Aus dem Familienleben der Kraniche

Textdaten
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Autor: Joachim von Dürow
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Titel: Aus dem Familienleben der Kraniche
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 606–607
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Pflege und Tod eines verletzten Kranichs
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Aus dem Familienleben der Kraniche.

Der Wirklichkeit nacherzählt von Joachim von Dürow.

Dem Rittergutsbesitzer v. K. auf S. in Ostpreußen wurde eines Tages ein flügellahm geschossener Kranich eingebracht und die Familie, die für allerlei Getier stets ein offenes Herz hatte, empfing den Ankömmling mit Freuden. Man setzte ihn in den umfriedeten Park, in dem das Tier in möglichster Freiheit seine Genesung abwarten konnte, während für die Ernährung in der Art gesorgt war, daß den Jungen des Dorfes für jeden Frosch ein Pfennig zugesichert wurde. Da nahte sich denn manch’ einer, in dessen leinener Hosentasche es bedeutungsvoll krabbelte!

Anfangs vor jeder Annäherung ängstlich fliehend, begann der von Natur so scheue Vogel bald dem Vertrauen in die Menschheit Raum zu geben. In immer engeren Kreisen nahte er sich den Hausbewohnern, und bald fand man es natürlich, daß, sobald die Familie sich in der Veranda versammelte, der Kranich an der zu derselben führenden Treppe Posto faßte. Er nahm Brot und Fleisch ohne Umstände aus der Hand, wobei der scharfe Blick, mit dem er denjenigen fixierte, der sich bei der Fütterung etwa saumselig zeigte, peinlich berührte. –

Nachts über hielt sich der Kranich, der übrigens wie so viele zahmen Haustiere auf den Namen „Hans“ hörte, auf einem Beine stehend im Teiche auf, diesem tagsüber als Pferdeschwemme benutzten Gewässer im Verein mit Mondschein und Wasserrosen zu einer etwas trügerischen Poesie verhelfend. –

Ein geräumiger Verschlag im Schafstall diente als Winterquartier, und mit behaglichem Schnarchen begrüßte der Kranich den täglichen Besuch der Töchter des Hauses, während er sich dem diese begleitenden Teckel oder einem sich etwa vordrängenden Schaf durchaus nicht wohlgesinnt zeigte, insofern ein scharfer Schnabelhieb derlei Leute sofort belehrte, daß sie hier durchaus nichts zu suchen hätten.

Wenn nun auch ein ungewöhnlich zeitiges Frühjahr bald wieder den Aufenthalt im Garten gestattete, so war es mit dem ersten Zug Wandervögel doch um Ruhe und Frieden des Kranichs geschehen; als gar eines Tages ein Kranichzug in der bekannten Dreiecksform über den Garten hinstrich, stürzte der Vogel wie rasend von einer Seite des Parkes zur andern; – er rief, er lockte in Tönen, wie man sie noch niemals von ihm vernommen hatte – bald lang gezogen, bald scharf hinausgestoßen – und siehe da, es kam eine Antwort aus der Luft.

Die Feldarbeiter beobachteten, daß ein Vogel sich von der Kette löste und zurück blieb. Man sah ihn sich auf das hinter dem Garten liegende Brachgefild niederlassen, worauf andern Tages der Gärtner mit der Meldung kam, daß zwei Kraniche sich in den einsamen Gartenpartien ergingen. Der eine sei wegen kleinerer Statur und wegen weniger lebhafter Färbung der Wangen augenscheinlich ein Weibchen.

Der Fremdling blieb da. Jeden Tag sah man ihn, immer von dem alten gelockt, dem Bereiche des Hauses näher kommen, worauf es wie ein Jubelruf durch die Familie ging, als eines Morgens beide Kraniche vor den Stufen der Veranda standen – der Gast jedoch um einige Schritte zurück.

Wie gewöhnlich empfing Hans sein Futter aus der Hand der Hausfrau, warf aber die Fleischstückchen sofort nach rückwärts der Gattin zu, umkreiste sie mit leise lockendem Tone, und erst wenn er sich überzeugt, daß sie nach langem Zögern das Futter aufgenommen, machte er sich selber an die Mahlzeit.

Dieses ritterliche Benehmen hielt Hans übrigens fest, denn niemals war sie zu bewegen, das Futter direkt aus der Hand zu nehmen oder ohne Zureden seinerseits zuzulangen.

Das Zusammenleben beider Tiere wurde nun zu einer Idylle, deren Beobachtung den Sommer für die Familie in angenehmster Weise ausfüllte. – Täglich flog das Weibchen für einige Stunden fort und der Gatte fand sich, dem Freiheitsdrang der Gefährtin Rechnung tragend, geduldig in das Unvermeidliche. Sobald sie sich aber länger als gewöhnlich da draußen aufhielt, bemächtigte sich eine furchtbare Unruhe des [607] Gefangenen; die fettesten Frösche verachtend, jagte und hastete er durch den Garten, bis ein Ruf, meist schon aus weiter Ferne, die Heimkehr der Treulosen verkündete. Sofort änderte sich das Benehmen des Kranichs, und stolz einherwandelnd, trug er eine erhabene Gleichgültigkeit zur Schau; – er strafte sogar die Sünderin durch vollständiges Nichtbeachten ihrer Person, trotzdem sie demütig jedem seiner stolzen Schritte folgte, bis mit der sinkenden Sonne der Tanz der Beiden auch die Versöhnung brachte.

Dieser Tanz wurde folgendermaßen ausgeführt:

Zunächst sprang man mit gleichen Füßen und ausgespannten Flügeln, sich gegenseitig in der Leistung überbietend, einige Minuten lang vor einander in die Luft. Dann jagten die großen Vögel in entgegengesetzter Richtung, wieder mit ausgespannten Flügeln, um ein Boskett, neigten sich tief voreinander, sobald sie sich begegneten, nebenbei durch das schallende Gelächter der Hausbewohner und etwaiger Gäste eher angefeuert als eingeschüchtert. Die Whistpartie, die die biedern Landonkel vereinigte, der Pferdehandel im entscheidenden Augenblick, die Klavierstunde der Töchter, alles wurde unterbrochen, sobald der Ruf ertönte: Die Kraniche tanzen!

Durch die groteske Komik der Sprünge ging dann wieder ein Zug der Galanterie, wenn die Tänzer im Vorbeistürmen eine Blume köpften, sich diese im hohen Bogen zuwarfen und dann sich wieder höflich voreinander neigten.

So ging der Sommer in Lust und Leid dahin, bis mit den ersten Herbstanzeichen der Wandertrieb des Weibchens in bedenkliche Konkurrenz mit der Pflicht trat. Immer länger wurde ihr tägliches Ausbleiben, trotzdem Hans sich keine Mühe mehr gab, seine wachsende Angst und Sorge zu verbergen.

Unruhig streiften die Vögel durch den im Laube schon stark gelichteten Garten als die ersten Oktoberstürme die alten Ulmen schüttelten. Wie dann abermals ein Kranichzug über den Garten gen Süden zog, stieß der fremde Vogel einen scharfen Schrei aus, hob sich im unbezwinglichen Drange des Anschlusses an die Gefährten hoch in die Lüfte empor – und fort war er. –

In wilder Verzweiflung durchbrach der Zurückgebliebene das Gehege des Parkes. Er lief bis in ein nahes Gehölz, in dem es den zu seiner Verfolgung abgesandten Leuten gelang, das sich wie rasend gebärdende Tier nach heftigem Kampfe zu ergreifen; nach hartem Kampfe – denn das rechte Bein war im Gelenk gebrochen und aus dem Halse lief Blut. – Die Kugel von der Hand des Hausherrn brachte der äußern und innern Qual ein rasches Ende. –

Als dann das Brausen des Frühlings wieder durch die Föhren ging und alle die erwachenden Stimmen der Natur das Menschenherz mit Sehnsucht zu füllen begannen, erklang auch wieder der wohlbekannte Ruf, mit dem im vorigen Sommer das Kranichweibchen schon von ferne seine Ankunft zu verkünden pflegte. Hoch über dem Garten sah man sie die Kreise enger und enger ziehen – sie ließ sich nieder, durcheilte die Gänge in wilder Hast, sprach andern Tages noch einmal vor und dann – kam sie nicht mehr.