortlich wäre; der Erzherzog, auf den Beistand der Eidgenossen bauend, ließ dem Recht seinen Lauf und in der siebenten Morgenstunde des genannten Tages wurde der Freiherr von Hagenbach vor seine Richter geführt, sechsundzwanzig an der Zahl, aus den Orten: Breisach, [149] Bern, Basel, Solothurn, Colmar, Schlettstadt, Freiburg, Kitzingen und Neuenburg. Sechzehn darunter waren Ritter, also Standesgenossen von dem Angeklagten. Vorsitzender des Gerichts war Schultheiß Thomas Schütz aus Ensisheim, Anwalt des Erzherzogs und des Landes Herr Heinrich Iselin aus Basel, Vertheidiger des Angeklagten der Rechtsgelehrte Herr Hans Irmi aus Basel. Als der Angeklagte, der noch vor Kurzem[WS 2] so gefürchtete Landvogt, vor den Richtern erschien, bleich, aber gefaßt und mit unerschrockener Miene um sich schauend, trat eine Todtenstille in der summenden Menge ein und Aller Augen richteten sich auf den Mann, der, so schwerer Verbrechen angeklagt, barhäuptig vor die Richter trat.

Nachdem der Vorsitzende das Volk zur Ruhe vermahnt und die Richter an ihren Eid erinnert: Recht zu sprechen, nach bestem Wissen und Gewissen, ohne Ansehen der Person, ohne Groll und ohne Haß, erhob sich der öffentliche Ankläger, Herr Heinrich Iselin, und schilderte in lebendiger, ergreifender Rede des Landvogts Gewaltthaten, die Hinrichtungen vieler unschuldiger Männer zu Tann und Freiburg, die Vernichtung der städtischen Rechte in den Städten des Landes, die grausame Bestrafung der Freiburger Verschworenen und endlich die rohe, brutale Gewalt, die er zu Breisach und anderer Orten an Ehefrauen, Jungfrauen und Nonnen geübt. Der Eindruck war ein außerordentlicher, überwältigender, als Herr Heinrich Iselin mit den Worten schloß:

„Solcher schweren Missethat klage ich Dich, Peter von Hagenbach, als verordneter Fürsprech dieser Länder vor Gott und den Menschen öffentlich an. Ihr aber, Richter und Schöppen, die Ihr meine Worte gehöret und in deren Hand ruht das Schwert der Gerechtigkeit, bestimmt zu richten die Bösen und Missethäter, zeiget durch Euren Spruch, daß in diesen Landen einem Jeden, Hoch und Niedrig, mit gleichem Maße gemessen wird und vor Euch weder Rang noch Ansehen der Person gilt, sondern nur jenes Wort des großen Königs und Kaisers des heiligen, römischen Reiches, Friedericus II.: Fiat justitia, si pereat mundus.

Nachdem der Fürsprech geendet, erhob sich Hagenbach und [150] erhob zuvorderst Einsprache gegen die Competenz des Gerichts; nur seinem Herrn, dem Herzoge von Burgund, habe er Rede zu stehen, nicht den Bürgern und Bauern, die hier beisammen säßen.

Doch die Einrede wurde verworfen und er ermahnt, zu sagen, was er gegen die schweren Anklagen vorzubringen habe. Da der Freiherr schwieg, ergriff sein verordneter Rechtsbeistand, Herr Hans Irmi, das Wort, und nachdem er alle Schuld von dem Angeklagten ab auf den Herzog, nach dessen Befehl der Landvogt gehandelt, zu wälzen suchte, hoffte er, den Angeklagten zu retten. Seine Bemühungen waren umsonst. Nachdem man vom Morgen bis zur siebenten Abendstunde gesprochen und berathen, erhob sich der Vorsitzende, Schultheis Thomas Schütz nebst den übrigen Beisitzern des Gerichts und indem er über den Angeklagten den Stab brach, erklärte er ihn, nach dem Wahlspruch der Richter, für schuldig und verurtheilt, mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gerichtet zu werden.

Bei der Verkündigung dieses Urtheils entfärbten sich des Landvogts Wangen und seine Kniee bebten. Er drehte sich um und bat um einen Trunk Wein. Der Mann, der ihm zunächst stand, eilte in die gegenübergelegene Weinschenke „zum wilden Mann“ und kehrte eilig mit einem Becher Rheinweins zurück, den er dem Landvogt mit den Worten reichte:

„Trinkt, Herr Freiherr, und seid gefaßt wie ein Christ, der Tod sühnt alle Schuld und Gott möge Eure Seele zu Gnaden aufnehmen und Euch Eure Sünde vergeben, wie ich Euch das Böse vergebe, das Ihr gegen meinen Bruder und mich im Sinne führtet.“

Der Landvogt, dessen Trotz und Muth im Angesicht des Todes immer mehr wich, drückte dem Manne die Hand und murmelte:

„Der Allmächtige lohne Euch dieses Wort, Meister Schmied, das Ihr mir jetzt gesagt –“

Eine Stunde später fiel sein Haupt unter dem Schwerte des Nachrichters. Der Goldschmied war nicht bei der Execution gegenwärtig, sein weiches Gemüth konnte den Anblick einer solchen blutigen Scene nicht ertragen. Der Waffenschmied brachte ihm die Kunde davon, indem er hinzusetzte, daß der Landvogt ihm noch aufgetragen, Frau Elsbeth um Verzeihung wegen des Bösen zu bitten, das er gegen sie im Sinne gehabt.

„Möge Gott ihm vergeben, wie ich es thue,“ sprach, erschüttert und sich weinend an des Gatten Brust werfend, die junge Frau, „er ruhe in Frieden.“

„Amen!“ setzte der Waffenschmied bewegt hinzu.




Die Darstellung des weiteren Verlaufs dieser Ereignisse gehört nicht mehr in das Bereich dieser Erzählung. Nur soviel sei noch mitgetheilt, daß es den beiden Baronen von Hewdorf und Eptingen vollständig gelang, den durch die Hinrichtung Hagenbach’s auf’s Aeußerste erbitterten Herzog von Burgund zur Zurückweisung der Berner Gesandtschaft sowie zu Feindseligkeiten gegen die Vorlande und die Eidgenossenschaft zu bewegen. Die Namen von Granson und Murten, diese Namen der Schlachten, in denen die burguudische Macht den Todesstoß erhielt, erzählen selbstredend den Verlauf jenes verhängnißvollen Kriegs, der Karl dem Kühnen zuletzt das Leben kostete.

Die Folgen dieses Krieges für die politische Gestalt Europa’s waren schwer und verhängnißvoll und ihre Wirkungen dauerten Jahrhunderte. –



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: erröröthend
  2. Vorlage: von Kurzem
  1. Es dürfte für die Leser der Gartenlaube von Interesse sein, zu erfahren, daß die Thatsachen, aus welchen die Erzählung beruht, rein historischer Natur sind, selbst die Namen der darin handelnden Hauptpersonen sind nicht erfunden.
    Der Verf.