Aus der Schlacht von Dennewitz

Textdaten
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Titel: Aus der Schlacht von Dennewitz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 731–734
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus der Schlacht von Dennewitz

Die preußischen Patrioten und Generale hatten im Jahre 1813 keine leichte Aufgabe. Der von den Franzosen ausgesogene, auf das Aergste mißhandelte und noch immer gefesselte und streng bewachte Staat sah sich durch York’s kühnen Entschluß plötzlich in einen Krieg verwickelt, für den er nicht gerüstet war. Zwischen den feindlichen Heerestheilen mußte man die junge Mannschaft zum Waffendienst herbeiziehen. Weder sie, noch der nöthige Kriegsbedarf für ein größeres Corps konnte, ohne den gefährlichen Verdacht des Feindes zu erregen, offen an einem Orte zusammengebracht werden. Weniger Noth machte das Einexerciren der Ankömmlinge; die gedienten Soldaten nahmen sich freiwillig der Rekruten an und gaben ihnen mit Lust und Liebe die nöthige militärische Dressur; der Corporalstock war verschwunden. Außerdem hatte Scharnhorst’s weise Organisation der preußischen Armee unter Napoleon [732] Argusaugen für die Zeit der allgemeinen Erhebung trefflich vorgearbeitet. Bekanntlich durfte Preußen damals vertragsmäßig nicht mehr als 40,000 Mann unter den Waffen haben. Da aber, nach Scharnhorst’s Anordnung, die ausexercirte Mannschaft stets sofort heimgeschickt und frische an ihre Stelle einberufen wurde, so konnte man beim Ausbruch des Kriegs bereits auf ein wenigstens einigermaßen eingeschultes Heer von mindestens 150,000 Mann rechnen.

Reiterangriff der Schwadronen des Majors von Schmitterlöw in der Schlacht bei Dennewitz.
Originalzeichnung von G. Bleibtreu.

Als nach der Kriegserklärung endlich das offene Handeln begann, errichtete Preußen drei Armecorps, unter York, Kleist und Bülow, die alle drei unter Blücher's Oberbefehl stehen sollten und zu denen später noch ein viertes Corps unter Tauentzien kam. – Nachdem jedoch auch Oesterreich und Schweden dem preußisch-russischen Bunde gegen Frankreich beigetreten waren, beschloß man in dem „Hauptquartier der Verbündeten“, bei welchem die Monarchen von Preußen und Rußland sich persönlich befanden, eine gemischte Heeresordnung. Darnach formirte man drei Hauptheere: das böhmische, unter Schwarzenberg, aus Oesterreichern, Preußen und Russen, das schlesische, unter Blücher, aus Preußen und Russen, und das Nordheer, unter dem Kronprinzen von Schweden (Bernadotte), aus Schweden, Preußen und Russen zusammengesetzt; zu letztern kamen noch die gemischten Truppen Wallmoden’s.

Zum Nordheer waren von Preußen die Armeecorps von Bülow und Tauentzien commandirt.

Hier stehen wir vor der zweiten und weit größeren Schwierigkeit, welche die preußischen Generale im Jahre 1813 zu überwinden hatten: das ist die Unterordnung derselben unter Oberbefehlshaber, welche das führten, was man seit dem preußischen Beistand in Schleswig-Holstein den „diplomatischen Krieg“ genannt hat; das Muster derselben war aber schon Bernadotte gewesen, der schwedische Kronprinz, der „Cunctator“ von 1813. Geborener Franzose und gewählter Schwede, entbehrte er das, was damals im Preußenheere jeden einzelnen Mann auszeichnete: das Herz für die Sache, für die man focht. Er ist eine häßliche Erscheinung in [733] dieser Zeit: denn während ihn das Gewissen strafen mochte über die Treulosigkeit, im Bunde mit den Feinden seines Vaterlandes gegen seinen ehemaligen Kaiser und seine Waffengenossen das Schwert zu ziehen, scheute er sich nicht, in Schlachtberichten, welche den berüchtigtsten Napoleonschen Bulletins nichts nachgaben, die Siege der preußischen Feldherrn sich zuzuschreiben, trotzdem er nur der Hemmschuh an ihrem Siegeswagen war. Um so glänzender stehen uns ihre Thaten da, und um so preiswürdiger sind diese Helden, welche nicht nur den übermächtigen Gegner, sondern sich selbst, ihren Zorn über solche Unwürdigkeit dazu besiegten.

So war dies Bülow mit dem Siege von Groß-Beeren ergangen, und dasselbe widerfuhr ihm nach der Schlacht bei Dennewitz, die wir wenigstens in den Hauptzügen näher betrachten wollen.

Napoleon’s Plan, daß das bei Wittenberg unter Oudinot stehende Heer auf Berlin losrücken solle, war auch nach der Schlacht von Groß-Beeren nicht aufgegeben; er schickte sogar, mit Oudinot unzufrieden, den Marschall Ney zur Ausführung desselben ab. Vergebens hatten die drei Generäle Bülow, Tauentzien und Winzingerode den schwedischen Kronprinzen noch zur rechten Zeit zum kräftigen Vordringen aufgefordert, er beharrte bei seinem Zaudern, bis die Franzosen wieder zu Kraft gekommen und durch Ney und seinen Truppenzuzug für Berlin abermals gefährlich geworden waren. Da zerriß Bülow die niederdrückenden Fesseln des Gehorsams gegen einen solchen Führer und folgte seinem eigenen freien Entschluß zur nächsten Waffenthat, für den er gleichwohl, der dienstlichen Form genügend, erst die Genehmigung des Kronprinzen einholte. Dieser ertheilte sie, verlangte jedoch, daß die Brigade Borstell, ein Drittheil von Bülow’s gesammter Macht, zur Deckung seiner Armee zurückbleibe, eine Anordnung, welche Bülow durch einen directen Gegenbefehl an Borstell aufhob.

Folgendes war die Situation am 5. September. Bülow stand bei Marzahn und befehligte mit der noch nicht mit ihm vereinigten Brigade Borstell ungefähr 37,000 Mann; Tauentzien hielt Jüterbogk mit höchstens 10,000 Mann besetzt; das Hauptquartier [734] des Kronprinzen war in Rabenstein. Ney marschirte mit seiner ganzen Macht (60–70,000 Mann) von Wittenberg gegen Jüterbogk. Da nun Tauentzien derselben unmöglich Stand hallen konnte, so mußte durch den ersten Stoß die Nordarmee getrennt und der Weg nach Berlin bloß gelegt werden. Bülow’s Plan war nun, durch einen Flankenangriff die Hauptmacht des Feindes von Jüterbogk ab und auf sich zu lenken und ihn somit noch vor Jüterbogk zur Schlacht zu zwingen.

Und so geschah es. Am 6. September Morgens stand Bülow auf dem Kirchthurm zu Eckmannsdorf und überschaute die französischen Heereszüge, die von Zahna her anrückten. Von hier erkannte er in dem Dorfe Dennewitz den Schlüssel der Gegend, weil dort der sumpfige Agerbach, welcher die Niederung trennt, überbrückt war und stärker vorspringende Anhöhen sich trefflich zur Aufpflanzung von Geschütz eigneten. Darnach ertheilte er seinen drei anwesenden Brigaden Thümen, Krasst und Hessen-Homburg, sowie der Reserve unter Boyen ihre Ordres und erwartete den ersten Kanonenschuß von Jüterbogk her, um seinerseits die Schlacht zu beginnen.

Dieser Augenblick kam um 9 Uhr. Sofort setzte sich Bülow’s ganzes Armeecorps in Marsch, die Brigade Thümen voran, dann die Brigade Krafft, zuletzt die Brigade Hessen-Homburg; das schwarze Husarenregiment auf der linken, die übrige Reiterei, 20 Schwadronen, auf der rechten Flanke. Ueber eine Stunde war man dem Feind zur Seite vorwärts gerückt, ohne von ihm bemerkt zu werden; da aber die Kanonade von Jüterbogk immer heftiger wurde, so eröffnete Bülow, obwohl noch fern vom Feind, sein Kanonenfeuer, um den offenbar hart bedrängten Waffenbrüdern die nahe Hülfe zu verkünden und den Stoß der feindlichen Uebermacht gegen sie zu schwächen. Beides gelang. Ney sprengte der nächsten Anhöhe zu, übersah mit einem Blick die größere Gefahr und wandle ihr sogleich seine Hauptmacht entgegen, während er den Kampf gegen Tauentzien fortzusetzen befahl.

In demselben Augenblicke hatte Tauentzien den Befehl zum Rückzug gegeben; ein großer Theil seines Geschützes war zerschmettert, seine Mannschaft vom tapfersten Kampf gegen einen dreifach überlegenen Feind erschöpft. Kaum gewahrte er jedoch den Erfolg von dem neuen Kanonendonner in der Ferne, so durchdrang Vertrauen und frische Kampflust alle Glieder, und Tauentzien ließ, wie Varnhagen schildert, „seine ganze Reiterei auf das französische Fußvolk anstürmen. Sie durchdrang das erste Treffen, rollte dasselbe auf, sprengte auch im zweiten einige Vierecke und richtete ein großes Gemetzel an, mußte sich dann aber eiligst sammeln, weil nun auch die feindliche Reiterei plötzlich hervordrang; zwei Regimenter polnische Uhlanen stürzten ungestüm auf sieben preußische Landwehrschwadronen, diese stürmten ihnen herzhaft entgegen, es gab einen harten Zusammenstoß, ein furchtbares Handgemenge, zuletzt wurden die Polen von den Schwadronen des Majors von Schmitterlöw gänzlich geworfen, zusammengehauen oder zersprengt.“ [1]

Mit diesem Reitergefecht fiel der erste, anfangs unglückliche Kampf Thümen’s zusammen. Er wie Tauentzien hielten sich jedoch, nachdem Bülow Beiden Unterstützung zugesandt. Gewehr- und Geschützfeuer wütheten arg in beiden Kämpferreihen; da gleiche Kräfte mit einander rangen, so wogte das Gefecht hin und her. Wie auf dem linken Flügel, den Thümen bildete, ging’s auch auf dem rechten, welchen Krafft einnahm, weil Borstell noch immer nicht auf dem Schlachtfelde erschienen war. Je länger der Kampf sich hinzog, desto gefahrvoller ward er für die Preußen immer frische Truppen in’s Feuer führen, während die Preußen oft sogar zurückweichen mußten, nur um sich mit frischem Schießbedarf zu versehen. Es waren bereits alle Brigaden im Feuer. Bald gelang es jedoch dem linken Flügel, nach blutigem Kampfe mit Bajonnet und Kolben, die Höhe von Dennewitz und das Dorf zu stürmen, ja hinter Dennewitz trafen die jubelnd vordringenden Streiter mit den Truppen Tauentzien’s zusammen. So begrüßen Genossen sich selten, wie in einem solchen Augenblick. Auf dieser Seite war der Sieg errungen.

Desto schlimmer stand es auf dem rechten Flügel. Hier hatte Ney gegen die 14 preußischen Bataillone Krafft’s und Hessen-Homburgs, die dort kämpften, 47 französische vereinigt, die noch von zahlreicher Artillerie unterstützt wurden. Dennoch zogen sich die Preußen nur nach äußerster Gegenwehr aus dem eroberten Göhlsdorf zurück, sie wichen nicht vom Schlachtfelde, und Boyen führte persönlich die Bataillone nach jedem Rückschlag wieder in’s Feuer vor. Hier drohte die höchste Gefahr.

Bülow sandte Boten auf Boten nach Borstell, und auch den Kronprinzen bat er dringend, ihm Hülfe zu senden. Dieser stand mit den schwedischen und russischen Truppen bei Eckmannsdorf. eine ebenso zahlreiche und ruhige Zuschauerschaft vor der blutigen Action. Und was antwortete der Kronprinz auf Bülow’s Bitte?

– „La bataille est gagnée, j’arrive avec 48 bataillons, le général Bülow n’a qu’à se retirer en seconde ligne." Nach einem solchen Kampfe sollten Bülow und die Preußen Platz machen, damit der Kronprinz mit Russen und Schweden sich den Lorbeer hole! Bülow würdigte diese Antwort so wenig einer Beachtung, als sie Wahrheit enthielt, denn von den 48 Bataillonen ward kein Bajonnet sichtbar, auch der Kronprinz nicht, sondern nur einige Reiter und Geschütze kamen bei Bülow an; dieser setzte seine letzte Hoffnung auf Borstell’s bereits angemeldete Ankunft.

Borstell würde dennoch aus dem Kampfplatz nicht eingetroffen sein, wenn nicht auch er dem Kronprinzen den entschiedensten Ungehorsam bewiesen hätte, denn als er von Krappstädt abmarschirte, erhielt er den Befehl, sich mit den Truppen des Kronprinzen bei Eckmannsdorf zu vereinen. Borstell hielt jedoch sein Wort und erschien noch im rechten Augenblick bei seinen auf’s Aeußerste bedrängten Waffenbrüdern. Der Kampf um Göhlsdorf ward nun mit neuer Heftigkeit fortgesetzt. Ney und Bülow standen sich hier gegenüber. Mehrere Stürme der Preußen waren abgeschlagen, da wendete Ney plötzlich seine Hauptmacht von dieser Kampfstätte ab und nach Rohrbeck hin, bis wohin Thümen und Tauentzien mit nun vereinten Kräften vorgedrungen waren. Dieser Irrthum Ney’s, den gefährlichern Feind in diesen Beiden zu vermuthen, entschied das Schicksal des Tags. Es begann ein allgemeiner Rückzug, der bald in eine völlige Flucht ausartete, in welche selbst noch ungeschwächte französische Heerestheile mit fortgerissen wurden. Das Schlachtfeld mit seinen Lorbeern gehörte den Preußen allein.

Folgendermaßen lautete der Kriegsbericht aus der Kanzlei des Kronprinzen: „Das preußische Heer, höchstens 20,000 Mann stark, hielt mit wahrhaft heroischem Muthe die wiederholten, durch 200 Kanonen unterstützten Angriffe von 70,000 Feinden aus. Der Kampf war ungleich und mörderisch, doch herrschte nicht einen Augenblick Unentschlossenheit unter den preußischen Truppen; und wenn einige Bataillone das gewonnene Terrain augenblicklich räumen mußten, so geschah es nur, um es auf der Stelle wieder zu erobern.“ (So weit näherte man sich der Wahrheit; aber nun: „In dieser Lage der Dinge rückten 70 russische und schwedische Bataillone, 10,000 Mann Reiterei von beiden Rationen und 15O Stück Geschütz in Angriffscolonnen mit freien Zwischenräumen zum Entwickeln vor. Schon waren über 4000 Mann russischer und schwedischer Reiterei und mehrere Batterien in Galopp herangesprengt, um einen Punkt, gegen den der Feind vorzüglich seinen Angriff richtete, zu unterstützen. Ihre Ankunft begann demselben Einhalt zu thun, und die Erscheinung der Colonnen that das Uebrige. Das Schicksal der Schlacht war auf der Stelle entschieden.“ - -

Gegen diesen unredlichen Bericht schrieb General Bülow eine wahrhafte Darlegung der Thatsachen für die Berliner Zeitungen: aber die Censur ist sich zu allen Zeiten gleich geblieben, für sie hat es kein Jahr 1813 gegeben; sie strich die deutsche Wahrheit und ließ die französische Lüge passiren.


  1. Aus diesem Reitergefecht griff der Künstler den Augenblick der hier dargestellten Kampfscene. Wir theilen unseren Lesern diesen Holzschnitt als Probe einer „Geschichte der deutschen Freiheitskämpfe, in Bildern von G. Bleibtreu und L. Pietsch und mit erläuterndem Text“, einem empfehlenswerthen Unternehmen von Franz Duncker in Berlin, mit, das außer diesem Reiterangriff bei Dennewitz noch folgende Gegenstände in derselben Weise liefern wird: Die Königin Luise und Napoleon zu Tilsit; Tod Schill’s in Stralsund; Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig in dem Treffen bei Oelpers; Andreas Hofer nach dem Treffen am Berg Ziel; die Connvention zu Tauroggen; General York auf dem Landtage zu Königsberg; Einweihung der Lützower Freischaar; der König von Preußen in der Schlacht bei Lützen: Schlacht bei Groß-Beeren; Körner's Tod; Schlacht an der Katzbach ; Bülow und Boyen in der Schlacht bei Dennewitz; York bei Möckern; Erstürmung des Grimmaischen Thores von Leipzig; Pflege der Verwundeten; Blücher’s Rheinübergang; York und Gneisenau auf dem Montmartre vor Paris; Blücher bei Belle-Alliance; Napoleon’s Flucht. Au die Stelle des Wortes will der Herausgeber dieser vortrefflichen Sammlung das Bild stellen, indem durch die verklärende Hand der Kunst die Geschichte erst recht lebendig werde. Ein begleitender Text wird in kurzen aber markigen Zügen jedes einzelne Bild erklären und indem es von dem einem zum andern überleitet, eine gedrängte Darstellung der Ereignisse von 1807 bis 1815 gewähren.