Aus einer zerschossenen Stadt

Textdaten
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Autor: Friedrich Wilhelm Heine
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Titel: Aus einer zerschossenen Stadt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 156
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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St. Denis, hinter Fort Double couronne, am 29. Januar 1871.
Nach der Natur aufgenommen von unserem Feldmaler F. W. Heine.

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Bei der Riesenkanone auf Fort La Briche, am 30. Januar 1871. Nach der Natur aufgenommen von unserem Feldmaler F. W. Heine.
Argenteuil. Epinay. Eisenbahn nach Pontoise. Enghien.

[156] Aus einer zerschossenen Stadt. (Mit zwei Abbildungen.) Ueber die Befestigungen und über die Zerstörung von St. Denis haben wir bereits in der letzten Nummer der Gartenlaube eine so eingehende Schilderung von Friedrich Gerstäcker, welcher der Uebergabe der Stadt persönlich beigewohnt hatte, gebracht, daß wir heute füglich auf diese verweisen und das treffliche, von Wilhelm Heine hinter Fort Double couronne in St. Denis aufgenommene Bild ohne weiteren Text veröffentlichen könnten. Indessen enthält auch der Brief des Malers einige nicht uninteressante Details, und da dieselben gerade auf seine beiden Illustrationen von St. Denis und der Riesenkanone auf „la Briche“ Bezug haben, so lassen wir die bedeutenderen Stellen des Briefes hier im Abdruck folgen.

„Als ich mich,“ schreibt Heine, „St. Denis am Tage nach seiner Uebergabe näherte, empfing ich gerade den Eindruck, als ob dortselbst Jahrmarkt sein müsse, ein so reges Leben hatte sich auf allen Haupt- und Nebenstraßen entfaltet. Zweirädrige Wagen gingen und kamen, blaublousige Männer und Bauerweiber, unaufhörlich schwatzend, mit Eiern, Butter und Käse beladen, zogen zur Stadt, Soldaten fuhren Möbel und andere Hausgegenstände in dieselbe. Dagegen kamen uns eine Menge Weiber, Kinder, Mobilgarden etc. entgegen, den Spaten über der Schulter, den Korb am Arm, um rechts und links sich über die Felder zu stürzen und dort nach Möhren, Zwiebeln und Kartoffeln zu graben. Mit steifgefrorenen Fingern kehrten Andere nach stundenlanger Arbeit schon wieder heim, vergnügt, wenn ihnen das Schicksal ein paar gelblichweiß gefrorene Krautköpfe in den Weg geführt hatte, aus welchen es möglich gewesen war, noch ein paar brauch- und eßbare Theile herauszuschneiden. Eine sehr schöne, mit hohen Pappeln bepflanzt gewesene breite Straße führte mich durch das Fort Double couronne in die Stadt hinein. Vor meinem Eintritt in dieselbe konnte ich sehen, welche ungeheuern Menschenopfer ein Sturm gekostet haben würde, wenn er wirklich zur Ausführung gekommen wäre. Ungefähr fünfzig Schritte vor den Palissaden ragten aus der Erde zwei Fuß hohe Pfähle hervor, kreuzweise und durch starke Drähte mit einander verbunden; dann kamen, dicht an einander gereiht, die stärksten Kronen von festen Bäumen, Rüstern, Buchen, Akazien, die Enden spitz zugeschnitten und wiederum Ast für Ast mit Draht verbunden; hinter diesen wieder kurze Pfähle, dann breite Pfosten, mit unzähligen, die Spitze nach oben streckenden Nägeln bedeckt, ein drei Fuß breiter und sechs Fuß tiefer Wall und nun erst die Palissaden, die von der eigentlichen Festung noch immer durch einen vierzig bis fünfzig Meter breiten freien Raum und durch einen halb so breiten, aber sehr tiefen Wassergraben getrennt waren. Jetzt freilich konnte man ungehindert passiren, die Kettenbrücke war heruntergelassen und Fuhrwerk auf Fuhrwerk, Soldaten und Civilisten drängten und zwängten sich im bunten Durcheinander hinüber und herüber.

Das Fort Double couronne ist bekanntlich eine Verschanzung, welche nach hinten, nach der Stadtseite offen ist. Man kommt unmittelbar darauf in die Vorstadt. Hier sah man, in welcher prächtigen und doch wieder schrecklichen Weise unsere Artillerie gewirkt hatte. Viele Häuser waren bis auf den Boden vernichtet, kein einziges war von den Granaten verschont geblieben. Das Pflaster war aufgerissen, tiefe Löcher waren in dasselbe gewühlt. Gleich hinter dem Fort liegt die Gasanstalt mit ihren vielen mächtigen Schloten. Dieselbe hatte eine völlige Verwüstung erfahren. Einige der Essen waren überhaupt ‚gewesen‘, andere waren so zerschossen, daß sie auf jeden Fall abgetragen werden mußten, durch die eine derselben aber waren ziemlich hoch oben zwei Granaten mitten durch gegangen und zwar so schön und sauber, daß es aussah, als wären hier zwei runde Löcher mit Absicht hineingearbeitet worden.

Die prachtvolle Kathedrale hatte wenig gelitten, schlimmer war die zweite, eine kleine im romanischen Stil gegen die Seine zu erbaute Kirche, davon gekommen, sie hatte nicht weniger als fünf Granaten erhalten. Ein Bruder Geistlicher führte mich in derselben herum. Beim Abschied sagte er mir ganz demüthig eindringlich, er habe gehört, daß heute viel Speck und andere Lebensmittel herein nach St. Denis geschafft worden sei – ob ich ihm nicht ein Stücklein von alledem zukommen lassen könne, er wolle mich gerne in meiner Wohnung aufsuchen. Da ich jedoch selbst nur Gast in der Stadt war, so konnte ich dem Gesuch, gegen dessen Dringlichkeit übrigens der noch ganz stattliche Umfang des Mönchleins lebhaft sprach, nicht willfahren und mußte mich begnügen, einige heimathliche Cigarren zu spenden, die denn auch mit großem Danke und vielen Bücklingen angenommen wurden.

Nachdem ich mir die Straßen von St. Denis angesehen hatte, begab ich mich des andern Tages in das Fort La Briche, mir dessen vielgenannte Riesenkanone zu betrachten. Ich fand sie hinter dem Pulvermagazin, auf einer erhöhten Stelle im Fort, da, wo man die schönste Aussicht auf Argenteuil und auf die nach Pontoise führende Eisenbahn hat. Von artilleristischer Seite war mir gerade dieses Monstrum von Geschütz als sehr beachtenswerth bezeichnet worden. Denn, hundertachtundfünfzig Centner schwer, war es der einzige Hinterlader unter all’ den Geschützen in den Forts von St. Denis und verdiente schon darum, von den Soldaten angestaunt und bis in’s Einzelne untersucht zu werden, weil es seine riesigen ‚Zuckerhüte‘ mit großer Präcision und leider oft mit verheerender Wirkung auf die deutschen Stellungen geworfen hatte.“