Aus dem Bereich des Postwesens
Alljährlich zu bestimmter Zeit – gleich dem Mädchen aus der Fremde – erscheinen inhaltreiche, nach einer festen Regel und nach den Principien der neueren wissenschaftlichen Statistik aufgestellte Uebersichten über den Umfang und das Wachsthum des Postverkehrs. Selbst ein Product emsiger und mühevoller Arbeit, welche von der obersten Reichs-Postbehörde in Berlin geleitet wird, stellen diese Uebersichten in einer Unzahl von Ziffern die noch gewaltigere Thätigkeit unserer Postanstalten für die rückliegende Jahresperiode dar, gewissermaßen ein in Lapidarschrift gefaßtes Zeugniß von der kaum übersehbaren Fülle geistiger und materieller Arbeit, welche auf den ausgedehnten Lebensgebieten eines großen Volkes rastlos und unaufhörlich sich vollzieht. Die Architectur dieser Zahlen, so unfaßbar sie anfangs dem unkundigen Auge erscheinen mag, ist doch kaum weniger kunstvoll als die Gliederung einer Spitzbogen-Façade venetianischer Paläste, die sich im Wasser der Lagunen spiegelt, oder als die Filigranstructur der gothischen Dome und Hallen Flanderns. Wie jene schlanken Pfeiler und durchbrochenen Thürme, welche den Reichthum und die glänzende Farbenpracht ihres Zeitalters den Nachkommen in so unvergänglichen Zügen überliefern, zum Himmel emporragen, so bekundet die aufsteigende Linie dieser bedeutsamen Ziffern in nicht weniger monumentaler Klarheit den Aufgang und die Culturblüthe einer Nation, während da, wo niedrige Ziffern erscheinen, entweder ein Stillstand in der Entwickelung eingetreten ist, der auf den nahen Niedergang der Cultur schließen läßt, oder überhaupt die düsteren Schatten der Barbarei noch nicht vom Lichte der Bildung und Gesittung verscheucht worden sind. Beim Anblicke dieser das Leben selbst in seinen zahllosen Verästungen darstellenden Ziffern wird man des Goethe’schen Wortes eingedenk, mit dem Mephistopheles die Gedankenarbeit charakterisirt:
„Wo Ein Tritt tausend Fäden regt,
Die Schifflein herüber, hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.“
Der Tritt, welcher tausend Fäden regt, ist hier der Gedanke und sein Ausdruck: das geschriebene Wort; die Schifflein sind die kaum von der Außenwelt wahrgenommenen Massen der Postsendungen, die in tausend Verbindungen herüber und hinüber fließen, geregelt von einem Schlage, dem Geiste des Fortschritts, dem Genius unaufhaltsamer Entwickelung, dessen Walten die Arbeit der Menschheit inspirirt.
In der That hat die Post einen schönen, herrlichen Beruf zu erfüllen, den nämlich: alle jene tausendfachen Fäden, welche die Menschen an einander ketten, zu knüpfen, zu erweitern und zu erhalten. Daraus ergiebt sich ihr hoher Werth vom allgemein menschlichen Standpunkte. Mit gleicher Gewissenhaftigkeit, gleicher Sorgfalt leiht sie ihre Dienste dem Gedanken des einsamen Forschers wie dem Pompe der großen Haupt- und Staatsactionen, der mühevollen Arbeit des Handwerkers ebenso gut wie der tollen Walpurgisjagd der mit Millionen spielenden Börse oder dem gewaltigen Massenverkehre der Handelsverbindungen und der Industrie; sie dient dem Bettler wie den Mächtigen der Erde; denn sie kennt weder den Unterschied der geistigen noch der materiellen Ueberlegenheit; sie achtet selbst das Kleinste nicht für zu gering.
Von diesem Gesichtspunkte aus ist dem durch die Post vermittelten [342] Briefverkehre mit Recht die Eigenschaft eines Culturwerthmessers beizulegen, und man wird bei den Schlüssen, welche sich aus den Briefziffern für den Kopf der Bevölkerung auf den Bildungszustand und die Culturhöhe einer Nation ziehen lassen, der Wahrheit sehr nahe kommen. Werfen wir hier einen kurzen Rückblick auf das Alterthum, so treten nur einzelne blendende Punkte hervor, auf denen hohe Culturentwickelung reifte, während auf den Umgebungen dunkle Nacht ruhen blieb. Selbst die Aegypter, deren Schreibseligkeit und Schreibgewandtheit aus zahlreichen Ueberlieferungen „hockender Schreiber“ auf ihren Monumenten hervorgeht, dürften kaum eine Briefzahl von 1,07 Briefen für den Kopf, die den Verkehr des heutigen Griechenlands für einen Bewohner jährlich darstellt, aufzuweisen haben; in Assur und Babylon hinderte schon der Charakter der Keilschrift die Entfaltung des Briefverkehrs, der sich noch bei den Persern, die ihre Courierpost wohl von China entlehnten, ausschließlich auf Zwecke der Staatsverwaltung beschränkte. In dem hochgebildeten Hellas war, abgesehen von dem lebhaften brieflichen Verkehre Athens mit seinen Colonien und Pflanzstädten, namentlich in Kleinasien, der schriftliche Gedankenaustausch wenig in Gebrauch; die meisten Nachrichten wurden durch mündliche Botschaften verbreitet, zu deren Ueberbringung schnellfüßige Tagesläufer, Hemerodromen, benutzt wurden. Die Namen der Sieger bei den olympischen und isthmischen Spielen ließ man durch Tauben, welche nach der Heimath zurückflogen, den harrenden Genossen melden. Das alte Rom, welches seine Verträge mit Gabii und Karthago mit eisernen Griffeln auf Ochsenhäute einprägen ließ, wußte nichts vom Briefverkehr, da Sclaven die nöthigen Botendienste ausführten; erst in der späteren Zeit der Republik findet man den Briefwechsel mit Täfelchen in Form von Diptychen (doppelten Tafeln) mehr ausgebreitet. Bekannt sind Cäsar’s Berichte aus dem Felde an den römischen Senat, eine Art antiker Feldpostbriefe, aus denen später die Tageszeitungen (acta diurna) entstanden; daneben war in dieser Zeit auch der private Briefwechsel sehr in Mode; der schreibselige Cicero sandte seinen Freunden von Tusculum, Horaz von Tibur und Lucull von Bajä zahlreiche Briefe, und bei Rangerhöhungen wurde ein glücklicher neugebackener Consul oder Prätor mit Visiten-Diptychen geradezu überschüttet. Der feinsinnige Martial gedenkt in seinen Epigrammen schon der Briefkärtchen (chartae epistolares) und rühmt ihre Erfolge in dem Distichon:
… „ob flücht’gen Bekannten, ob theuren Freunden gesendet,
Alle zu freundlichem Mahl ruft mir das Kärtchen herbei.“
Selbst hierin zeigte sich der Luxus des entarteten Roms; denn man führte schließlich sogar Diptychen von Elfenbein ein. Immer aber waren es nur die vornehmen oder die gelehrten Kreise, welche correspondirten, und es änderte sich hierin auch zur Zeit des Augustus, welcher die römische Staatscourierpost schuf, und Hadrian’s, der sie vervollkommnete, wenig. In dem Wirrwarr der Völkerwanderung gingen diese Culturkeime wieder unter, und es war, abgesehen von Karl’s des Großen Einrichtungen für den Botendienst, von einem Briefverkehre im heutigen Sinne im frühen Mittelalter keine Spur. Erst die oberitalischen und die südwestdeutschen Städtebündnisse, sowie die im dreizehnten Jahrhundert sich mehr und mehr ausbreitenden Handelsverbindungen der nordischen Hansa gaben den Anlaß, Botenverbindungen mit regelmäßiger Briefbeförderung herzustellen, welche als die Vorläufer und Anfänge der modernen, von Ludwig dem Elften von Frankreich und Roger von Taxis begründeten Posteinrichtungen anzusehen sind.
Kehren wir nach diesem flüchtigen Rückblick auf die Entwickelung der Post zu den Uebersichten zurück, von denen unsere Betrachtung ausging, so lassen sich in der Mosaik dieser statistischen Resultate zwei Gruppen klar erkennen, von welchen die Eine den Vergleich zwischen dem Briefverkehr der einzelnen Staaten ermöglicht – also das internationale Gebiet umfaßt –, die Andere aber einen tieferen Einblick in die werkthätige Arbeit des deutschen Volkes gestattet – die nationale Gruppe. Erstere bietet insofern hohes Interesse, als sie einen Maßstab für die Beurtheilung der Entwickelung einzelner Völker abgiebt und zugleich beleuchtet, auf welchem Gebiete jene Völker den anderen voranstehen. Diese Gruppe wird von Großbritannien eingeleitet, das als Chorführer mit 28,47 Briefen auf den Kopf der Bevölkerung erscheint und in dieser bedeutenden Ziffer die gewaltige Entfaltung seines Handels, seiner maritimen Größe und seiner riesigen Industrie erkennen läßt. Den größten Antheil an der kolossalen, aus 1,161.000,000 sich beziffernden Briefzahl Großbritanniens hat die City von London, der die großen Handelsplätze Liverpool, Birmingham, Dublin, Manchester sich anreihen. Sodann folgt die kleine Schweiz, welche mit 20,32 Briefen pro Kopf (absolut 119 Millionen Briefe) einen Rang einnimmt, den sie neben der gewerblichen Blüthe ihres Landes vorwiegend auch dem hochentwickelten geistigen Leben ihrer Universitäten, sowie dem fortdauernden Zusammenströmen der Massen von Fremden auf ihrem gastlichen Boden verdankt. Die dritte Stelle behaupten die Vereinigten Staaten von Amerika mit 17,5 Briefen; entsprechend ihrem rastlosen Unternehmungsgeiste haben die Amerikaner Eisenbahnen und Postanstalten in die Wüste gesetzt und diese dadurch wunderbar schnell zu Culturstätten umgewandelt; die riesenhaften Entfernungen fordern bei der im Vergleich zur Meilenzahl der Beförderungsstrecke fabelhaften Billigkeit des Portos zu lebhaftem Briefwechsel auf, so daß trotz der mächtigen, in ihrer Einsamkeit grandiosen Prairien des Westens Nordamerika in seiner Gesammtheit den Briefverkehr mancher Culturländer Europas in Schatten stellt. In überraschender Entwickelung befindet sich neben den östlichen Centralpunkten des Handels namentlich auch Californien mit der Zauberstadt San Francisco, der Königin des Pacific, dem Vorhafen Chinas und Japans mit seinem Mastenwald und den lieblichen Ausblicken auf den unermeßlichen Ocean; freilich wird die Entwickelung der amerikanischen Post, welche seit 1799 von einer Million Briefe auf 677½ Millionen Briefe gestiegen ist, mit einem jährlichen Postdeficit von acht bis neun Millionen Dollars erkauft. An Amerikas Seite stellt sich als vierter Staat Deutschland, und zwar das Gebiet der Reichspost mit 14,7, Württemberg mit 12,40 (in 1873), Baiern mil 10,47 Briefen auf den Kopf; dann schließen sich die Niederlande mit 11,84, Belgien mit 10,34, Oesterreich mit 9,83, Dänemark mit 8,22 und Luxemburg mit 7,38 Briefen an. Die rein romanischen Völker haben mit den germanischen Stämmen auf diesem Gebiete nicht gleichen Schritt zu halten vermocht. Frankreich weist 9, Spanien und Portugal 4,42. Italien 3,84, Griechenland 1,07. Rumänien 0,69 Briefe für den Kopf auf, – ein Verhältniß, welches grelle Streiflichter auf die Volksbildung der romanischen Nationen und die in dieser Hinsicht maßgebenden Einflüsse des Clerus wirft.
Frankreichs Briefverkehr (655 Millionen jährlich) wird durch unverhältnismäßig hohe Brieftaxen niedergehalten; die fiscalische Ausbeutung der Post für Finanzzwecke steht in diesem Lande augenblicklich mehr als irgendwo in Blüthe. Selbst Rußland, das freilich bei der Ausdehnung seiner Steppen und Tundren nur 0,72 Briefe jährlich für den Kopf (absolut 75 Millionen Briefe) zählt, sucht sich hierin den westlichen Nationen an die Seite zu stellen, indem es eifrig bemüht ist, durch Verbesserung seiner Posteinrichtungen der Wohlfahrt des russischen Volkes einen neuen Hebel zu gewähren. Aegypten und die Türkei haben nur einen Procentsatz von 0,17 Briefen auf den Kopf zu berechnen, ein deutlicher Fingerzeig auf die geistige Stockung, in welcher der Orient sich befindet und aus der vielleicht die Bestrebungen der ägyptischen Machthaber die Nilländer noch eher heraus heben werden, als die Politiker am goldenen Horn die weiten Domänen des „kranken Mannes“.
Es würde einseitig sein, auf diese Zahlen allein Schlüsse zu bauen. Der Statistiker muß weitere Grundlagen aufsuchen, um seine Ergebnisse zu berichtigen. In dieser Beziehung ist es von Werth, daß das Verhältniß, in welchem die Zahl der Postanstalten zu der Bevölkerungsmenge steht, ebenfalls die Fortschritte der Culturentwickelung in gleichem Maße erkennen läßt. In Aegypten kommt ein Postamt auf je 113,636 Einwohner, in Rumänien auf 64,286, in Rußland dagegen schon auf 23,351 Bewohner. Frankreich zählt auf 6723 Menschen ein Postamt, Deutschland aus 5757 (Süddeutschland schon auf je 4000), Großbritannien auf 2548, die Vereinigten Staaten von Amerika auf 1160, die Schweiz endlich, welche hierin die erste Stelle einnimmt, auf 1019 Einwohner eine Postanstalt. Die verhältnißmäßig größte Reineinnahme findet sich bei der großbritannischen Postverwaltung, nämlich 10½ Millionen Thaler, sodann folgt die französische mit 10,156,678 Thalern, Rußland mit vier Millionen Thalern und Deutschland mit etwa dreieinhalb Millionen Thalern. Das größte Deficit hat die Postverwaltung der Vereinigten [343] Staaten, was sich aus der Länge der Postrouten und den großen Kosten des Seetransports erklärt; denn allein die Linie San Francisco–Yokuhama erfordert fast eine Million Dollars Zuschuß aus dem Schatz der Vereinigten Staaten.
Wir wenden uns nunmehr zur zweiten Gruppe der statistischen Ergebnisse, welche den Verkehr Deutschlands umfaßt und bemerkenswerthe Grundlagen für Vergleiche zwischen der Entwickelung der einzelnen Landschaften und Gaue unseres Vaterlandes gewährt. Für das Jahr 1874 beläuft die Anzahl der im Reichspostgebiete beförderten Briefe sich auf 531,202,896 Stück. Davon sind auf einen Bewohner zu rechnen: im Bezirke (d. h. Ober-Postdirectionsbezirk) Berlin jährlich 64,6 Briefe, Frankfurt am Main 29,6 Briefe, Hamburg 26,9, Lübeck 26,2, Karlsruhe 19,1, Köln 18,7, Düsseldorf 18,6, Arnsberg 18,5, Dresden 17,3, Leipzig 16,3, Hannover 15,9, Bremen 15,3, Darmstadt 14,7, Magdeburg 14, Breslau 13,8, Erfurt 13,1, Constanz 12,4, Stettin 12,2, Kiel 12,1, Straßburg im Elsaß 11,9, Coblenz 11,9, Halle 11,8, Kassel 11,7, Schwerin in Mecklenburg 11,6, Oldenburg 11,2, Liegnitz 11,1, Metz 10,8, Frankfurt an der Oder 10,5, Münster 10,2, Königsberg in Preußen 10,1. In allen übrigen Bezirken wird die Briefziffer 10 nicht erreicht. Am niedrigsten ist sie im Bezirke Oppeln mit 8,0, im Bezirke Trier mit 7,8, Cöslin mit 7,6 und im Bezirke Gumbinnen mit 7,0 Briefen.
Eine nähere Betrachtung dieser Zahlen zeigt uns sogleich die Ursachen der überraschenden Unterschiede der Verkehrsgestaltung in den einzelnen Theilen Deutschlands. Wenn von dem deutschen Vororte Berlin abgesehen wird, zu dessen raschem Aufblühen staatliche, gewerbliche und commercielle Factoren gemeinsam beitragen, und der daher eine sehr hohe Briefziffer aufweist, so bewahrheitet sich auch hier das Gesetz, welches in der ganzen Entwickelungsgeschichte der Menschheit eine bedeutsame Rolle spielt: es ist das Vorwiegen der Cultur im Westen, und deren fortschreitendes Abnehmen, je weiter man nach Osten kommt. In Bezug auf den Briefverkehr stehen die Bezirke Frankfurt am Main, Köln, Karlsruhe, Düsseldorf, Arnsberg oben an; die ersteren haben außer den Hülfsquellen eines milderen Klimas noch den Vorzug der günstigen Lage an Verkehrsstraßen, die seit Jahrtausenden die Bewegung des internationalen Güteraustausches an sich gezogen haben; die Bezirke Düsseldorf und Arnsberg sind das deutsche Birmingham und Sheffield mit riesigen Puddelwerken, Schornsteinen und Fabriken.
Mit ihnen stehen in gleicher Linie und zum Theile voran die alten Hansestädte Hamburg, Lübeck und Bremen; in Bezug auf Bremen müssen die Ergebnisse der Statistik mit Vorbehalt aufgefaßt werden; dieselben sind nicht dahin zu deuten, daß Bremen etwa Lübeck an Ausbreitung und Zahl des Briefverkehrs nachsteht. Die Ziffern sind in diesem Punkte vielmehr durch den Hinweis darauf zu ergänzen, daß bei der Zählung der ganze Bezirk Bremen mit verschiedenen Ortschaften der Provinz Hannover in Berücksichtigung gezogen worden ist, weil dies durch die administrative Abgrenzung geboten war. In Wirklichkeit folgt Bremen gleich hinter Hamburg. Ein ähnliches Verhältniß waltet bei Leipzig ob, dessen Ziffer durch Hinzuziehung des ganzen Bezirks Leipzig herabgedrückt wird, das aber in der That mit Frankfurt und Köln erfolgreich wetteifert und das bei seinem blühenden Meß-, Producten- und Buchhändler-Verkehr als eins der bedeutendsten östlichen Binnen-Handelsplätze Mittel-Europas anzusehen ist.
Die Zahlen in Mitteldeutschland: Magdeburg, Kassel, Erfurt und Halle entsprechen dem Gesammtdurchschnitt der Briefziffer Deutschlands fast genau. Stettin und Kiel erreichen dieselben nahezu, was von der Blüthe ihres Handels ein bemerkenswerthes Zeugniß ablegt, da ihre Hinterlande nur geringen Verkehr besitzen. Straßburg im Elsaß mit 11,9 und Metz mit 10,8 Briefen erreichen den Durchschnitt noch nicht, es ist aber zu hoffen, daß die bedeutend entwickelte Textil-Industrie und der Weinbau des Elsaß, sowie das Bergwerks- und Hüttenwesen und die Eisen- und Plüsch-Industrie Lothringens bei der Fortdauer friedlicher politischer Verhältnisse den neuen Reichslanden bald eine neue wichtigere Stelle in der Scala des Verkehrs verschaffen werden. Königsberg und Danzig figuriren trotz ihres bedeutenden Seehandels nur mit 10,1 und 8,9 Briefen, da der geringe Verkehr der Provinz die Ziffer der Hauptorte herabdrückt. Die Bezirke Cöslin mit spärlicher Bevölkerung, Oppeln und der äußerste Grenzdistrict gegen Osten, Gumbinnen, weisen kaum 7,0 Briefe auf, ein sprechendes Zeugniß für das Walten des oben angedeuteten Gesetzes der Culturverbreitung.
Aehnliche Verhältnisse zeigen auch die Zahlen der Postanlagen, verglichen mit der Bevölkerungsziffer. Im Bezirke Gumbinnen kommt ein Postamt erst auf 5305, in Constanz schon auf 2601 Einwohner; in Danzig ein Postamt auf 130,7 Quadratkilometer, in Königsberg auf 114 Quadratkilometer, in Köln dagegen auf 40,4, in Constanz auf 34, in Karlsruhe auf 27 und im Bezirke Düsseldorf schon auf 26,2 Quadratkilometer. Letzterer ist also, abgesehen von Berlin (mit 60 Postanstalten auf 59,50 Quadratkilometer) derjenige deutsche Bezirk, welcher die zahlreichsten Postanstalten besitzt. Dem denkenden Geiste sind diese an sich todten Zahlen der Reflex des rastlos pulsirenden Lebens; in der Art der Vermittelung des geistigen Verkehrs spiegelt sich der ganze Charakter einer Epoche wieder. Die Feuerzeichen Agamemnon’s, die an Schnelligkeit dem Fluge der Kraniche verglichenen Courierreiter der Perserkönige, die römischen Schnellposten, die Boten des Mittelalters, die Taxis’sche Schneckenpost, die schwimmenden Correos der südamerikanischen Ströme, Sibiriens Hundeposten und die fliegenden Bahnpostämter der Neuzeit, endlich die der Zeit und des Raums spottenden Telegraphen: – es sind Alles Phasen der Entwickelung, in der die Menschheit von Stufe zu Stufe fortschreitet; gemeinsam Allen ist das Bedürfniß der Mittheilung, der Nachrichtenverbreitung, des geistigen Zusammenhangs getrennter Personen und ganzer Völker.
So sehen wir das Postwesen auf’s Innigste mit den Lebensäußerungen der Menschheit verknüpft:
„Wie Alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem Andern wirkt und lebt,“
fanden wir schon bei flüchtiger Betrachtung dieses bedeutsamen Zweiges unserer Cultur in charakteristischen Zügen ausgeprägt. Die folgenden Darstellungen sollen die Organisation und den äußeren Betrieb der Postanstalten vorführen, welche, gleichviel ob bei Tage oder bei Nacht, im Dienste des deutschen Volkes mit einer Unermüdlichkeit und Sorgfalt thätig sind, welcher die gerechte Anerkennung von keiner Seite versagt werden wird.
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„Die Post aus England ist ausgeblieben.“ – Mit diesen inhaltsschweren Worten stört der erste Buchhalter der ehrenwerthen Firma van Sweert das reizende Stillleben des Principals, der, von sonniger Veranda auf den Mastenwald an den Boompjes von Rotterdam hinabschauend, in Gesellschaft des „Handelsbladed“ behaglich den Morgenkaffee schlürft. Mynheer, der soeben eine vielversprechende Aussicht auf steigende Kaffeepreise im Geiste erwogen hat, stellt erzürnt den kleinen japanischen Porcellannapf mit Ansichten von Yeddo und Toiko zur Seite: „– ist es möglich? keine Nachricht von Mr. Hope und Mr. Baring! kein [574] Brief von Palembang und Batavia mit dem letzten Preiscourant von Javakaffee und Molukkengewürzen!“ – Umsonst strengt der erste Buchhalter sein Gehirn an, die fehlenden Postnachrichten durch Lösung der drei unbekannten Größen in der Kaffeegleichung zu ersetzen. Umsonst machen die „jungen Leute“ des von Sweert’schen Geschäfts in den großen Contobüchern, an deren Spitze das „Mit Gott“ steht, waghalsige Rechnungsversuche. Verlorene Liebesmühe! Längst haben die Lehrlinge mit dem feinen Spürsinn der Jugend erkannt, daß „keine Post da ist“, und daß ihnen heute ein unerwartetes, mithin um so köstlicheres Nichtsthun winke. Während aber diesen hoffnungsvollen Jüngern des Mercur das Glück lächelt, seufzt vielleicht im Nebenhause eine Mutter in bangem Schmerze; denn das Ausbleiben der Post raubt ihr heute die nach langem Harren sicher erwartete Nachricht von dem Sohne, den die weite Welt jenseits der großen Wasserwüste neidisch zurückhält.
So grenzen die Gegensätze im Leben nahe an einander. Dieselbe Post bringt dem Einen Glück und Freude, dem Andern herbes Weh. Von Allen aber werden die Briefe, diese flüchtigen Boten der Ferne, mit gleicher Sehnsucht erwartet.
Längst im Besitze der Vortheile, welche ein wohlgeordnetes Postwesen für die vielverzweigten Beziehungen der Menschheit darbietet, denken wir bei der süßen Gewohnheit des Daseins wenig daran, mit welchen Mitteln die Post den gewaltigen Andrang der Briefe täglich zu bezwingen und die Massen in die rechten Bahnen zu lenken versteht, jenen Strom: –
„Von Sturz zu Sturzen wälzt er, jetzt in tausend,
Dann abertausend Ströme sich ergießend,
Hoch in die Lüfte Schaum an Schäume sausend.“
Fürwahr, es ist ein Stück Sisyphus-Arbeit, diese Fluthen täglich zu dämmen, sie fort und fort zu ebnen und zu leiten. Bewegen sich doch, nach Stephan’s Untersuchungen, in jeder Minute 1400 Postsendungen innerhalb Deutschlands und 10 Millionen Briefe täglich innerhalb Europas, von dessen Bewohnern je der einundvierzigste täglich einen Brief schreibt. Alle diese Boten, welche „gleich dem Genius des Märchens weder Tag noch Nacht scheuend“, den Erdball umkreisen, müssen nach bestimmten Gesetzen auf vorgeschriebener Bahn befördert werden; ihr Weg muß im Voraus bestimmt sein, gleichviel ob sie nach den Palästen der Hauptstädte oder nach der einsamen Farm im Westen der „großen Gewässer“ gerichtet sind. Solche Leistungen im Dienste der Menschheit sind bewundernswerth. Es verlohnt sich daher wohl der Mühe, den Betrieb der Post, das Walten der Kräfte, welchen dieses Ergebniß zu danken ist, näher zu betrachten.
Die Einrichtung der Post läßt sich nach der Art ihrer Wirksamkeit in einen verwaltenden und einen ausübenden Körper trennen. An der Spitze der Verwaltung steht das von dem General-Postdirector geleitete kaiserliche General-Postamt in Berlin, dem für den Verwaltungsdienst in den einzelnen deutschen Gauen Provinzial-Behörden zugetheilt sind: die kaiserlichen Ober-Postdirectionen. Die eigentlichen Betriebsstellen für den Postdienst bilden die Postanstalten (Postämter, -Verwaltungen, -Expeditionen und -Agenturen). Diese Gliederung ist eine sehr glückliche und wirksame; denn sie sichert den Maßregeln der obersten Postbehörde überall eine verständnißvolle Ausführung; sie ermöglicht, ohne die Centralstelle mit ermüdenden Einzelheiten zu belasten, den leitenden Kräften jeder Zeit eine genaue Einsicht in die stets wechselnden Bedürfnisse des Verkehrs, und sie durchdringt zugleich die ausübenden Organe mit dem Geiste thatkräftigen Fortschritts, welcher nirgends nothwendiger ist als im Postwesen.
Wandeln wir eine der Hauptverkehrsadern Berlins, die Leipzigerstraße, nach Osten hinauf, so bemerken wir eine prächtige Façade im Renaissancestil Palladio’s: sie gehört dem neuen General-Postamtsgebäude an, das eine der architektonischen Zierden der Residenz bildet. Der Geschäftsumfang des General-Postamts hat sich mit der Entwickelung der politischen Selbstständigkeit Deutschlands in überraschendem Maße erweitert. Hierüber geben folgende Ziffern Aufschluß:
Quadrat- | Einwohner | Post- | |
meilen | anstalten | ||
Es betrug der Umfang der | |||
preußischen Post 1864 | 5057 | 19,810,408 | 2501 |
sie erweiterte sich bei der nord- | |||
deutschen Bundespost 1868 auf | 7539 | 30,476,036 | 4340 |
Dagegen umfaßt die deutsche | |||
deutschen Reichspost 1875 | 8156 | 34,343,055 | 6000 |
In diesem geschichtlich bedeutsamen Jahrzehnt hat die Deutsche Post eine vollständig andere Gestalt gewonnen. An die Stelle einer dem wirthschaftlichen Gedeihen der Nation überaus hinderlichen Vielköpfigkeit von 17 besonderen Postverwaltungen, wie sie trostloser in keinem anderen Lande der Welt bestand, ist endlich die Einheit dieser Verkehrsanstalt getreten. Ein einheitliches Postgesetz, ein einheitlicher Tarif gelten gegenwärtig in ganz Deutschland von Memel bis Passau; dem Auslande gegenüber ist nur ein deutsches Postgebiet zu vertreten. Allerdings bestehen noch zwei besondere süddeutsche Postverwaltungen, die von Baiern und Württemberg, neben der Reichspost zu Recht; die deutsche Nation darf aber die Hoffnung hegen, daß diese Eigenthümlichkeiten aus demselben Einheitsstreben, welches Preußen, Sachsen, Oldenburg, Baden etc. zum Aufgeben ihrer Territorial-Postverwaltungen veranlaßte, allmählich werden beseitigt werden.
Das Personal des General-Postamtes ist bedeutender als dasjenige mancher Ministerien eines großen Staates; es beläuft sich auf mehr als hundertsiebenzig Beamte. Zwölf vortragende Räthe haben die Bearbeitung der verschiedenen Dienstzweige wahrzunehmen, deren Umfang bereits eine Trennung des General-Postamts in zwei Abtheilungen, in die technische Abtheilung und diejenige für das Etats- sowie das Cassenwesen, nöthig gemacht hat. In dem Rahmen dieser Abtheilungen sind die einzelnen Büreaus eingefügt, unter welchen wir als die wichtigsten das Directorialbüreau, das Rechnungsdepartement, das Coursbüreau, das Auslands-Departement, das Bau- und Feldpostdepartement, das Büreau für Personalien, das Abrechnungsbüreau mit dem Auslande, das Büreau für Postfuhrwesen und technischen Dienst, endlich das Büreau für Statistik, sowie die Canzlei und Registratur hervorheben. Im General-Postamte werden alle auf das Postwesen bezüglichen Gesetzentwürfe vorbereitet, die Grundlagen für die Verwaltung und den Betrieb, die principiellen Tariffragen, sowie die Personalverhältnisse geordnet. Das gesammte Courssystem, das Feldpost- und das Bauwesen erhalten hier ihre Regelung; ebenso wird das jährliche Budget der Postverwaltung, das gegenwärtig hundertundzwanzig Millionen Mark übersteigt, bei der Centralbehörde aufgestellt; außerdem hat das General-Postamt die Regelung der Postbeziehungen mit dem Auslande wahrzunehmen.
Wir wenden uns nunmehr zu den eigentlichen Postbetriebsstellen, „dem Oel vor die ganze Staatsmaschine“, wie sich König Friedrich Wilhelm I. treffend ausdrückte. Die Postanstalten lassen sich in stabile und mobile eintheilen. Erstere vermitteln den postalischen Verkehr ihres Wohnsitzes und des Umkreises; die mobilen Postämter dagegen besorgen den Postdienst auf den Eisenbahnen und Dampfschiffen. Der Betrieb der stabilen Postämter ist nach den Gruppen des Annahme-, Absendungs- und Empfangsgeschäfts geordnet. Betreten wir einmal eine der bedeutendsten Postannahmestellen, die Halle der Briefannahme in der Spandauerstraße zu Berlin. Der Grundsatz der Arbeitstheilung muß bei den großen Postämtern die Bewältigung der Massen erleichtern; deshalb zählt das Hofpostamt in Berlin allein sechs Annahmestellen, nämlich solche für Briefe, Einschreibbriefe, Sendungen mit Werthangabe, Päckereien, Postanweisungen, Zeitungsbestellungen u. s w. Die Briefannahme ist von acht Uhr Morgens bis acht Uhr Abends ununterbrochen geöffnet; vor ihren vier Schaltern drängt sich stets eine geschäftige Menge. Außer den Behörden der Königsstadt, namentlich dem Criminalgerichte, dem Stadtgerichte, Polizeipräsidium und dem Magistrate, benutzen vorzugsweise die Börse und die Geschäftshäuser der City von Berlin in der Königs-, Spandauer- und Heiligen Geiststraße diese Annahmestelle. Wenn die Steuerveranlagung erfolgt, sind drei- bis viertausend Briefe täglich vom Magistrate allein nichts Seltenes; Hunderte von Einschreibbriefen der Börsengrößen: Bleichröder, Discontogesellschaft, Mendelssohn, Warschauer etc., zahlreiche, meist überseeische Correspondenzen von Hardt und Co., Köppen und
[575] Schier, Reichel etc., ferner ganze Körbe voll Kreuzbandsendungen mit Preiscouranten und sonstigen Ankündigungen, endlich die Drucksachen der Buchhändler, sowie der wissenschaftlichen Corporationen und die zahlreichen Zeitungsnummern, welche nach allen Welttheilen gehen, liefern die lebensvollen Züge zu einem interessanten Cultur- und Verkehrsbilde der modernen Zeit, in dem alle Strahlen menschlicher Thätigkeit und Arbeit wirksam zur Geltung kommen.
Der Brief ist nach einem trefflichen Worte Stephan’s „das Schiff auf dem Ocean der Entfernungen“. Offenbar soll er daher einem wackeren Steuermann gleichen, der im Stande ist, mit voller Sicherheit in den Hafen zu lenken, für welchen er bestimmt wurde. Nun giebt es aber selbst in unserem aufgeklärten Jahrhundert immer noch gläubige Seelen, welche annehmen, daß die Post Alles wisse, selbst den Namen „nicht genannter“ Briefempfänger. Aufschriften, wie bei jenen Briefen, welche einem spanischen Kloster übergeben zu werden pflegen, und die Adresse „an die heilige Jungfrau“ tragen, sind im Grunde weniger unverständlich, als Briefe mit der Adresse: „an meinen lieben Sohn Franz bei der Artillerie in Berlin“, oder an den großen Unbekannten, „Herrn Müller, Friedrichsstraße“, und an „Mr. Smith in London“. Daß hiermit nicht bloße humoristische Einfälle eines guten Provinzialbewohners gemeint sind, beweist die große Zahl unanbringlicher Retourbriefe, welche die Post schließlich den Flammen opfern muß. Im Jahre 1874 wurden in England achtzehntausendsiebenhundert Briefe ohne jede Adresse zur Post gegeben; sie enthielten einundneunzigtausend Thaler an Wertheinlagen; aller Scharfsinn der Postbeamten des Dead Letter Office in London (des Retourbriefamts), das alle Sprachen der Welt einschließlich derjenigen der Papuas zu entziffern pflegt, blieb bei ihnen ohne Erfolg. Erwägt man, welche traurigen Folgen der Nichteingang eines Briefes nach sich ziehen kann, so wird man die Nothwendigkeit einer Vorschrift der neuesten deutschen Postordnung begreifen, es solle jeder Brief so adressirt sein, daß der Ungewißheit über die Person des rechtmäßigen Empfängers unbedingt vorgebeugt wird.
Diese Vorschrift beruht auf der Erfahrung von Jahrhunderten; denn die Postanstalt, welche im Hinblicke auf die Interessen des Staates und der Gesellschaft in allen civilisirten Ländern vom Staate verwaltet wird, hat im Laufe der Zeiten alle Mittel erprobt, welche ihr volle Wirksamkeit im Dienste der Culturbewegung sichern; sie ist demnach in der Lage, der öffentlichen Wohlfahrt hierbei die bewährtesten Handhaben zu bieten. Man wird also wohl thun, wenn man jene Vorschriften der Post genau erfüllt. Bei der Adressirung ist vor Allem die Person des Empfängers nach Namen, Vornamen, Beschäftigung oder Stand unzweifelhaft zu bezeichnen; sodann muß der Bestimmungsort und nöthigenfalls das Land, in dem er belegen ist, deutlich angegeben werden; bei gleichnamigen Orten, z. B. den zahllosen Friedlands, Neustadts, Neuenburgs etc., bedarf es der näheren Bezeichnung der Provinz etc. Handelt es sich um Briefe nach größeren Städten, so ist die Hinzufügung der Wohnungsangabe eine unerläßliche Bedingung für richtige und rechtzeitige Bestellung der Sendung.
Wohnt der Empfänger etwa in einem Orte ohne Postanstalt, so muß die Angabe des nächsten Postamts beigefügt werden. Bei Briefen nach Berlin, Wien und London ist ferner der Postbezirk zu bezeichnen, in welchem der Adressat wohnt. Muster zu Briefaufschriften sind folgende:
Herrn Kaufmann Emil Berger
Krausenstraße Nr. 20, II Treppen
Berlin, W.
frei.
oder:
Herrn Conrad Köhler,
zu erfragen bei dem Lehrer Herrmann,
in
Untermhaus
bei Gera (Reuß jüngere Linie).
frei.
oder:
Mr. Davidson, Esquire,
Essex road No 61
London. Islington. N.
England.
paid.
Der Zusatz „England“ bei London ist nicht etwa entbehrlich, weil es z. B. auch in Nordamerika viele Orte Namens „London“ giebt. In Rücksicht auf das Vorkommen zahlreicher gleichnamiger Orte muß daher auf den nach Nordamerika bestimmten Briefen die Angabe der County (Grafschaft) hinzugefügt werden: z. B.
New River,
East Florida, United States.
Das Publicum ist sehr geneigt, diese Erfordernisse für eine lästige Form anzusehen, auf die kein Gewicht zu legen ist. Im Gegentheil; denn es handelt sich dabei um das eigenste Interesse des Briefschreibers wie des Empfängers. In Berlin werden täglich hundertfünfzig- bis zweihunderttausend Briefe etc., in Paris vierhunderttausend, in London sechshundertfünfzigtausend Briefe aufgegeben. Man muß eben nicht blos an den eigenen Brief denken, sondern an die Tausende, welche zusammenströmen.
Außer der genauen Adressirung ist auch die Verpackung und der Verschluß der Postsendungen von Bedeutung. Bei Päckereien wende man eine haltbare, der Weite des Transportes und der Natur des Inhaltes entsprechende Umhüllung an, bezeichne auch das Packet mit einer vollständigen Adresse, weil diese die Bestellung erleichtert. Bei Briefen mit Papiergeld hülle man letzteres sorgfältig in Papier ein, nehme starkes Papier zu den Briefumschlägen und drücke das Petschaft auf gutem Siegellack scharf und deutlich ab. Die Beachtung dieser Erfordernisse, verbunden mit den Maßregeln der Postverwaltung, welche jede Werthsendung genau wiegen und von Postanstalt zu Postanstalt gegen Empfangsbescheinigung genau nachweisen läßt, sichert das Publicum vor Verlusten, welche bei einem so riesigen Geldumsatz, wie ihn die Post alljährlich in Höhe vieler Millionen vermittelt, fast unvermeidlich sind.
Besonderes Interesse verdient der Stadtpostbetrieb in großen Städten. Die erste Stadtpost wurde 1653 von dem maître des requêtes (Bittschriftenmeister) Valayer in Paris errichtet. Die Pariser Salons, damals der Brennpunkt einer scharf ausgesprochenen Geistesbewegung der französischen Nation, waren der Schauplatz, auf dem die Raketenfeuer des Esprit sprühten, von dem jene Zeit ihr geistiges Gepräge empfing. Gelehrte, Hofleute und Künstler wetteiferten mit geistreichen Frauen in dem eifrigen Streben, Frankreich auf allen Gebieten den Vorrang zu sichern. Das Postwesen litt damals indeß noch an den schwerfälligen Einrichtungen des Mittelalters, und es war für die Ausspinnung zarter Intriguen gewiß wenig Romantik bei der Briefbeförderung zu finden, da jeder Brief an den Postbeamten unmittelbar eingeliefert und baar bezahlt werden mußte. Frau von Longueville nun wußte Rath und erfand ein Mittel, den Absender mit undurchdringlichem Geheimnisse zu umhüllen: sie bewog den Minister Fouquet, die Frankirung der Briefe mittelst kleiner Zettel zuzulassen, welche die Bezeichnung port payé (Porto bezahlt) trugen und von dem maître des requêtes und seinen Leuten feilgehalten wurden. Es ist dies der Ursprung der heutigen Briefmarken. In der Revolutionszeit verschwanden auch die Marken der Frau von Longueville; sie mußten deshalb in der jetzigen Form 1840 in England noch einmal erfunden werden.
Berlin besaß zu Anfang unseres Jahrhunderts bereits eine Stadtpost, die von der Kaufmannsgilde errichtet war und Briefe auf den Straßen unter Läuten mit einer Glocke einsammelte, sich aber bald als unzureichend erwies und einging. Die jetzige Berliner Stadtpost ist eine wohleingerichtete Anstalt, die den Blutumlauf eines gewaltigen Verkehrskörpers vermittelt. Von diesem Mittelpunkte laufen allstündlich Briefposten nach allen Filial-Postämtern der Reichshauptstadt aus. Ebenso treffen stündlich Briefwagen von den fünfzig Filialen bei dem Stadtpostamte ein; man kann daher in zwei Stunden von jedem Punkte Berlins Nachrichten absenden und darauf Antwort empfangen. Die vierhundert Briefkasten Berlins werden halbstündlich geleert.
In dem großen Sortirsaal der Stadtpost strömen alle in Berlin
[576] von auswärts eintreffenden Briefe, soweit sie nicht von den Bahnhofs-Postämtern bereits direct bestellt sind, zusammen. Wenn eine wichtige Post, vom Rhein, von England, Frankreich oder Süddeutschland eingetroffen ist, entspinnt sich in jenem Saale ein heißer Kampf gegen die Festungsmauern von Briefen, die schier endlos sich aus den vollen Briefsäcken aufthürmen. Mehr als zwanzig Sortirer laufen Sturm gegen diese Mauern, bis die Bresche größer und größer wird. Ein mächtiger Aufbau mit Fachwerken, in dem jedes der vierhundert Briefträger-Reviere Berlins seine Abtheilung hat, nimmt die Briefe auf, die zunächst nach den Berliner Postbezirken N., W., N. W. etc., sodann aber nach Postämtern getrennt und endlich nach den einzelnen Revieren vertheilt werden. Bemerkenswerth ist die Sicherheit, mit der die Sortirer die zahlreichen Handelsfirmen Berlins: A. Meyer, S. Meyer, B. Cohn , J. Cohn, S. Müller etc. unterscheiden; sie haben mit vollem Rechte Anspruch auf eine Art Brief-Unfehlbarkeit. Dabei muß die Arbeit ebenso schnell wie sicher von Statten gehen; denn draußen warten Hunderte von Briefträgern und zuletzt Tausende von Geschäftshäusern, Behörden etc. auf das tägliche Manna an Briefen, das neue Arbeit, neue Werthe schafft, – so reiht eine unabsehbare Kette wirkender, belebender Kräfte sich an einander.
Unser nächster Artikel soll einer Schilderung der „fliegenden“ Bahnhofsämter gewidmet sein. –