Böhmische Granaten
Böhmische Granaten.
Man hat Böhmen das sangesfreudigste Land der Erde genannt. Mag das richtig sein oder nicht – eines muß man dem Böhmen lassen: er ist immer bemüht, sich das Leben zu schmücken, auf allerlei Art, wie und wo er’s kann. Man könnte Böhmen auch das Land der Kleinodien nennen, selten schmückt sich ein Volksstamm so gern wie der böhmische mit Edel- oder Halbedelsteinen, und nirgends trifft man so viele alte Schmucksachen als Familienerbstücke wie im Böhmerland.
Böhmen ist aber auch ein an Edel- und Halbedelsteinen reich gesegnetes Land, und wer sich davon überzeugen will, braucht nur die Wenzelskapelle am St. Veitsdom auf dem Hradschin zu besuchen. Hier kann er große hohe Wandflächen bewundern, die aus eitel einheimischen Edelsteinen bestehen von einer Pracht und einer Größe, wie sie sonst nur in Kindermärchen vorkommen.
In einem Lande, wo die Frauen so gern Schmuck anlegen, wo das letzte Gänsemädchen ihre träumerische Sehnsucht auf schimmernde Kleinodien richtet, da mußte auch die Gold- und Silberschmiederei und die Juwelierkunst früh zu hoher Blüthe gelangen. Schon unter Karl IV. war darin Böhmen urkundlich den übrigen Ländern Mitteleuropas weit voran. Freilich, der Dreißigjährige Krieg, der das unglückliche Land bis in den letzten Winkel verwüstete, fegte alle Luxusindustrien wie Spreu hinweg. Der Siebenjährige Krieg förderte das Emporblühen auch nicht, erst gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts begann ein neuer Aufschwung. Damals zählte man nach einem Handwerksprotokoll in Prag allein 341 Edelsteinschleifer mit 88 Gehilfen und 4 Fabriken mit 109 Gehilfen, 52 Lehrlingen und 15 Granatbohrern. Man wolle hierbei ins Auge fassen, daß diese zahlreiche Arbeiterschaft eigentlich nur die Vorarbeiter der Großindustriellen waren, über welche alle Angaben in jenem Protokoll fehlen.
Die mächtige Umwandlung der böhmischen Schmuckwarenindustrie in eine große Ausfuhrindustrie fällt mit dem Heranwachsen der böhmischen Bäder zu Weltbädern zusammen. Die fernhergereisten Badegäste fanden ganz besonderes Wohlgefallen an den hübschen Schmucksachen mit den kleinen rothblitzenden Karfunkelsteinen. Sie waren die ersten Exporteure, sie nahmen die billigen, schönen, herrlich leuchtenden Zierrate mit in ihre Heimath. Ein Wunder war’s nicht, daß zunächst die Frauen im benachbarten Deutschland großen Gefallen daran fanden, und was einmal den Beifall der Frauen hat, das erobert sich bekanntlich mit unwiderstehlicher Kraft die Welt.
Gegenwärtig beschäftigt die böhmische Granatindustrie gegen 3000 Granatschleifer, einige hundert Granatbohrer und in etwa 500 Gold- und Silberwerkstätten sind an die 3500 Granatschmuckarbeiter thätig. Hierzu kommen noch die berufsmäßigen Granatsucher, die Vermittler, die Steinhändler und die Hilfsindustriellen. Insgesamt dürften 9000 bis [108] 10000 Menschen bei der böhmischen Granatindustrie ihr Brot verdienen.
Die Hauptfundstätten für Granaten liegen in den paradiesischen Gründen des böhmischen Mittelgebirges verstreut. Die bekanntesten Fundorte sind Lobositz, Trebanitz, Triblitz, Laskowitz, Podseditz, Chrastow und Nelluk. Die Schleiferei der Steine wird in Prag, in Revensko, in Semil, Sobotka und Lomnitz betrieben, Hauptort aber ist Turnau in der Nähe von Reichenberg. Hier hat auch der Staat eine Fachschule für Edelsteinbearbeitung und Gold- und Silberschmiedekunst errichtet. Ein Besuch dieser Fachschule ist im hohen Grade lohnend, noch mehr aber ist es der Besuch eines Großhauses in Edelsteinen, wie etwa das von Franz Schlechta. Hier sieht man geschliffene und ungeschliffene Edelsteine in Fässern, Kisten, Säcken, Schränken, etwa wie bei einem Kaufmann die Erbsen, Linsen und Bohnen. Zur Linken steht vielleicht ein Faß, dessen Inhalt man für kleine Knörpelkohlen halten könnte, zur Rechten steht ein anderes Faß mit Steinen derselben Art, aber die glühen und funkeln, veredelt durch den Schliff, wie die Leuchtkäfer des Südens. Eine seltsame, eine beschauliche Ware, die uns mit geheimnißvollen Reizen anmuthet.
Der Karfunkelstein oder der Granat, wie er jetzt ausschließlich genannt wird, ist der harte Ueberrest eines weicheren verwitterten Urgesteins. Im Sande von Flüssen und Bächen, im Schwemm- und Schuttland finden sich die schönsten Exemplare. Auch in der Ackererde wird er häufig gefunden, namentlich nach starken Regengüssen, die ihn von seiner unedlen Umgebung freiwaschen und für den Sucher bloßlegen. In festem Gestein findet er sich seltener und dann meist in kleinen unbrauchbaren Exemplaren. Bei Pötschau, in der Nähe von Karlsbad, liegt so ein nichtsnutziger Granatberg, der wohl Granaten in großen Mengen, aber dabei gar nichts Verwendbares enthält. Der Mensch ist beim Granatsuchen auf die vieltausendjährige Hilfsarbeit der Naturkräfte angewiesen, die das Muttergestein zersetzten und die Steine in gewisse Schwemmschichten einbetteten, wo sie leicht gewonnen werden können.
Auch in diesen Schichten sind die kleinen Steine noch in ungeheurer Ueberzahl, solche von Reiskorngröße sind schon gern gesehene Funde und erbsengroße kommen nicht alle Tage zum Vorschein. Die Granaten sind überhaupt, was die Größe anlangt, keine bevorzugten Edelsteine. Der größte bekannte böhmische Granat ist viel kleiner als die größten Diamanten, er wiegt 96 Gramm, ist 35 Millimeter lang, 27 hoch und 18 breit; er schmückt einen Orden des Goldenen Vließes im Grünen Gewölbe zu Dresden.
Die Granatschleiferei unterscheidet sich in keiner Weise von aller anderen Edelsteinschleiferei; sie wird nach Urväter Weise auf sich drehenden Bleischeiben geübt, und es ist auch nicht einzusehen, wie der einfache und höchst praktische Schleifmechanismus jemals noch eine weitere Vervollkommnung erfahren könnte. Man beginnt mit dem Abschliff der oberen Fläche. Mit einem Kitte aus Brauerpech, Schellack und Ziegelmehl befestigt man den Stein an einen Kittstock zur besseren Handhabung. Zuerst wird er auf einer Bleischeibe mit Schmirgel und Wasser „rundiert“, d. h., man giebt ihm die oberflächlichen Umrisse, um damit die Flächen für den eigentlichen Schliff vorzubereiten. Damit die Facettierung des Steines eine ganz gleichmäßige werde, benutzt der Schleifer ein Instrument, einen sogenannten Quadranten; mit Hilfe dieses mathematischen Werkzeuges wird der Kittstock mit dem Steine in ganz bestimmte Lagen zu der Schleifscheibe gebracht, und ist er gut eingestellt, dann können ungleiche Leuchtflächen, wie man die Facetten auf Deutsch recht wohl nennen könnte, nicht entstehen. Hat der Stein seine endgültige Form erhalten, so beginnt das Polieren, genau eine Arbeit wie das Schleifen selbst, nur daß die Bleischeiben durch solche aus Zinn, Kupfer oder Bronze ersetzt werden, und daß statt des Schmirgels Trippel zur Verwendung kommt. Die bekannten kugel-, halbkugel- oder linsenförmigen Steine, welche meist die Mittelstücke in den größeren Schmucksachen darstellen, werden von besonders geschickten Händen geschliffen und dann auf gewöhnlichen Holzscheiben poliert.
Der Schleifer, sofern er nicht in der Fabrik, sondern als Hausindustrieller thätig ist, bringt nun die nach der Größe sortierten Steine nach dem Großhandlungshaus oder auch unmittelbar auf den Granatmarkt.
In Turnau und Prag giebt es Gasthäuser, die man Granatbörsen nennt und wo die Worte „Sechzehner“, „Zweiunddreißiger“, „Achtziger“, „Hunderter“ ebenso eindringlich an das Ohr der Fremden schlagen wie etwa an der Wiener Börse der Name eines bekannten Spekulationspapiers. Mit diesen Worten bezeichnet man nämlich die Größe der Steine und meint damit, daß 16, 32, 80 oder 100 auf ein Loth (162/3 g) gehen. Der höchste Preis, der für einen Stein je erzielt worden ist, war 500 Gulden, doch das ist schon eine lange Reihe von Jahren her, ein solcher Fund ist in letzter Zeit nicht mehr gemacht worden. Die großen Steine, die neuerdings immer mehr beliebt werden, sind meist aus anderen Ländern, besonders aus Tirol, bezogen, sie sind jedoch unedler als die böhmischen, ihre Leuchtkraft ist geringer, auch erreicht ihre Härte nicht diejenige der böhmischen Granaten. Im Feuer werden sie schwarz und gewinnen auch nach dem Erkalten ihr Roth nicht wieder zurück, während die böhmischen Granaten im Feuer roth bleiben oder doch, wenn sie schwarz werden, ihre Leuchtkraft und ihr Roth nach dem Erkalten aufs neue entfalten.
Außer Tirol liefern noch Ostindien, Ceylon, Grönland, Kleinasien, Arizona und Australien Granaten nach Böhmen, über sie alle übertreffen nur in der Größe die Erzeugnisse der böhmischen Erde. Interessant sind einige Spielarten; man kennt violette, gelbliche, bläuliche, auch grüne und selbst schwarze Granaten. Die letzteren, Melanite genannt, werden zu Trauerschmuck verarbeitet. Die grünen, die Stachelbeersteine, sind mehr ihrer Seltenheit als ihres Aussehens wegen geschätzt. Der schönste Granat bleibt der tiefroth aufblitzende böhmische mit seinem echten unvergänglichen Feuer.
Der bergmännische Grubenbetrieb auf unsere Steine ist ein sehr einfacher. Man räumt beim Einschlag einer Grube die Ackererde und den Schotter beiseite, bis die angeschwemmte granathaltige Schicht ein Stück freiliegt. Hier gewinnt man die granathaltige Masse mit der Spitzhaue und begnügt sich mit dem Tagebau, das heißt, man schürft von oben nieder, bis die Grube versagt oder unbequem im Abbau wird. Nur wenn die Schicht besonders reich ist, geht man in die Tiefe, legt ein Leiterwerk an, setzt einen Rollbaum in Betrieb und schlägt wohl gar Schächte und Stollen ein. In den meisten Fällen aber verläßt man die Grube, „muthet“ [109] an einer anderen Stelle und beginnt da von neuem.
Beim Tagbetrieb wirft der Arbeiter die gewonnene Masse in eine Futterschwinge und trägt sie in dieser auf eine Halde neben der Grube. Ist Wasser in der Nähe, so vereinigt man den Bergbau mit der Wäsche, andernfalls rollt man die Gangmassen an irgend einen Bach oder Teich, und nun beginnt ein gründlicher Waschprozeß. Die Steine, von ihrer lehmigen Umhüllung befreit, werden ausgelesen und durch Siebe sortiert. Man muß aber nicht glauben, daß sie hier dem Sucher schon entgegenfunkeln und blitzen, sie sehen noch recht unscheinbar aus, und es gehört wirklich ein Kennerauge dazu, um die edlen Steine von den unedlen zu scheiden. Unglaublich zahlreich sind die ganz kleinen Steinchen, von denen etwa 400 aufs Loth gehen; sie haben nur einen sehr geringen Werth, man benutzt sie wohl als Ziersand in Gärten oder liefert sie an die Apotheken, wo sie die Schrote beim Geschäft des Abwägens ersetzen. Uebrigens leuchten gerade die kleineren Steine nach dem Schliffe mit einem ganz besonderen Feuer, da das Licht das dünnere Massiv ungeschwächter durchdringt und sich deshalb auch lebhafter spiegelt.
Ueber den ungefähren Werth der in Böhmen gegrabenen Rohgranaten schwanken die Angaben so stark, daß wir besser thun, hierüber nichts mitzuteilen. Die gelegentlichen Funde nach starken Regengüssen, von denen ich bereits berichtet habe, sollen nicht unbedeutend sein und sehr oft die besten Steine liefern, und diese Funde sind dem Werthe nach völlig unabschätzbar. Die Bauern, die auf jeden Gewitterregen warten, lieben es, die Funde zu verheimlichen, und sprechen noch weniger gern von den Fundorten.
Es giebt wohl keinen zweiten Edelstein, der eine so ausgebreitete und vielseitige Verwendung fände wie der Granat, die Formen der Granatschmucksachen sind Legion geworden, und gewiß werden es die Leser verständlich finden, wenn ich mich bei Beschreibung der Granatarbeiten an wenige aber typische halte.
Der erste Eindruck beim Betreten einer Granatwarenfabrik ist ein ganz fremdartiger. Die Arbeiter sitzen meist nicht auf gewöhnlicher Stuhlhöhe, sondern tiefer am Fußboden auf niedrigen Schemeln. Die mit je einem halben oder auch einem ganzen Dutzend Menschen besetzten Werkbänke sind breite niedrige Tische mit höchst phantastischen Umrissen. Für jeden Arbeiter ist nämlich in der breiten Tischplatte ein Platz ausgeschnitten, so daß er ein Stück im Tische drinnen sitzt und nur mit dem Oberkörper aus diesem hervorragt. Zudem bedeckt seinen Schoß ein Stück Leder, das auch am Tische befestigt ist und die Verbindung zwischen Tisch und Mensch noch mehr vervollständigt.
Die alten Goldschmiede kannten bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts nur eine einzige Form der Granatfassung, die sogenannte Zargen- oder Kastelarbeit. Man bildete für jeden Stein eine Umfassung aus Goldblech, einen kleinen Behälter, den man sehr richtig auch als „Kastel“ bezeichnete. Dieses Kastel wurde auf die Grundfläche des Schmuckgegenstandes aufgelötet, der Stein eingedrückt und der Rand des Kastels leicht übergebogen. Diese Art der Fassung, die heute noch viel geübt wird, ist sehr haltbar, läßt aber wenig Abwechslung zu und beeinträchtigt die Phantasie der nach neuen Formen suchenden Fabrikanten. Die reichen Blatt- und Blüthenformen namentlich in Perlen und Türkisen, wie sie besonders aus dem Orient und Italien kamen, ermunterten die böhmischen Granatarbeiter zu Reformen; sie führten die Pavéarbeit ein, bei welcher für jeden Stein ein Loch in das Metall gebohrt wird. Vor etwa vierzig Jahren kam ein Prager Goldschmied auf den Gedanken, diese Art der Fassung sehr zu vereinfachen, ohne dabei die Vorzüge der Pavéarbeit zu beeinträchtigen; er bohrte keine Löcher mehr für die Steine, sondern lötete kleine „Stiftel“ auf den Grund des Schmuckgegenstandes. Zwischen diese durch Bohrung sehr fest verbundenen Stiftel klemmte er die Granaten, was sich als eine sehr haltbare Fassung erwies. Die Hauptsache war, daß er damit einem fast unbeschränkten Formenreichthum Thür und Thor öffnete. Seit jener Zeit hat sich die böhmische Granatindustrie darin fast unerschöpflich erwiesen – Himmel, Erde und Meer, Pflanzen- und Thierreich, alle Völker haben die Vorbilder dazu liefern müssen. Die Einführung der Stiftelarbeit hat sich nach jeder Richtung hin fruchtbar erwiesen, sie hat den Erfindergeist der Arbeiter belebt und den Absatz ins Großartige gesteigert.
Um den Leser mit der Beschreibung umständlicher Arbeiten zu verschonen, schildere ich die Herstellung einer einfachen Kravattennadel in Kleeblattform und in alter einfacher Fassung. Diese Beschreibung wird genügen, um eine Vorstellung von der Fabrikation des Granatschmuckes zu ermöglichen.
Der Arbeiter biegt über ein Drahtzängelchen zunächst drei Ringelchen aus Goldblech genau in der Größe der zur Verwendung kommenden Granaten. Diese drei Ringel legt er in Form eines Kleeblattes mit der Kante nach oben auf ein Stückchen Goldblech, das in Zukunft die Rückseite der Nadel darstellen wird. Mit einer Lösung aus Borax bereitet er das Metall zum Löthen vor und bestreut dann das Ganze mit klarem Silberloth. Auf einer feuerbeständigen Unterlage aus Asbest führt er das noch sehr locker aneinander gefügte Werkchen an eine Löthflamme, die es rasch zu einem Körper vereinigt. Mit einem Drillbohrer wird jetzt ein Loch an einer Stelle gebohrt, wo zwei Ringel zusammenstoßen, der Arbeiter sticht ein Stückchen Golddraht hinein und verlöthet ihn in gleicher Weise. Der Golddraht bildet den Stiel des Kleeblattes. Ganz das Gleiche geschieht auch mit einer langen Nadel, welche in Zukunft den ganzen Schmuck im Halstuch seines Besitzers festhalten soll.
Der Arbeiter beschneidet und verfeilt das metallene Gehäuse und drückt dann in die drei Kasteln oder Zargen je einen Stein. Die leicht angedrückten Ränder dieser Kasteln halten die Steine fest und bilden die eigentliche Fassung. Doch noch ehe die Steine eingesetzt werden, erhalten sie zwei Unterlagen; die eine besteht aus Messing und ist bestimmt, dem Goldblech etwas mehr Halt zu geben. Bei den nach und nach gesunkenen Preisen des Granatschmuckes sind die Goldbleche immer dünner [110] und dünner geworden, bis sie jene Verstärkung durch Messing, die fest eingelöthet wird, gebieterisch forderten. Die zweite Einlage dient auch dem Moloch Schein, sie besteht aus Silber- oder Kupferfolie und ist bestimmt, durch den Stein hindurchzuschimmern und seinen natürlichen Glanz zu erhöhen.
Die Hauptaufgabe bei der Fassung aller Edelsteine ist, diese möglichst unverlierbar festzuhalten und doch dabei so wenig als möglich von ihnen zu verdecken. Diese beiden Dinge vereinigen sich schlecht, müssen aber vereinigt werden. Der Arbeiter nimmt zu diesem Zwecke eine feine Laubsäge zur Hand und schneidet von den Rändern der Fassung alles hinweg, was ihm nur irgend entbehrlich erscheint. Das nennt man den Stein „freilegen“. Das kleine Werkchen erhält nun eine letzte Feile, und dann hat der Goldarbeiter nichts mehr damit zu thun. Das Polieren ist nicht seine Sache, das wird meist von jungen Burschen oder Mädchen besorgt, die kleine leichte Drehbänke mit verschiedenartigen Polierscheiben in Bewegung setzen (siehe die Abbildung auf S. 109 unten). Diese Scheiben bestehen aus Filz oder Tuch und sind mit Mischungen aus Oel, Stearin und feinen Poliererden getränkt. Die Winkel und Verzierungen, in welche man mit dem Polierrädchen nicht eindringen kann, werden mit der Hand poliert. Man streicht die Poliermittel auf dicke Zwirnzöpfe und fährt mit den Schmucksachen daran auf und nieder.
Bei der Stiftelarbeit bildet die Grundform des Schmuckes eine ziemlich kräftige Messingplatte, welche „Patrone“ genannt wird. Die zukünftige Lage der Steine ist genau darauf „angerissen“, das heißt aufgezeichnet. Mit dem Drillbohrer werden feine Löcher gebohrt, die Stiftel hineingestellt und mit dem Ganzen verlöthet. Bei sogenannten Stiftel-Ajourarbeiten bohrt man zwischen den Stifteln größere Löcher in die Patrone, auf welche die Steine mit der Rückseite zu liegen kommen. Diese letztere Fassung läßt das natürliche Licht des Steines zur vollsten Geltung kommen. Selbstverständlich wird diese bevorzugte Fassung nur solchen Steinen zu theil, die sich durch schöne Lichtbrechung hervorthun.
Neuerdings ist man soweit fortgeschritten, alle Schliff- und Fassungsarten zu vereinigen. Wer sich einen vollen Einblick in den Reichthum der Formen verschaffen will, der muß schon eines jener besonderen Geschäfte für böhmischen Granatschmuck besichtigen, wie sie im letzten Jahrzehnt fast in jeder Großstadt Deutschlands gegründet worden sind.
Ein vielbeklagter Uebelstand bleibt es für die schöne Industrie, daß die Menge der Käufer den Werth einer Granatarbeit schwer beurtheilen kann. Ein Granatarmband für 2 Gulden kann im Aeußeren einem solchen für 7 Gulden völlig gleich sein. Ja, der Laie wird oft versucht sein, das Billigere für das Bessere zu halten, weil grade die billigen Sachen gern hübsch herausgeputzt werden. Erst in einigen Monaten kommt der hinkende Bote nach, die Steine fallen aus, der zart wie ein Lufthauch über dem Reife liegende Goldüberzug ist verschwunden und die enttäuschte Schöne trägt am Arm einen zweiten Reif aus Metalloxyden, den sie aber keineswegs als einen Schmuck betrachtet, sondern gemeiniglich mit Seife rasch beseitigt.
Hätte sich jenes Mädchen, das Kind aus dem Volke, mit einem etwas schmäleren Reife, mit halb so viel, aber besseren Steinen begnügt, hätte sie eine achtkarätige Goldfassung, wie sie in soliden Fabriken einzig üblich ist, genommen, so hätte sie Zeit ihres Lebens einen Schmuck besessen, an dem sie bei jedem neuen Anlegen ihre Freude haben konnte.