Aus deutschen Lustschlössern/2. Der vorletzte der fränkischen Hohenzollern

Textdaten
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Autor: H. S.
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Titel: Aus deutschen Lustschlössern
2. Der vorletzte der fränkischen Hohenzollern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, 26, S. 402–405, 421–423
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus deutschen Lustschlössern.


2. Der vorletzte der fränkischen Hohenzollern.


Die Mitte und das Ende des achtzehnten Jahrhunderts war die Zeit der Nachäffung französischen Wesens. Wenn einerseits jeder unserer zahlreichen Duodezmonarchen einen Ludwig den Vierzehnten spielen wollte, sich Schlösser erbaute, die oft größer waren als seine ganze Hauptstadt, und Hof und Höfchen mit einem Pomp und Ceremoniell à la Versailles umgab; wenn die Copie unserer westlichen Nachbarn das allgemeine Merkmal dieser Kreise bildete – so hatten und pflegten daneben doch die Meisten noch ihre speciellen Absonderlichkeiten und Narrheiten. Die Tollheit aber ward wiederum gehörig in System und Methode gebracht und so die Carricatur vollendet. Ist denn nicht Carricatur jener Herzog Moritz von Sachsen-Merseburg, der nur für die Baßgeige lebt und seiner Tochter als Wiegengeschenk eine kleine Baßgeige einbindet? Nicht Carricatur jener schlesische Graf Hoditz, welcher auf seinem Gute Roswalde das Alterthum leibhaftig in Scene setzt, seine Hörigen und Bauern in griechische Gewänder hüllt und als Auguren und [403] Haruspices schalten läßt, der Diana, Flora, Ceres, Thetis Tempel stiftet und der Sonne ein ewiges Feuer weiht – Alles zu Ehren der Kaiserin Maria Theresia, nach welcher er seinen ergötzlichen Mummenschanz die „theresianische Schäferei“ benennt? Nicht Carricatur der schnurrige Kauz, jener Landgraf von Hessen, der in seiner Miniaturresidenz Pirmasenz den Potsdamer Soldatenglanz nachahmt und die Einkünfte seines Ländchens in Riesengrenadieren vergeudet? Steckt doch selbst in den bedeutendsten Regenten jener Tage ein gut Stück Wunderlichkeit und Sonderlingsthum. Friedrich Wilhelm dem Ersten von Preußen und seinem großen Sohne wird sicher Niemand die ausgesprochene Eigenartigkeit abstreiten.

Schloß Drossenfeld bei Baireuth im Jahre 1763.
Nach einem alten Kupferstich aus dem vorigen Jahrhundert.

Einen hervorragenden Platz unter diesen gekrönten Originalen ebenso wohl wie als eifrige Versaillescopisten behaupten die Hohenzollern der fränkischen Linie, die Markgrafen von Brandenburg-Culmbach vorauf. Herren über noch nicht zweimalhunderttausend Seelen, entfalten sie in der Capitale ihres Staates, dem am Fuße des Fichtelgebirges grün und anmuthig, doch von allen großen Straßen der Menschen abseits gelegenen Baireuth, einen so ungemeinen Luxus, daß Friedrich von Preußen, als er den Prunk erblickt, erstaunt fragt: „Wo nehmt Ihr denn zu all Dem das Geld her? Ich kann’s nicht.“ Bekanntlich war seine ihm geistesverwandte älteste Schwester Wilhelmine, mit dem Markgrafen Friedrich vermählt, die Verfasserin jener berühmten und berüchtigten Denkwürdigkeiten, die, zwar vielfach von Spottlust und Verbitterung, von Haß und Rachsucht dictirt, für die Geschichte des Hoflebens im vorigen Jahrhundert eine so werthvolle Quelle abgeben.

In derselben Nacht, ja in derselben Stunde, am 14. October 1758, in welcher der von ihr vergötterte und sie seinerseits vergötternde Bruder – „das Einzige, was mir auf der Welt bleibt, bist Du allein,“ schreibt er ihr; „Du allein fesselst mich noch an das Leben“ – bei Hochkirch von den Oesterreichern überfallen wird, stirbt merkwürdiger Weise Wilhelmine, die Philosophin von Baireuth. Des Zügels ledig, welchen sie ihm angelegt, und in zweiter Ehe mit einer gleich ihm vergnügungssüchtigen braunschweigischen Prinzessin vermählt, überläßt sich Markgraf Friedrich jetzt rückhaltlos seiner Prachtliebe und Verschwendungssucht. Eremitage und Sanspareil werden zu dauernden Festtempeln, von deren Glanz und Ueppigkeit die fremden Gäste Fabelhaftes zu erzählen wissen. Das Land seufzt unter den Leiden des Krieges, sein Fürst aber erscheint mit königlichem Aufwand in den damaligen Modebädern, in Aachen und Spaa; jede dieser Reisen verschlingt Hunderttausende von Gulden, die sein Minister und Factotum, der Verwalter der Staats- und Schatullgeldern Freiherr v. Ellrodt, auftreiben muß, wie er kann, d. h. durch neue Bedrückung der steuergequälten Unterthanen. Als, kurz vor dem Hubertusburger Frieden, den noch nicht zweiundfünfzigjährigen Monarchen eine Lungenentzündung jählings dahinrafft, ist gleichwohl die Trauer im Lande allgemein und ungeheuchelt. Denn [404] der Verstorbene ist ein leutseliger und zugänglicher Herr gewesen, von liebenswürdigem, jovialem Wesen, der gern lebt und leben läßt, und die Pracht seines Hofes, wenn sie auch die Kräfte des kleinen Staates bis zur Erschöpfung anspannt, hat doch manch fremden Gulden in’s Land gezogen und darin festgehalten. Aufrichtig sind daher die Thränen, welche das Volk an seinem Paradebette in der von oben bis unten mit schwarzem Flor überzogenen großen Galerie des Baireuther Schlosses vergießt, echt die Klagen, die es ihm in seine Gruft im Kloster der „Weißen Frau“ zu Himmelskron nachruft. Der Verblichene hat keinen männlichen Erben hinterlassen, und das frühere Leben seines rechtmäßigen Nachfolgers, des Prinzen von Neustadt, wie man ihn heißt, stellt nicht viel Gutes in Aussicht.

Dieser Markgraf Friedrich Christian von Brandenburg-Culmbach, Friedrich’s Oheim, der jüngste Bruder von dessen ebenfalls an Wunderlichkeiten überreichem Vater, von welchem Friedrich Wilhelm der Erste von Preußen sagt: man sollte ihn ohne Umstände in ein Narrenhaus sperren, ist unter den vielen gekrönten Originalen des vorigen Jahrhunderts einer der sonderbarsten Käuze. Seine Schrullen arten allmählich in offenbaren Wahnsinn aus, so daß ihm mit kaum minderem Rechte als jenem Hohenzollern von Schwedt das Prädicat des „tollen Markgrafen“ gebührt.

Die Regierungsperiode Markgraf Friedrich Christian’s zählt zu den interessantesten und jämmerlichsten Capiteln in der Geschichte deutscher Kleinstaaterei, und wir müssen es Karl Gutzkow Dank wissen, daß er sich der Mühe unterzogen hat, die Einzelheilen der leidigen Tragikomödie aus dem Staube der Archive hervorzusuchen und in seinem jüngsten vortrefflichen Romane „Fritz Ellrodt“ an’s Licht zu stellen, um uns einen neuen Einblick zu gewähren in das Leben der von der Partei der Umkehr so hoch gepriesenen „guten alten Zeit“. Zwar ist unserm Dichter das historische Moment, das von ihm zum ersten Male in die größere Oeffentlichkeit geführte, so zu sagen, neu entdeckte historische Detail blos Nebensache, es steht ihm erst in zweiter Linie nach dem schöpferisch-poetischen, dem allgemein menschlichen, ethisch-psychologischen, allein das von ihm erschlossene Material bleibt darum nicht weniger authentisch und bedeutend, so daß wir uns mit gutem Gewissen, was die äußeren Umrisse und die Farbengebung unseres gegenwärtigen Rococogemäldes betrifft, an dasselbe anlehnen.

Christian’s Vater, Markgraf Heinrich, war ein mit einem Jahrgeld abgefundener Prinz des Brandenburg-Culmbacher Hauses, ohne Aussicht, je zur Regierung zu gelangen. Mit vielen Kindern gesegnet, sah er sich bei einem dürftigen Einkommen in beständiger Noth und ließ sich deshalb von König Friedrich dem Ersten von Preußen bestimmen, diesem seine Anwartschaft auf das Fürstenthum gegen eine ansehnliche Pension zu verkaufen und sich nach dem ihm eingeräumten kleinen Schlosse zu Weferlingen, dicht an der preußisch-braunschweigischen Grenze, zurückzuziehen. Hier, in einer lieblichen, von grünen Hügelketten durchzogenen Gegend, wird unser Friedrich Christian geboren und von seiner frommen Mutter, einer Wild- und Rheingräfin von Wolfstein, in Spener’schen Grundsätzen erzogen. Als unerwartet sein ältester Bruder, der nachmalige Schwiegervater Wilhelminens, den Thron der Culmbacher Monarchie besteigt – Prinz Heinrich hat sein Verhältniß zu Preußen bald wieder gelöst – wendet auch er selbst, inzwischen mit einer Prinzessin von Anhalt-Bernburg-Schaumburg verbunden, sich nach dem Baireuth’schen Stammlande. Jähzornigen Temperaments läßt er sich in dem ihm angewiesenen Neustadt an der Aisch, unweit Nürnberg, auf der Jagd zu einem Morde fortreißen. Einer seiner Jägerburschen hat eine dienstliche Säumniß verschuldet und giebt auf die ihm vom Prinzen zu Theil werdende Rüge eine ungehörige Antwort. Ohne Besinnen zieht Christian die Pistole und schießt den Pflichtvergessenen über den Haufen.

Er büßt die Unthat, den Ausfluß eines verstörten Gemüthes, denn er hat die Gewißheit gewonnen, daß seine Gemahlin ihm die Treue gebrochen, auf der romantischen alten Veste Plassenburg bei Culmbach. Mit sich und der Welt zerfallen, vergrämt und verbittert, kehrt er, nach dem Tode seines Bruders aus der Haft entlassen, in die Gesellschaft zurück, sieht sich aber am Hofe von Baireuth, dessen französisches prunkvoll-geräuschvolles Treiben ihm ohnedem in innerster Seele zuwider, beständigen Demüthigungen ausgesetzt, so daß er den Schwur thut: „Nie wieder betrete ich dieses Land!“ und sich nach Dänemark begiebt, in dessen Diensten er als Oberster eines Infanterieregimentes steht und wo zwei seiner Schwestern leben, die eine als Gemahlin König Christian des Sechsten, die andere als kinderlose Wittwe des Fürsten Edzard von Ostfriesland. Seine Nichte Wilhelmine hat ihn noch vor seiner Verheirathung kennen zu lernen Gelegenheit gehabt und entwirft von der äußern Erscheinung des Prinzen kein sehr schmeichelhaftes Bild. Ohne Zweifel sind die Farben desselben zu grell gewählt, begreifen aber läßt sich, daß man nach dem „unvergeßlichen“, verbindlichen, liebenswürdigen Friedrich in Beireuth dem neuen Markgrafen, von dessen „hohenzollernschem Jähzorne“ – so drückt sich seine eigene Mutter aus – die unerhörtesten Gerüchte im Schwange gingen, nicht mit absonderlichem Verlangen entgegensah.

„Ich werde sein Portrait von der guten Seite anfangen,“ beginnt die Memoirenschreiberin. „Er war mehr groß als klein und ziemlich gut gebaut. Die Menge Ratten, die in seinem Gehirne wohnten, verlangten vielen Platz; auch hatte er dessen in seinem außergewöhnlich großen Kopfe. Zwei kleine blaßblaue Schweinsaugen ersetzten sehr schlecht die Leere dieses Hauptes. Sein breiter Mund war ein wahrer Abgrund, zwischen dessen zurückgezogenen Lippen man das Zahnfleisch von zwei Reihen schwarzer, widriger Zähne sah. Dieser Rachen stand immer offen. Sein dreistöckiges Kinn verschönte die Reize noch. Ein Pflaster diente dem untern Theile desselben zur Zierde. Es verbarg eine bösartige Fistel, deren Heilung noch keinem Arzte hatte gelingen wollen. Zu allen diesen Schönheiten gesellte sich noch die eines rothblonden, sehr verwirrten Haarwuchses, welcher sehr gut zu seinem geschmacklosen, aber mit Gold und Silber dergestalt überladenen Kleide stand, daß er es kaum tragen konnte. Seine Seele war ebenso bevorzugt wie sein Leib; er war manchmal im Kopfe nicht ganz richtig. In solchen Momenten von Geistesabwesenheit gerieth er in förmliche Tobsucht und wollte alle Welt umbringen.“

Ein wunderlicher Hofhalt des fürstlichen Sonderlings! Der höchsten Gunst des Herrn erfreut sich ein marktziehender Quacksalber, Caspar Heinrich Schröder, ein unverschämter Patron, der dem fußleidenden Prinzen einst mit Erfolg die Hühneraugen operirt hat und darauf zum hochfürstlichen Leibarzt befördert worden ist. Mit einem Anfluge von Bildung, der ihn über die Leute seines Schlages emporhebt, und von ungemessener Geld- und Ehrgier, schmeichelt der sittenlose Gesell so glücklich und zettelt Kabalen und Verschwörungen so fein an, daß er eines Tages das Fürstenthum Brandenburg-Culmbach als allgebietender Premierminister regiert. Prinz Christian ist abgesagter Feind alles wälschen Wesens, insonderheit der französischen Aufklärung. Seine Lieblingslectüre sind Werke rechtgläubig-christlichen Inhalts; eine Sammlung verschiedener Gesangbücher bildet einen Haupttheil seiner Bibliothek. In ihnen, in Angelus Silesius’ „Cherubinischem Wandersmann“, in Süßmilch’s „Göttlicher Ordnung“, in seinem Liebling Christian Fürchtegott Gellert, sucht er Rath und Trost, wenn ihm seine wirklich ernste Reue, sein ängstliches Streben nach einer Aussöhnung mit Gott keine Ruhe lassen, nach Herrnhuter Weise das erste beste Wort, welches er aufschlägt, als „Bibelloos“, als Orakel und Tagesspruch festhaltend.

Seinen „hohenzollernschen Jähzorn“ hat seine Frömmigkeit indeß nicht zu besiegen vermocht. Schleunigst suchen seine Umgebungen sich rückenfrei zu machen, wenn ein gewisses Lächeln von böser Vorbedeutung, das nicht Ausdruck von Heiterkeit, sondern blos ein angewöhntes Muskelzucken ist, seinen großen Mund umspielt und seine Hand sich nach dem Bambusrohre bewegt. Man weiß, daß, gleich seinem Vetter Friedrich Wilhelm dem Ersten von Preußen, Prinz Christian periodischen Heftigkeitsanwandlungen unterworfen ist, die Niemanden verschonen, selbst die Stabsofficiere seines Regimentes nicht. Ist der Wuthanfall vorüber, dann thut der wunderliche Herr alles Mögliche, den Gekränkten zu versöhnen, und greift mit freigebiger Hand in seine auf einem Tische seines Arbeitszimmers festgeschraubte Cassette, welche mit frischgeprägtem Golde gefüllt ist. Nächst den Gesangbüchern und erbaulichen Schriften und nächst der – deutschen Komödie in Hamburg ist dergleichen „von den Thränen und Sünden der Menschen, vom Schmutz des Lebens“ noch nicht beflecktes Gold seine vornehmste Liebhaberei; seine größte Antipathie hingegen der Voltairianismus und – Alles, was von Preußen [405] kommt und mit Preußen zusammenhängt. Der Gedanke der „Preußenseuche“, an dem ein bekannter deutscher Schriftsteller der Gegenwart laborirt, spukt schon in Durchlaucht Friedrich Christian’s von Brandenburg-Culmbach Kopfe.

In diesem eigenthümlichen Wandsbecker Stillleben erreichte ihn die ministerielle Benachrichtigung vom plötzlichen Hinscheiden seines Neffen Friedrich, und kurz danach, an einem sonnigen Tage des Vorfrühlings, die Baireuther Huldigungsabordnung. Hohe Culmbacher Würdenträger sind es, welche in imposanter Auffahrt, in der Galacarosse des neugebackenen Freiherrn v. Schimmelmann, Commerzdirectors und stimmführenden Gesandten am niedersächsischen Kreistage, Hüte und Arme beflort, den Prinzen aufsuchen, um ihn zum Antritt der Regierung des ihm in rechtmäßiger Erbfolge zugefallenen Markgrafenthums aufzufordern: der Hofmarschall Geheimrath Wilhelm v. Treskow, der Directeur der fürstlichen Parforcejagd und Oberforstmeister Theodosius Christoph Adam v. Reitzenstein, ein donnerwetternder alter Haudegen mit kriegerischem weißen Knebelbart, und der Minister des Auswärtigen und des markgräflichen Hauses, zugleich Gesandter zu Wien und am Reichstage zu Regensburg, Friedrich Reichsgraf v. Ellrodt.

Der Letztere, auch der Held des Gutzkow’schen Romans, ist ein Liebling der Götter; an Leib und Geist vor Tausenden gewöhnlicher Sterblicher begünstigt, von unwiderstehlicher Liebenswürdigkeit, gemahnt er an Goethe, gleich dem Frankfurter Poeten, vor dem er nur ein Dutzend Lebensjahre voraus hat, eine Apolloerscheinung, welcher alle Herzen entgegenschlagen, wo sie sich zeigt; von so seltsamen Körpervorzügen, daß er in Wien allgemein nur „der schöne Ellrodt“ heißt und Kaiserin Maria Theresia, „in der ihr eigenen Offenherzigkeit im Besprechen ähnlicher Dinge“, den Wunsch äußert, sie möchte ihn täglich ein-, und wenn sie in der Hoffnung sei, des Tages zweimal sehen. Während andere von den Universitäten Erlangen und Jena und von Reisen durch Holland, Frankreich, Italien und die Schweiz kaum zurückgekehrt, ihre Laufbahn erst mühsam beginnen, sieht er sich, ohne sein Dazuthun, mit fünfundzwanzig Jahren bereits zum Minister seines Heimathlandes und zum wichtigsten diplomatischen Posten desselben befördert.

Freilich ist er der Sohn seines Vaters, des schon früher erwähnten Premierministers Philipp v. Ellrodt, der dreißig Jahre hindurch das Ruder des Fürstenthums geführt und durch seine geschickte Administration in den schwierigsten Zeiten für den unerhörten Luxus des Markgrafen Friedrich die Mittel flüssig zu machen verstanden hat – ohne sich selber darüber zu vergessen. Hat er sich doch in der Nähe Baireuths einen Herrensitz, Schloß Drossenfeld, geschaffen, welcher mit den fürstlichen Zauberpalästen den Vergleich nicht zu scheuen braucht. Daß das Volk den Mann, der es für den immer bedürftigen landesherrlichen Säckel und für seine eigenen kostspieligen Neigungen ausbeutet, nicht eben mit gewogenen Augen betrachtet, ihm im Gegentheil die Noth, in welcher es schmachtet, mehr zur Last legt als dem Markgrafen selbst – ja, daß die Ellrodt’sche Verwaltung in ganz Deutschland verrufen ist, kann nicht Wunder nehmen. Bürgerlicher Herkunft, einer süddeutschen Theologenfamilie entsprossen, wird Ellrodt Vater, nach absolvirten akademischen Studien, Pagenhofmeister in Baireuth, später markgräflicher Secretär, geheimer Referendar, endlich dirigirender Minister und fast unumschränkter Regent des Landes. Früher schon baronisirt, ist er später von der Kaiserin mit der Reichsgrafenwürde beliehen worden.

Wer sich übrigens einbildet, der im Exile lebende arme Prinz Christian habe mit beiden Händen nach dem ihm dargebotenen Markgrafenhute greifen müssen, der irrt gewaltig. Allem Erdenglanze abhold, weigert sich der Vergrämelte vielmehr auf das Unzweideutigste, die ihm gewordene Erbschaft anzunehmen. Einmal hat er ja verschworen, sich je im Leben wieder in Baireuth blicken zu lassen, und sodann, was soll er in der Residenz, wo er nichts als „französische Windbeutel und verdorbene Schöngeister“ findet; wo auf der Kammerherrenliste und unter den Rittern vom rothen Adler nur noch Fremde verzeichnet stehen; wo er sich alle Tage in Gala und Etiquette zur Tafel setzen muß, er, der blos kalte Speisen genießt und der Fleisch am liebsten mit den Fingern aus der Schüssel nimmt? Nein, rundheraus erklärt er den drei Huldigungsdeputirten, „er sei entschlossen, den Kelch an sich vorübergehen zu lassen, und bitte dahero die Herren Ministres, anderweitige Fürsorge zu treffen und ihn ein- und für allemal zu präteriren.“ Erst der Ermahnung des Pastors Hasse von Wandsbeck, der ihm bedeutet, daß „ein Eid nur dann Werth habe, wenn man sich dabei feierlich auf die Zeugenschaft des Herrn berufen hat“, und der unermüdlichen Beredsamkeit Ellrodt-Apollos, welcher in die pietistischen Grübeleien des Sonderlings einzugehen weiß, gelingt es, die Abneigung des Prinzen gegen den ihm so unerwartet winkenden Thron zu überwinden. Er unterzeichnet endlich das bereitgehaltene Protocoll und verheißt, binnen vier Wochen als Landesherr in Baireuth Besitz zu ergeifen. Alle Beamten, Hofstaatsdiener sollen im Genusse ihrer Stellen und Befugnisse belassen werden, nur die Franzosen und Italiener, „die Schmarotzer und Nimmersatts“, das Feld räumen. Blos Deutsche erwarte er bei seiner Ankunft vorzufinden.

Und als er einzieht in seine Hauptstadt – zur Bestreitung der Reisekosten Seiner Durchlaucht hat der Rothschild des Landes, der Kammerresident Moses Seckel, Hofbanquier und Münzpächter zu Baireuth, die beträchtliche Summe von achttausend Thalern, darunter fünfhundertundsechszig Ducaten in funkelnagelneuem Golde, beschaffen müssen – sind sämmtliche Fremde, auch die Mitglieder der von Friedrich gestifteten Akademie der Künste, längst über alle Berge. Die Angst vor Friedrich Christian’s wohlbekanntem Bambus hat ein allgemeines Sauve qui peut bewerkstelligt. In die ihm bestimmten Zimmer des Schlosses geleitet, wandert er nachdenklich durch die weiten Räume, streift dann seinen Brillantring vom Finger und kritzelt in eine Fensterscheibe die Worte ein: „Eile und errette Deine Seele! denn hier auf dieser Welt ist für Dich kein wahres Gut zu finden.“ Gewiß, eine ungewöhnliche Betrachtung für einen Mann, dem soeben eine Krone dieser Erde, oder doch ein diamantenbesetzter Markgrafenhut, zu eigen geworden ist! Im Uebrigen rechtfertigt er vorerst die Besorgnisse nicht, mit welchen man seinem Kommen entgegengebangt hat. Er zeigt sich in seiner trübseligen Weise huldvoll gegen Jedermann. Zwar scheucht er die zumeist längst verabschiedeten Diener seines Bruders aus ihrer Ruhe wieder auf, um sie in seinem Hofhalte von Neuem anzustellen, allein ohne deshalb irgendwen sonst seiner Stelle zu berauben. Sogar die vier Kammermohren und Hoftürken und Hofkosaken dürfen in ihren Würden verbleiben, und muß der eine von den Erstgenannten, der zu Durchlaucht’s Schrecken noch nicht getauft ist, sich schleunigst dieser Ceremonie unterwerfen. Blos die Parforcejagd wird unerbittlich vom Etat gestrichen – seit ihm in den Neustädter Wäldern das Unglück begegnet, dessen Gedächtniß er nicht aus der Seele wälzen kann, seit er im Zorne jenen Jagdburschen aus Creussen in Franken getödtet hat, ist ihm das Waidwerk ein Gräuel, vor Allem das „Halloh, das Peitschengeknall und Rüdengebell“ der Hetzjagd.

[421] Noch hält der neue Markgraf seine Tollheit im Zaume. Bald jedoch machen sich die Einflüsse seiner Umgebungen geltend. Caspar Heinrich Schröder aus Osnabrück, der glückliche Vertilger hochfürstlicher Leichdornen, sammt einem ungerathenen Bengel von Sohn und einer mit aller Welt liebelnden zigeunerhaften hübschen Tochter, die sich ehedem als Seiltänzerin versucht haben mag, ist als Serenissimi Leibmedicus selbstverständlich von Wandsbeck mit nach Baireuth übersiedelt. Er hat Quartier im Schlosse und Beköstigung aus der Hofküche, eine weit reichere Tafel, als sie der sparsame Markgraf führt, der sich zum Entsetzen sämmtlichen courfähigen Publicums bei seinem Hofmarschall in Pension giebt, und verwaltet mit dem Titel eines Geheimen Bergrathes das Minendepartement des Landes, da er seinem Gönner besondere montanistische Kenntnisse vorgespiegelt hat. Dabei aber bleibt der kecke Abenteurer nicht stehen; ihn gelüstet nach den höchsten Ehren im Staate. Von Anfang an steht sein Plan fest. Fort und fort giebt er dem Markgrafen anzuhören, alle Beamte desselben seien unwissende Tröpfe und ungetreue Haushalter, bis er das Ziel erreicht, nach dem er strebt.

„Spitzbuben seid Ihr Alle!“ tobt Friedrich Christian, im Schlafrock und mit einer hohen seidenen Mütze auf dem Kopfe, im Schlosse umher, und sein Stock saust auf die Rücken von Bürger und Edelmann, von Räthen und Officieren nieder, – und, Krone der Ehrlosigkeit, gar Mancher läßt sich die Demüthigung freudig gefallen, denn er weiß, daß der gottselige Markgraf goldene Pflaster auf die Wunden zu legen pflegt, die sein Bambus schlägt. Das Baireuther Officiercorps aber hält im Gasthofe zum „Reichsadler“ eine geheime Berathung, ob derlei markgräfliche Handgreiflichkeiten mit der militärischen Ehre verträglich seien, und vereinbart schließlich eine Bitte an den Oberhofprediger, den Landesherrn zu ermahnen, das soldatische Ehrgefühl mehr zu schonen. Inzwischen ist eine „geheime Landesdeputation“ zur Untersuchung der Schäden eingesetzt und der weiland „Zahnbrecher und Hühneraugenschneider zu Wandsbeck“, derzeit geheimer Berg- und Obermedicinalrath Caspar Heinrich Schröder ihr Mitglied geworden, will sagen ihr Haupt – der Jahrmarktsquacksalber Regent des Landes; so geschehen nicht in einem erdichteten Roman, sondern vor wenig mehr denn hundert Jahren im Herzen des heiligen römischen Reiches deutscher Nation! Der hochgebildete Reichsgraf Philipp von Ellrodt, so lange der factische Herr, der allmächtige Brühl von Brandenburg-Culmbach, ist bei Seite geschoben von einem plumpen, ignoranten Charlatan; [422] schlimmer noch, er ist angeklagt, Stellen und Aemter verkauft zu haben, und als Gefangener auf Ehrenwort nach seinem Schlosse Drossenfeld verwiesen.

Wer diesen Ort heute sieht, der theils zur Fuhrmannsausspanne, theils zum Holzmagazin und zur Behausung für Büttel und Gerichtsboten degradirt ist, der wird sich schwer ein Bild entwerfen können von der Pracht, welche das Tusculum des reichbegüterten Reichsgrafen Philipp von Ellrodt einst der staunenden Welt vor Augen gestellt hat. Am rechten Ufer des hier fast noch bachartigen rothen Mains erhebt sich der imposante Bau mit seinen beiden Seitenflügeln, den, nach einem alten Kupferstiche, unsere Illustration wiedergiebt, auf einer mit Gartenanlagen im Stile Lenôtre’s geschmückten malerischen Terrasse, welche an Sanssouci erinnert und wohl mit den in der Rococozeit so hochgepriesenen Gärten der Isola Bella im Lago Maggiore verglichen worden ist. Nach allen Seiten hin gewährt das Schloß entzückende und ahnungsreiche Fernsichten, nach der dämmerblauen sanfteren Hügelkette der fränkischen Schweiz, wie nach den stattlicheren Höhen des näheren Fichtelgebirges.

Auf jedem Absatze der hochansteigenden Terrasse tränken künstliche Wasserwerke einen reichen Flor der seltensten Blumen, auf dem Kiesplatze am Fuße der Treppe hauchen alte Pommeranzen- und Citronenbäume ihren feinen Wohlgeruch aus, während rechts und links in groteske Gestalten verschnittene Laubgänge und Taxushecken zu verschwiegenem Wandeln und traulichem Ruhen in labender Kühle einladen. Selbst beim Regengusse mag man ungenäßt weilen unter dem dichten grünen Blätterdache, unter welchem barock verzierte, wundersam verschnörkelte Tische und Bänke und mancherlei burleskes Sandsteingebild, bucklige Zwerge und schnakische Faune neben griechischen Götterfiguren im Zopfgeschmacke umherstehen. Bewaldete Hügel ziehen sich als nächster Saum um das Ganze; bis zu ihnen hinauf verstreut sich das freundliche Dorf, dessen vom Markgrafen Friedrich „seinem Günstling zu Liebe“ erbaute schmucke Kirche ihren schieferbedeckten Thurm unmittelbar hinter dem Schlosse emporreckt. Die zahlreichen Obstbäume an den durch die Gemarkung, meist in Bergeinschnitten höhwärts, führenden Wege zeugen von der geschützten Lage des Ortes. Das Innere des Schlosses ist fürstlich ausgestattet, mit buntbemalten oder vergoldeten Decken, mit Marmorkaminen und Boulemöbeln, seidenen Hautelisse- und Gobelintapeten, Meißner Porcellanungethümen und Schäfergruppen, Krystalllustern und glasumrahmten Spiegeln, geschweiften Commoden und goldfüßigen Schreibtischen, mit verschnörkelten Pendulen und wackelnden Pagoden, wie sie der Zeitgeschmack liebte und wir sie heute wieder nachahmen oder aus Trödlerboutiken um schweres Geld erkaufen.

Ein köstlicher Sitz, dies Drossenfeld des Reichsgrafen von Ellrodt, viel bewundert und viel beneidet in seinen Tagen, ein Beweis aber zugleich, daß das Gerücht wohl nicht so weit von der Wahrheit vorbeitrifft, wenn es die Reinlichkeit der premierministerlichen Hände einigermaßen in Zweifel zieht. Hieran mag auch Ellrodt Vater denken, als er sich in seinem Arbeitscabinete mit dem Sohne, der ihn am Abend vorher durch seine Heimkehr von einer Lustreise in’s Salzburgische überrascht hat, zur Morgenchocolade niederläßt. Auch der jetzt dreiundsechszigjährige Herr zeigt noch Spuren einer ungewöhnlichen männlichen Schönheit; mit feingeschnittenen Zügen und vornehmer Haltung, hochgewachsen und breitschulterig, trägt er ein vollkommen aristokratisches Gepräge, als sei er nicht in einem Predigerhause, sondern im Reichsgrafenpalaste zur Welt gekommen. In der Regel von beinahe fürstlichem Selbstbewußtsein, – ist er heute doch niedergedrückt und kleinlaut. Die Anklage zwar, die eine seiner ehemaligen Creaturen, ein verkommenes bedeutungsloses Subject, wider ihn erhoben, als habe er dem Menschen seinen Posten gegen ein Douceur von dreißig Ducaten verkauft, spottet er – dreißig Ducaten für den reichen Grafen Ellrodt! das ist doch zu abgeschmackt – doch wie, wenn in der bevorstehenden Gerichtssitzung noch andere Dinge und – Weitherzigkeiten zur Sprache kommen, deren Grundlosigkeit sich nicht so ohne Weiteres erweisen läßt? Er fühlt sich eigenthümlich beklommen. Auch dem Sohne liegt es wie ein Alp auf der Brust, allein er kann den Gedanken an die Schuld des Vaters, den er immer nur würdevoll und stolz gesehen, nicht festhalten und bemüht sich durch heiteres, kindlich liebevolles Geplauder, dem theuren Manne, der an ihm von der Wiege an nur Gutes und Liebes gethan hat, die Wolken von der Stirn zu scheuchen. Wie verschieden geartet die Beiden! Der Vater in Denken und Wesen, in Erscheinung und Rede der Repräsentant der sich auslebenden alten, der Sohn geistig und sittlich das Kind der heraufleuchtenden neuen Zeit; der Erstere noch im strengsten Zwange von Puder und Perrücke, der Letztere mit dem ihm Stirn und Schläfe freier umwallenden goldblonden Haare dem Zopfthume schon nach Möglichkeit entschlüpfend; der Eine nach den Grundsätzen einer vornehm-bequemen Moral noch inmitten der frivolen französischen Bildung lebend, der Andere, sittlich strenger und von höheren Idealen getragen, schon ein Pionnier des neuen deutschen Geisteslebens, das, mit der wälschen Convention und Oberflächlichkeit brechend, in den Tiefen des Gemüthes, auf dem Boden menschlicher Sittlichkeit sich Ankergrund und Angelpunkt sucht. Die Hervorhebung des Contrastes und zugleich der Zusammengehörigkeit der beiden Charaktere ist Gutzkow meisterhaft gelungen.

Graf Ellrodt Vater geht glänzend hervor aus dem im Adlersaale des Baireuther Schlosses, in Gegenwart des Markgrafen, tagenden Gerichte. Der Fürst sucht die dem Minister angethane Unbill gut zu machen, indem er demselben einen großmächtigen Titel anhängt, ihn zum Land-Erbkämmerer des Brandenburg-Culmbacher Weltreichs ernennend – ein Beiseitegeschobener, Halbverbannter und Geächteter bleibt Reichsgraf Philipp indeß nichts desto weniger, ein geknickter Mann, der in seiner Vergangenheit keinen Trost finden kann für die trübe Gegenwart und selbst auf den neuerdings bewirkten Erwerb einer „reichsunmittelbaren“ Besitzung in der Rheinpfalz, der seinem Stolze früher so hohes Genügen bereitet haben würde, kaum noch Werth legt. Auch auf die so schön, so reich und verheißungsvoll aufgesproßte Lebenssaat des Sohnes hat das Schicksal des Vaters einen zerstörenden Mehltau geträufelt.

Nach wie vor schwingt Markgraf Friedrich Christian seinen Stock; von Tag zu Tage wächst seine Neigung, „seine nächsten Umgebungen mit Schlägen zu tractiren“, zugleich mit der Verdüsterung seines Gemüths. Die Begräbnißstätte seines Hauses, das von der „weißen Frau“ gestiftete Cisterciensernonnenkloster Himmelskron, ist seine Lieblingsstätte. Dort, in dem unheimlichen kleinen Schlosse, unter einem jedem heitern Sonnenstrahle den Eingang wehrenden Riesenzelte uralter Linden, wie sie vielleicht auf Erden nicht zum zweiten Male vorhanden sind, vertieft sich der der Monomanie entgegentreibende Fürst in die Revision des alten Gesangbuches, welches er mit seinen geliebten „Kernliedern“ bereichert; dort plant er sein eigenes Mausoleum, das er in seinem Geburtsschlößchen zu Weferlingen zu errichten gedenkt; dort hält er gelegentlich auch Hof, trotz aller Weltentsagung und Verschmähung irdischen Glanzes mit ziemlicher Sorgfalt seine äußere Persönlichkeit herausstaffirend, jeden seiner Orden vor dem Spiegel probirend, auf das steifste Ceremoniell und streng darauf sehend, daß nur der Adel Einlaß findet in die freudlosen Räume seiner düsteren Behausung. Der weiland hannöversche Hühneraugenschneider ist, wie man sich denken kann, mittlerweile unter die Edelleute emporgehoben worden und noch immer der Tyrann des Landes. Wohl mag ihn Markgraf Friedrich Christian nachgerade nicht mehr besonders leiden, aber er hält den frechen, eiteln und schlemmenden Patron für den „einzigen ehrlichen Kerl“ in seinen Staaten, und so läßt er ihn seine Scandalwirthschaft ungehindert forttreiben, Judenhetzen in’s Werk setzen, um den Gejagten Geld und Gut wegzunehmen, als Chef der souverainen Landesdeputation auf seinen Rundreisen im Lande ringsum Schrecken verbreiten und treue Staatsdiener und ehrliche Männer in den Kerker werfen. Eine Mißregierung sonder Beispiel, ein Cabinetslichtbild aus der „guten alten Zeit“.

Vielleicht noch ekelhafter zu lesen aber ist es, wie die obersten Hofchargen sich Mühe geben, den prügelsüchtigen Fürsten durch weiblichen Umgang zu sänftigen, und die vornehmsten Damen des Adels den finstern Frauenhasser umschmeicheln, diesen sänftigenden Einfluß auf ihn ausüben – wie hoch- und hochwohlgeborene Eltern ihm zu solchem Behufe ihre Töchter präsentiren!

Erst ein Complot macht, durch Frauenlist verrathen und von Fritz Ellrodt verhindert, dem Unwesen der Schröder’schen Creaturen ein Ende. Dieser mißlungene Anschlag, dessen Hauptanstifter der durch seine Cabalen zum Premierminister aufgerückte Schwiegersohn Schröder’s ist, der Kammerjunker und frühere [423] Attaché bei der brandenburg-culmbachischen Gesandtschaft zu Wien, Johann Christian Trützschler v. Falkenstein, bezweckte nichts Geringeres, als den Markgrafen „wegen seiner geschwächten Geisteskräfte während einer Reise aufzuheben und in sichern Gewahrsam zu bringen, das Fürstenthum aber unter Ansbach’sche Verwaltung zu stellen“. Erst jetzt erkennt der unglückliche Fürst, in welchen Händen er sich befunden und wer seine wahren Freunde sind.

Er giebt die Zügel seiner Regierung unserm jungen Reichsgrafen, dem Wiener und Regensburger Comitialgesandten Friedrich v. Ellrodt, in die Hände. Seit zwei Jahren mit einer Gräfin Löwenhaupt, mütterlicher Seits einem Sprößling aus fürstlichem Hause, vermählt, führt Friedrich v. Ellrodt auf einem seinem Vater gehörigen Gute zu Lindenreuth im Herzen des Fichtelgebirges, Angesichts von Ochsenkopf und Schneeberg, ein glückliches Dasein, dem nur der Kindersegen gebricht; nachdem er zuvor das Baireuther Reich als außerordentlicher Gesandter bei Joseph des Zweiten Kaiserkrönung in Frankfurt am Main vertreten hat. Aber Friedrich v. Ellrodt war zu glücklich, um nicht am Ende den Neid der Himmlischen fürchten zu müssen. Schon nahte ihm das Verhängniß.

Eines Abends – es war um die Zeit des Falkenstein’schen Complotes – an den Ufern eines unfern dem Schlößchen gelegenen großen Weihers spazierend, wird das gräfliche Paar durch einen aus nächster Nähe fallenden Schuß erschreckt. Ein zweiter und dritter Schuß ertönt, und plötzlich bricht aus dem Walde ein mächtiger Hirsch hervor, Jäger und Bauern rennen lautschreiend mit Knütteln hinter dem geängstigten Thiere einher und – entsetzlicher Anblick! grauenhaftes Bild aus unserer „guten alten Zeit“! – am Geweihe des Zwölfenders ist ein Mensch, ein ergriffener Wilddieb, festgebunden. Den Lustwandelnden erstarrt das Blut in den Adern … als der Hirsch näher herankommt, ist ein blutrünstiger Menschenkopf deutlich zu sehen, von dessen Lippen es kläglich winselt: „Barmherzigkeit! Schießt, schießt!“ Grausam brüllt das nachjagende Volk hinter dem Gemarterten her; mit einem Male springt das schweißschäumende Thier in den See. Ein trefflicher Schwimmer, springt Ellrodt in das Wasser nach und rettet, nachdem der Hirsch getödtet ist, mit Hülfe einiger Diener den unglücklichen Menschen. Seine Menschenfreundlichkeit jedoch wird sein Tod. Die Erkältung, die er sich bei seinem Liebeswerke geholt, verschlimmert durch die kurz darauf unternommene Eilfahrt, welche den verrathenen Markgrafen aus den Händen der Verschwörer befreien soll, artet in ein hitziges Nervenfieber aus, welches, jeder ärztlichen Kunst spottend, seinem Leben ein vorzeitiges Ziel steckt.

Da schlummert nun der Verblichene „unter brennenden Wachskerzen und mit fast fürstlichem Glanze“ auf seinem Paradebette, vor welchem, in Thränen aufgelöst, die junge Wittwe kniet, deren Idol der Heimgegangene gewesen ist. Den alten Reichsgrafen hat das Unglück, der Verlust seines letzten Sohnes selbst auf das Krankenbett geworfen – das kaum erblühte Geschlecht, schon verdorrt es ja wieder! Dies rührende Bild eines hoffnungsreichen Anfangs und schnellen Erliegens unter dem räthselhaften Geschicke zu zeichnen, war ohne Zweifel die eigentliche dichterische Aufgabe, welche sich Gutzkow in seinem neuesten Romane gestellt hat, nicht das geschichtliche Gemälde aus dem Jammer der deutschen Kleinstaaterei, wie farbenfrisch, lebensvoll und instructiv dasselbe auch vor uns hintritt. –

Bald nach Fritz Ellrodt bricht auch der Markgraf zusammen. Die Ueberzeugung, von denen betrogen worden zu sein, welche er an seinem Busen genährt hat, raubt ihm den letzten Rest von geistigem Halte, den sein umnachtetes Gemüth noch besitzt. Schrullenhaft, wie er gelebt, so stirbt der Mann auch, welchem trotz alledem das Zeug zu einem tüchtigen Regenten verliehen war. Eigensinnig weist er jeden andern ärztlichen Beistand ab, als den seines Leichdornschneiders Caspar Heinrich Schröder. Zwar macht dieser alle Anstrengungen, den Fürsten am Leben zu erhalten, mit dessen Hintritt ja seine eigene Glückperiode ihr unwiderrufliches Ende erreichen muß, seine Pfuscherei aber führt den Tod seines Gönners nur um so rascher herbei. Kaum hat Markgraf Friedrich Christian die Augen geschlossen, so eilt der Günstling mit seinen beiden Kindern, seinem Schwiegersohn und seinen erplünderten Schätzen aus dem von ihm und seinen Helfershelfern ausgesogenen Lande. Wo er gestorben ist, hat man nie erfahren; in der Gegend von Frankfurt oder Wetzlar geht seine Spur verloren.

Reichsgraf Philipp hat seinen edlen Sohn nur kurze Zeit überlebt. Beide ruhen in der Ellrodt’schen Erbgruft unter der freundlichen Kirche von Drossenfeld. Ihre Grabsteine aber haben einem den Sitzen der Gemeinde bequemeren Fußboden weichen müssen. So ruft uns das „Sic transit gloria mundi“, das als die Devise des heutigen Baireuth gelten kann, auch hier seine wehmüthige Mahnung entgegen.

H. S.