Aus dem Skizzenbuche eines Weltmannes

Textdaten
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Titel: Aus dem Skizzenbuche eines Weltmannes
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 419–420
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[419] Aus dem Skizzenbuche eines Weltmannes.[1] Nr. 1. Während eines längeren Aufenthaltes in Frankreich, namentlich in Paris in den Jahren 1841 bis 1848, wohnte ich daselbst au 2ième de la rue du Helder, da wo die rue Taitboud, vom Boulevard des Italiens kommend, gerade auf das Portal des Hauses zustößt. Eigenthümer desselben war ein alter emeritirter Präsident eines Tribunals der Seine, Mr. de Grand’ Maison; er bewohnte den ersten Stock mit seiner Gattin allein.

Es sind mir in meinem reich bewegten Leben selten zwei Personen vorgekommen, die in ihrer ganz besondern charakteristischen Eigenthümlichkeit mir auf einmal ein so lebhaftes Interesse einzuflößen vermocht hätten. Er, ein stattlicher großer Herr (in vertrauten Abendstunden noch mit der zuckerhutähnlichen in Frankreich gewöhnlichen Nachtmütze geziert), der Alles mit einer gewissen Abgemessenheit that, die aber nie die Grazie und heitere Gemächlichkeit vermissen ließ. Madame de Grand’ Maison war, obgleich etwas sehr stark und rund, dennoch überaus graziös in allen ihren Bewegungen, und bei der geringsten Veranlassung trat eine Lebendigkeit hervor, die verrieth, was sie in ihren früheren Jahren gewesen sein mußte. Beide gaben ein treues Bild jenes Geschlechtes, das wir nächstens nur aus Büchern kennen werden. Ihrer Stadtwohnung sowohl wie dem in reizender Umgebung gelegenen Landhause in Ecouen (bei St. Denis) war ganz der Charakter ihrer Herrn aufgeprägt, inwendig und auswendig. Die unfehlbar geraden Steige und Pappelalleen draußen correspondirten mit den die Wände regelmäßig entlang stehenden, reich vergoldeten, aber entsetzlich harten Sesseln im Hause. Dabei fehlten im Garten eben so wenig manche geschmackvolle Blumenanlagen, als im Innern die gefällig um den Kamin geordneten Fauteuils oder die kostbaren Bronzeverzierungen, die Pendulen, Wandleuchter etc. Die dichtverhüllten Fenster mit den dicken, reichen Teppichen verliehen dem Ganzen das Gemächliche. Vorsäle, Fußböden, Treppen waren spiegelglatt. Mr. de Grand’ Maison (wie direct oder indirect seine Gemahlin ihn stets nannte) war alt, sehr alt und mit einem schneeweißen Haupte geschmückt. Nichts war interessanter, als in den Dämmerstunden von dem Herrn des Hauses, er auf der einen, sie auf der andern Seite des Kamins in steif ceremonieller Haltung sitzend, in der ihm eigenthümlichen, scherzhaften Weise Erinnerungen aus seinem Leben erzählen zu hören. Wenn ich auch nur wenige Schritte zu ihm herunter hatte, selbst die Thüren offen fand, so mußte dennoch der Diener beide Flügelthüren öffnen und laut meinen Namen in das Zimmer hineinrufen, worauf Herr und [420] Madame de Grand’ Maison sich zu einer feierlichen Begrüßung erhoben, ohne von ihren Sesseln fortzutreten. Es wurde mit wohlgefälligem Lächeln aufgenommen, wenn ich zuerst im Allgemeinen eine tiefe Verbeugung machte und dann besonders vor Jedem von Beiden mich verneigte. Hatte ich das Manöver einmal besonders gut ausgeführt, so reichte Madame mir die äußersten Spitzen ihrer Hand zum Kusse, und der Gemahl nahm bald im Laufe des Gesprächs die Gelegenheit wahr, mit tiefem Seufzer diese Worte auszusprechen: „Ja, ja, mein Herr, in dem Lande jenseit des Rheins findet man noch hin und wieder Leute von guter Erziehung; in Frankreich hat das die Revolution vernichtet.“

Mr. de Grand’ Maison war geradezu die personificirte französische Geschichte. Ein werthvoller Beitrag zur Beurtheilung der sittlichen Zustände in Frankreich war es, wenn er auf alle die von ihm geleisteten Eide bei Constituirung irgend einer neuen Regierungsform zu sprechen kam. Davon ein ander Mal. Er wußte den ernstesten Dingen jenen flüchtig scherzhaften Anstrich zu geben, der selbst uns tiefer fühlenden Deutschen unwiderstehlich anzieht. Wir verstehen es nicht so gut, wie unsere Nachbarn im Westen, Alles auf die leichte Schulter zu nehmen, in Worten wenigstens; in der Praxis aber machen wir – die Hand auf’s Herz – es nicht viel besser. – Eines Abends kam Mr. de Grand’ Maison auf einzelne von ihm persönlich durchlebte Ereignisse der Revolutionszeit zu reden, unter andern auf die Zerstörung der Königsgräber und Entfernung der königlichen Leichen aus der Kathedrale zu St. Denis. Er erzählte dann etwa so:

„Zur Zeit des Ausbruchs der Revolution war ich 19 Jahre alt, und hatte eine einzige Schwester von 16 Jahren; mein Vater war Wittwer. Bei dem Ueberhandnehmen des gräßlichen Revolutionstreibens mochte der Aufenthalt in Paris nicht mehr ganz passend für uns gehalten werden, um so mehr als wir den größten Theil des Tages mit zwei Dienstboten in einem großen Hause allein gelassen wurden. Unser Vater schickte uns deshalb nach St. Denis, wo mein Onkel Maire war. Einen Tag nach unserer Ankunft daselbst traf der Befehl ein, daß die Leichen der Könige aus der Kathedrale daselbst entfernt werden sollten, wie daß Alles, was in den Königsgräbern an die frühere königliche Würde und Größe erinnere, zerstört werden müßte. Bei der Ausführung dieser Maßregel mußte mein Onkel natürlich schon wegen seiner amtlichen Stellung zugegen sein. Er kam meinem lebendigsten Wunsche entgegen, indem er mir vorschlug, ihn nach der Kathedrale zu begleiten.

Ich kann Ihnen keine Beschreibung von dem Gefühle geben, das sich meiner beim Eintritte in diese geheiligten Räume bemächtigte, die – vergessen Sie das nicht – zu damaliger Zeit nicht leicht zugänglich waren. So viel Mühe man sich auch gegeben hat, diese von der Kirche aus in die Augen fallenden Räume in einer würdigen Weise wieder herzustellen, Alles zu sammeln, was der Zerstörungswuth jener unglücklichen Zeit entgangen ist, so fehlt dennoch Allem jener Duft vergangener Jahrhunderte, der solchen Räumen eigenthümlich ist, wenn sie namentlich selten betreten werden. Man sieht dem Ganzen heute eben an, daß es etwas Wiederhergestelltes, Neues ist, dem nicht eine lange Vergangenheit den Stempel der Geschichte aufgeprägt hat.

Als wir vor der Kathedrale ankamen,“ erzählte Mr. de Grand’ Maison weiter, „war auf dem Platze bereits eine trunkene, heulende Volksmenge versammelt. Mein Onkel ward mit dem verschiedenartigsten Geschrei begrüßt. Einige Karren verdächtigen Ansehens mit mehr als einer Blutspur standen am Eingange der Kirche; ein Haufen roher Gesellen, die Flasche unter sich kreisen lassend, bereitete sich dadurch und durch die brutalsten Redensarten zum Werke der Zerstörung vor. So roh sie auch waren, so war ihr Anführer doch der Roheste von Allen. Von niedrigem Stande entsprossen, mochte er dies wohl für den geeignetsten Weg halten, sich in die Höhe zu bringen. Er ist später als Capitain ehrenvoll auf dem Schlachtfelde von Eylau gefallen, und ich mag deshalb seinen Namen nicht nennen; seine Familie existirt noch in Paris.

Kein Geistlicher in seinem heiligen Kleide war vorhanden, der den Eindringenden gewehrt hätte. Mein Onkel öffnete die Thüren zu den Königsgräbern und gab den Abgesandten Gewalt, zu thun, was die schreckliche Ordre gebot. Trunken, halb nackt und mit rohem Freudengeschrei stürzten sich diese Gesellen auf die Gräber, zerbrachen, zertrümmerten, zerrissen Alles, und mit gierigem Auge ward geforscht, ob nicht irgend ein Schmuck, ein geldwerther Gegenstand zu finden sei. Die Cadaver wurden aus den Gräbern herausgerissen und, nachdem diese größtentheils zerbrochen waren, unter dem Brüllen der laut aufjauchzenden Menge vor der Kathedrale auf einen Haufen geworfen. Einige stürzten sich mit solcher Wuth auf die Leichname, daß sie im buchstäblichsten Sinne des Wortes zerrissen wurden. Später wurde Alles auf Karren geladen und unter Begleitung der Commissaire fortgeschafft. – Eins der ersten Gräber, das geöffnet wurde, war das Heinrich’s IV.

Obgleich mein Onkel äußerlich die republikanischen Ideen adoptirt hatte, so konnte er seine royalistischen Ideen doch nie ganz verbergen; er rettete später durch freiwilliges Exil mit genauer Noth sein Leben und starb im Auslande. Bei dieser Gelegenheit konnte er sich auch des Ausrufs nicht enthalten: „Bürger, seht, das war der größte Freund des Volkes unter Allen!“ – Der Name Heinrich’s übte doch auch auf diese Gesellen instinctmäßig einen gewissen Eindruck aus. Trotz der bis zur gröbsten Unsittlichkeit getriebenen Galanterieen des Königs und der nur zu oft bewiesenen Charakterlosigkeit namentlich in Religionssachen, ist er noch heute der populärste Königsname in Frankreich. Seine bekannte Aeußerung über das Huhn im Topfe eines jeden seiner Unterthanen verschafft ihm noch in diesen Tagen den Ruf eines Vaters seines Volkes.

Bei der Eröffnung des Sarges bot sich ein eigenthümliches, wahrhaft rührendes Bild den Augen der Anwesenden dar, was auch auf diese Menschen nicht ohne Einfluß blieb. Des königlichen Leichnams ganze Gestalt war wunderbar erhalten, das Gesicht etwas zur linken Schulter gewandt; der lange Bart dieses in den Standbildern auf dem Pont neuf, am Hôtel de Ville und an anderen Stellen in geschichtlicher Treue auf uns gekommenen echt bourbonischen Kopfes war zum Erstaunen Aller, selbst was die Form betraf, in einem Zustande, als wenn der König eben erst eingeschlafen wäre. Lautlos sahen Alle auf den Sarg, und ohne daß sich auch nur eine Hand zur Zerstörung des Körpers gerührt hätte, wurde er in einer Seitencapelle offen gegen die Wand hingestellt. Das Werk der Vernichtung ward dann vollendet. Endlich war man auch genöthigt, den Leichnam Heinrich’s IV. aus dem Sarge zu nehmen und zu den anderen zu bringen. Ehe man ihn indeß auf den Karren schleppte, verlangten verschiedene der Anwesenden Haare aus dem Barte des Königs. Es ward dabei etwas ungestüm und roh verfahren, indeß gelang es auch meinem Onkel, sich in den Besitz eines Büschels der Barthaare des Königs zu setzen.“ –

War der Erzähler zu diesem Punkte seiner Mittheilung gekommen, so erhob sich Madame de Grand’ Maison mit der ihr eigenthümlichen Würde, öffnete einen Wandschrank und holte aus einer scharfe Wohlgerüche ausströmenden Schublade ein kleines, sehr reich mit Goldlilien gesticktes Taschenbuch hervor, in dem wieder in weißer Seide und mit blauen Lilien besät, in Seidenpapier die heilige Reliquie aufbewahrt war.

Mr. de Grand’ Maison hielt diesen Theil seiner übrigens bedeutenden Erbschaft von seinem Onkel für das Kostbarste, was er ihm hätte vermachen können.

Ich kann nicht leugnen, daß der öftere Anblick dieser wenigen Haare auch auf mich stets einen eigenthümlichen Eindruck gemacht hat, so daß ich es der Mühe werth hielt, diese kleine Mittheilung durch die „Gartenlaube“ auch weiteren Kreisen zugänglich zu machen. – Selbstverständlich erhob ich mich bei dem Schlusse der Erzählung, und während Madame de Grand’ Maison, ohne aufzublicken, mir ihr „bon soir, Monsieur“ zuflüsterte, erhob sich hoch aufrichtend der Gemahl und bot mir, gleichsam eine lebendige Hoffnung damit aussprechend, mit lauter Stimme seinen Abschiedsgruß.



  1. Unter diesem Titel werden wir eine Reihe memoirenartiger Mittheilungen geben, die wir der Freundlichkeit eines hochgestellten deutschen Staatsmannes verdanken, dessen Namen man an deutschen, sowie an den englischen und französischen Höfen sehr gut kennt.
    D. Redact.