Aus der Chemie des menschlichen Haushalts (1)

Textdaten
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Autor: K. R.
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Titel: Aus der Chemie des menschlichen Haushalts (1)
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus der Chemie des menschlichen Haushalts.
1. Eine Stricknadel als Sicherheitswächterin.

Eine erfahrene Köchin soll es besser verstehen, was zu des Leibes Nahrung und Nothdurft gehöre und wie dies am zweckmäßigsten zu bereiten sei, als alle Professoren und Gelehrten der Welt. Bezweifeln wir dies auch keineswegs, so drängt sich uns doch andererseits der Gedanke auf, daß es unserer Zeit nimmermehr angemessen sei, wenn in irgend einer Beziehung die Praxis allein, ohne jede Theorie, unser Schaffen bestimmt. Diese Einsicht hat die Küchenchemie in das Leben gerufen, an deren Hand die verständige Hausfrau jeden geringsten Gegenstand ihrer Thätigkeit genau kennen lernt, so daß sie nun nicht blos nach den alten Erfahrungen oder den Vorschriften des Kochbuchs blindlings die Speisen darstellen, sondern nach eigenem klaren Wissen das Vortheilhafteste für ihren Haushalt auswählen, sich vor Verfälschungen hüten und die zweckmäßigste Zubereitungsweise ermessen kann. Nächst diesen bietet die Küchenchemie noch zwei andere bedeutende Vortheile: Die Darlegung des Nahrungswerthes der verschiedenen Speisen und die Kenntniß schädlicher Einflüsse, welche von den Geschirren herrühren können.

Blicken wir nun in das wirkliche Leben. An der großen Tafel eines Gasthauses stellen wir keineswegs weitläufige Betrachtungen über die Zusammensetzung der erscheinenden Gerichte an. Wir prüfen dieselben nach ihrer Reinlichkeit, ihrem Aussehen und Geschmack; sind wir von diesen Eigenschaften befriedigt, so langen wir bei gutem Appetit tüchtig zu. Die aufgetragenen Speisen sind sämmtlich köstlich und besonders schön die Compots und eingemachten Gemüse. Die Bohnen z. B. sehen so frisch und lebhaft grün aus, als seien sie soeben erst gepflückt, und doch stammen sie vom vorigen Jahre her.

Bald nach dem Essen fühlen wir eine Unbehaglichkeit, einen unbestimmten Druck im Magen und einen leichten, aber desto unangenehmeren Drang zum Erbrechen. Eine gleich nach dem Mittagsessen getrunkene Tasse starten Kaffee’s lindert die häßlichen Empfindungen zwar, doch stellen sie sich bald wieder ein und werden desto stärker, je mehr der Magen sich entleert. Wir schreiben dies Unwohlsein einer Ueberladung des Magens, dem schlechten Bier, dem starken Rauchen und vielen anderen derartigen Umständen zu, beruhigen uns bei deren Unbedeutsamkeit und ihrem alltäglichen Vorkommen und ertragen unser Leid, so gut es gehen mag. Dergleichen Zufälle wiederholen sich oft, werden auch wohl noch ärger, bringen Abspannung, Mattigkeit und andere Beschwerden hervor, so daß ein Arzt herbeigerufen werden muß. Dieser curirt auf Hämorrhoiden, Magenkatarrh u. s. w., kann jedoch den Patienten keineswegs herstellen, sondern muß ihn mit Hoffnungen trösten – und sich mit der Wahrheit zufrieden geben, daß seine ganze Wissenschaft nicht viel mehr als ein Tappen im Finstern ist.

Indessen liegt die Quelle des Ungemachs ganz nahe – wir sind vergiftet, vergiftet von den schönen grünen Bohnen, die wir so oft in dem Gasthause gegessen haben.

Schauen wir nun aufmerksam im Leben um uns her, da finden wir die Erklärung für eine ganze Reihe von Schmerzen und Leiden, denen das arme Menschengeschlecht ausgesetzt ist und gegen die wir vergeblich Heilmittel suchten, weil wir ihre Ursachen nicht kannten und folgerichtig eben kein Uebel gehoben werden kann, bevor man seine Ursachen zu erforschen und zu heben vermag. Die Gegensätze des Sauer, Süß, Salzig, die Verwandelungen der thierischen und pflanzlichen Stoffe während der Zubereitung in der Küche äußern so mannigfaltige und bedeutende Einflüsse auf die [703] verschiedenartigen Geschirre und Geräthschaften, daß bei einer nicht genauen Kenntniß der Eigenschaften und Einwirkungen auf einander, bei nicht außerordentlicher Reinlichkeit und Sorgfalt, das Hineingelangen fremdartiger und oft giftiger Stoffe in die Speisen gar nicht zu vermeiden ist.

Am gefährlichsten erscheinen in dieser Beziehung die kupfernen Gefäße; einerseits weil sich in ihnen Kupferoxyd bildet, welches leicht auflöslich ist und daher von den Speisen leicht aufgenommen werden kann, und andererseits, weil alle Kupferverbindungen für den menschlichen Organismus höchst verderbliche Gifte sind. Wie bald aber Kupfer in die Nahrungsmittel gelangen kann, davon nur einige Beispiele. In einem der besten Kochbücher (dem Scheibler’schen, bei Amelang in Berlin) heißt die Vorschrift zum Einmachen grüner Bohnen in Essig und Zucker:

„Ganz junge grüne Bohnen werden von den Fäden befreit und in Wasser mit ganz wenig Salz in einem kupfernen unverzinnten Geschirr gar, aber nicht zu weich gekocht, in kaltem Wasser abgekühlt und zum Abtropfen auf ein Sieb gelegt. Zu 1 Pfund Bohnen koche man 3/8 Quart Essig mit 3/4 Pfund Zucker, einigen Nelken und einem Stück Zimmt auf, und gieße ihn durch ein Sieb kochend auf die in einen Napf gelegten Bohnen. Am nächsten Tage koche man diese in einem kupfernen Kessel einmal auf, nehme sie mit einem Schaumlöffel heraus, lege sie in Gläser, koche den Essig noch ein wenig ein und gieße ihn auf die Bohnen, die damit bedeckt sein müssen.“

Wenn hierzu nicht von vornherein der „unverzinnte“ kupferne Kessel durchaus blank gescheuert ist, jede Fuge, Falte, Beule und jeder Flick mit verdünnter Schwefelsäure (Sauerwasser) und kochendem Wasser gereinigt wurde, dann löst sich das dort sitzengebliebene Kupferoxyd mit Hülfe des Salzes sofort auf. Ebenso entsteht auf dem Drahtsiebe durch die nassen und salzigen Bohnen jedenfalls Eisenrost, der jedoch für die Gesundheit nicht nachtheilig ist. Bleiben dagegen die Bohnen in dem kupfernen Kessel über Nacht oder auch nur bis zum Kaltwerden stehen, so enthalten sie jedenfalls eine bedeutende Menge von essigsaurem Kupferoxyd – den bekannten Grünspan. Dies geschieht oft genug aus Unwissenheit oder Nachlässigkeit, zuweilen aber sogar absichtlich, damit die Bohnen eben die erwähnte schöne, frischgrüne Farbe von dem Grünspan erhalten. Wenn beim Einkochen von Fruchtsäften und Gelee’s, bei der Zubereitung salziger oder Alkalien enthaltender Speisen, saurer Saucen etc. diese bis zum Erkalten in den kupfernen oder Messingkesseln stehen bleiben, so nehmen sie in jedem Falle Kupferoxyd auf. Wird ferner kohlensaures Ammoniak, das sogenannte Flüchtig-, Hirschhorn- oder Kuchensalz in einem Messingmörser gestoßen, der nicht durchaus rein und trocken ist, so wird es sehr giftig und muß sogleich fortgeworfen werden.

Dies Alles wissen die Köchinnen meistens recht gut – wie viel Unheil vermögen aber dennoch Nachlässigkeit, Leichtsinn oder gar böser Wille anzurichten!

In vielen Fällen ist die Vergiftung gar nicht wahrzunehmen, weder zu sehen, noch zu schmecken; warum also soll das Dienstmädchen sich den Aerger machen, den das Eingeständniß ihrer Nachlässigkeit bringen würde – mag’s daher nur so bleiben! Oder das Hirschhornsalz ist nur ein klein wenig grün geworden, weshalb soll die sparsame Hausfrau es fortwerfen – ’s wird ja nichts schaden! Und doch ist in beiden Fällen das Kupfer hinreichend, um, mindestens bei den schwächlicheren Mitgliedern des Hausstandes, arges Unwohlsein hervorzurufen. Unwillkürliches Grausen und Entsetzen müßte uns ergreifen, wenn wir bedenken, wie schon durch die kupfernen Geräthe allein unsere Gesundheit und unser Leben so vielfach von scheußlichem Gift bedroht ist. Diese Furcht verliert sich jedoch bedeutend in Betracht dessen, daß unter der Herrschaft einer verständigen Hausfrau, welche das Wohl der Ihrigen gewissenhaft überwacht, solche Fälle wohl niemals eintreten können. Völlig beruhigt können wir aber erst im Hinblick auf unsere Wissenschaft, die Küchenchemie, sein, denn sie lehrt uns den Weg kennen, auf dem wir in einfachster und zugleich sicherster Weise die Kupfervergiftungen in den Speisen u. s. w. entdecken können. Zum Glück ist diese chemische Analyse so gar leicht, daß sie jede Hausfrau sofort unternehmen kann. In das verdächtige Gericht, sei es Gemüse, Eingemachtes oder was es wolle, wird eine Stricknadel oder ein blankgescheuertes eisernes Messer hineingetaucht und unberührt über Nacht stehen gelassen. Ist das Eisen am anderen Tage roth überzogen, so liegt der Kupfergehalt klar am Tage, und auf diese Art läßt sich dies noch in so geringen Quantitäten entdecken, daß, wenn die Nadel gar nicht roth oder röthlich angelaufen erscheint, wir von der Abwesenheit des Giftes fest überzeugt sein dürfen.

Diese treffliche Probe beruht auf dem bekannten Vorgange der galvanisch-chemischen Reduction des Kupfers.

K. R.