Aus den Erinnerungen eines russischen Publicisten 3

Textdaten
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Autor: Friedrich Meyer von Waldeck
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Titel: Aus den Erinnerungen eines russischen Publicisten, 3. Der Deutschenhaß
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 330 - 332
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus den Erinnerungen eines russischen Publicisten.
Von Friedrich Meyer von Waldeck.
3. Der Deutschenhaß.

Kaiser Nikolai der Erste hatte beim Antritt seiner Regierung mit dem Niederschlagen eines blutigen Aufstandes zu beginnen. Er machte die traurige Erfahrung, daß ihn in seinem Kriegsheere wie in den höchsten Schichten der russischen Gesellschaft treulose und unzuverlässige Elemente umgaben. Es war demnach nicht zu verwundern, daß er während der Zeit seines Regiments denjenigen Volksstamm besonders gern mit verantwortlichen und hervorragenden Aemtern betraute, der sich ihm allezeit als treu und zuverlässig erwiesen und das waren die Deutschen, vorzugsweise der deutsche Adel der Ostseeprovinzen. Wenn nun diese wohlbegründete Neigung des Regenten dazu angethan war, in den Herzen der national-russischen Aristokratie ein gewisses Gefühl des Neides und der Unzufriedenheit zu erwecken, so kann doch zu jener Frist von einem eigentlichen Hasse gegen die Deutschen keineswegs die Rede sein. Das Gefühl der Zurücksetzung machte sich unter den vornehmen Russen in der Form harmloser und häufig witziger Satire Luft. So gab Fürst Wjäsemski, ein bekannter Dichter der nikolaitischen Periode und ein Freund Puschkin’s, diesen Empfindungen Ausdruck, indem er in seinem, übrigens nie gedruckten, Gedichte „Der russische Gott“ die letzte Strophe mit den Worten schließt, der russische Gott sei denn doch vorzugsweise ein Gott für die Deutschen.

Ein solches unbehagliches Gefühl fand sich, wie gesagt, nur vereinzelt in den höchsten Regionen der russischen Gesellschaft, die, vielfach verwandt und verschwägert mit jenen vom Kaiser protegirten Deutschen, friedfertig und harmonisch mit ihnen lebten und sie keineswegs die Vorliebe des Herrschers und den eigenen nicht aus dem Gebiete der Harmlosigkeit heraustretenden Neid entgelten ließen. Die mittleren und unteren Bevölkerungsschichten blieben davon völlig unberührt und beugten sich gern und willig unter die Superiorität deutschen Geistes, deutschen Fleißes und deutscher Redlichkeit. Das russische Sprüchwort: „Die Deutschen haben die Affen erdacht“, wurde als eine offene Anerkennung der deutschen Geistesgewandtheit mit gutmüthigem Humor oft angewandt, und wenn der russische Krämer, der schon nach den Worten Peter des Großen an Schlauheit und Pfiffigkeit Juden und Tataren weit hinter sich ließ, seine Waare ganz besonders anpreisen wollte, bezeichnete er sie, wie noch heute, als „deutsche Arbeit, njemezkaja rabota“.

Es kam der Krimkrieg mit den unglücklichen Ereignissen für Russland in seinem Gefolge. Er weckte in den Bessern das Bewußtsein der Nothwendigkeit, in allen Gebieten des nationalen Lebens gründliche Reformen anzubahnen; in schwachen Gemüthern erzeugte die erlittene Schmach eine verbissene Wuth gegen das ausländische Europa.

Es folgten nun die ersten Regierungsjahre Alexander’s des Zweiten, und die Presse konnte aufathmen. Die „Moskauer Zeitung“, Eigenthum der dortigen Universität, früher von einem [332] der edelsten und gesinnungstüchtigsten russischen Literaten, Valentin Korsch, herausgegeben, ging bei einem neuen Verpachtungstermine in die Hände der Herren Michael Katkow und Paul Leontjew über. Beide waren Professoren der Moskauer Universität und nach russischen Begriffen Männer von hervorragender Bildung und Gelehrsamkeit. Als Publicist war Leontjew der bei Weitem Unbedeutendere, während Katkow sich berufen fühlte, eine hervorragende politische Rolle zu spielen.[1] Beide hatten sich auf deutschen Hochschulen umgesehen und von deutscher Geistesbildung erheblichen Nutzen gezogen. Wenn ich nicht sehr irre, saß ich im Anfange der vierziger Jahre bei Professor Werder in Berlin neben Michael Katkow im sonntäglichen philosophischen Disputatorium, und so haben wir, die wir uns später als die entschiedensten politischen Feinde gegenüber standen, die philosophische Schwertleite aus ein und derselben Hand empfangen. Es ist eine bekannte Thatsache, daß Michael Katkow eine der hervorragendsten Stellen in der neueren Geschichte Russlands gebührt, daß seine Zeitung in den sechsziger Jahren für die Mehrzahl der russischen Bevölkerung gewissermaßen das politische Evangelium war, daß ihr Herausgeber als Führer der sogenannten nationalen Partei an Kühnheit und Rücksichtslosigkeit der Sprache wie an Festigkeit und Trotz seiner Haltung Alles übertraf, was man bislang in Russland gekannt hatte, daß er in dem Gefühle, den größten Theil der Nation geistig zu beherrschen, selbst den Kampf mit den obersten Regierungsgewalten nicht scheute, daß er mit einem Worte eine Erscheinung darstellt, wie wir deren nur spärlich in der Publicistik der Culturvölker begegnen, und daß er erst in neuerer Zeit in das Gebiet der überwundenen Standpunkte für Russland eingetreten ist, wenn auch noch einzelne Persönlichkeiten, ja sogar einzelne Verwaltungszweige, auf seine Worte schwören.

Katkow besaß - ich bin am weitesten davon entfernt das zu leugnen - in eminenter Weise die Gaben eines Volkstribuns, aber zwei Dinge fehlten ihm, deren Mangel seine Größe nur als eine künstlich gemachte und zufällige erscheinen lassen: Ehrlichkeit der Gesinnung und Rechtschaffenheit im Kampfe.

Bei all seiner politischen Bedeutung wohnte in Katkow durchaus nicht jene ehrliche Gesinnung, die aus einer felsenfesten, durch harte geistige Arbeit erworbenen Ueberzeugung entspringt. Sein Ziel war, Stimmführer und Leiter der Menge und dadurch mächtig, vielleicht auch reich zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen und das Errungene festzuhalten, war ihm jedes Mittel recht. So begegnen wir während der letzten fünfzehn Jahre in seiner Zeitung, die, wie wenig andere Blätter, das Geistesprodukt eines einzigen Mannes darstellt, den allerentgegengesetztesten Urtheilen über eine und dieselbe Sache, die sich eben modificiren mußten, wie es die allgemeine Windrichtung verlangte, und wie es der großen Menge am erfolgreichsten schmeicheln und behagen durfte. Und das war nicht etwa eine Wandlung der Ansichten, wie sie häufig die politische Erfahrung mit sich bringt, wie wir sie z. B. in Bismarck und in der Meinung über ihn der Mehrzahl nach selbst erlebt haben; Katkow erhob heute, was er gestern mit Füßen getreten hatte, um es morgen abermals, wenn es dem großen Haufen gefallen konnte, mit dem ganzen Gift einer zügellosen Invective zu überschütten. So hat er es mit Völkern, mit Volksstämmen, mit Regierungszweigen, mit einzelnen Persönlichkeiten und mit politischen Principien gehalten, und Beispiele dafür ohne Zahl sind in die Spalten der Moskauer Zeitung niedergelegt. Am entschiedensten schlug er seiner ganzen politischen Vergangenheit in’s Gesicht, als er in der denkwürdigen Unterhaltung mit dem Prinzen Friedrich Karl alle seine Angriffe gegen Deutschland und das deutsche Volk mit eiserner Stirn ableugnete.

Stand es so mit Katkow’s Gesinnungstreue, so läßt sich daraus der Schluß ziehen, wie seine politische Kampfesweise beschaffen war. Dem Feind gegenüber war ihm kein Mittel zu schlecht. Von der Entstellung der Worte des Gegners bis zur völlig freien Erfindung der eigenen Phantasie, von der einfachen Verleumdung bis zur hinterlistigsten Angeberei, von den gemeinsten Ausdrücken des Hasses bis zur Aufstachelung der Volkswuth gegen die Verfolgten, spielt er in seiner glücklichsten Zeit fast in jeder Nummer der „Moskauer Zeitung“ alle Tonleitern eines unehrlichen Kampfes ab, bei dem selbstverständlich Berichtigungen und Entgegnungen der anderen Partei seinen Lesern ein undurchdringliches Geheimniß blieben.

Eine minder bedeutende Persönlichkeit, die aber in der nationalen Partei eine bemerkenswerthe Rolle spielte, war Iwan Akssakow, aus einer alten Adelsfamilie, dessen Hauptstütze bei der unverschämtesten Opposition gegen die Regierung seine Gemahlin, eine frühere Hofdame der Kaiserin, war. Nachdem er die Zeitschrift „Djen“ in St. Petersburg herausgegeben, gründete er den „Moskwitanin“ in Moskau, und als ihm die Zeitung verboten wurde, gab er unverzüglich dasselbe Blatt unter einem anderen ähnlichen Titel (Moskwitsch, Moskwa) heraus. Ehrlicher als Katkow, war er in seinem politischen Auftreten ungezügelter und fanatischer.

Der polnische Aufstand, der lange Zeit hindurch wie ein unterirdisches Feuer unter dünner Decke geglommen hatte, brach in hellen Flammen aus und Russland sandte seine Heere gegen die Empörer. Es war meine Zeitung, die St. Petersburger „Deutsche Zeitung“, welche zuerst das russische Volk mahnte, sein Nationalbewußtsein aus dem lethargischen Schlummer, in dem es ruhte, aufzurütteln. Das Organ Katkow’s kam mit derselben Idee hinterher und sah sich, indem es den fremden Ursprung derselben natürlich ignorirte, in der Lage, den Begriff des Nationalbewußtseins in ganz anderer Weise zu interpretiren, als es von meiner Seite war gethan und beabsichtigt worden. Der verbissene Grimm gegen das Ausland, der vom Krimkriege herstammte, und die offene Wuth gegen die aufständigen Polen, welche sich theoretisch in Katkow, praktisch in Murawjew personificirte, brachte den Gedanken der Nationaleinheit zur Geburt und öffnete der Idee des Panslavismus die Thore.

Das „Italia fara da se“ wurde jetzt in’s Russische übersetzt und „Russland für und durch die Russen“ wurde die Parole der Moskauer Presse. Unter der Nationaleinheit, welche Katkow predigte, verstand er die Entnationalisirung und vollständige Russificirung aller Landstriche, welche im russischen Reiche von nichtrussischen Völkerstämmen bewohnt werde. Religion, Sprache, Gesetze, Sitten und Gewohnheiten, alles was sich diese Völkerreste von ihrem theuersten Eigenthum mit Mühe und Noth zu erhalten gewußt hatten, sollte nun in der allgemeine Mischung des einigen und einförmigen russischen Staates aufgehen und verschwinden.

Einen weniger schädlichen, dafür aber belustigenden Charakter hatte der Panslavismus. Diese Idee erreichte den Gipfel des Komischen auf dem Moskauer Slavencongresse im Jahre 1867, wo es sich plötzlich herausstellte, daß die zur Verbrüderung herbeigeeilten slavischen Volksstämme, die Czechen, Ruthenen, Serben, Bulgaren, Wenden etc. sich weder untereinander noch mit den Russen verständigen konnten und daß man, wollte man es nicht bei stummer Freundschaft bewenden lassen, zu derjenigen Sprache seine Zuflucht nehmen mußte, die alle am grimmigste haßten, aber am besten handhabten – der deutschen. Wo Vorsicht nothwendig war, wurde natürlich nur von einer geistigen Verbrüderung der slavischen Stämme gesprochen, und dergleichen platonische Liebesäußerungen fanden ihre praktische Bethätigung in sehr bedeutenden Summen, welche von den Slavenfreunden Russlands gesammelt und für ein czechisches Theater nach Prag, für ein russisches nach Lemberg und ähnliche Zwecke in’s Ausland gesandt wurden, während das russische Volk selbst von einer schrecklichen Hungersnoth heimgesucht war. In Wirklichkeit dachten die Herren Panslavisten an nichts anderes, als die Vereinigung aller slavischen Volksstämme einstweilen unter dem Protectorat, schließlich unter dem Scepter Russlands. So wurde im Herzen des russischen Reichs von Herrn Polit, einem Serben und österreichischen Unterthan, in öffentlicher Rede feierlich erklärt, Russlands Aufgabe liege im Osten Europas und bestehe darin, der Herrschaft der einen Nationalität über die andere ein Ende zu machen. In dem rauschenden Jubel, der solche Expectorationen folgte, übersah man, daß Russland selbst über deutsche, schwedische, lettische, estnische, finnische, tatarische, mongolische, kaukasische und andre Volksstämme herrscht, daß also Russland, wenn es in dem Sinne des Herrn Polit hätte vorgehen wollen, den Spieß in unangenehmster Weise gegen sich selbst gekehrt hätte.

Die Nationaleinheit und der Panslavismus führten die [333] Moskauer Presse in einfacher Consequenz zum Hasse und zur Fehde gegen Alles, was im Reiche nicht russisch, respective nicht slavisch war, und dieser Groll erstreckte sich bald über die Grenzen des Landes hinaus. Natürlich ist es, daß dieser Haß sich ganz besonders auf denjenigen nichtlavischen Volksstamm warf, welcher, schon durch seine Zahl bedeutend, durch seine geistige Potenz die hervorragendste Stellung im Staate inne hatte. Das Gefühl der niedrigen geistigen Rangstellung, das – ich gebe es zu – immer etwas Niederdrückendes hat, das aber früher den Deutschen gegenüber von der russischen Nation mit liebenswürdiger Offenheit eingestanden und mit leichtem Sinne ertragen wurde, wandelte sich jetzt in ungezügelte Wuth, die ihre rücksichtslosen Angriffe gegen alles Deutsche richtete. Sie traf zunächst und mit den derbsten Stößen die baltischen Provinzen, in denen der lettische und estnische Volksstamm zwar den Grundstock der Bevölkerung bilden, die Cultur aber bis dahin ausnahmslos in den Händen der deutschen Insassen ruhte; sie ging dann nicht minder heftig auf alle in Russland wohnenden Deutschen über und verschonte schließlich ebenso wenig Deutschland, wie das Mutterland und die Quelle aller jener hassenswerthen Objecte.

Um gerecht zu sein, darf ich hier nicht unerwähnt lassen, daß die Deutschen, vor allen aber die Deutschen der Ostseeprovinzen, den Russen gegenüber ihre geistige Ueberlegenheit häufig in plumper Weise hervorkehrten und in eben nicht liebenswürdiger Form verächtlich auf ihre russischen Staatsgenossen herabsahen. Sie gaben dadurch nur allzu häufig Veranlassung zu der Abneigung, die von der russischen Presse zum blindesten Hasse angefacht wurde.

Die Moskauer Zeitungen hatten die Melodie angestimmt und fanden damit jauchzenden Beifall, besonders in den mittleren Schichten des russischen Volkes, bei Literaten und niederen Beamten, in denen plötzlich jenes ätzende Gefühl geistiger und moralischer Unterordnung auf das Heftigste entbrannte und reagirte. Die Moskauer Presse hatte die Melodie angestimmt und der Beifall, den sie fand, bewog die Petersburger Zeitungen zu getreuer Nachahmung, welche häufig in Uebertreibung ausartete. Die oberen und untersten Schichten des Volkes blieben im Allgemeinen von jenen extremen Stimmungen und ihren Ausbrüchen frei. In den höchsten Regionen der russischen Beamtenwelt und Aristokratie hat man sich nur vorübergehend mit den Ideen der Katkow’schen Nationaleinheit, die nicht einmal neu, sondern bereits von Kaiser Nikolai dem Ersten (ein Kaiser, ein Glaube, eine Sprache) intendirt wurde, befreunden mögen; die panslavistischen Träumereien fanden in den maßgebenden Kreisen nur wenig Beifall und sind nur hie und da in der Diplomatie als zarte Pressionsmittel benutzt worden.

Und bei alledem gehörte das Verdienst des nun allgemein wie schnödes Unkraut auswuchernden Hasses gegen die Deutschen nicht einmal Herrn Katkow und seinen Gesinnungsgenossen allein an; gar viele ehrliche Russen wurden in diese feindselige Stimmung hinein verführt und verleitet von keiner andern Seite als – den Polen. „Theile und herrsche!“ war das Princip der polnischen Aufwiegler, schon vor dem Ausbruche des Aufstandes, und sie hatten in diesem Sinne tüchtig gewühlt und vorgearbeitet. Den schlagendsten Beweis dafür liefert der revolutionäre polnische Katechismus, welcher, von den russischen Sicherheitsbehörden aufgefunden und bereits im Jahre 1863 veröffentlicht, doch nur wenigen der Getäuschten die Augen verschlossen hat. Es heißt dort § 11: „Bist du unter Russen, so schildere stets die Deutschen als die Hauptfeinde der Russen und Polen und sage, daß sie um politischer Zwecke willen das freundschaftliche Verhältniß zwischen jenen beiden Völkern stören. Der Russe haßt den Deutschen und glaubt das gern. Es ist dies das beste Mittel, um dein eigenes Treiben zu verdecken, und du schläferst den Feind ein, indem du ihn deiner aufrichtigen Freundschaft versicherst. In allen Fällen, wo deine Pläne an den Tag kommen, wälze die Schuld auf Deutsche! Dadurch giebst du dem Schlage eine andere Richtung, vernichtest den einen Feind durch den andern und lenkst den Verdacht von dir ab.“ Und ferner im § 13: „Hast du es mit einem starken und schlauen Feinde zu thun, der dich erräth, so strebe auf alle Weise danach, ihn zu vernichten, und wähle zu diesem Zwecke das zuverlässigste Werkzeug: einen einflußreichen Deutschen. Der Deutsche wird dir bei seinem Widerwillen gegen das russische Element helfen. Dein Feind fällt und glaubt, daß deutscher Einfluß seinen Fall bewirkt habe. Hiermit beweisest du noch deutlicher, daß der wahre Feind der Russen der Deutsche ist. Du selbst bleibst unverdächtig und machst dir aus dem Feinde einen Freund und eifrigen Beförderer deiner Pläne.“

Der Ausbruch des eigentlichen, brutalen Deutschenhasses in der russischen Presse datirt vom Jahre 1865 und fällt mit einer wahren Parforcehetze zusammen, welche die russischen Zeitungen insgesammt, von Katkow bis zum ärmlichsten Winkelblättchen, gegen meine geringe Person anstellten. Im Anfang jenes Jahres erschien in der „Gartenlaube“ ein Artikel, welcher mich zum Gegenstand hatte und mir ein wesentliches Verdienst um die Weckung des nationalen Bewußtseins der Deutschen in Russland zuschrieb. Russische Redactionen lasen dazumal kaum die politischen deutschen Blätter, Journale wie die „Gartenlaube“ aber gewiß nicht. Einer meiner guten Freunde an der Petersburger Universität – er wurde mir später von einem russischen Journalisten deutlich genug bezeichnet – einer der hervorragendsten Führer des Panslavismus, der sich über meine Artikel gegen diesen wahnwitzigen Schwindel grimmig zu ärgern pflegte, eilte von einer russischer Redaction zur anderen und hetzte die Meute. Derselbe Mann hat sich mehrere Jahre später auf eigenthümliche Weise einen Namen gemacht, indem er einen harmlosen deutschen Kaufmann in St. Petersburg bei der geheimen Polizei denuncirte, weil dessen Kinder mit Armbrüsten nach einem hölzernen Adler geschossen hatten, der von dem Spielwaarenfabrikanten unglücklicher Weise zum russischen gemacht worden war.

Jetzt erhob sich in der russischen Presse ein wahrhaft gigantisches Wuth- und Zetergeschrei über jenen Artikel und meine Person. In der russischen St. Petersburger Zeitung nahm es seinen unbedeutenden Anfang und erstieg in der Moskauer den höchsten Gipfel journalistischer Gemeinheit. Ein Buch ließe sich füllen mit allen den Invectiven, mit denen ich überschüttet wurde. Alles, was in der „Gartenlaube“ gestanden, wurde als lügnerisches Selbstlob erklärt. Man gefiel sich lange genug in dem Schmutz dieser Brutalität, und nachdem endlich meine Person als Thema langweilig geworden und man darauf sinnen mußte, dem Leser etwas Neues, Pikantes zu bieten, begann die Hetzjagd in derselben Gassenmanier gegen die Deutschen und alles deutsche Wesen. Ich war, als man mich damals mit Schmähungen verfolgte, zu stolz, um auf dergleichen persönliche Angriffe zu antworten, und ließ mich ruhig mit Koth bewerfen. Aber ich hatte Unrecht. Ich hätte antworten sollen, wie ich später auf keinen Angriff den Gegenschlag schuldig geblieben bin. Der russische Journalist hatte damals und hat zum Theil auch noch jetzt nur Respect, wenn ein starker Druck auf ihn geübt wird; das Schweigen des Anstandsgefühls ist in seinen Augen das Eingeständniß des Unrechts oder der Schwäche.

Die in den Ostseeprovinzen erscheinenden deutschen Zeitungen, vielleicht durch mein Schweigen irregeleitet, sahen dem Skandal, so lange er mich persönlich betraf, ruhig und müßig, wie von sicherer Schaubühne aus, zu. Während[WS 1] die Rüden den Hirsch stellten und in die Schenkel bissen, hatten diese gleichgültigen Gäste noch keine Ahnung, wie bald sie selbst zum gejagten Wild werden sollten.

Der Moskauer Presse schwoll indessen der Kamm immer höher und höher. Die Muskulatur ihrer nationalen Ueberhebung kräftigte sich zusehends in der beständigen gymnastischen Uebung zuerst gegen die aufrührerischen Polen, gegen mich und meine Zeitung und zuletzt gegen die Deutschen überhaupt. Die Angriffe gegen die letzteren mehrten sich in überraschender Weise, und es wohnte eine solche Gehässigkeit in den aus der Luft gegriffenen Beschuldigungen, eine solche Unsauberkeit in den Ausdrücken, eine solche Perfidie in dem elenden Bestreben, bald diese, bald jene Persönlichkeit, Corporation, Gemeinde oder Genossenschaft an hoher Stelle anzuschwärzen und zu verdächtigen, und die russischen Zeitungen beider Residenzen entwickelten bald darin eine solche Gemeinsamkeit der Action, daß man nur zu schnell einsehen mußte, man befinde sich einer überlegenen Kraft gegenüber, gegen die man sich wohl bis zum letzten Athemzug wehren, die man aber unter keiner Bedingung zu Boden schlagen könne, wie man denn im Kampfe mit einer Schaar von Wanzen stets der Unterliegende bleibt.

(Schluß folgt.)

Anmerkungen

  1. Der Aufsatz „P. M. Leontjew und die russische Presse“ in der von Julius Rodenberg herausgegebenen „Deutschen Rundschau“ (Bd. V S. 187 und Bd. VI S. 242) ist ein neuer Beleg, mit welcher Unkenntniß Russland in der deutschen Presse behandelt wird. Das Verhältniß Leontjew’s zur „Moskauer Zeitung“, zu Katkow, wie zur russischen Presse wird dort durchaus falsch geschildert. Dabei wimmelt der Artikel von Schnitzern gegen die Elementarkenntniß russischer Zustände.
    Der Verfasser.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Wähend