Aus den Werkstätten des Vulkan
Aus den Werkstätten des Vulkan.
Wie lange ist es her, daß man überhaupt von einer deutschen Schiffsbaukunst sprechen kann? Das alte Erbtheil der wackeren Hansen, die ebenso treffliche Schiffsbauer wie seekundige
Kaufleute waren, schien für immer verloren; noch im Beginn der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts beschäftigten sich die wenigen deutschen Werften fast ausschließlich mit dem Bau von Fahrzeugen zweiten und dritten Ranges, ja als unter Preußens Leitung eine vaterländische Flotte entstand und erstarkte, war diese für die Beschaffung ihres Materials zunächst beinahe gänzlich auf das Ausland angewiesen. Gerade während sich in England, Amerika und Frankreich der seit der Einführung der Dampfkraft bedeutungsvollste Umschwung im Schiffsbau vollzog, indem die Anwendung des Eisens für die verschiedensten Zwecke der Konstruktion immer weitere Ausdehnung erlangte, lag in Deutschland trotz unserer seetüchtigen Küstenbevölkerung und des keineswegs erstorbenen Unternehmungsgeistes unserer Großkaufleute der ganze Industriezweig brach oder wandelte doch, eines neuen Aufschwungs scheinbar unfähig, die alten, ausgetretenen Geleise.
Es galt unter diesen Verhältnissen geradezu als Wagniß, als im Jahre 1851 die Herren Fürchtenicht und Brock in Bredow bei Stettin eine Maschinenfabrik und Werft errichteten, welche sich in erster Linie mit dem Bau eiserner Dampfer beschäftigen sollte. Gründe waren billig wie Brombeeren, daß ein derartiges Werk nicht gedeihen könne. Die verhältnißmäßig geringe Entwickelung der damaligen deutschen Hüttenwerke, die mangelhaften Verkehrsmittel zwischen ihnen und Stettin, das gänzliche Fehlen eines gut herangebildeten Arbeiterstammes, schließlich vor allem die anscheinend unüberwindliche englische Konkurrenz waren in der That Bedenken, wohl geeignet, selbst einen energischen Mann von einer derartigen Schöpfung zurückzuschrecken, und die anfängliche Entwickelung der Werft schien in der That keine überaus günstige. Zwar lief bereits im Jahre 1853 der erste ganz auf dem Etablissement gebaute und ausgerüstete Dampfer „Dievenow“ vom Stapel und erregte durch die Solidität seiner Konstruktion unter den Stettiner Fachleuten einiges Aufsehen – er ist, beiläufig bemerkt, noch heute nach 36 Jahren im Dienst – aber das Werk wollte trotzdem nicht recht gedeihen, da die ursprüngliche Anlage die Mittel seiner Besitzer geschwächt hatte. Es war unter diesen Umständen ein Glück, daß sich in Stettin einsichtige Männer fanden, welche das Unternehmen in richtiger Würdigung seiner Bedeutung retteten und ihm zugleich eine breitere, gesicherte Grundlage schufen; die mit ausreichendem Kapital ausgerüstete nunmehrige „Stettiner Maschinenbau-Aktien-Gesellschaft Vulkan“
[109] erlangte bereits in den nächsten Jahren eine gewisse Bedeutung für die deutsche Industrie.
Allerdings war es zunächst nicht der Schiffsbau, dem das Werk seinen Aufschwung verdankte, sondern die Fabrikation von Lokomotiven.
Die erste Hälfte der sechziger Jahre mit ihrer schnellen Entwickelung des Bahnnetzes führte dem „Vulkan“ zahlreiche und lohnende Aufträge in diesem Zweige zu, der auch heute noch keineswegs vernachlässigt wird, wenngleich er freilich hinter dem Schiffsbau zeitweise zurücktrat; immerhin sind bereits über tausend Lokomotiven aus dem Etablissement hervorgegangen und jene „fetten Jahre“ verschafften ihm vor allem den Kredit und die Mittel, um mit ganzer Kraft zu seiner ursprünglichen Aufgabe zurückkehren zu können, als sich die Gelegenheit hierzu bot. Die Begründung des Norddeutschen Bundes, die kraftvolle Politik Bismarcks, welche eine energische Bethätigung auch des maritimen Könnens erforderte – die bevorstehende Schöpfung der norddeutschen Flotte –
gab endlich den langersehnten Anstoß und schuf die Möglichkeit, die Werft mit größeren, lohnenderen Aufträgen beschäftigen zu können. Das Verdienst der geschäftlichen und technischen Leitung des „Vulkan“ aber ist es, die Lage rechtzeitig erkannt zu haben und der schwierigen Aufgabe selbst nach allen Richtungen hin gut vorbereitet gegenübergetreten zu sein.
Schon während des Jahres 1867 erhielt die Werft kleinere Aufträge für die norddeutsche Marine, die erste bedeutende Bauausführung aber wurde ihr zwei Jahre später in der Konstruktion der Schiffsmaschine für die Panzerfregatte „Hansa“ anvertraut; auch die Panzerung dieses in Danzig erbauten Fahrzeugs übernahm der „Vulkan“ später. Nach dem Jahre 1870 folgten alsdann die Aufträge schnell aufeinander und nahmen mit der Bereitstellung größerer Geldmittel für die nunmehrige deutsche Flotte bald einen sehr bedeutenden Umfang an. Damals vollzog sich, und zwar zweifelsohne zum guten Theil gestützt auf die sich überraschend entwickelnde Leistungsfähigkeit des „Vulkan“, die Emancipation des vaterländischen Schiffsbaus von den englischen Konstrukteuren und deren noch vor kurzem den Weltmarkt beherrschenden Etablissements; wir wollen aber hierbei nicht übersehen, daß es wesentlich der Initiative des deutschen Marineministeriums und besonders des Ministers von Stosch persönlich zu danken war, wenn dieser Umschwung glatt und rasch von statten ging. So gewiß in jedem patriotisch gesinnten Herzen der Wunsch lebendig war, die umfassenden, sich nach Millionen bewerthenden Aufträge der eigenen Industrie zuzuwenden, die Verantwortlichkeit, welche in dem endgültigen Entschluß lag, sich von den bewährten Verbindungen mit englischen Werften gänzlich loszulösen, war immerhin so bedeutend, daß das Verdienst des Ministers nicht scharf genug betont werden kann; wo immer von den Männern die Rede sein mag, welche den deutschen Schiffsbau neu begründen halfen, wird der Name Stosch in erster Linie genannt werden müssen. –
Die Panzerfregatte „Preußen“ war das erste deutsche Kriegsschiff, das auf den Hellingen des Vulkan gebaut wurde. Nachdem die Werft diese Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit gelöst hatte, wurde ihr der Bau der gedeckten Korvetten „Leipzig“, „Prinz Adalbert“, „Stein“ und „Stosch“, der Glattdeckskorvetten „Olga“ und „Carola“ und der Panzerkorvetten „Sachsen“ und „Württemberg“ übertragen, denen sich in den letzten Jahren die Panzerkorvette „Oldenburg“ und die Kreuzerkorvette „Irene“ anschloß. Außerdem lieferte der „Vulkan“ für die Kaiserliche Werft in Kiel ein großes Schwimmdock und einen mächtigen Hebekrahn von 60000 Kilogramm Tragfähigkeit, wie er für die Armirung der modernen Panzerkolosse erforderlich ist. Zugleich mit den Aufträgen der Regierung wandte sich aber auch die Privatindustrie der Werft zu und eine ganze Reihe stattlicher Ozeandampfer erstand in schneller Folge auf ihren Hellingen. Wir nennen hier die für den [110] Norddeutschen Lloyd gebauten Reichspostdampfer „Stettin“, „Lübeck“, „Danzig“, „Preußen“, „Sachsen“ und „Bayern“, die Postdampfer „Rugia“, „Gertrud Woermann“, den Schnelldampfer „Augusta Viktoria“ für die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Aktiengesellschaft, vieler anderer kleinerer Schiffe zu geschweigen. Im Bau begriffen sind ein weiterer Reichspostdampfer „Kaiser Wilhelm II.“ für die Fahrt nach Australien und 2 Passagierdampfer „Skandinavia“ und „Dania“ für die Hamburger Gesellschaft, welche letzteren ihre Namen zum Andenken an die Nordlandfahrten unseres Kaisers tragen, endlich ein Frachtdampfer für die Neue Stettiner Dampfer-Compagnie.
Wir dürfen es jedoch wohl als den größten Erfolg des Etablissements bezeichnen, daß es ihm gelang, den Bann zu brechen, der bisher auf der deutschen Schiffsbauindustrie dem Ausland gegenüber lag, der „Vulkan“ war die erste deutsche Werft, welche Aufträge für das Ausland erhielt, von seinen Hellingen liefen zum ersten Male in Deutschland fremde Kriegsschiffe vom Stapel,
und zwar gerade Fahrzeuge derjenigen Gattungen, deren Konstruktion bisher fast als Monopol Englands gegolten hatte. Bereits 1880 stellte die Werft zwei Torpedoboote für die russische Regierung fertig, und in der Mitte der achtziger Jahre wurde ihre Thätigkeit in ausgedehntem Maße durch Bestellungen Chinas in Anspruch genommen; außer anderem Material hatte sie an das Reich der Mitte nicht weniger als 15 Torpedoboote und fünf große Panzerkorvetten zu liefern. Allein der Werth der letzteren dürfte mit 30 Millionen Mark eher zu niedrig als zu hoch veranschlagt werden – wohl der beste Beweis, welche Summen ein Werk wie der „Vulkan“ dem Nationalwohlstand zuzuführen vermag.
Der stets wachsende Umfang des Betriebes hat dem Etablissement allmählich eine sehr bedeutende räumliche Ausdehnung gegeben; es ist ein kleiner Ort für sich geworden, ein Industrieort im besten Sinne des Wortes, der an den freundlichen Ufern des Oderstromes eine Wegstunde nördlich Stettins im Lauf weniger Jahrzehnte erwachsen ist. Langhingestreckt bauen sich am Strande die mächtigen Hellinge, die eigentlichen Baustätten der Oceandurchfurcher, auf, eingeschlossen und überragt von einem scheinbar regellos durcheinandergewürfelten Chaos von Gebäuden, gekrönt von hohen Schloten und Essen. Aber das Durcheinander ist in der That nur ein scheinbares – in Wirklichkeit herrscht in der Anordnung des Ganzen das festeste System und jene strenge Gesetzmäßigkeit, welche das genaue Ineinandergreifen der einzelnen Zweige der vielgestaltigen Thätigkeit allein ermöglichen und gewährleisten kann. Von dem mächtigen Schwimmdock, das als ein breitgegründeter, ungefügiger und doch dem leisesten Druck der Menschenhand gehorchender Koloß auf dem geduldigen Rücken des Stromes ruht, bis zu den weiten Hallen der Gießerei hinauf, von der umfangreichen Kesselschmiede an der Nordgrenze bis zu den Räumen für die Tischlerei und die Holzschneidemühle durchkreuzen die weiten Arbeitsstätten zahllose Geleise, überallhin reichen Drahtseiltransmissionen und übermitteln den Arbeiterscharen die unentbehrliche Dampfkraft. Weithin verräth das donnernde Getön der Dampfhämmer, das Kreischen der Sägen, der schrille Pfiff der Maschinen eine Stätte emsiger Arbeit, das echte Werk des Eisengottes Vulkan.
Die breite, seit einigen Jahren von einer Stettiner Pferdebahnlinie durchzogene Vulkanstraße scheidet das Etablissement in zwei fast gleich große Theile; westlich schließen sich an sie die Bureaubauten und ausgedehnten Magazine, die Maschinenbauanstalten und Gießereien, von denen auf dem Bilde „Auffahrt zum Oberhof“ das große langgestreckte Gebäude links die neue Gießerei mit dem davorliegenden Roheisenlager und das rechts befindliche kleinere Gebäude die Gelbgießerei sind. Weiter hinauf, in der Mitte des Oberhofs, steht der Aussichtsthurm mit dem Wasserreservoir und den im Erdgeschoß liegenden Bureaus der Betriebsingenieure. Helle Schmiedefeuer künden die Kesselschmiede an, aus der, beiläufig bemerkt, bereits 2300 Dampfkessel hervorgingen – langgestreckt dehnen sich durch die einzelnen Abtheilungen die vor drei Jahren neuerbauten Kesselschmieden (eine alte befand sich auf der Werft) aus, in denen eine stattliche Schar rußgeschwärzter Cyklopen mit der Kraft schnellarbeitender Hilfsmaschinen zu wetteifern scheint. Nach Osten zu dehnt sich bis zur Oder hinab die eigentliche Werft aus. Sie ist es, die für uns das Merkwürdigste birgt; so großartig die Einrichtungen der Maschinenbauanstalt und der Gießerei, welche besonders in der schwierigen Herstellung der riesigen Dampfcylinder sich auszeichnet, sind, die Werft fesselt in ihrer Eigenart doch in unvergleichlich höherem Maße. – Unaufhörlich wird das Auge durch neue Gegenstände festgehalten. Da sind zunächst die luftigen Hallen für die Bearbeitung der eisernen Spanten, aus denen sich später das Gerippe der Schiffskörper aufbaut; unter kraftvoll wirkenden hydraulischen Pressen biegen sich hier die mächtigen, vierhundert Centner schweren Panzerplatten gleich Kartenblättern, dort dröhnt der Dampfhammer auf weißglühende Schmiedestücke herab und sinnreich konstruirte Maschinen schneiden und formen die wuchtigen Bleche, die Winkel und Träger, welche den schwimmenden Kolossen Halt und Festigkeit geben sollen. Hier, wo ein Lochwerk täglich 200 Löcher in die Eisentheile drückt, oder unten am Ufer, wo die mächtigen Dampfkrähne mit Werkstücken von dem kolossalsten Gewicht und den ungefügigsten Dimensionen zu spielen scheinen, fühlt man die Wahrheit des schönen Weberschen Wortes, daß die Maschine der erste Schritt ist zur Entlastung des Menschen von der physischen Arbeit.
Die eigentlichen Schiffsbaustätten sind die Hellinge, welche sich längs des Stromes hinziehen, mächtige, diagonal und senkrecht zum Wasser gestellte schiefe Ebenen, auf denen innerhalb gewaltiger Gerüste die Schiffskörper aus ihren einzelnen Bestandtheilen aufgebaut und zusammengesetzt werden, bis sie, wenn der Ausdruck erlaubt ist, im Rohbau fertiggestellt sind und vom Stapel gelassen werden können; erst im Wasser wird dann die letzte Hand an die Vollendung gelegt. Man muß sich die Masse der modernen Seeriesen vergegenwärtigen, um die Größe dieser Hellinge und die Schwierigkeit des Baus richtig beurtheilen zu können. Die für die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Aktiengesellschaft gebaute [111] „Augusta Viktoria“ besitzt z. B. bei einer Breite von fast 20 Metern eine Länge von 140 Metern. Nehmen wir die Gesammthöhe eines derartigen Dampfers, welche wenig hinter der eines stattlichen zweistöckigen Hauses zurückstehen wird, hinzu und bedenken wir, daß diese riesige Masse gewissermaßen freischwebend zusammengefügt werden muß, daß für ihren Bau fast ausnahmslos die schwersten Materialien verwendet werden, daß endlich nur die genaueste Arbeit die Haltbarkeit des Schiffskörpers zu gewährleisten vermag, so tritt die schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe des leitenden Ingenieurs in ihrem ganzen Umfang hervor. Allerdings wird sie wesentlich erleichtert durch die ausgedehnteste Anwendung aller maschineller Hilfsmittel der Neuzeit, ja es wäre der Bau eines Panzerschiffes ohne die ausgiebige Unterstützung der Dampfkraft bei der Handhabung der riesigen Werkstücke, deren Gewicht häufig nach Hunderten von Centnern zählt, überhaupt unmöglich. Ich glaube, wenn Herr Vulkan allerhöchst selbst sehen könnte, wie der im Betriebe befindliche Dampfkrahn die gewaltigen eisernen Streben und Träger, die trotzigen Panzerplatten mit Leichtigkeit hebt und senkt, dreht und wendet und die Hand eines Arbeiters am Dampfventil seine Arbeit beaufsichtigt und leitet, er würde betrübt den Kopf schütteln und sein armseliges Werkzeug zerbrechend sich in die tiefsten Klüfte zurückziehen; dieser Konkurrenz wäre selbst der Göttersohn nicht gewachsen.
Die Wasserseite der Werft bietet überhaupt naturgemäß die interessantesten und mannigfachsten Bilder. Was an hundert Stellen des großen Etablissements im einzelnen zugerichtet und vorbereitet wird, hier strömt es schließlich zusammen. Die lange Reihe der Hellinge mit ihren thurmhohen Gerüsten, ihrem scheinbar unentwirrbaren Chaos von Streben und Balken, Trägern, Stützen, Treppen und Dächern, die der Vollendung entgegengehenden Fahrzeuge der verschiedensten Art, welche sich bereits seetüchtig auf der leichtbewegten Fläche des Stromes wiegen, die hohen Spieren der rastlos arbeitenden Krähne, das mächtige Schwimmdock endlich umrahmen eine Fülle von Einzelbildern, welche in ihrem reichen Wechsel dem Apparat eines Momentphotographen die denkbar günstigsten Vorlagen bieten müßten. Hier führt die schwerkeuchende Lokomotive auf massigem Wagen eine mächtige Panzerplatte an das Ufer, dort wird von einer zahlreichen Arbeiterschar eine zweite bereits am Bug einer Korvette angepaßt – auf dem Deck jenes fast fertigen Dampfers ist man mit dem Zusammensetzen des eleganten Mobiliars der Kajüten beschäftigt, das zum Theil ebenfalls in den eigenen Tischlereien der Werft hergestellt wurde und dessen Zierlichkeit in sonderbarem Gegensatze zu den ungefügen Bohlen und Balken steht, die unmittelbar daneben zum Bau eines Gerüstes aufgethürmt werden. Dort dampfen über den breiten Strom schwerfällig die drei Transportdampfer „Tyras“, „Sultan“ und „Pique-Aß“ heran, welche die kohlenbeladenen Waggons selbst an Bord führen, dem Bedarf der nimmersatten Oefen der Gießerei, der Gasanstalt zu genügen. Ab und zu taucht zwischen dem Heer von Arbeitern – die Werft beschäftigt seit Jahren durchschnittlich 5200 Mann – die ernste Gestalt eines der leitenden Beamten auf, hier anordnend, dort messend, hier zur Eile mahnend, dort mit Notizbuch und Bleistift in der Hand kontrollirend und kalkulirend!
Ja, kalkulirend! Denn schließlich beruht doch wie jedes große industrielle Werk auch das Gedeihen dieser Werft hauptsächlich auf richtigen Berechnungen, und wenn irgendwo, rächt sich hier jeder Fehler in der Kalkulation aufs empfindlichste. Unsere deutschen Werften haben diesen bei den schwankenden Material- und Arbeitspreisen des letzten Jahrzehnts doppelt fühlbaren Umstand bitter empfunden, und auch dem „Vulkan“ sind zeitweise Schwierigkeiten nicht erspart geblieben. Das Etablissement hat sie indessen überwunden, und man darf wohl sagen: heute steht der „Vulkan“ auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit. Es läßt sich erwarten, daß er bei dem von Jahr zu Jahr wachsenden Umfang des deutschen Seehandels und der allmählichen Verdrängung des Segelfahrzeuges durch den Dampfer, des Holzschiffes durch das Eisen- oder Stahlschiff, bei der Ausdehnung, welche die deutsche Postdampfschifffahrt durch die staatlich unterstützten Linien erhalten hat, noch weiter reiche Gelegenheit zu lohnender Beschäftigung finden wird. Aber auch von Seiten unserer Marine wird es nicht an Aufträgen fehlen, hat doch die kürzlich dem Deutschen Reichstag vorgelegte Denkschrift des Marineministeriums einen Bedarf von 28 Fahrzeugen mit einem Gesammtwerthe von 116 Millionen Mark berechnet, und hat doch der Chef der deutschen Admiralität, der leider so früh dahingeschiedene Graf Monts, in der Sitzung des Deutschen Reichstags feierlich erklärt: „Unsere Schiffe sollen deutsch sein vom Kiel bis zur Flagge!“
Wenn man die Bedeutung eines Werkes, wie der „Vulkan“, voll würdigen will, darf man es nicht losgelöst aus dem Rahmen der vaterländischen Gesammtindustrie betrachten. Es muß daher kurz auf die Wechselwirkung hingewiesen werden, die zwischen ihm und der deutschen Eisenindustrie sich im Lauf der Jahre entwickelt hat. Wie das Aufblühen des Baus eiserner Fahrzeuge, wie die Konkurrenz der deutschen Werften mit dem Auslande überhaupt erst möglich wurde, als die Produktion der Hütten und Walzwerke sich hob, so haben jene den letzteren ihren Dank durch ihren gesteigerten Bedarf (für den „Vulkan“ allein täglich etwa 50000 kg) abgetragen; es ist für beide Theile ehrenvoll, daß die deutschen Werften fast ausnahmslos nur deutsches Material benutzen.
Das letzte bedeutende Werk, das aus dem Etablissement hervorging, ist der für die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Aktiengesellschaft erbaute Doppelschraubenschnelldampfer „Augusta Viktoria“, das größte Schiff, das bisher auf der Werft des Vulkan erbaut worden ist. Es hat eine Länge von 140,21 m in der Wasserlinie, und eine Breite von 17,07 m, eine Ladefähigkeit von 2450 Tonnen, eine Maschinenkraft von 12000 bis 12500 Pferdekräften, die den Koloß zu einer Fahrgeschwindigkeit von 19 Knoten befähigen. Es hat Raum für 392 Passagiere erster Klasse, 120 Passagiere zweiter Klasse und 580 Zwischendeckspassagiere, sowie für eine Besatzung von 237 Köpfen einschließlich Kapitän und Offiziere. Am 1. Dezember 1888 fand der Stapellauf des Dampfers statt, von dem unser Bild S. 105 die wichtigsten Momente zeigt.
Wir sehen links vor dem hochaufragenden Bug des Schiffes
die jugendliche Tochter des Vorsitzenden der Hamburger Gesellschaft,
Fräulein Antonie Nissen. Sie hat die Weiherede gesprochen, ein
Zug an der Leine zu ihrer Rechten und die Champagnerflasche
zerschellt klirrend am Bug; dann ein Wink des leitenden Ingenieurs,
die mächtigen Fallbeile sausen hernieder, kappen die Taue,
die den Riesenbau noch fesseln, und langsam erst, dann schneller und
schneller gleitet der Dampfer unter dem Jubelruf einer tausendköpfigen
Menge majestätisch in sein nasses Element. Ganz Deutschland
nahm Theil an dem Ereigniß. Kaiser und Kaiserin, Prinz
Heinrich sandten Glückwünsche. Am 22. Dezember erschien Kaiser
Wilhelm selbst in Stettin und stattete der Werft des „Vulkan“
einen Besuch ab, eine glänzende Anerkennung der Verdienste, die
sich das Anwesen um die deutsche Industrie und um ihren Ruf
im In- und Auslande erworben hat. H. v. S.