Aus dem Leben Moritz Retzschs
← Dresdner Reisende des 16. und 17. Jahrhunderts | Aus dem Leben Moritz Retzschs (1896) von Otto Richter Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896) |
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Der am 9. Dezember 1779 zu Dresden geborene, am 11. Juni 1857 in der Hoflößnitz verstorbene Maler und Radirer Friedrich Moritz Retzsch, der sich namentlich durch seine Umrißzeichnungen zu Goethes Faust, zu Schillers Kampf mit dem Drachen, Gang nach dem Eisenhammer, Lied von der Glocke und Pegasus im Joche, zu Bürgerschen Balladen und Shakespeareschen Dramen bekannt gemacht hat, schildert seine bedrängte Lage nach den Napoleonischen Kriegen in einer offenbar im Jahre 1815 aufgesetzten Bittschrift, die aus seinem Nachlasse in die hiesige Stadtbibliothek gelangt ist. Sie soll wegen des Streiflichts, das sie auf die wirthschaftliche Noth der Dresdner in jener schweren Zeit wirft, hier wiedergegeben werden.
Rath von Carlowitz.
Mein Vater, der Geheime Kriegs-Sekretair Retzsch, einziger Sohn des schon längst verstorbenen wirklichen Geheimen Kriegs-Rathes, starb bereits vor 26 Jahren und hinterließ mich, Moritz Retzsch, nebst noch zwei Geschwistern in einem Alter, wo die Erziehung der Kinder erst beginnt. Meine Mutter hat bei sehr dürftigem Einkommen, so schwer es ihr auch ward, nichts fehlen lassen, uns Geschwister zu brauchbaren Menschen aufzuziehen. Obschon ich nebst meinem Bruder zum Studieren vorbereitet wurde, so entschieden wir uns beide vermöge eines unbesiegbaren Dranges zur bildenden Kunst. Mein Bruder wählte die Landschaftmalerei, ich aber die geschichtliche. Zu meinem Glück übernahm der Herr Professor Grassi meine weitere Bildung, als ich die Studien der Königl. Sächs. Maler-Akademie durchlaufen hatte. Ihm dem vortrefflichen Lehrer habe ich es zu danken, daß ich mich jetzt kräftig fühle, in diesem Fache manchen Nutzen zu schaffen. Leider aber ward mein eifriges Studium, mein thätiges Streben, mich noch mehr zu vervollkommnen, unterbrochen, ja völlig verhindert durch die Ereignisse, welche sich im Laufe mehrer Jahre begaben.
Meine Mutter, die Besitzerin eines mit Schulden ererbten Hauses, vermochte sich ungeachtet eines Gnadengehalts von 60 Thlr., womit sie uns erzogen hat, bei den einbrechenden stürmischen Zeiten nicht mehr zu erhalten. Mein Bruder zog unglücklicher Weise gar keinen Nutzen von seinem mit ausgezeichnetem Talent verfolgten Ziele; nur ich konnte mühsam kaum durch Portraitmalen und andere dem höheren Studium widerstrebende Arbeiten, welchen ich mich unverdrossen unterzog, den sich immer mehr häufenden Erfordernissen der Zeit und des Unterhalts Genüge leisten.
Im Schreckensjahr 1813 ererbte ich mit meinem Geschwister zwei unbedeutende Grundstücke von der letzten Verwandtin unsrer väterlichen Familie. Zu einer andern Zeit wären wir dadurch in einen leidlichen Zustand versetzt worden; allein in diesen zwei Jahren gereichte es um so mehr zu unserm schnellen Untergang, denn die übermäßigen Einquartierungen, welche sich auf diese drei Grundstücke, inclusive des Hauses meiner Mutter, die zusammen 12 000 Thlr. gewürdert sind, beläuft (!) sich in diesen zwei Jahren gegen 10 000 Köpfe.
Die außerordentlichen Auflagen und Kriegssteuern beschleunigten noch mehr unsere Vermögenszerrüttung, so daß wir jetzt uns dadurch in ein Schuldenwesen versetzt sehen, von welchem nur allein die zu zahlen habenden Interessen nebst festen Steuern den Betrag unserer zum Theil leer stehenden Häuser weit übersteigen. Rechtlichkeit und Pflicht erlaubt es uns nicht, diese Grundstücke bei dem jetzt im Ganzen sehr gesunknen Werth derselben zu veräußern, um uns etwan auf diesem Wege der traurigen Lage zu entziehen, in welche wir uns versetzt sehen, denn die Consensgläubiger wären allenfalls auf diese Weise geborgen, aber keiner von denjenigen Freunden und gutgesinnten Menschen, welche uns im Drange der Noth mit ihrem Vermögen aushalfen und welches die größere Hälfte unsrer Schulden ausmacht, ohne eine andere Versicherung dagegen in den Händen zu haben als unser als rechtliche Menschen ihnen gegebenes Wort. Schon 1806 ging die Noth der Einquartierung an, von da begann vorzüglich mein Kampf mit Sorgen und Noth mancherlei Art. Ohngeachtet ich unsre gänzlich erschöpfte Lage vielfach, theils mündlich und schriftlich, dem hiesigen Quartieramt bekannt gemacht habe und dasselbe auch völlig von der Wahrheit meiner Angabe überzeugt ist, so fährt es fort, uns bei den noch jetzt dann und wann statt habenden Durchmärschen rücksichtslos nach wie vor zur Mitleidenheit zu ziehen. Wenn nicht eine höhere Hand uns die Last ein wenig erleichtert, so sehe ich mich nebst meinen Angehörigen einem höchst traurigen Schicksal preis gegeben und mich für die höhere Kunst verloren. Höchst schmerzlich ist es mir, auf der Bahn kaum mühsam fortzuschreiten, die ich mit Gottes Hülfe und warmer Liebe zu meines Lehrers Zufriedenheit so eifrig betrat. Möge es doch Gott gefallen, daß unsere Lage irgend zur Kenntniß einer höhern Behörde komme, so dürfte einige Linderung zu hoffen sein.