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Autor: Ludwig Salomon
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Titel: Aus der Wandermappe der Gartenlaube
11. Der Schauplatz des „Ekkehard“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 537–540
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[537]
Aus der Wandermappe der Gartenlaube.
11. Der Schauplatz des „Ekkehard“.


Während der ganzen Fahrt über Tuttlingen nach Singen hinab hatten wir schon, von dem Ekkehard und der stolzen Hadwiga, der lieblichen Praxedis und dem wunderlich-knorrigen Romeias und noch vielen Anderen geplaudert, die vor Zeiten – wie uns Meister Scheffel erzählt hat – auf dem Hohentwiel ihr Wesen und Unwesen trieben.

Wir waren, wie das so auf Reisen kommt, eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft; mir und meinem lieben Gefährten gegenüber am Fenster saß ein altes Männlein in lockigem weißem Haar, aber der Nacken war noch keineswegs gebeugt von der Last des Alters; die Augen sprühten noch helles Jugendfeuer und um den Mund mit den feinen Lippen zuckte beim Lachen bisweilen ein schalkhaft-satirischer Zug. Neben dem alten Herrn hatte eine behäbige Dame Platz genommen, wohl eine Gutsbesitzerin aus der Umgegend, und dann folgte ein Mann in mittleren Jahren, ein bereits eine leichte Fülle zeigender Passagier mit sorgfältig gebürstetem, nur erst mit wenigem Grau gesprenkeltem Haar. Man sah ihm sofort den katholischen Priester an, aber man wußte auch sogleich, wenn man nur einen Blick in die milden dunkeln Augen, in das freundliche und doch auch nicht der Würde entbehrende Gesicht that, daß man es hier mit keinem Fanatiker, sondern mit einem echten und rechten Priester zu thun hatte.

Mittlerweile hatte der sausende Zug die Hochebene des Höhgaus verlassen und lenkte in die Ebene nach dem Bodensee ein, und mit einem Male änderte sich die Landschaft: kuppenartige Felsmassen mit schroffen Abstürzen ragten in den Abendhimmel hinein und schienen wie gewaltige Riesen an den Pforten der Schweiz Wache zu halten. Wir blickten Alle bewundernd hinaus und suchten das schön groteske Landschaftsbild in unserer Seele zu fesseln, dann schauten wir uns einander fragend an, ob wohl Einer den Cicerone machen könnte, und wir hatten Glück.

„Ja, ’s ischt scheen hier,“ begann die Gutsbesitzerin in trefflichstem Schwäbisch. „Dees ischt der Staufen, dees, der spitze, der Hohenkrähen, dees der Mägdeberg, der lange mit dem breiten Rücken der Hohenstoffel, und dees,“ sie zeigte mit ihrem Finger auf einen gewaltigen, imposanten Klotz, „ischt der Hohentwiel.“

„Ah, der Hohentwiel!“ riefen wir wie aus einem Munde.

„Ja, dees ischt, wo der Scheffel dervon g’schriebe hat,“ versetzte sie mit einem gewissen Selbstgefühl. Man wußte nun, daß sie eine literarisch gebildete Frau war.

Eine freudige Erregung ergriff uns jetzt Alle, unser Gespräch wurde wärmer, es war, als wären wir uns freundschaftlich näher getreten, und als wir im Bahnhofe Singen einfuhren, waren wir übereingekommen, nicht direct bis Constanz zu fahren, sondern hier auszusteigen, zu übernachten und am andern Morgen dem Schauplatze des Ekkehard einen Besuch abzustatten. Als wir aber, noch unserer freundlichen Auskunftgeberin für die instruktive Belehrung bestens dankend, auf den Perron von Singen sprangen, sah Alles dort so primitiv aus, daß uns plötzlich die Besorgniß überkam, es könne bei der kleinen Station gar kein Wirthshaus geben. Doch ein gefälliger Eisenbahnbeamter belehrte uns eines Besseren.

„Es hat schon eins drüben im Dorf,“ beschied er uns und zeigte mit der Hand die Richtung, wo das Dorf liege. Wir bogen daher guten Muthes mit unserem Reiseköfferchen um das Bahnhofsgebäude und erblickten hier zu unserer freudigen Ueberraschung einen hübschen Gasthofswagen.

„Ich sehe Land!“ jubelte der alte Herr. „Fahren Sie uns nach dem ,schwarzen Walfisch’,“ rief er dann dem Kutscher zu.

„Den hat’s hier net,“ versetzte dieser verdutzt.

„Nun, was hat’s dann hier?“ frug der schelmische Alte scheinbar höchst verwundert.

„Die ‚Kron’’,“ antwortete der Rosselenker treuherzig.

„Auch gut,“ erwiderte der also Belehrte sichtlich befriedigt, „begeben wir uns in den Schutz ‚der Krone', meine Herren!“

[538] Wir stiegen ein, und der Wagen rollte wohl eine Viertelstunde ebenen Weges zwischen prosaischen Kartoffelfeldern dahin, bis er endlich auf Pflaster rasselte und schließlich hielt. Der Wirth trat mit einem Lichte, es war mittlerweile dunkel geworden, vor die Thür und leuchtete uns in das Haus. Bevor wir aber eintraten, warfen wir noch einen prüfenden Touristenblick zu dem Throne des Jupiter Pluvius empor und gewahrten da zu unserm freudigen Erstaunen, daß kaum hundert Schritt uns gegenüber – so schien es wenigstens – der dunkle Felsenkoloß des Hohentwiel in den klaren, reichgestirnten Nachthimmel hineinragte. Höchst befriedigt begaben wir uns nun gleich rechts in den freundlichen Speisesaal, wo wir bald darauf bei köstlichen Forellen saßen. Schon ehe wir uns zu Tische gesetzt, hatten wir uns einander vorgestellt und dabei hatte sich der alte Herr als ein Justizrath aus Norddeutschland und der jüngere als ein Dechant aus Württemberg entpuppt.

Bei dem Wirth, der sich zu uns setzte, erkundigten wir uns sodann, wie weit es bis zum Hohentwiel sei, und erfuhren, daß man nur ein Stündchen auf bequemem Wege steigen müsse, um auf die Höhe zu kommen. „Sie machen den kleinen Abstecher gewiß auch hauptsächlich dem Ekkehard zu Liebe?“ fragte er.

„So ist es, versetzte der Rath, „und der Praxedis nicht zu vergessen.“

„Ja, die Wallfahrt nach der schönen Ruine nimmt mit jedem Jahre zu, seit der 'Ekkehard' erschienen ist. Ich habe in Folge dessen den ganzen Sommer über Verkehr. Die meisten Reisenden machen es so wie Sie, und das ist auch das Praktischste, sie kommen mit dem Abendzuge, übernachten hier und besteigen den Hohentwiel am Vormittage. Auch Herr Dr. Scheffel nimmt stets bei mir Quartier, wenn er der Burg einen Besuch abstatten will, und das ist in letzter Zeit ziemlich oft vorgekommen, denn Jeder, der ihn in seiner Villa in Radolfzell besucht, möchte unter seiner Führung den Schauplatz des Ekkehard kennen lernen.“

„Und da wird die Berühmtheit leicht zur Plage; nun, wir wollen ihn nicht incommodiren, aber auf seine Gesundheit wollen wir einmal anstoßen, daß es ihm noch lange vergönnt sei, den Hohentwiel emporzuklimmen: Meister Scheffel soll leben!“

Die allgemeine Heiterkeit war damit in das beste Fahrwasser gekommen und manch lustig Lied aus dem „Gaudeamus!“ erklang noch in die stille Nacht hinein, bevor wir, der Rath nicht ohne Mühe, unser Lager aufsuchten.

Am andern Morgen, als wir die Fensterladen aufstießen, prangte zwar der schönste Sonnenschein, aber vom Hohentwiel war zu unserem Schrecken keine Spur zu entdecken, er war gänzlich verschwunden; hinter den Häusern, wo er am Abend gestanden, wogte eine hellgraue Wolkenmasse wie ein unendliches Meer. Doch während wir noch bangen Herzens standen, theilten sich oben die Wogen, und wie eine lachende Insel blickte die Kuppe der Burg hervor.

„Vivat und Victoria!“ jubelte der Rath; unsere Hoffnung war wieder gerettet. Mittlerweile zerrannen die verhüllenden Wolken immer mehr, und als wir uns nach dem Frühstücke auf den Weg machten, strahlte der gewaltige, schroff aufsteigende Felsklotz im klarsten Glanze der Morgensonne. Zunächst schritten wir zwischen Rebengeländen auf einer sanft ansteigenden Straße dahin; nach und nach ging es etwas steiler, das störte uns aber wenig, rüstig ging es weiter, und mit wonnigem Behagen sogen wir die frische Morgenluft und den erquickenden, gewürzigen Duft des Traubengamanders und Bergehrenpreises ein. Der Rath war stets der Vorderste und wiederholt sang er in das Land hinaus:

„Wohlauf, die Luft geht frisch und rein,
Wer lange sitzt, muß rosten;
Den allersonnigsten Sonnenschein
Läßt uns der Himmel kosten.
Jetzt reicht mir Stab und Ordenskleid
Des fahrenden Scholaren,
Ich will zu guter Sommerszeit
Zum Hohentwiele fahren!“

Ungefähr auf der halben Höhe, da, wo der Weg eine Schwenkung nach links macht, liegt ein Meierhof, und am Thore desselben belehrt uns eine Tafel, daß man sich hier mit einem Führer zu bewaffnen und auch ein kleines Eintrittsgeld zu zahlen habe. Der Cicerone, ein alter origineller Kauz mit grauem Schnurrbarte, war bald zur Stelle, und so ging die Wanderung weiter. Nach einigen Kreuz- und Querfragen von unserer Seite begann der belehrende, mit einer gewissen rhetorischen Feierlichkeit gehaltene Vortrag des Alten. Er that kund, daß der Fels des Hohentwiel sich sechshunderteinundneunzig Meter über der Meeresfläche erhebe und aus Phonolith oder Klingstein bestehe, so genannt von dem Klange, den er von sich gebe, wenn man größere Stücke aneinanderschlage. In den schmaler Rissen oder Klüften finde sich außerdem auch noch ein sehr schönes Mineral, der hochgelbe, strahlende Natrolith.

„Stimmt, stimmt!“ unterbrach hier der Rath.

„Und ein goldgelb Tröpflein Natrolith
Im geschwärzten Stein oft erscheinet …
Das sind die Thränen, die der Basalt
Der gesprengten Molasse weinet.“

Der Führer nickte, die Störung gnädig verzeihend, und berichtete dann weiter, daß der Hohentwiel eine der ältesten Burgen Schwabens und wahrscheinlich römischen Ursprungs sei, wofür auch sein uralter Name Duellium spreche. Die erste sichere Nachricht über die Burg stamme aus dem Jahre 806, zu welcher Zeit ein Sohn Karl’s des Großen, nach seinem Großvater Pipin genannt, die Besitzung innegehabt. Im zehnten Jahrhundert sei sodann die Burg alemannisches Herzogsgut und Wohnsitz der Herzöge Alemanniens, z. B. Burkhard’s des Zweiten und dessen schöner Wittwe Hadwiga geworden. „Doch ’s Weitere von der Hadwiga und dem Ekkehard wisset Se wohl,“ brach er hier ab.

„Kein Sterbenswörtchen,“ betheuerte der Rath ernsthaft.

Der Graubart sah uns ungläubig an. „Von dem Sanct Galler Mönch Ekkehard, von dem die Herzogin Lateinisch lernen wollte, in den sie sich dann aber verliebte und der auch dann in Liebe für die schöne Frau entbrannte, sodaß er sie eines Tages in der Burgcapelle in übermächtiger Leidenschaft an seine Brust riß und mit Küssen überschüttete, worauf er in einen Thurm gesperrt wurde und vor ein Gericht gestellt worden wäre, hätte ihm nicht die Griechin Praxedis zur Flucht verholfen. Er ging nach Appenzell, wo er im Waldkirchlein das Waltarilied übersetzte, das er sodann –“

Jetzt konnte sich der Dechant eines Lächelns nicht mehr enthalten, was der Alte auch sofort bemerkte.

„Han i ’s doch glei denkt,“ unterbrach er seine wohlgesetzte hochdeutsche Rede, „daß Se den Scheffel g’lese hänt.“

„Das müssen Sie stets von Jedem denken,“ entgegnete der Rath mit dem Ernst, als fälle er ein gerichtliches Urtheil, „denn Jeder, der diesen classischen Boden besucht, hat doch wohl Scheffel’s classisches Werk studirt.“

„Jetzt scho, da möget Se Recht han,“ versetzte der Alte, „aber vor zwanzig Jahren, da hat mer noch nix g’wüßt von dem Scheffel sei’m Ekkehard, und doch sind auch damals schon die Leut’ herkommen aus aller Herren Ländern, freilich seit dem Scheffel sei’m Ekkehard da ischt die wahre Völkerwanderung losgangen; doch auch sonscht ischt die Feschtung sehr sehenswerth, ganz abg’sehn von der Aussicht. Denn seit 1538“ (ging nun der Vortrag im Hochdeutsch weiter) „kam die Burg, nachdem sie längere Zeit den Hohenstaufen gehört, unter Herzog Ulrich an Württemberg, wozu sie noch heute gehört. Die Herzöge von Württemberg ließen sie nach und nach erheblich erweitern, 1554 erbaute Herzog Christoph das sogenannte fürstliche Haus und befestigte den Bau stark, sodaß er im Dreißigjährigen Kriege unter dem tapfern Obersten Widerhold fünf Belagerungen aushalten und sich sechszehn Jahre lang gegen alle feindlicher Angriffe behaupten konnte. Unter dem Herzog Karl Eugen wurde die Burg hauptsächlich als Strafplatz für Strafgefangene benutzt, und so saß denn hier der Patriot Johann Jacob Moser fünf Jahre lang und der bekannte Oberst Rieger vier Jahre lang, anfangs in einem Kerker, in den weder Sonne noch Mond schien. Ein schreckliches Ende nahm es mit der Festung im Jahre 1800. In dieser Zeit drang ein französisches Heer unter General Vandamme nach Schwaben vor und erschien am 1. Mai in Singen. Darauf schickte Vandamme einen Adjutanten auf den Hohentwiel, um mit dem Commandanten zu verhandeln, und dieser, ein General Bilfinger, beschloß mit dem zweiten Befehlshaber, dem Obersten Wolf, und unter[WS 1] Zustimmung sämmtlicher Officiere, mit Ausnahme des Lieutenants von Reizenstein, zu capituliren, jedoch nur unter der Bedingung, daß die Festung im gleichen Zustande, in [539] welchem sie übergeben werde, wieder an Württemberg zurückzustellen sei. Auf diese Weise gewann der Feind den festen Platz und begann am 17. October, trotz aller Gegenvorstellungen, die Schleifung desselben. Allein die Compagnie französischer Mineurs vermochte die gewaltigen Bauten allein nicht zu sprengen, und so wurden denn monatelang drei- bis fünfhundert Mann aus der Umgegend herbeigezogen, mit Hülfe deren bis zum 31. März 1801 die Festung in jenen wüsten Zustand versetzt wurde, in welchem wir sie noch heute sehen.“

„Und Bilfinger und Wolf?“ fragte der Rath.


Die Veste Hohentwiel bis zum 17. October 1800.
Nach einem alten Kupferstich.


„Sie wurden auf den Hohenasperg gefangen gesetzt, während die übrigen Officiere, außer Reizenstein, infam cassirt wurden.“

Bei diesen letzten Worten hatten wir eine kleine Schwenkung nach links gemacht und befanden uns nun vor dem ersten überwölbten Eingange der ehemaligen Festung; als wir den langen Gang dröhnend durchschritten hatten, traten wir auf eine Bastion hinaus, die eine entzückende Aussicht gewährt. Zu unseren Füßen in weiter Runde wogende Saatfelder, von dem Silberbande der Ach durchzogen, da und dort im Grün Dörfer und Städtchen, weiter hinten im blauen Duft der Bodensee mit Constanz und dem stolzen Münster, und über Allem der goldige lachende Sonnenschein. Voll Bewunderung schauten wir sprachlos in die prächtige Weite, unser Cicerone aber zog die Stirn in Falten.

„’s ischt nix,“ sagte er verdrießlich, „i han’s glei denkt, mir häbet ebe koi Aussicht.“

„Wie?“ riefen wir Alle aus einem Munde.

„’s ischt ebe z’dunschtig; die vielen Regen der letschte Zeit! Kaum den Landzipfel im Untersee sieht man, wo der Scheffel bei Radolfzell sei Villa hat. Wenn’s klar ischt, sieht man von hier aus die ganze Alpenkette, links die Tyroler Berge, den Säntis, dann die Glarner Alpen, den Tödi, hierauf den Rigi, den Pilatus, das Finsteraarhorn, den Eiger, den Mönch, die Jungfrau, und endlich ganz rechts den Montblanc.“

Da es uns nicht vergönnt war, diese Perlen der Alpennatur zu sehen, so grämten wir uns darüber nicht weiter, sondern erfreuten uns an dem, was sich uns bot, und wahrlich, das war Herrliches die Hülle und Fülle. Lange konnten wir uns von diesen entzückenden Bildern nicht trennen, bis unser ungeduldiger Führer zum Weitergehen drängte. Wir schritten daher durch ein halbverfallenes Thor und betraten damit ein Trümmerfeld von kolossalem Umfange. Gewaltige Giebelwände rechts und links[WS 2], da geborstene Thürme mit sieben bis zehn Fuß dicken Mauern, dort [540] eingestürzte Gewölbe, die einer Ewigkeit getrotzt haben würden, wäre ihnen die frevelnde Hand der Mineurs fern geblieben.

Unser Cicerone erklärte uns, daß dies die untere Festung mit den Officierswohnungen, der Apotheke, dem Baumagazin, der Kellerei, Bäckerei und den Casernen gewesen, das Interesse für alle diese kleinen antiquarischen Notizen wurde bei uns aber durch den bittern Groll zurückgedrängt, der Angesichts dieses französischen Vandalismus in uns aufstieg.

„Wahrhaftig!“ rief der Rath, „all diese klaffenden Wunden, die ich erst in dieser Woche in der Pfalz und in Württemberg gesehen und die uns alle die freche fränkische Faust schlug, sie sind bei weitem noch nicht durch die Abrechnung von 1870 bis 1871 gesühnt!“

Ueber verschiedene Brücken, die über tief gähnende Abgründe führten, und auf steilen Wegen stiegen wir nun zur oberen Festung hinauf, wo sich das ebenfalls nur noch in seinen äußeren Mauern erhaltene Gouvernementsgebäude, die sehr verfallene große Kirche mit Thurm, einige Pulverthürme und die sogenannte fürstliche Burg mit vielen noch ziemlich wohl erhaltenen Gemächern und unheimlich aus der Tiefe heraufgähnenden Kellergewölben unseren Blicken darboten. Der Dechant trat in eines dieser Gewölbe und sang mit schöner voller Tenorstimme in das Dunkel die Maulbronner Fuge:

„All voll, keiner leer, Wein her!“

„Wein her! rief das dumpfe Echo, und das klang, als verlangten die Geister der Gewölbe klagend nach ihrem Tribut.

Ueber das feine Gesicht des Raths flog ein melancholisches Lächeln.

„Iz rinnit nich ein tropfe mêr,
Der wîn ist vortgehupfit ...
Ou wû, min grôzaz vaz stât lêr,
Sie hâ’nt mirz ûz gesupfit!“

citirte er.

Hinter der fürstlichen Burg zeigte uns der Cicerone die kaum noch sichtbaren von Buschwerk überwucherten Ueberreste eines Thurmes.

„Dees ischt der Ekkehardthurm, in dem der Ekkehard saß, bis ihn die Praxedis befreite,“ sagte er dabei.

„Ah! Von hier aus also flog der Ekkehard wieder hinaus in die goldene Freiheit!“ Wie mit einem Zauberschlage befanden wir uns wieder Alle in dem bunten Gedränge des herzoglichen Hofes. War es nicht, als lugte der Kämmerer Spazzo, der lustige Rath, aus jenem Fenster, schritt dort nicht der bärbeißige Moengall mit seiner Keule über den Burghof, und von dem Altane da, nickte uns da nicht die immer heitere, schöne Griechin zu? In diesem Augenblicke raschelt’s im Buschwerk; Audifax und Hadumoth, die beiden leibeigenen Kinder müssen es sein, die hier neugierig lauschen. – Doch nein, der Fuß unseres Graubart war’s, der weiter schritt, denn noch galt es einen Rundgang um die obersten, äußeren Festungswerke zu machen, bei dem wir nun noch einmal das berauschend schöne Panorama genossen, um dann wieder hinab zu Thal zu steigen.

Unten in unserem Wirthshause „Zur Krone“ fanden wir bereits den Tisch gedeckt, wir brauchten uns also nur nieder zu setzen, um ein vorzügliches Mittagsbrod einzunehmen, das nach der herrlichen Morgenwanderung auch trefflich mundete. Gleich nach dem Dessert fuhr auch bereits der Wagen vor, denn mit dem Ein-Uhr-Zuge wollten wir nun nach der alten Concilsstadt. Ehe wir schieden, präsentirte uns der Wirth aber noch das Fremdenbuch, und der Rath, dem wieder der Meersburger außerordentlich gemundet, ergriff mit einem gewissen Amtseifer die Feder. In flotter, abgeschliffener Schrift schrieb er Namen und Stand und dann den Scheffel’schen Vers:

„Da bracht’ man ihm das Stammbuch dar
Zum Eintrag, eh’ er scheide.
Und zittrig schrieb er: Kund soll sein,
Daß ich hie eingeritten,
Und lob’ das Haus ‚Zum Krönelein‘
Als Haus von guten Sitten:
     Der Willkumm hat nur so gemund’t,
     Daß ich das Bett kaum finden kunnt’,
     Holliro, nicht nur der Stiefel,
          ’S ging Alles um!“

Der Dechant lächelte, als er die Zeilen las. „Die Sach’ hat ihre Richtigkeit,“ sagte er und setzte dabei in feiner Perlschrift seinen Namen darunter.

Unterdessen knallte der Rosselenker draußen schon ungeduldig, schnell stiegen wir ein und rollten davon; auch im Bahnzuge saßen wir bald, und sausend ging es Thal ab. Da plötzlich, bei einer Biegung des Schienenweges, zeigte sich uns der gewaltige Felsblock noch einmal auf einige Minuten im herrlichsten Mittagssonnenschein; freundlich nickte ich hinüber wie zu einem lieben Freunde, und der Rath improvisirte elegisch:

„Leb' wohl, du alter Recke!
Den letzten Gruß ich dir send’!
Und besucht dich ’mal wieder der Scheffel,
So mach’ ihm mein Compliment!“

L. Salomon.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nnter
  2. Vorlage: lings