Aus den Tagen der Napoleonshöhe

Textdaten
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Autor: S.
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Titel: Aus den Tagen der Napoleonshöhe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 802–803
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Aus den Tagen der Napoleonshöhe.


Das neuerdings als der goldene Kerker des kaiserlichen Gefangenen von Sedan so viel genannte Lustschloß Wilhelmshöhe bei Kassel, einer der herrlichsten Fürstensitze unseres fürstenreichen Deutschlands, war bekanntlich während der Napoleonischen Epoche der Liebes- und Freudenhof des kleinen „luschtiken“ Königs Jérôme von Westphalen und erlebte unter diesem jüngsten Bruder des corsischen Imperators als Napoleonshöhe seine glänzendsten und festlichsten Tage.

Die Literatur über dieses pikante Carnevalskönigthum und seinen Regenten ist eine sehr umfassende; Briefe, Memoiren, Pamphlete, Geschichtswerke, Romane haben uns nach und nach mit den kleinsten Details jenes wundersamen Stück Frankreichs mitten in Deutschland vertraut gemacht, dennoch kommen noch immer ab und zu einzelne Enthüllungen als Nachlese aus der uns heute wie ein Märchen oder ein phantastisches Traumgebilde erscheinenden „westphälischen Zeit“, die im gegenwärtigen Augenblicke, wo die Wilhelmshöhe wiederum in Aller Munde ist, sicher auf ein besonderes Interesse rechnen dürfen.

Eine solche Ergänzung der Jérôme-Literatur bringt uns eine soeben veröffentlichte kleine Flugschrift unter dem Titel „La Cour du Roi Jérôme“, angeblich in London, wahrscheinlich aber in der Schweiz gedruckt. Die darin mitgetheilten „Actenstücke“ scheinen uns echt zu sein, und die erzählte Periode charakterisirt das Verhältniß des Königs von Westphalen zu seinem allmächtigen Bruder und Schöpfer an der Seine so schlagend, daß wir unseren Lesern gern davon Kenntniß geben.

Als Bibliothekar und Vorleser des neugebackenen Monarchen war Pigault-Lebrun, der fruchtbare Verfasser seiner Zeit viel gelesener frivoler Romane, mit nach Hessen gekommen; „ein Bibliothekar ohne Bibliothek und der Vorleser eines Fürsten, welcher die Bücher nicht liebt,“ scherzte er selbst über seine neue Würde. „Ich lese nicht vor,“ setzte er hinzu, „ich erzähle vielmehr gleich der Sultane Scheherazade, von der der Sultan jede Nacht eine jener Geschichten hören wollte, welche sie so gut zu erzählen verstand.“ Pigault-Lebrun’s Hauptgeschäft gehörte aber einem andern Gebiete an: er mußte als „Fünfter“, wie er selbst sagt, den zahllosen Liebschaften seines Herrn zum Deckmantel dienen. In einem an seinen Freund Réal gerichteten Briefe entwirft er nun ein sehr lebendiges Bild von dem Leben, das er selbst an dem westphälischen Hofe führte, und von dem Thun und Treiben seines galanten Königs.

Es war dies ein Leben ganz nach seinem Geschmacke, voller leichten Geplauders, voller Orgien und Ergötzlichkeiten, das sich größtentheils auf der Napoleonshöhe abspielte, wo ihm die sogenannte Löwenburg zur Wohnung angewiesen war. „Der König,“ schreibt er seinem Correspondenten, „hat augenblicklich fünf Geliebte, aber Alles ist mit ebensoviel Kunst wie Anstand eingerichtet. Keine ist dem Namen nach Favorite, vielmehr gilt die Erste als die Freundin des einen Adjutanten, die Andere scheint die Gattin unseres Hofarztes zu sein; die dritte ist gar als Kammerzofe bei der Frau des Justizministers untergebracht, und auch die Anderen lassen sich an dem Scheine ähnlicher geringer Rollen mit einer Zuvorkommenheit genügen, welche nur die Liebe eingeben kann.“

Wie bekannt, war Jérôme nur ein Scheinkönig, der eigentliche Regent von Westphalen war Napoleon, dem der ehemalige französische Schiffslieutenant Ordre zu pariren hatte wie der Schulknabe einem gestrengen Lehrer oder der Soldat seinem Officier. Von Paris kamen die Befehle und Verhaltungsmaßregeln nicht nur für alle politischen und militärischen Organisationen und Acte, sondern auch für Hof und Haus und selbst für die Privatverhältnisse des leichtlebigen Fürsten. Auch strenge Rügen und heftige Strafpredigten blieben der westphälischen Majestät nicht erspart.

In der Regel nahm Jérôme alle diese Demüthigungen als selbstverständlich geduldig hin; gelegentlich hatte er indessen doch kleine Anwandlungen von Selbstständigkeit, die freilich meist zu einem sehr kläglichen Ende gediehen. So war unter Anderm eine seiner Geliebten, die Frau eines Banquiers, durch Ordre Napoleon’s plötzlich aus Kassel ausgewiesen und dabei ihm ein äußerst kategorisches Schreiben des Letzteren überreicht worden. Darin hieß es: „Mein Bruder Jérôme Napoleon, König von Westphalen – Alles, was ich von Ihnen höre, beweist mir, daß meine Rathschläge, meine Instructionen, meine Befehle kaum einen Eindruck auf Sie machen. Die Geschäfte langweilen, die Repräsentation ermüdet Sie. Wissen Sie, daß der Königsstand ein Handwerk ist, welches man erlernen muß, und daß ohne Repräsentation es keinen Souverain giebt! – Sie lieben die Tafel und die Weiber; die erstere wird Sie verdummen, und die letzteren werden Sie compromittiren. Machen Sie es wie ich; bleiben Sie eine halbe Stunde bei Tische, und haben Sie nur kleine ‚Passaden‘. – Der Fürst von Paderborn, welchen ich Ihnen zum Almosenier gegeben habe, schreibt meinem Cultusminister, daß Sie sich niemals mit ihm von geistlichen Dingen unterhalten. Das ist schlimm; man muß sich mit Allem beschäftigen, selbst mit der Religion. – Sie haben Ihren Kammerherrn Merfeldt nach Hannover verwiesen, weil, so haben Sie ihm gesagt, seine beständigen Predigten über die Etiquette Ihnen lästig wären. Ei nun, wie sind Sie denn im Stande, Ihre Königsrolle zu spielen, wenn Niemand Sie darin unterrichtet? Rufen Sie Merfeldt zurück, als ginge dies von Ihnen aus. Sie vernachlässigen die Königin. Ei, Sie Unart, ist sie denn nicht für Sie große Dame genug? Ihre Lebensweise ist nicht der Weg, um legitime Kinder zu haben. Sie haben der Königin einen üblen Auftritt bereitet, als Sie sich stellten, als wären Sie auf den Baron Seckendorff eifersüchtig. Meine weiteren Instructionen lasse ich Ihrem Minister Siméon mittheilen; er wird Sie davon in Kenntniß setzen …“

Diesen Brief empfand Jérôme sehr übel und ließ sich beifallen, durch Pigault’s Feder darauf in empfindlichem und hochfahrendem Tone zu antworten. „Ich hatte dem Könige,“ erzählt der ‚Bibliothekar ohne Bibliothek‘, „den Brief seines Bruders entziffern helfen, da er dessen Handschrift nicht gut lesen kann. ‚Pigault,‘ sagte er alsdann zu mir, ‚Du bist ein literarischer Proteus, sei so gut und antworte auf diesen Brief, ahme dabei aber den Styl des Kaisers nach. Ich werde abschreiben, was Du concipirt hast, und auf mein Königswort Dich nicht verrathen.‘ Ach, ich kannte die Könige, zumal die Bonapartes, noch nicht! Ich verfaßte also sofort den gewünschten Brief, der mir so verhängnißvoll werden sollte, und der König copirte ihn wörtlich so, wie er aus meiner Feder hervorgegangen war. Das fatale Schreiben lautete folgendermaßen: ‚Mein erhabener Bruder Napoleon, Kaiser der Franzosen – ich habe die Rathschläge Ihrer Majestät empfangen und ehre sie. Was Ihre Befehle anlangt, so bin ich König, ich gebe Befehle, empfange aber keine. Ihre Majestät wirft mir vor, daß ich die Tafelfreuden liebe. Ich bekenne, daß ich, da ich keine Lust verspüre, mich am eiteln Dampfe des Ruhmes zu letzen, eine substantiellere Nahrung suche; ich bin Gourmand, ohne deshalb Schlemmer zu sein; mehr kann man von einem Könige nicht verlangen.[1] … Ihre Majestät beschwert sich über mein Verhalten gegen die Königin, Sie haben mich wohl zwingen können, sie zu heirathen, mich sie lieben zu machen liegt nicht in Ihrer Macht. Ist sie nicht große Dame genug für mich? sagen Sie. Für den Bruder Napoleon’s ist nichts groß genug, so haben Sie mir tausend Male wiederholt … ich selbst wollte ja keine große Dame, das wissen Sie recht gut. Sie tadeln mich, daß ich die Repräsentation nicht liebe; allerdings liebe ich sie nicht, sie langweilt mich, und wenn ich sie auch lieben wollte, so paßte sie ja doch nicht zu meiner Figur und meiner Tournure, zwei Dinge, welche in unserer Familie nicht eben imposant sind. Uebrigens habe ich meinen Hof nach dem Ihrigen eingerichtet; ich kleide mich wie Sie, was können Sie mehr verlangen? … Ich habe Merfeldt zum Präfecten von Hannover ernannt, weil er ein besserer Verwaltungsbeamter als angenehmer Kammerherr ist. In meinem persönlichen Dienst mag ich keine

Fremden … etc.
gez. Jérôme.‘“

Die Wuth Napoleon’s über einen solchen Brief läßt sich denken. Der eigentliche Verfasser des Actenstückes blieb trotz der königlichen Versprechungen nicht lange verborgen; bei den vertraulichen kleinen Soupers auf Napoleonshöhe gab es keine Geheimnisse. Die Strafe des Kaisers ließ denn auch nicht lange auf sich warten. „Diesmal war es Rapp, welcher auf seiner Reise nach Danzig, wo er wieder das Gouvernement übernehmen sollte, [803] als der Blitzstrahl des Jupiter in den Tuilerien erschien,“ schreibt Pigault. „Seit der Absendung des Briefes waren wir nicht ohne Besorgniß gewesen, allein auf das, was kommen sollte, doch nicht im Geringsten vorbereitet. Rapp kommt an, überrascht uns mitten in einem kleinen Souper, an welchem die Favorite des Tages, ferner Fürstenberg und Winzingerode und ich, der unglückliche Autor der Epistel, theilnahmen. Rapp tritt mit seiner Ihnen bekannten Familiarität ein, in Begleitung eines königlichen Gardeofficiers. ‚Sire,‘ beginnt er, ‚ich bin mit einem unangenehmen Auftrage betraut, den ich von Ihrem Bruder erhalten habe, welcher sich in einem Zustande unbeschreiblicher Wuth und Aufregung befand, als ich mich bei ihm beurlaubte.‘ Der König erbleicht, kaum kann er Rapp noch sagen, daß er Platz nehmen solle, und anstatt ihm ein Glas Wein anzubieten, ergreift er selber eines und stürzt es auf einen Zug hinunter … ich war stumm und verwirrt wie ein ertappter Missethäter. Rapp liest uns das entsetzliche Decret vor, welches in nachstehenden Worten gefaßt war: ‚Eigenhändige Ordre des Kaisers. Unser Adjutant, der General Rapp, wird auf der Stelle nach Kassel abgehen, wird den Major Müller von den westphälischen Husaren zu sich berufen und sich mit ihm zum Könige begeben und diesen verhaften. Der König hat achtundvierzig Stunden Zimmerarrest, Pigault aber, als der Verfasser des Uns von Unserem Bruder geschriebenen unverschämten Briefes, kommt auf zwei Monate in’s Gefängniß und wird dann unter sicherem Geleite nach Frankreich zurückgeschickt. Wir ertheilen dem General Vollmacht, die strengsten Maßregeln zu ergreifen, falls man so verblendet sein sollte, sich der Ausführung Unserer Befehle zu widersetzen.   Napoleon.‘ “

Und Jérôme? Er war nicht so verblendet, dem gestrengen Bruder Widerstand zu leisten. Ruhig fügte er sich in die ihm angesonnene Rolle und trat in seinem eigenen Palaste, unter der Ueberwachung seines eigenen Gardeofficiers seine Haft an. Ein König auf den Befehl eines fremden Souveräns Gefangener in seinem eigenen Schlosse – das war noch nicht dagewesen in der Geschichte und dürfte kaum jemals wieder erlebt werden. Es charakterisirt aber jenes Eintagskönigthum von Westphalen und die Tage der Napoleonshöhe, und darum mochten wir uns nicht versagen, nach Pigault’s Schreiben die seltsame Episode zu erzählen.

So ist mithin Louis Napoleon nicht der erste Bonaparte, welcher auf Wilhelmshöhe gefangen sitzt. S.     



  1. Hier folgt wegen der oben empfohlenen „Passaden“ eine Stelle, die wir in unserem Familienblatte unterdrücken müssen.
    D. Red.