Aus den vier Wänden der römischen Frauenwelt
Die Alterthumsstudien haben in unserem Jahrhundert mehr als in früheren das Ziel angestrebt, anschauliche Bilder der antiken Cultur zu gewinnen, und darum auch die monumentalen Ueberreste des Alterthums mit größerem Eifer hierzu verwerthet. Wie man sich mit Erfolg bemüht hat, aus den zahllosen Bildern, die die Wände der ägyptischen Gräber, Tempel und sonstiger Bauten bedecken, ein bis in die kleinsten Einzelheiten vollständiges Bild des so höchst eigenthümlichen Lebens zu gewinnen, das vor Jahrtausenden das Nilthal erfüllte; wie man aus den Sculpturen der Paläste von Ninive ähnliche, wenn auch weit mehr fragmentarische Anschauungen der altassyrischen Zustände gewonnen hat: so hat man auch die über einen großen Theil der alten Welt verstreuten römischen Denkmäler, als Ruinen, Bildwerke, Gemälde, Münzen, Geräthe aller Art sorgfältig benutzt, um die aus den literarischen [198] Quellen gewonnene Kenntniß der Cultur und des Privatlebens der Römer zu ergänzen und zu beleben. Es ist selbstverständlich, welchen Vorschub diesen Bemühungen die wunderbare Entdeckung der durch den ersten bekannten Ausbruch des Vesuv verschütteten Städte Herculanum und Pompeji geleistet hat und noch leistet; denn die Ausgrabungen, die sich bald auf Pompeji beschränkten (da Herculanum unter einer mächtigen steinharten Lavaschicht, zum Theil auch unter der Stadt Portici liegt, Pompeji aber nur von lockerer Asche bedeckt ist), sind erst zum geringsten Theil vollendet, höchstens etwa der dritte Theil von Pompeji bloßgelegt.
Hier allein sind zahlreiche römische Privathäuser in relativ guter Erhaltung, zum großen Theil noch mit Hausrath und Mobilien ausgestattet, vielfach so wie sie vor achtzehnhundert Jahren von den flüchtenden Bewohnern verlassen worden, der Neu- und Wißbegier einer spätern Nachwelt aufbewahrt worden, da von den an allen andern Orten freistehenden Ruinen nur die solidesten, also nur die öffentlichen Gebäude, den zerstörenden Einflüssen aller Art trotzen konnten. Hier, wo wir uns so unmittelbar wie nirgend sonst in das tägliche Leben des Alterthums versetzt fühlen, liegt auch ein mächtiger Reiz für den Künstler, aus den leeren Trümmern das freundliche Bild jener Vergangenheit neu erstehen zu lassen und mit den zahlreichen kleinen Zügen zu beleben, deren Wahrheit die vorhandenen Ueberreste verbürgen. Das Gemälde von H. Philippi in Düsseldorf, das unser Holzschnitt wiedergiebt, beruht auf gewissenhaften, an Ort und Stelle gemachten Studien und ist eine bis in’s kleinste Detail treue Reproduction einer altrömischen Toilettenscene von anspruchsloser Anmuth und Natürlichkeit, ohne jene Pedanterie, die uns in so manchen modernen Darstellungen, auch in einigen des Niederländers Alma Tadema, unangenehm berührt.
Der Maler läßt uns in das Innere eines Pompejanischen Hauses von jener dem südlichen Klima so höchst angemessenen Bauart sehen, die jetzt, mit Ausnahme von Südspanien, nirgends in Europa, dagegen durchgängig im Orient sich erhalten hat. Das Leben des modernen Hauses ist nach außen, das des antiken war nach innen gekehrt, jenes wendet seine Fensterreihen der Straße zu, dieses war gegen die Straße mit einer im Erdgeschoß fensterlosen Mauer abgeschlossen, so daß man in den Straßen einer antiken Stadt wie zwischen Gartenmauern ging; nur die oberen Stockwerke hatten einzelne, aber je nach Bedürfniß, also unregelmäßig angebrachte Fenster an der Straßenseite. Das Centrum, um das sich das Leben des antiken Hauses bewegte, waren ein oder mehrere hofartige Räume, auf die die Wohnzimmer mündeten, und von denen sie das Licht empfingen. Diese in reicheren Häusern von bedeckten Säulengängen umgebenen Räume, ein Mittelding zwischen Saal und Hofplatz, machten es möglich, die Annehmlichkeiten des Aufenthalts im Freien auch im Innern des Hauses zu genießen. Schutz vor Sonne und Regen gewährte das über den Säulen auf allen vier Seiten hinlaufende Dach, überdies konnte über die Oeffnung in der Mitte noch eine Decke gespannt werden. Diese Räume schmückte das Grün frei oder in Kübeln wachsender Bäume und Sträucher, oder um die Säulen rankte sich, wie auf unserm Bilde, die Rebe; ein Bassin in der Mitte diente als Cisterne, und dieser fehlte in wohlhabenden Häusern selten der mit einer zierlichen Marmor- oder Bronzefigur geschmückte Springbrunnen, dessen Strahlen man gerne über kleine Treppenstufen herabplätschern ließ. Die Thüröffnungen, durch welche diese Räume in Verbindung standen, waren in der Regel nicht durch Thüren, sondern durch Vorhänge verschlossen; die Ringe, in denen die zum Hin- und Herziehen erforderlichen Schnüre liefen, haben sich noch an einigen Stellen in Pompeji erhalten. Eigentliche Fenster hatten die nach innen sich öffnenden Räume der Erdgeschosse nicht, da die Thüröffnungen zugleich das Licht einließen. So sehr diese Bauart der Natur und den Lebensgewohnheiten des Südens entspricht, so ist doch das antike Haus im heutigen Italien ganz durch das moderne verdrängt worden; nur in den von Säulengängen umgebenen, oft gartenartig bepflanzten Klosterhöfen, auf welche die Zellen münden, hat sich ein Rest der römischen Wohnungsarchitectur erhalten. Der Andalusier aber richtet auch heute noch den Hof seines Hauses, das sogenannte Patio, zur Wohnung ein und ißt und schläft im Duft der Pflanzen, im Geräusche des Springbrunnens, im Schatten des Säulenganges oder der über den freien Raum ausgespannten Decke.
Die behagliche Wohnlichkeit also, die wir so sehr auf den Aufenthalt in Zimmern angewiesenen Nordländer als deren Hauptvorzug erstreben und schätzen, fehlte den römischen Häusern, aber das Klima machte sie auch nicht zum Bedürfniß, und die Alten vermißten sie um so weniger, als sie den größten Theil des Tages außerhalb des Hauses verbrachten. Daher erklärt sich auch die namentlich in Pompeji auffallende Kleinheit der Zimmer, die in der Regel nichts bieten sollten als eine hinreichende Unterkunft für die Nacht und die Mahlzeiten. Und ebenso war auch die Decoration und die ganze Ausstattung und Einrichtung der Wohnräume durch die Natur und die Lebensgewohnheiten des Südens bedingt. Die Farbenpracht der Natur, die dem Nordländer anfangs bunt verwirrend und blendend erscheint, wollte man auch im Innern des Hauses nicht ganz entbehren, und das hochentwickelte, wenn auch unbewußte Schönheitsgefühl duldete, auch der Zweckmäßigkeit zu Liebe, keine häßlichen Formen.
Es ist bekannt, daß in Pompeji sich Haus für Haus dieselbe Zimmerdecoration wiederholt, nur natürlich nach den Mitteln der Bewohner reicher oder einfacher, so daß es den Anschein hat, als wenn ein und dieselbe Künstlergesellschaft für die ganze Stadt gearbeitet habe, die achtzehn Jahre vor ihrer Verschüttung durch ein Erdbeben schwer gelitten hatte, so daß also die Häuser durchweg einer Restauration und eines neuen Aufputzes bedurften. Durchweg sind die Estrichfußböden mit Mosaik ausgelegt, mindestens doch, wie auf unserm Bilde, mit mäanderartigen Mustern eingefaßt. Durchweg sind die Wände mit einer lebhaften Grundfarbe angestrichen, gewöhnlich dem bekannten „Pompejanischen Roth“; dieser Grund war durch Arabesken und architektonische Ornamente in Felder getheilt, die Felder mit kleineren und größeren Bildern geschmückt, unter denen namentlich die frei schwebenden Figuren durch ihre graziöse Leichtigkeit und Eleganz mit Recht berühmt geworden sind. Selbst die Säulen sind oft bemalt oder sogar mit Mosaik ausgelegt, was freilich einem reinen Geschmacke ebenso wenig zusagen kann, als wenn, wie auf unserm Bilde, nur die zwei oberen Drittheile cannelirt sind, das unterste nicht. Ueberhaupt verträgt die architektonische und malerische Häuserdecoration von Pompeji eine sehr strenge Prüfung nicht, doch im Ganzen macht sie den Eindruck der Heiterkeit und Zierlichkeit, und auch ihre Buntheit wirkt in der Umgebung einer so überaus farbenreichen und farbenprächtigen Natur nicht unharmonisch. Es ist ein Beweis für die enorme Ausbildung des Kunsthandwerks in jener Zeit, daß auch eine gewiß nicht reiche Mittelstadt wie Pompeji (das etwa die Größe von Bonn hatte) im Stande war, zum Schmucke ihrer Privatwohnungen Architekten, Maler, Bildhauer und Mosaicisten in solchem Umfange zu beschäftigen.
So anspruchsvoll aber die Alten in Bezug auf die künstlerische Decoration ihrer Zimmer waren, so genügsam waren sie in Bezug auf deren Ausstattung mit Möbeln und Hausgeräth; auch in dieser Beziehung standen ihre Gewohnheiten und Einrichtungen denen des Orients weit näher als denen des heutigen Europa. Die Wohnräume der Orientalen sind, abgesehen von einer an den Wänden entlang laufenden Einfassung von niedrigen Divans, von Matten und Teppichen, in der Regel leer; die altrömischen enthielten außer etwa einem Bett oder Sopha und einigen Sesseln in der Regel nur Prunkgeräthe wie Dreifüße, Kandelaber, runde Tischchen von seltenem Holze auf elfenbeinernen Füßen, kostbare Gefäße und Geschirre und dergleichen, mehr zur Zierde als zum Gebrauch bestimmte Dinge. Aber auch der einfache Hausrath der Mittelclassen war durch künstlerische Formen veredelt, und die zahlreichen zierlichen und geschmackvollen Henkelgefäße jeder Art, welche die Ausgrabungen jeder Art in einer kaum übersehbaren Fülle zu Tage gefördert haben und von denen auch unser Bild einige glücklich gewählte Exemplare zeigt, dienen mit Recht noch der heutigen Kunstindustrie als Modelle.
Die Pompejanerin auf unserm Bilde prüft die Wirkung ihres von einer ägyptischen Sclavin geordneten Haarschmuckes in einem jener (noch jetzt zahlreich vorhandenen) Handspiegel, die mit ihrer glattgeschliffenen Fläche aus Bronze oder Silber nur ein sehr unvollkommenes Surrogat unserer dem Alterthum unbekannten Glasspiegel waren. Der Künstler hat unter den fast unzähligen Frisuren, die wir aus Bildern und Büsten jener Zeit kennen, und unter denen auch hohe Toupés vorkommen, eine der einfachsten gewählt. Der noch unvollendete Anzug zeigt die beiden Haupttheile der römischen wie griechischen Frauentracht, ein langes, gegürtetes Untergewand, und einen weiten kleid- oder shawlartigen Ueberwurf. Es [199] gereicht dem Geschmack der damaligen Römerinnen zur Ehre, daß sie diese ebenso naturgemäße und einfache als künstlerisch schöne Tracht der früheren Zeit im Wesentlichen beibehielten, die sich den Formen der Gestalt überall anschmiegt, statt sie, wie so manche mittelalterliche und moderne, zu entstellen und unkenntlich zu machen. Namentlich der Schnürleib ist eine dem Alterthum völlig unbekannte Erfindung, was doch wohl den Schluß auf eine damals größere Häufigkeit tadelloser Gestalten als nicht zu kühn erscheinen läßt. In Bezug auf Farben und Muster der Kleiderstoffe war die Mannigfaltigkeit sehr groß: es gab gestreifte, carirte, schillernde etc.; der Künstler hat auch hier, wie bei dem Brust- und Kopfschmuck (mit welchem die Römerinnen in Perlen, Edelsteinen und feiner Goldarbeit großen Luxus trieben), dem einfach geschmackvollen vor dem prächtigen und bunten den Vorzug gegeben.
Zahllos, wie schon gesagt, waren die verschiedenen Haartrachten jener Zeit, besonders da der Hut als Frauentracht niemals im Gebrauch war und nur ein Kopftuch oder lang den Rücken herabwallender Schleier zum Schutze der schon geordneten Haare diente. In einer Menge von Portraitbüsten, durch alle Sammlungen Europas zerstreut, sind uns die Beispiele der verschiedensten Haartrachten erhalten, von der einfacheren Weise der älteren Zeit, da die welligen Haare nach hinten, gescheitelt oder ungescheitelt, zusammengenommen und im Knoten geschlungen durch Spangen oder Binden über dem Nacken zusammen gehalten wurden, bis zu jenem Lockenbau, von dem Juvenal sagt: „Sie bebauet Stockwerk auf Stockwerk sich den Kopf und erhöht ihn durch Stützen zum Thurme.“
Ovid, der vollendete Elegant, giebt sogar eine vollständige Theorie für die Frisur; „ein längliches Antlitz,“ sagt dieser feine Kenner der Schönheit und der Frauen, „heischt auf bloßem Scheitel getheiltes Haar, wie Laodamia es trug; dem runden Antlitz steht es wohl, wenn auf der Stirne sich das Haar in Locken windet, die Ohren aber frei und offen läßt.“
Daß es bei dieser complicirten Toilette für die Dienerin gewöhnlich nicht glimpflich herging, versteht sich fast von selbst und wirklich erinnert uns die auf dem Bilde das Haar der Herrin ordnende Sclavin, mit einem jener typischen Gesichter, wie sie auf den Monumenten Aegyptens zu Tausenden vorkommen, an den größten Krebsschaden des Alterthums, die Sclaverei, die eine ganze Hälfte der Menschheit zu einem nichts weniger als menschenwürdigen Dasein verurtheilte.
Juvenal hat in seiner Satire gegen die Frauen nicht unterlassen zu schildern, wie die mißgelaunte Gebieterin ihre Sclavinnen unmenschlich peitschen läßt, ohne sich in ihren Beschäftigungen zu unterbrechen, bis die Prügelknechte ermüden und das gräßliche „Hinaus!“ ertönt; aber auch Ovid ermahnt die Frauen, den Dienerinnen, die sie schmücken, nicht das Gesicht zu zerkratzen, sie nicht mit den Nadeln in die bloßen Arme und den Busen zu stechen. Keine Frau, sagt dieser graziöse, frivole Spötter, möge sich in Gegenwart ihrer Verehrer zu derartiger Leidenschaftlichkeit hinreißen lassen, weil dadurch Besorgniß über den sanften Charakter der Zürnenden entstehen könnte.
Wir werden aber durch die Anwesenheit einer Aegypterin oder Nubierin in dem Frauengemach einer italienischen Mittelstadt auch an jene beispiellose Durcheinandermischung der Nationen erinnert, wie sie sich eben nur in dem römischen Weltreich vollziehen konnte. Daß man namentlich Eingeborenen des Nillandes damals oft genug in den Straßen Pompeji’s begegnete, ist so gut wie sicher. Nur wenige Meilen war der Hafen von Puteoli (jetzt das ganz verödete Pozzuoli) entfernt, der hauptsächlich den Verkehr mit Aegypten und dem Orient vermittelte, und wo Morgenländer verschiedener Nationen, Syrer, Juden, Phönicier, Aegypter zahlreich wohnten, als Kaufleute, Agenten, Rheder etc., die natürlich auch ihre einheimischen Gottesdienste dort fortsetzten und von dort in’s Innere verbreiteten. So befindet sich auch in Pompeji einer der interessantesten Tempel, der der Isis, und zahlreiche Inschriften machen uns mit dem Bestehen einer dortigen Isisbrüderschaft bekannt.
Dem Künstler aber ist es gelungen, das bunte und glänzende Leben, das einst Pompeji erfüllte, mit den bescheidensten Darstellungsmitteln in der einfachsten Scene und dennoch nach verschiedenen Seiten hin der Phantasie des Betrachtenden gegenwärtig zu machen.