Aus dem Leben Ludwig Devrient’s

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Titel: Aus dem Leben Ludwig Devrient’s
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27-28, S. 424–427; 443–445
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[424]
Aus dem Leben Ludwig Devrient’s.
I.

Was den Leipzigern Auerbachs Keller, das war den Berlinern vor einem Menschenalter die Weinstube von Lutter und Wegner; hatte der größte der deutschen Dichter in jenem eine burschikose Trinkscene spielen lassen, so verbrachte der größte Schauspieler der damaligen Zeit in dieser ein heiteres Zecherleben, welches für viele Jahre zum Mittelpunkte für seine Freunde und zum Anziehungspunkte für alle Neugierigen wurde, die den berühmten Mimen nicht nur „auf den Brätern“, wie der Exintendant von Küstner sagen würde, sondern auch beim Glase Wein kennen lernen wollten.

Ludwig Devrient – denn so heißt jener eminente Schauspieler und Trinker, von dem wir reden – hatte im Jahre 1827 bereits den Gipfel seines Ruhmes erstiegen. Zwar spielte er immer noch meisterhaft, zwar brachte er noch einen der großartigsten Charaktere Shakespeares, Richard III., in vollendeter Zeichnung zur Aufführung; aber seine Kraft war gebrochen, sein Lebensmark zerstört. Die folgenden Zeilen, in denen wir dem Leser eine Episode aus Devrient’s Leben vorführen, sollen dazu dienen, eine Charakterzeichnung vervollständigen zu helfen, welche Ludwig Rellstab und Heinrich Smidt bereits angebahnt haben.




„Und ich sage Ihnen, Herr Kammergerichtsrath,“ sprach Devrient mit lallender Zunge in einem Kreise von Männern, welche sich absichtslos in obengenannter Weinstube zusammengefunden hatten, „der Hoffmann[1] war doch ein tüchtiger Mensch! Freilich hatte er sonderbare Schrullen; aber wie der König von Thule keinen süßeren Trost hatte als seinen Becher, so habe ich keinen treueren Freund und Genossen gehabt als meinen lieben Amadeus.“

„Das mag schon wahr sein,“ erwiderte der Kammergerichtsrath; „aber da ich erst nach seinem Tode hier verkehre, so kenne ich Ihren Amadeus leider nicht von dieser vortheilhaften Seite; als College war er uns stets eine verwunderliche Erscheinung.“

„Ja, ja,“ fügte ein bejahrter Arzt hinzu, der trotz seines schneeweißen Hauptes der größte Spaßvogel war, „Hoffmann war unter den Juristen der größte Musiker und unter den Musikern der größte Jurist, der, wenn er in seine musikalische Begeisterung hineingerieth, dem ruhigen Beobachter fast wie ein Wahnsinniger erschien, dem aller sehnsüchtige Schmerz der Liebe, alles Entzücken süßer Träume durch die Seele wogte.“

„Freund, Ihr habt ihn als Hausarzt erst in seinem letzten Lebensjahre kennen gelernt,“ sagte Devrient. „Mir aber hat er vor Eurer Bekanntschaft mit ihm oft gegenübergesessen, gerade an der Stelle, an welcher Ihr jetzt sitzt, und es ist mir oft unheimlich zu Muthe gewesen, wenn in ihm seine fixe Idee aufstieg, daß der Wahnsinn wie ein nach Beute lechzendes Raubthier auf ihn lauere, um ihn plötzlich zu zerfleischen.“

„Es ist unbegreiflich, daß ein Mann, der sich in Königsberg durch seinen gesunden Humor einen Namen gemacht hatte, zu solchem Spleen kommen konnte,“ versetzte der Rath.

„Der rechte Humor fehlte ihm stets, so lange ich ihn kannte,“ bemerkte Devrient; „er nannte denselben auch nie anders als einen Wechselbalg grillenhafter Phantasie.“

„Die Tonkunst dagegen,“ sagte der Arzt, „war ihm ein Engel des Nichts, welcher allein über den bösen Dämon in seiner Brust Gewalt habe, und welcher ihn in seiner Hauskreuzkomödie, die er als Junggesell allein zu spielen hatte, alle Schmerzen irdischer Bedrängniß vergessen mache. Seine Nerven waren oft in einer fürchterlichen Aufregung; er sah Gespenster am hellen Tage, und wenn er um Mitternacht allein nach Haus gehen mußte, hatte er stets Furcht vor Doppelgängern und allerlei bedrohlichem Zeuge, das ihm in den Weg kommen könne. A propos, Devrient, erzählt uns noch einmal die Schnurre, wie Ihr einmal seinen leibhaftigen Doppelgänger gemacht habt; Ihr seid uns schon lange die Erzählung schuldig.“

Devrient blickte im Kreise umher, und da er nur alte bekannte Gesichter sah, fand sein Zartgefühl kein Bedenken, die verlangte Geschichte vorzutragen.

[425] „Daß Hoffmann,“ hub er an, „ab und zu an Liebesparoxysmen gelitten hat, wird Allen bekannt sein; weniger bekannt möchte es sein, daß er in dieser Hinsicht allen Warnungen seiner Freunde zum Trotz in einer Weise ausschweifte, welche mehr noch als alle am Arbeitstische und am Piano, so wie hier in dieser Weinkneipe durchwachten Nächte seine Gesundheit untergrub; wenigstens weiß ich aus Erfahrung, daß die Fieberträume seines kranken Gehirns zu solcher Zeit immer am tollsten waren. Auch im Sommer des Jahres 1820, zwei Jahre vor seinem Tode, hatte er wieder einen solchen Raptus. Es war ein schöner Sommertag. Die Probe war beendet, und ich stand eben im Begriff, Rebenstein nach Haus zu bringen –“

„Ist das auch die richtige Lebensart, Devrient?“ sprach lachend Wegner, der Mitinhaber der Weinstube und ein flotter Trinker.

„Du meinst, Rebenstein habe mich hierherbegleitet? Das bestreite ich, denn Rebenstein trinkt nur im Stillen. He, Louis, habe ich Recht?“

Louis, der Oberkellner, stand bei Devrient in besonderer Gunst, denn er kannte des großen Mimen Zunge auf’s Haar und brachte den Rothwein nie zu warm, den Sect nie zu kalt auf den Tisch; darum genoß er auch das Vorrecht, in nächster Nähe Devrient’s verweilen zu dürfen, ein Vorrecht, das er nie mißbrauchte.

„Es ist so, wie Sie sagen, Herr Devrient,“ sprach Louis. „Früh am Morgen, wenn ich das Fenster meiner Dachkammer öffne, schaut Herr Rebenstein schon von drüben herüber und winkt mir, ihm ein Quart als Morgentrunk hinüberzubringen.“

Alle lachten. Devrient aber fuhr fort:

„Eben, als wir uns von Lemm getrennt hatten, tritt eine Jungfer zu mir heran und fragt mich, ob ich Herr Devrient sei.

„Der bin ich,“ lautete meine Antwort; „was steht dem hübschen Kinde zu Diensten?“

„Ich soll eine schöne Empfehlung von meiner Madam bestellen,“ spricht sie und macht einen Knix, „und Herr Devrient möchte doch die Güte haben, sie zu besuchen, aber gleich auf der Stelle.“

Während mich Rebenstein ganz verwundert ansieht, frage ich ebenso verwundert: „Ja, liebes Kind, wenn ich nur wüßte, wie Deine Madam heißt?“

„Habe ich Ihnen das noch nicht gesagt? Es ist Frau von –“

In diesem Augenblicke wurde die Thür der Weinstube heftig aufgerissen, und der Theaterdiener Zäger stürmte mit den Worten herein:

„Aber, bester Herr Devrient, es ist sechs Uhr; Sie sollen uftreten un lassen sich nich sehen! Logen un Parquet, allens in Aufruhr; im Parterre trommeln de Beene un uf de Gallerie pfeift allens nach Noten!“

Devrient, dem ein solches Vergessen schon öfters begegnet war, sah nach der Uhr und versetzte harmlos: „Wahrhaftig, fünf Minuten über sechs Uhr. Es ist hohe Zeit, Zäger! Auf Wiedersehen, meine Herren, nach dem Theater!“

Bei diesen Worten erhob er sich schwerfällig vom Stuhle; er konnte ohne Hülfe nicht stehen und gehen. Zäger aber wußte Bescheid; er stülpte ihm den Hut auf, faßte ihn kräftig unter den Arm und schleppte ihn mehr, als er ging, nach dem Theater.

Kaum war Devrient aus der Thür, so sprach der Kammergerichtsrath: „Den Spaß, meine Herren, müssen wir mit ansehen! Ich bin neugierig, wie sich Devrient herausbeißen wird.“

Damit eilte die Gesellschaft nach dem Theater, dessen letzte Plätze sie erhielt. Man gab Shakespeares Richard III. Eben waren jene eingetreten, als der Vorhang in die Höhe ging und Devrient aus den Coulissen auf das Theater schwankte. Noch war seine Zunge keines Wortes mächtig, noch vernahm sein bereits geschwächtes Gehör kein Wort des sich umsonst abmühenden Souffleurs; aber mit wunderbarer Gabe beherrschte er seinen Körper, und die Zuschauer studirten den tückischen Charakter Gloster’s aus dem Mienenspiel Devrient’s, an dem jeder Zoll ein Richard war. Jetzt dämmerte es in seinem Gedächtnisse und mit heiserer Stimme declamirte er die ersten Verse. Das Publicum lauschte. Mit jedem Worte kräftigte sich die Stimme des Schauspielers, bis ihm plötzlich wie mit Blitzesschnelle die Geister des Weines aus der Brust entflohen. Als er die Worte:

Doch ich, zu Possenspielen nicht gemacht,
Noch um zu buhlen mit verliebten Spiegeln;
Ich, roh geprägt, entblößt von Liebes-Majestät
Vor leicht sich dreh’nden Nymphen mich zu brüsten;
Ich, um dies schöne Ebenmaß verkürzt,
Von der Natur um Bildung falsch betrogen,
Entstellt, verwahrlost, vor der Zeit gesandt
In diese Welt des Athmens, halb kaum fertig
Gemacht, und zwar so lahm und ungeziemend,
Daß Hunde bellen, hink’ ich wo vorbei;
Ich nun, in dieser schlaffen Friedenszeit,
Weiß keine Lust die Zeit mir zu vertreiben.
Als meinen Schatten in der Sonne spähn
Und meine eig’ne Mißgestalt erörtern;
Und darum, weil ich nicht als ein Verliebter
Kann kürzen diese fein beredten Tage,
Bin ich gewillt ein Bösewicht zu werden –

mit unnachahmlicher Bosheit vortrug, hätte man in der herrschenden Todtenstille ein Blatt fallen hören können. Von Scene zu Scene, von Act zu Act stieg der Beifall, bis die letzten Worte des fluchbeladnen Königs:

Ein Pferd! ein Pferd! mein Königreich für’n Pferd!

mark- und beinerschütternd in die Ohren schlugen.

Noch tobte der Beifallssturm, noch rief die Bewunderung Aller Devrient heraus, als schon die Lutterschen Gäste das Theater verlassen hatten, um in der Weinstube, als wäre nichts vorgefallen, die alten Plätze wieder einzunehmen. Bald nachher trat Devrient in großer Aufregung ein; doch erst gegen Mitternacht konnte er zur Fortsetzung der unterbrochenen Erzählung bewogen werden.

„Die Dame,“ fuhr Devrient fort, „welche mich zu sich hatte bescheiden lassen, war Frau von Z., sie war jung, schön, lebhaften Temperaments, eine große Musikliebhaberin und seit Kurzem an einen Hauptmann im … Regiment verheirathet. Hoffmann hatte sie auf einer musikalischen Soirée beim Grafen R. kennen gelernt und sich sterblich in sie verliebt; doch hatte er sich diesmal gewaltig verrechnet, denn das Wort, welches er im Munde zu führen pflegte: „Liebe schwärmt auf allen Wegen“ hatte wohl in Bezug auf ihn selber seine Richtigkeit; aber der Gegenstrophe: „Liebe kommt uns rasch entgegen“ fehlte von Seiten der Frau von Z. alle und jede Wahrheit. Die Dame befand sich in der peinlichsten Lage; ihr Mann, auf einige Zeit nach Breslau commandirt, stand mit Hoffmann in freundschaftlichem Verhältnisse. Sie kannte das exaltirte Wesen des Dichters der „Phantasiestücke“ und wollte ihn nicht ohne Noth bloßstellen. In ihrer Rathlosigkeit und Verzweiflung hatte sie den Beschluß gefaßt, sich an Hoffmann’s Freunde zu wenden, und da weder Fouqué, noch Hitzig, noch Chamisso in Berlin anwesend waren, so hatte sie mich zum Retter in der Noth ausersehen. Aber was zu thun? Guter Rath war theuer. Wir sannen hin und her, fanden aber keinen Ausweg in diesem Labyrinthe. Endlich empfahl ich mich der Dame mit der Bitte, mich sofort zu benachrichtigen, wenn Hoffmann bei ihr zum Besuche erscheinen würde. Mir war bereits ein Plan durch den Kopf gegangen, welchen ich nur der Dame vorher nicht hatte verrathen wollen, um jede Plauderei und jedes Mißlingen unmöglich zu machen. Ich beschloß nämlich, die Furcht Hoffmann’s vor einem Doppelgänger zu benutzen und ihn durch sein zweites Ich von einem erzdummen Streiche abzuhalten. Die Maske war die einzige Schwierigkeit, welche ich zu überwinden hatte, denn Stimme, Gang, Gebehrden etc. brauchte ich nicht erst zu studiren. Hier in dieser Stube überdahkte ich den Plan genau und war kaum damit zu Ende gekommen, als Hoffmann eintrat. Wir blieben kaum ein halbes Stündchen zusammen und plauderten; er hatte keine Ruhe.

„Sehen wir uns heute Abend?“ fragte ich ihn, als er fortstürmen wollte. „Du weißt, es ist heute der 19. Juli, der Sterbetag der Königin Louise, und darum kein Theater. Das ganze Theaterpersonal macht Landpartieen; wie wär’s, wenn wir hier einen lustigen Abend verlebten! Wir könnten nichts Besseres thun!“

„Altes Weinfaß,“ fuhr er mich an. „Du hast den versoffenen Falstaff so oft gespielt, daß Dir seine Schlemmernatur ganz und gar zu eigen geworden ist. Kennst Du denn nichts Höheres mehr als das Trinken?“

„Hat Dich einmal wieder Gott Amor mit nie fehlendem Pfeile verletzt?“ fragte ich lachend.

„Ludwig! Ludwig!“ antwortete er pathetisch. „Ich glaube, keine sterbliche Frau kann sich rühmen, Dein Herz je gerührt zu haben; nur den Himmlischen, den Musen opferst Du Weihrauch.“

„Doch, doch, Amadeus! Eine habe ich geliebt mit aller Gluth jugendlicher Leidenschaft.“

[426] „Und diese Eine?“

„Hat mich verrathen und betrogen!“

„Schändlich! teuflisch! Und dennoch bist Du ein Thor, wenn Du darum der holden Minne gänzlich entsagt hast!“

„Nicht doch, Amadeus! Du weißt, Dortchen Lakenreißer ist mir an’s Herz gewachsen!“

„Pfui, Ludwig! Wie kannst Du das heiligste Gefühl in der Menschenbrust so verspotten!“

„Still, Du girrender, liebeskranker Schäfer; ich könnte Dir Namen nennen, die Dich erblassen machen würden! Also Du kommst heut Abend nicht?“

„Nein, nicht zu Dir! Aber zu ihr werde ich eilen, zu der göttlichen Frau, die mich in ihren wunderbaren Kreis gebannt hat, deren Athem mich wie Wohlgeruch aus tausend Blumenkelchen anweht, deren Stimme himmlische Sphärenmusik, deren Gang schwebender Götterschritt ist.“

Damit stürzte er hinaus; ich folgte ihm unbemerkt. Als ich ihn über den Gensd’armenmarkt eilen sah und ihn bald darauf, wilde Phantasiestücke auf dem Flügel spielen hörte, war ich für den Augenblick beruhigt und kehrte zurück. Der Tag neigte sich zu Ende; die Sonne färbte die Kuppeln der Gensd’armenthürme mit ihrem scheidenden Strahle. Ich begab mich in meiner Verkleidung zu Frau von Z., welche eins der schönsten Quartiere im Reimerschen Hause in der Wilhelmsstraße bewohnte.

„Ist Frau von Z. zu Hause?“ fragte ich den Portier.

„Ja wohl, Herr Kammergerichtsrath!“ lautete die Antwort. „Bemühen Sie sich gefälligst in den Garten.“

Ganz schlecht ist Deine Verkleidung also nicht, wenigstens den Alten hast Du getäuscht! sprach ich zu mir und trat in den Garten. Ich fand die Dame auf einer Bank sitzen, sie war in tiefen Gedanken; eine feierliche Stille herrschte unter den hohen Bäumen, deren Wipfel noch im Abendroth glühten, während der Mond schon die Schatten der schlanken Stämme auf den Rasen warf. Als ich mich näherte, weckte der verrätherische Kies die Dame aus ihren Gedanken.

„Verzeihung, tausendmal Verzeihung, gnädige Frau, wenn ich Sie in dieser süßen, trauten Stille störe! Hier, dies ungestüm pochende Herz treibt mich rastlos umher, treibt mich gegen Ihren Willen hierher; es sucht Sie und nur Sie, wär’s auch nur, um Ihnen guten Abend zu sagen und um Ihren holden Augen süßen Schlummer für die herrliche, duftige Sommernacht zu wünschen!“

„Ich danke Ihnen, Herr Kammergerichtsrath! Mein Herz nimmt nicht so hohen Flug; es acceptirt Ihre Wünsche bestens und erwidert sie höchst prosaisch mit „angenehme Ruh’, mein Herr!““

„O wie hart, wie grausam klingt dieser Wunsch aus Ihrem Munde! Meine Augen schließen sich, seit sie die Perle der Frauen Berlins gesehen haben, nicht mehr zu erquickendem Schlummer. Gestatten Sie mir, gnädige Frau, wenigstens während einer flüchtigen Abendstunde mein Elend zu vergessen.“

„Wenn Sie mir versprechen, kein Wort mehr von Liebesschmerzen und schmachtendem Herzen, von strahlender Sonne und himmlischer Wonne in den Mund zu nehmen, will ich Ihnen die Erlaubniß geben, eine Tasse Thee bei mir einzunehmen.“

„Ich verspreche Alles, süßeste der Frauen! O, Ihre Nähe macht ja schon glücklich.“

„Sie sündigen gegen Ihr Versprechen, indem Sie es ablegen,“ sprach lächelnd Frau von Z. Dann fuhr sie fort: „Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, Herr Rath; ich habe vergessen, dem Diener einen nöthigen Befehl zu geben.“

„Verzeihen Sie, gnädige Frau, wenn ich so unbescheiden bin zu fragen, zu wem Sie den Diener schicken wollen. Ich vermuthe, Sie wollen ihn zu mir schicken, und möchte Ihnen gern den Weg ersparen.“

Bei diesen Worten nahm ich die Perrücke ab. Frau v. Z., vor Erstaunen außer sich, rief aus: „Wie? täuschen mich meine Augen? Sie sind nicht der Kammergerichtsrath, sondern Herr Devrient?“

„Habe ich meine Rolle gut gespielt, gnädige Frau?“

„Ausgezeichnet! Aber Sie haben mich entsetzlich geängstigt! So toll hat’s ja der Kammergerichtsrath kaum gemacht!“

„Sie werden mich entschuldigen, wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie nur auf diese Weise von der Ihnen lästigen Zudringlichkeit meines Freundes befreien kann; denn ein Dämon kann nur durch den anderen ausgetrieben werden.“

„Herrlich,“ sagte Frau von Z., „das wird einen königlichen Spaß geben! Aber werden Sie dem armen Kammergerichtsrath nicht einen Todesschrecken einjagen?“

„Der Schreck wird ihn hoffentlich curiren. Wenn Sie jedoch meinen, daß ich dem armen Kammergerichtsrath zu hart mitspiele, so haben Sie nur zu befehlen, und ich gehe.“

„Bitte, bitte, Herr Devrient; bleiben Sie! Ich weiß keinen anderen Weg, um aus der peinlichen Situation zu kommen.“

In diesem Augenblicke war der wirkliche Hoffmann heftig und verstört über das Quarré des Hofes geeilt und die Treppe hinaufgestolpert; wir hörten ihn den Portier fragen: „Ist Frau von Z. zu Hause?“

„Na nu,“ antwortete dieser verwundert, „habe ich Ihnen, Herr Kammergerichtsrath, denn nicht bereits vor einer Viertelstunde gesagt, daß die gnädige Frau im Garten sei?“

„Er ist ein Narr!“ Mit diesen Worten fuhr Hoffmann auf den alten Mann los und stürmte an ihm vorüber in den Garten.

Ich hatte mich verabredeter Maßen etwas zurückgezogen, um Hoffmann, dessen Aufmerksamkeit durch jene unvorsichtige Aeußerung des Portiers möglicher Weise geweckt sein konnte, jeden Argwohn zu benehmen. Dies gelang. Frau von Z. ließ ihn gewähren, und Hoffmann entfaltete vor ihr den bunten, prahlenden Pfauenschweif seiner Galanterie. Seine Exaltation stieg mit jeder Minute; eben war er im Begriff, sich seiner Angebeteten zu Füßen zu werfen, als ich hinter einem Baume hervortrat. Das Geräusch meiner Schritte hatte ihn gestört. Ich hatte Sorge getragen, daß das volle Licht des Mondes mich beleuchtete, sodaß Hoffmann, als er mich erblickte, wie angewurzelt stehen blieb.

„Was ist das?“ fragte er entsetzt, und die Haare stiegen ihm zu Berge. „Bist Du ein Teufelsspuk, der mich necken will?“ rief er mit stammelnder Zunge mir zu.

„Mit wem reden Sie, Herr Kammergerichtsrath?“ fragte Frau von Z., indem sie sich gleichgültig nach allen Seiten umsah.

„O gnädigste Frau, sehen Sie denn nicht dort den Doppelgänger meines eignen Ich’s?“

„Sie scherzen, Verehrtester! Ich sehe nichts als den Mondschein auf dem Rasen.“

„Ich beschwöre Sie, sehen Sie noch einmal und genau hin! Sehen Sie nicht das Phantom dort, wie es jede meiner Bewegungen nachmacht?“

„Herr Rath, Sie treiben den Scherz zu weit!“

„Gnädige Frau, ich scherze nicht in dieser Stunde und vielleicht niemals mehr; es ist fürchterlicher Ernst.“

„Nein, das ertrage ich nicht länger, Herr Kammergerichtsrath! Erst langweilen Sie mich mit tollen Liebeserklärungen, die, wenn mein Gemahl sie gehört hätte, eine schreckliche Scene hervorrufen würden; und nun quälen Sie mich gar mit noch tolleren Phantasien.“

„Gnädige Frau,“ sprach bleich und bebend Hoffmann, „ich werde Sie nie wieder mit tollen Liebeserklärungen heimsuchen, nur bannen Sie das Gespenst dort, über das Sie allein Gewalt haben können, bannen Sie meinen Doppelgänger in ewige Nacht zurück. Träfe ich ihn noch einmal, so wär’s mein Tod!“

Damit stürzte er in wilder Eile aus dem Garten; oben auf der Terrasse blickte er sich scheu um, ob ihm sein Doppelgänger nicht nachfolge. Keines Wortes mächtig ließ er den Portier, welcher ihn erwartete und fragte, ob er Frau von Z. gesprochen habe, verblüfft über die eilige Flucht stehen, und erreichte athemlos und verstört seine Wohnung. Erst nach einigen Tagen sah ich ihn wieder. Niemals hat er von diesem Abenteuer gesprochen; niemals ist er wieder Frau von Z. lästig gefallen.“

„Die Geschichte ist erst nach seinem Tode ruchbar geworden,“ sagte der Arzt, „und zwar durch Frau von Z.“

„Sie hatte mir das feste Versprechen gegeben,“ fügte Devrient hinzu, „bei Lebzeiten Hoffmann’s das tiefste Schweigen über den Vorfall zu beobachten.“

„Sie hat Wort gehalten! Aber wie gelang es Ihnen, den Portier zu täuschen?“ fragte der Arzt.

„Frau von Z. gab dem alten Manne einen Auftrag, der ihn auf einige Augenblicke aus seiner Loge entfernte. Diesen Moment benutzte ich, um mich unbemerkt zu entfernen.“

„Und damit genug für heute!“ sagte der Kammergerichtsrath.

Die Gesellschaft brach auf; Devrient wurde nach Haus gebracht. [427] Unter den lebhaftesten Vorwürfen seiner zweiten Frau, denen er eine stoische Ruhe entgegensetzte, ging er zu Bett, betete sein Vaterunser, wie er es seit seinen Kinderjahren gewohnt war, und schlief ein.

II.

Am andern Morgen – die Weinstube von Lutter und Wegner war eben gereinigt und gelüftet – fand in derselben eine ernste Berathung zwischen den Besitzern derselben statt.

„Du magst sagen, was Du willst,“ sprach Lutter, „wir können es nicht länger so mit ansehen; wir müssen Devrient an seine Schuld mahnen.“

„Aber, Bester,“ lautete die Antwort, „habe doch Geduld. Ist denn nicht erst im October vorigen Jahres durch die Gnade des Königs Alles bezahlt worden?“

„Gott segne Se. Majestät dafür!“ sagte Lutter, „aber das geschieht nicht alle Tage.“

„Herzensfreund, machen wir denn nicht ein ganz gutes Geschäft, auch wenn Devrient gar nichts bezahlt?“ fragte Wegner seinen Compagnon. „Ist er’s nicht, der Abends unsre Weinstube füllt?“

„Man hört es Deinen Worten an, daß Du selbst ein arger Trinker bist, der sich den Kuckuk um das Gedeihen der Wirthschaft kümmert. Denk’ nur an Hamburg und an das schöne Geld, welches Du von dort mitbringen solltest, als Devrient Gastrolle auf Gastrolle vor stets überfülltem Hause gab! Was war das Ende vom Liede? Statt Geld zu erhalten, mußte ich, nachdem Ihr etliche tausend Mark losgeschlagen hattet, noch zweihundert Thaler nachschicken, um Euch auszulösen!“

„Ja, ja,“ lachte Wegner, „wir haben ein fideles Leben am Alsterbassin geführt, und die Hamburger haben noch lange von uns zu erzählen gewußt! Und doch sind wir nicht bankerott geworden! Wie viel beträgt denn gegenwärtig der Bettel?“

„Da haben wir’s! Vierzehnhundert Thaler nennt mein liebenswürdiger Socius einen Bettel!“

„Wahrhaftig, schon wieder 1400 Thaler? Bruderherz, das kann Devrient von seiner knappen Gage nicht zahlen!“

„Knappe Gage? erhält er nicht jährlich 2800 Thaler?“

„Ein Lumpengeld für solchen Mann! Ein Minister für 10,000 Thaler findet sich alle Tage; aber sie werden lange suchen müssen, ehe sie einen Ludwig Devrient wieder finden! Sei gescheidt, Lutter, und nimm meinen Vorschlag an: machen wir einen großen Strich durch Devrient’s Rechnung.“

„Ein köstlicher Vorschlag das!“ eiferte Lutter, „da möchte man ja gleich aus der Haut fahren.“

In dieser Weise wurde das Gespräch fortgeführt, bis endlich, wie sehr sich auch Lutter’s vertrocknete Geschäftsseele dagegen sträubte, nach langer Debatte festgesetzt wurde, von Devrient’s Rechnung die Hälfte der Summe, im Betrage von 700 Thalern, zu streichen.

Unmittelbar nachher schickte Lutter den Oberkellner zu Devrient, um ihm obigen Entschluß mitzutheilen, und ihn an die Zahlung der noch bleibenden 700 Thaler zu erinnern. Louis richtete seinen Auftrag in schonender Weise aus. Devrient hörte ihn schweigend an, schnitt, nachdem jener aufgehört hatte, ein höchst ergötzliches Gesicht und sagte endlich mit seinem unverwüstlichem Humor: „So? Dein Herr, der Pfennigfuchser, hat die außerordentliche Gnade gehabt, die Hälfte der Weinschuld zu streichen? Das ist Wegner’s Geschoß! Nun, ich nehm’s dankbar von Freundeshand an. Aber jetzt, Louis, gieb Acht und melde Deinem Herrn Lutter, daß, wenn er die eine Hälfte gestrichen hat, ich hiermit die andere streiche.“

Damit riß er die Rechnung mitten durch, stand auf, holte aus der Ofenröhre, denn diese vertrat Devrient’s Geldspinde, ein gutes Trinkgeld, drückte es dem ganz verdutzten Kellner in die Hand und sprach: „So, nun geh’, Louis, empfiehl mich Deinem Herrn. Ich werde gleich nachkommen.“

Wer Devrient wenige Minuten nachher in die Weinstube hätte eintreten sehen, würde in der gebrechlichen Gestalt, zu welcher er in der frühen Morgenstunde zusammengeschrumpft war, nimmermehr den lebenslustigen, liebenswürdigen Zechgenossen vom gestrigen Abend erkannt haben.

„Louis, einen Gift!“ rief Devrient.

Unter diesem Namen pflegte er einen überaus starken Liqueur zu fordern, um seine ermatteten Lebensgeister anzuregen. Mit zitternden Händen griff er nach dem Glase und stürzte dessen Inhalt mit einem Male hinunter: dann schüttelte er sich und rief:

„Louis, einen Lafitte!“

Mit jedem Glase, das er von diesem edlen Gewächs hinunterstürzte, streckte sich die wie zu einem Fiedelbogen zusammengezogene Gestalt des großen Histrionen, bis er bei der zweiten Flasche völlig aufthaute. Nun kam Leben in die frostige Gestalt; hoch aufgerichtet saß er da; aus seinen Augen leuchtete jugendliches Feuer, auf seinen Mienen lag unendliches Wohlbehagen, und er war wieder der alte liebenswürdige, von Witz und Heiterkeit sprudelnde, von Allen verehrte, von Niemand beneidete oder gehaßte Künstler.

Noch war Niemand außer ihm in der Weinstube, in welche die Morgensonne durch die Jalousien neugierig hineinlugte. Nach etwa einer Stunde trat ein zweiter Gast ein, dem man an seinem ganzen Habitus den heruntergekommenen Schauspieler ansah. An der übergroßen Höflichkeit, mit welcher er bei Louis nach Herrn Devrient fragte, erkannte des Kellners geübtes Auge einen Hülfesuchenden; er hatte nicht übel Lust, ihn abzuweisen, doch wagte er es nicht, da Devrient schon aufmerksam geworden war.

„Dieser Herr wünscht Sie zu sprechen!“ Mit diesen Worten führte Louis den Fremden zu Devrient.

Ohne nach dem Namen des Angekommenen zu fragen, bat Devrient den Fremden, Platz zu nehmen, und bald saßen Beide in tiefem Gespräche beisammen. Der Fremde zeigte sich als wohlunterrichtet. Der dritten Flasche folgte die vierte, aber während jener, ein ächter Dionysosjünger, in langen Zügen schlürfte, nippte dieser nur von dem Rothwein; es saß ihm etwas auf dem Herzen, was nicht recht herunter wollte. Endlich faßte er Muth und sagte:

„Herr Devrient, ich habe gehört, daß Sie vielfach von unseren Kunstgenossen in Anspruch genommen werden; verzeihen Sie deshalb, wenn schon wieder ein Unglücklicher es wagt, Sie um eine Unterstützung zu bitten.“

„Herr College,“ antwortete Devrient, „kommen Sie endlich mit der Sprache heraus! Ich mag das lange Drucksen nicht leiden! Was ist’s mit Ihnen?“

„Ach, es ist eine klägliche Geschichte,“ lautete die Antwort. „Vor vierzehn Tagen habe ich ein ganz gutes Engagement in Posen erhalten.“

„Nun, und das nennen Sie kläglich?“

„Ich habe mich wohl in meiner Befangenheit undeutlich ausgedrückt. Ich wollte sagen, daß ich in einer gar traurigen Lage bin, weil ich nicht nach Posen kommen kann.“

„Was hindert Sie an der Reise?“

„Meine Geldmittel sind mir ausgegangen. Als ich vor mehr denn acht Tagen hier ankam, wurde mir das eine meiner Kinder so schwer krank, daß ich im Gasthofe liegen bleiben mußte. Arzt, Apotheke und Hotelrechnung haben jetzt meine letzte Baarschaft aufgezehrt; seit gestern habe ich und meine Familie nichts genossen.“

„Louis, ein Beefsteak für den Herrn!“ rief Devrient. „Soweit,“ setzte er hinzu, „reicht mein Credit schon noch, um Sie satt zu machen; aber damit ist’s auch zu Ende, Herr College!“

„O sagen Sie das nicht, bester Herr! denn auf Sie habe ich meine letzte Hoffnung gesetzt. Ich beschwöre Sie im Namen der Kunst, der Sie huldigen, im Namen alles Heiligen, für das Ihr edles Herz schlägt, mir zu helfen!“

„Herr College! Wenn ich in der That Ihre letzte Hoffnung bin, so sieht es schlimm mit Ihnen aus. Meine Gage reicht selten über die erste Hälfte des Monats hinaus, und heute ist, wie Sie wissen werden, bereits der 24. April.“

„Sie haben Credit, Herr Devrient! Der größte Schauspieler Deutschlands wird doch in seiner Vaterstadt 20 oder 30 Thaler auftreiben können, um eine unglückliche Familie zu retten!“

[443] „Credit?“ sagte Devrient nicht ohne einen Anflug von Bitterkeit zu dem Schauspieler. „Ich werde Ihnen beweisen, wie sehr Sie sich geirrt haben, Louis!“ rief er. „Kannst und willst Du mir 30 Thaler leihen?“

„Thut mir leid, Herr Devrient,“ lautete die höfliche Antwort; „ich bin nicht im Besitze einer solchen Summe.“

„Gut, so geh’ und bitte Deinen Herrn darum. Ich brauch’s nicht meinetwegen, sondern um ein gutes Werk zu thun.“

Der Kellner ging und brachte nach kurzer Zeit eine abschlägige Antwort.

„Da haben Sie’s!“ lachte Devrient. „Jetzt werden Sie überzeugt sein, daß es an meinem guten Willen nicht liegt, wenn ich Ihnen nicht helfen kann.“

„Das ist hart,“ sagte der Fremde; „ich habe Brod und gute Versorgung für mich und meine Familie in der Tasche, und kann nicht fort von hier! Die unglückliche Anna,“ fuhr er halb im Selbstgespräche, halb laut fort, „es wird ihr Tod sein!“

Der Name Anna hatte auf Devrient wie mit elektrischer Kraft gewirkt; er fragte: „Heißt Ihre Frau Anna?“

„Ja! Anna R., geborne H.,“ lautete die Antwort. „Kennen Sie dieselbe vielleicht?“

Devrient biß sich aus die Lippe, aber antwortete nicht. Anna H. war seine erste und einzige Liebe gewesen.

Indessen hatte der Kellner das befohlene Essen servirt. Während sich R. mit wahrem Heißhunger darüber hermachte, das saftige Beefsteak zu verzehren, ließ Devrient, das Haupt auf die [444] Hand gestützt, einige Bilder aus seiner Vergangenheit vor seinem Geiste vorüberziehen. Er sah sich in fröhlicher Gesellschaft in Dessau. Man bestieg einen Wagen und rollte zum Thore hinaus nach dem Wörlitzer Garten. Ihm gegenüber saß Anna H., damals ein blühendes, lebhaftes Mädchen, für welches Devrient mit aller Gluth der Leidenschaft, aber als ein echter deutscher Jüngling im Stillen schwärmte. Wenn Anna in ihrer Lebhaftigkeit sich umkehrte und Devrient’s Knie berührte, zuckte es ihm durch alle Glieder und über seine Wange jagte eine flüchtige Röthe. Der Wagen hielt endlich. Man stieg aus und begab sich nach den zierlichen Gartenanlagen, für welche ein Satiriker die bekannte Inschrift erfunden hat:

Von hoher Obrigkeit wird gebeten,
Man möge hier nicht die Berge zertreten.
Hunde dürfen hier auch nicht laufen,
Damit sie nicht die Bassins aussaufen;
Höchst strafbar aber würd’ es sein,
Steckte Jemand einen Felsen ein!

Devrient faßte sich an dem schönen Frühlingstage ein Herz und bot der Dame seines Herzens den Arm. Ohne es zu wollen, wandelte das Paar einsame Gänge, und in einem blühenden Fliedergebüsche wechselten sie unter dem Flöten der Nachtigall heilige Gelübde und Liebesschwüre. Doch die Seligkeit sollte nicht von Dauer sein. Devrient verließ Dessau, um sich in Breslau eine Stätte seines Ruhmes zu gründen. Der Abschied hatte ihn schmerzlich bewegt; wie schlug sein Herz, wenn er in weiter Ferne mit banger Ahnung an die theure Braut dachte! ihr gehörte sein ganzes Denken und Thun, ihr weihte er seines Ruhmes Kränze, dessen Bedeutung bald in ganz Deutschland erkannt wurde. Ach! bald fiel ein giftiger Thau auf die zarte Blüthe seines Herzens. Seine Braut verrieth ihn. Ein kalter Absagebrief erstickte mit seinem Winterfroste die frischen Lebensquellen des aufstrebenden Mannes.

Heut zum ersten Male sah Devrient den Glücklichen vor sich, der ihm seine erste und einzige Liebe geraubt und seinem Herzen unsägliches Weh bereitet hatte. Ein Gefühl des Stolzes und der Befriedigung kam über ihn, und eine Stimme in seinem Herzen flüsterte: „Du bist gerächt!“ Aber nur einen Moment überkam ihn dies Gefühl; er bemeisterte mit gewaltiger Anstrengung seine Schwäche, und mit wohlwollender Theilnahme erwog er bei sich die Mittel zur Rettung derjenigen, die ihn einst verraten hatte.

Der Hunger des Fremden war gestillt. Mit unverstellter Rührung sagte R. dem freundlichen Geber herzlichen Dank und fügte hinzu: „So will ich mich denn meinem harten Geschicke mit Würde und Gleichmuth der Seele unterwerfen! Meiner Frau aber werde ich sagen, was für einen edlen Mann ich in Ihnen gefunden habe.“

„Weiß sie um diesen Weg zu mir?“ fragte Devrient.

„Kein Wort!“ erwiderte R., „denn bisher habe ich nicht den Muth gehabt, ihr unsere trostlose Lage zu entdecken.“

„So hören Sie! Wenn Sie mir versprechen, jedem, selbst Ihrer Frau, meinen Namen zu verschweigen, bin ich bereit, Ihnen aus der Noth zu helfen.“

„Wie? wär’s möglich? So hätten Sie doch noch einen Ausweg und Hülfe gefunden?“

„Still!“ sagte Devrient, „Sie reden zu laut und machen jene Herren, welche eben eingetreten sind, auf uns aufmerksam. Hier, nehmen Sie diese Uhr und machen Sie dieselbe zu Geld! Sie ist mir zwar ein theures Angedenken, aber ich glaube sie im Sinne des Gebers zu verwenden, wenn ich sie Ihnen übergebe.“

Bei diesen Worten zog Devrient seine goldene Uhr aus der Tasche, häkelte die schwere goldene Kette los und übergab beides, Uhr und Kette, seinem unglücklichen Collegen.

Dieser war außer sich; halb betäubt saß er da, jeder seiner Gesichtsmuskeln zuckte, in seinen Augen standen helle Thränen; endlich sagte er mit fast erstickter Stimme: „O, Sie bester unter den Menschen! Ich kann und darf Ihr edelmüthiges Geschenk nicht ausschlagen; aber Sie haben es keinem Undankbaren gegeben und sollen von mir hören! Einstweilen leben Sie wohl und getrösten Sie sich des erhebenden Gedankens, eine Familie vom Untergange errettet zu haben.“

Damit stand er auf, drückte fest und treu Devrient’s Hand, indem eine Thräne aus seinem Auge auf dieselbe rollte, und eilte fort. Devrient aber saß da und beschaute still und sinnend die Thräne auf seiner Hand; sein Herz war ihm zum Zerspringen voll, und unwillkürlich brach er in die Schmerzensworte König Lear’s aus:

Auf solche Opfer, o Cordelia, streun
Die Götter selbst den Weihrauch. Hab’ ich dich?
Wer uns will trennen, muß mit Himmelsbränden
Uns scheuchen, wie die Füchse. Weine nicht! –

Das war einer der glücklichsten Tage aus Devrient’s Leben.




III.

Woche auf Woche war seit jenem Tage verflossen; der fremde Schauspieler hatte nichts von sich hören lassen. Devrient hätte in der täglichen Aufregung den erwähnten Vorfall längst vergessen gehabt, wenn seine Frau nicht tagtäglich dafür gesorgt hätte, ihn daran zu erinnern. Längst schon hatte sie Verdacht geschöpft, daß ihres Mannes Aussage, er habe die Uhr dem Uhrmacher zur Reparatur übergeben, eine Erfindung sei, um sie zu täuschen; endlich hielt sie es nicht länger aus und eilte zum Uhrmacher.

„Herr Steinmann,“ sprach sie, als sie in den Laden trat, „ist meines Mannes Uhr, welche er Ihnen zur Reparatur übergeben hat, noch nicht ausgebessert?“

„Das muß wohl ein Irrthum sein, Madam Devrient,“ lautete die Antwort; „mir hat Ihr lieber Mann keine Uhr zur Reparatur übergeben.“

„O ich unglückliche Frau,“ jammerte jene. „Alles, was Geld heißt und Geldeswerth hat, jagt der Säufer durch seine Kehle; aber an seinen Hausstand und an seine Hausfrau denkt er nicht.“

Der Uhrmacher zuckte die Achseln; er kannte Devrient’s Haustyrannin zu gut, als daß er Lust verspürt hätte, das Gespräch mit ihr fortzusetzen.

Mit den Worten: „Na warte, den Streich werde ich Dir gedenken!“ stürzte sie aus dem Laden und begab sich in die Lutter’sche Weinstube, in der sie niemand als den Oberkellner vorfand. Sie interpellirte denselben lebhaft und war nicht wenig erfreut, als er ihr nach einigem Besinnen den wahrscheinlichen Verbleib der Uhr angeben konnte. Vergeblich aber forschte sie nach dem Namen des „Bettlers und Beutelschneiders“, wie sie ihn nannte, und schließlich blieb ihr nichts übrig, als unverrichteter Dinge nach Haus zu gehen.

Devrient stand, um einen vulgären Ausdruck zu gebrauchen, stark unter dem Pantoffel. Er ließ auch jetzt das Ungewitter geduldig über sich ergehen, ohne sich zu verantworten oder zu entschuldigen. Indessen grade dies hartnäckige Schweigen gereichte seiner zungenfertigen Frau zum größten Aergerniß und fachte besonders heute ihre Wuth stets neu an. Aber wie jeder Sturm aufbraust, so nahm auch diese Philippica ihr Ende. Als das Wetter ausgetobt hatte, nahm Devrient Hut und Stock und sagte beim Fortgeben zu seiner Frau:

„Es ist mir nur lieb, daß ich durch Dich erfahren habe, wo meine Uhr geblieben ist; ich hatte die Geschichte längst vergessen.“

Diese mit einem unnachahmlichen Phlegma gesprochenen Worte reizten die Frau zu einem neuen Zornesausbruche, dem Devrient aber dadurch entging, daß er die Thür hinter sich in’s Schloß warf; er steuerte seiner geliebten Weinstube zu. Es war im Juni, der Tag unerträglich heiß; jeder hatte das Freie gesucht, nur drei treue Genossen saßen da und erwarteten Devrient’s Ankunft. Es war der Kammergerichtsrath und der Doctor, welche uns schon aus dem ersten Capitel bekannt sind, und ein alter Jugendfreund Devrient’s, Namens Schulze.

Nachdem Devrient Platz genommen und wie die Anderen Rock und Halsbinde abgelegt hatte, sprach er: „Wie wär’s, Freunde, wenn wir bei der heutigen afrikanischen Hitze unseren Sect draußen unter freiem Himmel tränken?“

„Angenommen! einverstanden!“ lautete die Antwort.

„He, Louis!“ sagte Devrient, „in einem Stündchen, wenn’s draußen dunkel geworden sein wird, bringst Du unsern Tisch, vier Stühle und eine Flasche Sect drüben nach dem Gensd’armenmarkt.“

„Weiß schon!“ erwiderte der Kellner. „Soll ich auch die „Obrigkeit“ bestellen, Herr Devrient?“

„Wird nicht schaden,“ sprach Devrient lachend; „bestelle sie nur in Gottes Namen. Doch jetzt bring’ uns eine frische Flasche Sect!“

[445] Als Louis diesem Befehle nachgekommen war, stellte er neben den Eiskübel ein Kistchen auf den Tisch.

„Was soll das?“ fragte Devrient.

„Der Postbote hat das Kistchen bei uns abgegeben,“ antwortete der Kellner. „Sehen Sie, hier ist die Adresse: Herrn Devrient, königlichem Hofschauspieler in Berlin. Abzugeben in der Weinhandlung von Lutter und Wegner, Charlottenstraße.“

„Gieb Acht, Devrient,“ sprach Schulze, „das wird eine Ueberraschung geben!“

„Wenn’s nur kein Geheimniß ist!“ fügte der Doctor lachend hinzu. „Werden wir auch bei der Eröffnung zugegen sein dürfen?“

„Von Herzen gern,“ antwortete Devrient; „ick habe vor Euch keine Geheimnisse. Louis, bring’ Hammer und Zange her!“

Während Devrient das Kistchen öffnete, schauten Alle neugierig zu; keiner aber war neugieriger als der Empfänger selbst.

Jetzt nahm er den Deckel ab – und vor seinen Augen lag, sorgfältig in Watte verpackt, die uns bekannte Uhr und Kette.

„Das ist brav!“ sprach Devrient. „Ich hab’s auch nicht anders erwartet.“

„Was hast Du nicht anders erwartet? Erzähle, erzähle!“ rief der Chorus der Zecher, und Devrient mußte wohl oder übel den Hergang erzählen.

Bei dieser Erzählung traten Schulze, der wie Devrient eine weiche Natur war, die Thränen in die Augen. Als Devrient geendet hatte, drückte jener ihm herzlich die Hand, während der Kammergerichtsrath in dem Kistchen umherstöberte.

„Halt,“ rief der Letztere plötzlich, „da liegt ein Brief auf dem Boden des Kistchens; hier ist er!“ Er hielt ihn hoch in die Höhe.

„Vorlesen, vorlesen!“ hallte es wieder im Chorus.

Devrient kam dem Verlangen nach und las:

„Verehrter Herr!

Als Sie vor zwei Monaten auf so liebenswürdige, ja wahrhaft rührende Weise das Einzige hergaben, was Sie besaßen, um mich und meine Familie vom Untergange zu erretten, haben Sie sich ein Denkmal in unseren Herzen errichtet, welches dauernder sein wird als Erz und Marmor. Wir gedenken Ihrer täglich, und meine Frau schickt mit den Kindern allabendlich für den unbekannten Geber und Wohlthäter Bitten und Gebet zu Gottes Thron empor. O, warum untersagten Sie es mir, je Ihren Namen den Meinigen zu nennen! Kaum habe ich es vermocht, den stürmischen Bitten und Fragen derselben zu widerstehen; nur der Gedanke, undankbar zu erscheinen, hat mir die nöthige Kraft gegeben zu schweigen.

Mein Herz ist voll des Dankes, und wenn ich dennoch meinen Gefühlen nur einen schwachen Ausdruck zu geben vermag, so werden Sie, theurer Mann, der in die tiesften Tiefen der menschlichen Brust geblickt hat, den Mangel der Worte mit der Tiefe der Empfindung entschuldigen; die höchsten Affecte der Seele machen ja den Menschen verstummen. Es wird und muß für Sie ein erhebendes Bewußtsein sein, uns von Sorgen befreit und in glücklicher Lage zu wissen; ist doch das Alles Ihr Werk. Gottes Segen für Zeit und Ewigkeit auf Sie herabflehend bin ich      Ihr stets ergebener

R…“     

Nachdem Devrient geendet hatte, fuhr er mit der Hand über die Augen und sprach: „Freunde, Ihr seid Alle weich geworden und schmelzt dahin wie Butter an der Sonne. Nehmt die Gläser zur Hand und trinkt herzhaft eins! Kommt Euch aber einmal Jemand in den Weg, der unglücklich ist und Eurer Hülfe bedarf, so thut mir’s nach; und könnt Ihr dabei feurige Kohlen auf das Haupt eines Unwürdigen sammeln, um so besser!“

Das Gespräch wurde heiter, Devrient würzte es mit manchem Scherzworte, und schnell war eine Stunde vergangen.

„Jetzt möchte es an der Zeit sein, uns in’s Freie zu begeben,“ sagte der Rath. „Die „Obrigkeit“ ist von ihrer ersten Wanderung zurück und gewiß gern bereit, auf die „Devrient’s-Wache“ zu ziehen.“

Gesagt, gethan. Tisch und Stühle, Flaschen und Gläser wurden auf den Gensd’armenmarkt gebracht, woselbst die nächtlichen Zecher im Halbcostüm ihre gemüthliche Kneiperei fortsetzten. Geschirmt wurden sie von der „Obrigkeit“, d. h. von den in der Nähe angestellten Nachtwächtern, von welchen jeder mit einem Quart Wein beschenkt wurde. War’s nun der Haut-Sauternes, welcher das obrigkeitliche Gewissen und den Verstand der Nachtwächter schärfte, oder war’s angeborenes Talent, genug, die Devrient’s-Wache wußte nicht nur jede Störung der vier Zecher zu verhüten, sondern auch ihrer anderweitigen Verpflichtung nachzukommen.

Voll Witz und Laune wußte Devrient die warme Sommernacht hindurch seine Zechgenossen in heiterer Stimmung zu erhalten; er erzählte von seiner Lehrzeit, wie er in Potsdam Seide gehaspelt, Knöpfe besponnen, Fransen und Troddeln kunstgerecht gearbeitet habe, und begleitete seine Erzählung mit so treffender Pantomime, daß sich seine Zuhörer vor Lachen ausschütten wollten. Am glücklichsten war er immer, wenn er, wie heute, den „Herrn Meester un de Frau Meesterin“ auftreten ließ; er zeichnete Beide, den brummigen Posamentier und seine keifende Ehehälfte, mit einer Treue und Wahrheit, und sein unerschöpflicher Humor wußte ihrem Familienleben so viel komische Seiten abzugewinnen, daß keine seiner Glanzrollen auf dem Theater diese Leistung einer improvisirten nächtlichen Posse übertroffen hat.

Sich selbst persiflirte er dabei als „dämligen Lehrjungen“, mit welchem Lieblingstitel ihn die „Meesterin“ einst zu beehren pflegte, auf höchst drastische Weise, und ein homerisches Gelächter begleitete den Schluß seiner Mittheilungen, als er die Worte citirte, welche seine Meisterin bei ihrem letzten Zornesausbruche, ehe er aus der Lehre gelaufen, wie eine wahrsagende Sibylle an ihn gerichtet hatte, „er werde nicht nur ein großer Theaterheld, sondern ein noch größerer Pantoffelheld werden.“

Indessen war die Nacht vergangen, der Tag graute, und das letzte Glas ging auf die Neige. War der Geist der Zecher auch noch willig, war das Fleisch doch schwach geworden. Mit lallender Zunge rief man nach der „Obrigkeit“, welche ihrer Instruction gemäß die Nachtschwärmer nach Haus brachte.

Devrient aber schlief diesmal ein, ohne von Seiten seiner Frau eine donnernde Philippica zu hören. Dies seltene Glück verdankte er der verloren geglaubten Uhr, deren Schläge – Devrient ließ, ein guter Feldherr, dieselbe repetiren – den bösen Dämon bannten.



  1. Der bekannte originelle Verfasser der „Phantasiestücke“, „Serapionsbrüder“, „Lebensansichten des Kater Murr“, „Fräulein Scudery“ etc. etc