Aus dem Verbannungsorte der ägyptischen Rebellen

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Aus dem Verbannungsorte der ägyptischen Rebellen.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 172–175, 177
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht über Ceylon (das heutige Sri Lanka) und ein Besuch in Kandy bei dem Anführer der Urabi-Bewegung
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[177]

Ceylonküste bei Point de Galle.
Originalzeichnung von A. Wanjura.

[172]

Aus dem Verbannungsorte der ägyptischen Rebellen.

Die Bedeutung Ceylons. – Ankunft in dem „Garten Indiens“. – Handelssöhne der „Rubininsel“. – „Ausleger“–Boote. – Die „Gartenstadt“ Colombo. – Ceylonische Postkutsche. – Singhalesische Postillone. – Ochsendroschken. – Eine Eisenbahnfahrt nach dem Verbannungsorte Arabi Pascha’s. – Der tropische und der deutsche Wald. – Die Königin der ceylonischen Palmen. – Papier aus Palmblättern. – Kandy. – Der Zahn des Propheten. – Die Ruinen von Anuradhapura. – Der älteste historische Baum der Welt. – In den „Korallengärten“ von Point de Galle.

In den letzten Jahren wurde die Aufmerksamkeit der gebildeten Welt zu wiederholten Malen auf die Insel Ceylon gelenkt. Zunächst wurde in Fachblättern berichtet, daß die Versuche mit dem Anbau der Cinchonabäume, deren Rinde das gegen Wechselfieber alleinhelfende Chinin liefert, auf Ceylon über alle Erwartung gelungen wären. Dann folgte dieser frohen Kunde eine Art Hiobspost von der „ceylonischen Kaffeeseuche“, einer Pilzkrankheit, welche die Kaffeeplantagen der Insel arg bedrohte und von dort sich über die angrenzenden Kaffeeländer ausbreitete. Dann wieder erfuhren wir, daß der berühmte deutsche Zoologe Professor Dr. Ernst Häckel von seiner Forscherreise nach Ceylon, reich beladen mit allen möglichen Schätzen der Wissenschaft, in seine jenaische Heimath zurückgekehrt sei. Und endlich, als die Tragikomödie des Arabi Pascha-Aufstandes in Aegypten ausgespielt war, da hieß es, das stolze, aber gnädige Albion habe den Führer der Rebellen und seine Getreuen nach Kandy auf Ceylon in Verbannung geschickt.

So oft wir nun von allen diesen Dingen hörten, stieg unwillkürlich das glühende Bild Ceylons vor unseren Augen auf, das Bild jenes Märchenlandes, welchem schon unsere Vorfahren die Namen „der Garten Indiens“ und die „Königin der Inseln“ beigelegt hatten. Da lag der Gedanke nahe, das vielgenannte Tropenland den Lesern der „Gartenlaube“ einmal vor Augen zu führen, und wir sind heute in der Lage, dieses Vorhaben zu verwirklichen.

Ein talentvoller, vielgereister Maler stellte uns einige Skizzen aus seiner Bildermappe zur Verfügung, und ein junger deutscher Forscher,[1] der gegenwärtig auf einer Weltreise begriffen ist, gewährte uns den Einblick in sein Reisetagebuch, in welchem auch Ceylon ausführlich beschrieben wird. So fand sich Material für Wort und Bild zusammen. –

Die an der Südostseite von Vorderindien gelegene „immergrüne Wunderinsel“ ist um Weniges kleiner als das Königreich Baiern, und zählt gegenwärtig gegen zwei Millionen Einwohner. Europäische Reisende begrüßen sie in der Regel von Westen her und gehen bei der wichtigen Handelsstadt Colombo an’s Land. Schon in dem Hafen tritt ihnen das bunte Völkergemisch, welches im Laufe der Zeiten sich hier niedergelassen, entgegen. Sonderbar geformte Boote umringen den Dampfer; sie bestehen aus einem einzigen ausgehöhlten Baumstamme von ungefähr sechs Meter Länge, dessen Breite kaum ein halbes Meter beträgt. Von einer Seite des Bootes gehen rechtwinkelig zwei gebogene Bambusstämme ab, welche an ihren Enden durch einen dickeren Stamm verbunden sind. Man nennt ihn „Outrigger“, das heißt Ausleger, und dieser einfache Apparat, welcher flach auf dem Wasser schwimmt, verleiht dem schmalen Fahrzeug einen hohen Grad von Sicherheit.

In den meisten Auslegerbooten erblickt man nackte, braune Gestalten, nur mit einer Schwimmhose oder dem Sarong, einer Art baumwollenen Schurzes, bekeidet. Es sind Singhalesen, ein auf Ceylon stark vertretener Volksstamm. Sie tragen ihr langes schwarzes Haar sorgfältig frisirt und meistens zu einem starken Zopfe geflochten oder mit einem Schildpattkamme geziert. Neben diesen schwächlich gebauten Menschen erscheinen der kräftigere Schlag der rabenschwarzen „Tamils“ und die stattlichen Gestalten der Indo-Araber oder Mohren, die mit langem weißem Kaftan und weißen Pumphosen bekleidet sind und auf ihren bärtigen Häuptern einen majestätischen, meistens gelb gefärbten Turban tragen. Das sind ceylonische Typen, bunt und mannigfaltig, wie sie der Zeichner auf unserem nebenstehenden Bilde dargestellt hat.

Weder Neugierde noch Gastfreundlichkeit führen sie zu den europäischen Schiffen; sie klettern behend an ihren Planken in die Höhe, um mit dem Fremden ein Geschäft abzuschließen, um Cocosnüsse, Bananen, Ananas, Fische und Krebse zu verkaufen oder Schmuckgegenstände an den Mann zu bringen. Manche Stücke ihrer nationalen Industrie, wie Elephanten- und Buddhabilder aus Elfenbein oder Körbchen und Matten, aus Binsen und Palmfasern geflochten, werden gern als Erinnerung an Ceylon gekauft, aber sobald die nackten Schlauköpfe prachtvolle Edelsteine anbieten, ist die größte Vorsicht geboten; denn die Söhne der „Rubininsel“ führen nur allzuoft geschliffenes europäisches Buntglas in ihrem Hausirkasten.

Colombo ist eine wahre Gartenstadt. Kein Bungalow (Villa, Landhaus) der Europäer ist zu erblicken, der ohne einen üppig blühenden und grünenden tropischen Garten da stände. Dabei bedeckt die Stadt einen Flächenraum von elf englischen Quadratmeilen und hat nahe an 112,000 Einwohner. Wie fast alle

[173]

Bilder aus Ceylon.
Originalzeichnung von Arthur Wanjura.

[174] indischen Städte besteht auch Colombo aus der „weißen“ und der „schwarzen“ Stadt. Die letztere wird gewöhnlich „Pettah“ genannt und ist von den Eingeborenen dicht bevölkert.

Ein hallenreiches Zollhaus, ein paar Standbilder einstiger Gouverneure, weite Waarenlager, ein massiver Glockenthurm, schattige geräumige Geschäftscontore aus der Niederländerzeit, eine Anzahl riesiger, beinahe nur aus Fenstern und Dach bestehender Casernements für die englischen „Rifles“ und Artilleristen, ein am Wasser stehendes uraltes Kirchlein, dichtbelaubte Bäume allerwärts in den Straßen, dahinter auf der einen Seite die weiß brandende See, auf der anderen der dunkle Cocoswald, darüber die blitzenden Reflexe der senkrecht herabfallenden Sonnenstrahlen, vor deren verderblicher Wirkung der Europäer ungemein auf der Hut ist, auch der Singhalese sein langhaariges, schildpattkammgeschmücktes Haupt unter große grüne chinesische Parasols verbirgt, gestalten zusammen das Bild der „weißen“ Stadt.

Aber die Welttouristen halten nicht lange in Colombo Rast. Schon nach wenigen Tagen brechen sie auf, um in das Innere der Insel vorwärts zu dringen. Da sie in die Welt hinausgefahren sind, um Neues zu schauen, so bereuen sie sehr selten diese Ausflüge – denn das Reisen auf Ceylon ist mindestens originell.

Der „Garten Indiens“ hat auch eine Fahrpost, deren Omnibus, wie Ernst Häckel erzählt, auf seiner Thür das englische Wappen mit der stolzen Inschrift des Hosenbandordens: „Honny soit qui mal y pense!“ („Hohn dem, der Arges dabei denkt!“) zu führen pflegt. Aber diese Warnung klingt wie die reine Ironie angesichts dieser „königlichen Postkutsche“, die kaum für sechs Personen genügenden Raum bietet und oft mit einem Dutzend Passagieren vollgepfropft wird. Dabei kostet eine fünfstündige Fahrt in diesem Wagen 30 Mark für jeden weißen Europäer, während der farbige Eingeborene nur die Hälfte dieses Preises zu zahlen hat. Aber der schrecklichste der Schrecken bei jeder ceylonischen Postkutschenfahrt ist die grausame Thierquälerei, mit welcher sie stets verbunden ist. Die singhalesischen Postillone verachten die Kunst des Rosselenkens, und es fällt ihnen niemals ein, die Postpferde einzufahren. Die halbwilden Thiere werden vor den Wagen gespannt, und nun sammelt sich eine Rotte kreischender Jungen, welche mit Stangen, ja mit brennenden Fackeln gegen die armen Geschöpfe loswüthen, dieselben von vorne an den Zügeln, von hinten an dem Schwanze aus Leibeskräften zerren, bis die Pferde im rasenden Galopp fortstürmen, um halbtodt an der nächsten Station Halt zu machen.

Wer keine Lust hat, mit dieser sonderbaren Post zu fahren, und sich auch der langsameren, aber sicheren „Ochsendroschke“, die von den kleinen, aber sehr flinken Ceylonochsen gezogen wird, nicht anvertrauen will, der benutzt das modernste Verkehrsmittel, die Eisenbahn.

Ceylon hat gegenwärtig vier Eisenbahnlinien. Die bedeutendste von ihnen ist die nach Kandy, der ehemaligen Hauptstadt des Landes, hinauf. Die weißen Passagiere fahren durchweg erster Classe; die zweite Classe ist für die gelben und gelbbraunen Nachkommen der Portugiesen und ihrer singhalesischen Frauen reservirt, und in der dritten Classe überwiegt die dunkelbraune Farbe der echten Singhalesen, sowie die schwärzliche der Tamils. Die Coupés der ceylonischen Eisenhahn sind groß und luftig, mit doppeltem Dach und doppelten Vorhängen versehen, und während der Fahrt kann der Reisende selbst ein kühlendes und erfrischendes Bad nehmen.

Für die Welttouristen ist die Route Colombo-Kandy zu der unerläßlichsten Heerstraße geworden, und mit Recht; denn auf dieser Strecke lernt man am besten die Natur der ceylonischen Landschaft kennen. Unseren europäischen Lesern, die nie die Tropenwelt geschaut und ihre Touristenfahrten nie über die heimischen Berge und Thäler ausgedehnt haben, dürfte die folgende Schilderung einer tropischen Eisenbahnfahrt nicht unwillkommen sein.

„Ich hatte,“ erzählt Hans Meyer in seinem Tagebuche, „mit dem Mittagszuge Colombo verlassen und fuhr nun bereits anderthalb Stunde über das ebene Unterland durch das Dickicht der Palmen, Bananen, Mangos, Banyans, der Zimmetbüsche, Gewürznelkensträucher, Muscatbäume, der Citronen, Orangen und Ananas, das nur vereinzelt unterbrochen ist von einem abgestuften hellgrünen Reisfeld oder einem glitzernden Flußbett, über dessen Eisenbrücke der Zug poltert. Die Stationen sind nett wie die südindischen, von den zugehörigen Ortschaften ist aber nirgends etwas zu erblicken. Unmerklich steigt die Bahn zu den Bergen an, die man selbst nicht eher zu Gesicht bekommt, als bis man mitten darin ist. Die Steigung wird nun erheblich. Eine Maschine zieht, eine andere schiebt. Der Wald geht allmählich in undurchdringliche Dschungeln über, welche die Hügel und Berge überziehen, weiterhin aber stark gelichtet sind und sorgfältig in Reihen gepflanzten Kaffeestauden Raum geben. Riesige Termitenhügel schauen über das Dickicht hervor, und fußlange Eidechsen huschen, vor der Maschine fliehend, in das sichere Versteck. Die Aussicht auf die Thäler unter uns wurde mit zunehmender Steigung seltsamer; es war die Verwirklichung dessen, was die üppigste Phantasie von Malern und Zeichnern uns Nordländern in Tropenbildern vor Augen zu führen pflegt, nur größer und ruhiger. Grün und immer wieder grün ist die Erscheinung einer ceylonischen Landschaft. Jede grelle Farbe fehlt, weder Fauna noch Flora ist farbenprächtig, und nur die Menschen machen in Kleidung und Schmuck eine Ausnahme, aber welcher Reichthum der Formen, welches Uebermaß des Wachsthums und des Schwellens in dieser Natur!“

Der Eindruck, den auf uns die Natur ausübt, hängt jedoch gewiß von der Stimmung unseres Gemüthes ab; denn gelegentlich einer anderen ceylonischen Eisenbahnfahrt gelangt unser Reisender zu folgenden Betrachtungen:

„Der Pflanzenreichthum ist erdrückend; die Fülle der Formen schwillt beinahe in’s Unschöne. Nur wo die Bahn ihre Spur zieht, tritt die Erde an’s Tageslicht. Das helle Gelbgrün der glatten, glänzenden Blätter thut den Augen weh; die durchsichtigen Schatten lindern das stechende Einwirken auf den Sehnerv nicht. Wie lautlos die Natur im Umkreise auch sei, es herrscht kein ruhiger Friede in solch einem tropischen Walde. Der deutsche Wald ist stiller, heimlicher. Den tiefen Ernst eines winterlich abgestorbenen deutschen Eichenwaldes sucht man ebenso vergeblich wie den keuschen Zauber eines jungen deutschen Frühlings. Der tropische Wald ist üppig, prächtig, reich und bezaubernd, aber poesielos.“

Solche allgemeine Eindrücke bestürmen den schnell vorwärtseilenden Weltumsegler, der ruhige Forscher aber, der länger im Lande weilt, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf andere interessante Naturerscheinungen, die während der Eisenbahnfahrt sich unseren Augen darbieten. Lauschen wir auch seiner Erzählung, die uns nicht nur den Genuß des Schönen in der Natur, sondern auch manche Belehrung bietet.

Auf der Fahrt von Colombo nach Kandy begegnet man oft der mächtigen Talipotpalme, der stolzen Königin unter den Palmen Ceylons. Ihr weißer Stamm erreicht über hundert Fuß Höhe, und jedes einzelne ihrer fächerförmigen Blätter der Gipfelkrone bedeckt einen Halbkreis von zwölf bis sechszehn Fuß Durchmesser. Früher vertraten diese Blätter die Stelle des Papiers, und alte singhalesische Bücher in den Buddhaklöstern bestehen aus solchem „Olapapier“, auf welches man mit eisernen Griffeln schrieb. Die Talipotpalme blüht nur einmal in ihrem Leben, und zwar zwischen dem fünfzigsten und achtzigsten Lebensjahre. Der Blüthenbusch auf dem Gipfel des Baumes besteht aus einer Pyramide, die Millionen kleiner gelblich-weißer Blüthen enthält und deren Höhe dreißig bis vierzig Fuß beträgt. Häckel zählte während der genannten Fahrt gegen hundert derartiger blühender Bäume. Nach ihrer Blüthe und dem Reifen der Nüsse stirbt die Talipotpalme ab.

Doch an Abgründen von vier- bis fünfhundert Fuß Tiefe rollt der Eisenbahnzug schnell vorüber und in den Bahnhof von Kandy hinein. Der Reisende muß nun Abschied nehmen von allen den majestätischen Schöpfungen der Natur und seine Aufmerksamkeit auf die Werke der Menschenhand lenken. Der Gegensatz ist hier freilich groß; denn keine stolzen Bauten ragen in dieser ehemaligen Hauptstadt des Landes zum Himmel empor; das Wirken und die Thaten der Menschen sind hier winzig und klein. –

Von der ehemaligen Pracht dieser „stolzen Königsstadt“ sind nur wenige Spuren übrig geblieben. Spärliche Ruinen des alten Königspalastes locken den Wanderer, aber enttäuscht betritt er diese Stätte; denn ihr fehlt sogar der Reiz der üppigen, rankenden Vegetation; kein Epheu umschlingt hier das alte Gemäuer; nur mächtige Pilze wuchern in- und auswendig auf den steinernen Wänden des Baues. Die Häuser der Stadt sind zu ebener Erde gebaut; eine der Hauptstraßen, welche unser Zeichner uns vorführt, charakterisirt deren Aermlichkeit zur Genüge. Das wichtigste Bauwerk in Kandy ist aber der Buddhatempel, in welchem unter einem goldenen glockenförmigen Behälter der Zahn Buddha’s aufbewahrt [175] wird. Der Zähne des Propheten giebt es viele in den indischen Tempeln, und selbstverständlich ist jeder echt. Ungläubige behaupten aber, daß der, welchen man in Kandy aufbewahrt, einstmals das Maul eines Elephanten schmückte. An und für sich ist der Tempel von sehr untergeordneter Bedeutung.

Der moderne Palast des Gouverneurs macht dagegen einen guten Eindruck; er ist von Säulen und Veranden und einem prächtigen Garten umgeben. Professor Häckel hat nach seiner Schilderung in demselben einen angenehmen Abend zugebracht, aber er fügt vorsichtig hinzu: „Zahlreiche Schlangen, Scorpione und anderes derartiges Tropengesindel, besonders aber zahlreiche Blutegel sollen den Aufenthalt darin etwas ungemüthlich machen.“

In dieser Stadt wird also Arabi Pascha den Rest seines Lebens verträumen. Das gnädige England war liebenswürdig in der Wahl des Verbannungsortes; der General, der einst die europäischen Cabinete in Verwirrung brachte, aber bei Tel-el-Kebir sich nicht besonders heldenmäßig benahm, kann hier in aller Muße über die Vergänglichkeit der irdischen Dinge nachdenken – die Umgebung paßt ja vortrefflich für solche Betrachtungen.

Die Engländer hätten ihren Zweck vielleicht besser erreicht, wenn sie den Begnadigten nach der Ruinenstadt Ceylons, nach Anuradhapura, „verschickt“ hätten. Vor 2400 Jahren wurde diese Stadt vom König Anurado erbaut und war viele Jahrhunderte hindurch die prächtigste Cultusstätte des Buddhismus. Noch im Jahre 412 nach Christus betrug die Zahl der Priester in der Stadt allein mehr als 5000, und ein singhalesisches Buch aus dem Anfang des siebenten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung entrollt uns folgendes Bild von Anuradhapura:

„Die Entfernung vom Hauptthor zum Südthor beträgt vier Stundenmärsche, ebenso vom Nord- zum Südthor. Die Hauptstraßen sind die Mondstraße, die König Hingururek-Straße und die Mahawellstraße, deren erstere an 11,000 Häuser enthält, viele davon zwei Stockwerke hoch. Kleinere Straßen giebt es unzählige. Der Palast hat lange Reihen von Gebäuden, manche von ihnen zwei und drei Stockwerke hoch, und seine unterirdischen Gänge sind von großer Ausdehnung.“

Schildern wir nur eine einzige der Ruinen, die noch heute hier zu sehen sind, die Ruine des Palastes Lowamahapaya; sie ist kein zerfallenes Mauerwerk, sondern ein aus dem Rasen emporwachsender Pfeilerwald, der in der Höhe von 12 Fuß abgestutzt zu sein scheint. In einem Quadrat von 230 Fuß Länge stehen 1000 vierkantige, aus einem Steinblocke gehauene Pfeiler in Reihen von 40 zu 40 neben einander; hier und da ist einer umgestürzt, ein anderer ist geneigt, und dazwischen streben ein paar gewaltige Laubbäume und weiden die Zebu-Ochsen des Dorfs. Vor zwei Jahrtausenden war dieser Palast von König Butugemum für die Priester von Anuradhapura gebaut worden, und heute stehen von den neun Stockwerken und von den tausend Zellen und Clausen nur noch die Grundpfeiler des Erdgeschosses.

Unmittelbar hinter dieser Ruine breitet seine Aeste der heilige Bo-Baum, welchen König Dewananpiya-Tissa im Jahre 300 v. Chr. gepflanzt haben soll. Der Baum wäre demnach 2200 Jahre alt und gewiß der älteste historische Baum der Welt. Priester beschützen und verehren ihn noch heute. Gegen ein Geschenk gaben sie auch Herrn Dr. Hans Meyer ein Blatt zum Andenken. Ein Blatt von einem Baume, dessen Haupt zweiundzwanzig Jahrhunderten trotzte!

Karte von Ceylon.

Passen denn nicht auf diesen Altriesen und die Geschicke der Menschen, auf die er herabschaute, jene Verse, die einst von den sangreichen Lippen des unsterblichen Homer erklungen:

„Muthiger Tydeussohn, was fragst du nach meinem Geschlechte?
Folgen sich doch wie die Blätter am Baum die Menschengeschlechter;
Welkende streut auf die Erde der Wind, und andere neue
Bildet der knospende Wald im wiedergeborenen Frühling.
Ebenso wächst ein Menschengeschlecht, und das andere schwindet.“

Ja, sie sind geschwunden, jene Geschlechter, die da noch wirkten zu der Zeit, als die Zinnen der Paläste von Anuradhapura in der Sonne blinkten, als das immergrüne Land den Namen „Löweninsel“ trug und seine Einwohner im Munde der angrenzenden Völker den stolzen Beinamen „Löwensöhne“ führten. Was bedeutet heute ein singhalesischer Fürst? Was bedeutet das ganze Volk der ceylonischen Eingeborenen? Verwelkt sind sie und verweht. Wird sie der für Ceylon anbrechende Frühling der Cultur verjüngen?

Aber wohin verirren wir uns? Verlassen wir die Ruinenstätte des heute kaum 1000 Einwohner zählenden Anuradhapura, halten wir uns auch nicht zu lange auf in dem berühmten botanischen Garten von Peradeniya, wo die Menschenhand die tropische Vegetation in Fesseln geschlagen und der Wissenschaft und Kunst dienstbar gemacht hat, wo die Pracht der tropischen Bäume und Rankengewächse uns sinnbestrickend umstürmt. Wir eilen noch nach dem Süden Ceylons, nach der Hafenstadt Punta Galle, auch Point de Galle genannt, die einst mit Colombo um die Handelsherrschaft wetteiferte, nunmehr aber, von der Regierung stiefmütterlich behandelt, zur zweiten Stadt der Insel herabsank.

An der brandenden Küste des Indischen Oceans, welche die Zeichnung unseres Künstlers (Seite 177) uns vor Augen führt, wollen wir nicht die schmucken Villen der Europäer aufsuchen, sondern ein Naturwunder schauen, wie es prächtiger und großartiger kaum anderswo zu finden ist. Wir steigen hinab in die Zaubergärten, welche auf dem Grunde der See die Töchter des Meeresgottes, die geheimnißvoll schaffenden Oceaniden, errichtet haben.

Langsam durchfurcht der Kiel des schwanken Bootes, dem wir uns anvertraut, die ruhige Wasserfläche, und im Glanze der Sonne erglühen unter uns in wunderbarer Farbe die vielgestaltigen Gebilde der Korallen, welche, Sträuchern und Bäumen ähnlich, in die Höhe streben. Das sind die berühmten Korallengärten Ceylons. Die Bezeichnung ist durchaus zutreffend; denn wie in der Vegetation der Insel die grüne Farbe vorwiegt, so ist sie auch in dieser unterseeischen Welt vorherrschend. Die Undine lockt uns, und wir tauchen hinab in eine neue, eine Märchenwelt.

Zwischen dem verworrenen Astwerk der zahllosen Korallenstöcke wimmelt es von den sonderbarsten Thieren, Fischen, Krebsen, Schnecken, Muscheln, Würmern, und sie alle finden ihre Nahrung in diesen Zaubergärten, in denen sie ihre ständige Wohnung aufgeschlagen haben, und führen hier mit tausend Künsten den uralten Kampf um’s Dasein.

Aber der Besuch dieser Gärten ist nicht so gefahrlos, wie man denken möchte. Die Feuerkorallen und die zwischen ihnen schwimmenden Medusen brennen bei der Berührung gleich den schlimmsten Brennnesseln. Der Stich der Flossenstacheln von manchen Panzerfischen ist ebenso schmerzhaft und gefährlich wie derjenige des Scorpions. Viele Krabben kneipen auf das Empfindlichste mit ihren mächtigen Scheeren, und schwarze See-Igel bohren ihre fußlangen Stacheln, die mit feinen Widerhaken besetzt sind, in das Fleisch des Fußes.

„In meinem ganzen Leben,“ bemerkt hierzu Professor Häckel, „habe ich keine so zersetzte und geschundene Haut gehabt, wie nach mehrtägigem Tauchen und Korallenfischen in Punta Galle.“

Doch wir müssen hier schließen. Wer wäre im Stande, die Wunder der Tropenwelt in erschöpfender Weise auf wenigen Blättern zu schildern? Die meisterhafte Feder des großen deutschen Zoologen hat dieses Wunderkind der deutschen Leserwelt zu erschließen gewußt, und wessen Neugierde und Wissensdrang mit dem vorstehenden Artikel nicht zufrieden sind, der nehme die „Indischen Reisebriefe“ zur Hand.


  1. Dr. Hans Meyer, Enkel des durch seine großartige Wirksamkeit auf buchhändlerischem und volkswirthschaftlichem Gebiet ausgezeichneten Patrioten Joseph Meyer (Bibliogr. Institut) in Hildburghausen und Sohn des jetzigen Chefs derselben Firma zu Leipzig, steht gegenwärtig in seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahre. Nachdem er bei der reitenden Artillerie in der Garde seiner Militärpflicht genügt und in Straßburg 1881 promovirt hatte, begab er sich Anfang October desselben Jahres auf eine Reise um die Welt. Das Bibliographische Institut zu Leipzig hat schon jetzt die ersten Reiseskizzen des jungen Forschers unter dem Titel „Blätter aus meinem Tagebuch von Dr. Hans Meyer“ veröffentlicht. Da das Werkchen jedoch, von dem bis jetzt drei Hefte erschienen sind, nur als Manuscript für die Freunde des Verfassers gedruckt wurde und darum nur Wenigen bekannt sein dürfte, so haben wir unsere heutige Schilderung der Insel Ceylon zum Theil demselben entlehnt und Meyer’s Mittheilungen durch die von Professor Ernst Häckel in seinen „Indischen Reisebriefen“ (Gebr. Pätel, Berlin 1883) niedergelegten Erfahrungen zu ergänzen versucht. Die kleine Karte von Ceylon, welche wir zur leichteren Orientirung für unsere Leser beifügten, ist dem Meyer’schen Tagebuch entnommen.