Textdaten
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Autor: Hermann Ferschke
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Titel: Aus Thüringer Erde
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 331–334
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus Thüringer Erde.

Die Töpfereien zu Bürgel.
Von Hermann Ferschke. Mit Zeichnungen von O. Herrfurth.

Jena, die alte Saalestadt, haben wir verlassen, die Saale überschritten und auch die beiden Schwesterorte Kamsdorf-Wenigenjena durchwandert, nicht ohne dem schlichten Kirchlein zu Wenigenjena, der Trauungsstätte Friedrich Schillers einen pietätvollen Besuch abgestattet zu haben, – da kommen wir auf eine prachtvolle, zwischen seltsam geformten Bergen sich hinziehende Landstraße. Sie führt uns in zwei guten Wanderstunden nach Bürgel, einer kleinen Stadt im Großherzogthum Sachsen-Weimar-Eisenach von gegen 1700 Einwohnern, an dem Gleißflüßchen gelegen, welches sich, zwischen Jena und Dornburg in die Saale ergießt. Die Stadt liegt auf einer Anhöhe, welche eine Unterlage von rothem Sandsteinfelsen hat, und wird meilenweit von prachtvollen Wäldern umrahmt, die allein schon unseren Besuch reichlich belohnen würden. Aber nicht um die reine Luft dieser Höhen zu athmen, nicht um in dem würzigen Hauch der Wälder uns zu erquicken, sind wir gekommen; den Menschen und ihrem Leben und Wirken gehört heute unsere Aufmerksamkeit. Denn wie viele Orte in dem gesegneten Thüringerlande, so hat auch Bürgel eine uralte, eigenartige Industrie, welche diese Stadt weit und breit bekannt gemacht hat und ihr heute vollends, da man die Erzeugnisse dieser Industrie in kunstgewerblich veredelter Gestalt überall auf dem Weltmarkte findet, einen hochangesehenen Namen unter den Stätten deutschen Gewerbfleißes sichert, – es ist dies die Fertigung von Thonwaren.

Die Töpferei in Bürgel ist wahrscheinlich so alt wie die Stadt selbst; denn als man bei einer Ausgrabung unter der alten, im 13. Jahrhundert erbauten Stadtmauer einen Keller freilegte, fand man darinnen alte Thonwarenüberreste, welche genau dieselbe blaue Glasur an sich trugen wie die heutigen Erzeugnisses der Bürgeler Töpferkunst. Es ist dies keineswegs etwas Merkwürdiges, da ja die Verfertigung gebrannter Thongefäße zweifellos bis in die vorgeschichtliche Zeit hineinreicht, wie dies durch die in alten Gräberfeldern gemachten Funde von Urnen, Krügen und Topfscherben hinreichend bewiesen ist. Das Töpfereigewerbe setzte sich vor Zeiten eben da fest, wo die Bedingungen seines Bestehens vorhanden waren, das heißt wo sich geeignete Thonlager und reichliches und billiges Feuerungsmaterial vorfanden.

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Das Thonquetschen.

So hat denn die Stadt Bürgel seit Jahrhunderten weit über die engeren Grenzen Thüringens hinaus die Haushaltungen mit ihren Schöpfungen versehen und thut dies noch heute; auf allen Märkten sind die Bürgeler Töpferweiber wohlbekannte Erscheinungen.

Da Bürgel noch keine Eisenbahnverbindung besitzt, so werden die Waren zum größten Theil mittels Wagen im Lande herumgefahren, und nur größere Lieferanten befördern dieselben, wenn es sich um einen Versand in weitere Entfernungen handelt, zur Bahnverladung nach Jena. Es ist demnach natürlich, daß die neunundzwanzig Töpfereien von Bürgel bei weitem nicht den Erfolg haben, den sie haben könnten, da die theuren Fuhrlöhne, welche von den Töpfern bei dem Fortschaffen der fertigen Waren noch besonders bezahlt werden müssen, den Verdienst sehr erheblich vermindern.

Bis gegen, Ende der siebziger Jahre ist denn auch in Bürgel nur einfache, marktgängige Gebrauchsware mit gelber, brauner und blauer Glasur hergestellt worden; zu der genannten Zeit jedoch fing man auf Anregung des Bürgermeisters Hermann Schauer an, Versuche mit Herstellung schön geformter Vasen und Krüge zu machen, und der Großherzog von Sachsen-Weimar, Karl Alexander, welchem einige solche Stücke überreicht wurden, widmete auch sofort bei dem ihm eigenen Kunstsinn dieser Industrie lebhafte Aufmerksamkeit. Auch das großherzogliche Staatsministerium ergriff die Sache mit großem Eifer und sorgte dafür, daß den geschickten und zum Kunstgewerbe geeigneten Arbeitern eine Anzahl geschmackvoller Modelle von künstlerischem Gepräge zugänglich gemacht wurde. So geschah es, daß schon im Jahre 1880 die zur Ausstellung nach Halle gebrachten Geschirre durch ihre schönen Formen die allgemeine Aufmerksamkeit des Publikums auf sich lenkten; sie wurden mit Preisen ausgezeichnet und große Aufträge waren die weitere Folge.

Bei den Drehern.

Damit war denn der Uebergang zum Kunstgewerbe auf Grund einer vorhandenen, gut vorbereiteten Technik hergestellt, und es galt nun, fleißig fortzuarbeiten und das Erreichte weiter zu entwickeln. Mit staatlicher Unterstützung wurde unter Leitung des Professors Kugel eine Modellir- und Zeichenschule eingerichtet, welche von älteren und jüngeren Mitgliedern des Töpfergewerbes eifrig besucht wurde. Diese Schule ward dann später dem Rektor Neumärker übergeben, welcher sich der Heranbildung eines geschickten, für Formenschönheit empfänglichen Arbeiterpersonals bis auf den heutigen Tag befleißigt. Der Großherzog stellte [333] die Schätze des weimarischen Museums zum Zwecke der Nachbildung schöner Kannen und Krüge zur Verfügung und das großherzogliche Staatsministerium that durch die Gründung einer gut ausgewählten Mustersammlung von Thongeschirren, das Seine zur Verbesserung und Veredelung der Formen. Das „keramische Museum“, zu welchem diese Modelle den Anfang bildeten, befindet sich in der Wohnung des um die Hebung des Töpfergewerbes hoch verdienten Bürgermeisters Schauer und enthält in drei Zimmern sechshundert Nummern von Erzeugnissen der keramischen Industrie, wie sie in Bürgel seit Anfang dieses Jahrhunderts angefertigt wurden, vom gewöhnlichstem Stuck bis zu den künstlerisch ausgeführten feineren Arbeiten.

Am Ofen.

Wie schon oben gesagt, wird die Herstellung von Thonwaren gegenwärtig in neunundzwanzig Töpfereien betrieben, von denen sich zwei fast ausschließlich mit Anfertigung von Dekorations- und feineren Gebrauchsgegenständen, wie Vasen, Krügen, Schalen, Jardinièren, Blumentöpfen u. a. m. in den verschiedensten Glasuren, beschäftigen. Daneben ist in letzterer Zeit auch die Anfertigung von festgebranntem und hübsch glasirtem Spielzeug in Aufschwung gekommen.

Von einem Fabrikbetrieb ist bei alledem nicht die Rede, und noch immer besitzt die Bürgeler Töpferei den Charakter des alten deutschen Handwerks. Mit wenigen Ausnahmen werden alle Geschirre freihändig gedreht, und es bereitet dem Besucher ein besonderes Vergnügen, mit anzusehen, wie aus einem auf die Drehscheibe gebrachten rohen Thonklumpen in kürzester Zeit ein künstlerisch schönes Gebilde entsteht. Folgen wir einmal einem solchen auf seinem Werdegang.

Das Glasieren.

Die Arbeit beginnt mit der Herrichtung des aus der Grube herangeschafften Thones. Letzterer wird zunächst „eingesumpft“, das heißt mit Wasser angefeuchtet und tüchtig durchgeknetet. Die auf diese Weise erzielte flüssige Masse wird sodann durch Siebe getrieben, um alle gröberen und härteren Theile zu entfernen, worauf die gereinigte Thonmasse unter die Presse gebracht wird, welche das Wasser herauszutreiben hat; jedoch muß der Thon immer noch weich genug bleiben, um sich gut kneten und willig formen zu lassen. Eine solche Bearbeitung des rohen Thones ist namentlich zur Herstellung feinerer Gegenstände nothwendig; in anderen Fällen wird der erweichte Thon einfach in die Quetschmaschine gebracht, welche alle harten Brocken zerkleinert und geschmeidig macht. Derartig zubereiteter Thon findet aber nur Verwendung für die einfache Marktware, sowie zur Anfertigung von Kapseln, in welche die feineren Stücke vor dem Brennen eingesetzt werden.

Ist der Thon nun gereinigt und geschmeidig genug, dann wird er verarbeitet. Dies geschieht auf der Drehscheibe, auf welcher der rohen Masse die beabsichtigte Form gegeben wird, und zwar kann dies auf zweierlei Art vor sich gehen. Die kunstvollere ist die, daß der an der Drehscheibe sitzende Mann, welcher „Dreher“ genannt wird, einen Thonklumpen auf die Drehscheibe wirft, dieselbe mit den Füßen in schnelle Drehung versetzt und nun freihändig ohne Modell und Form sein Gebilde hervorzaubert. Die Gewandtheit der Handgriffe und die Geschwindigkeit, mit welcher solch ein „Dreher“ in wenigen Minuten aus einem rohen Klumpen Thon ein kleines Kunstwerk herausbildet, wie er erst die Uebergangsform eines Cylinders, dann in kürzester Zeit ganz nach Belieben einen Teller, eine Schale, einen Krug oder eine Vase entstehen läßt, das wird dem Beschauer immer Bewunderung abnöthigen. Wir sehen die einzelnen Stufen zum Theil auf dem unteren Bilde S. 332. Links ist die cylindrische Uebergangsform in Arbeit, in der Mitte wird einer kleinen bereits geformten Vase, welche erst Körper und Fuß hat, noch der Hals angesetzt, was durch Aufkratzen der aneinander zu bringenden Stellen, sowie durch Erweichen und Andrehen geschieht. Der höher sitzende Arbeiter rechts endlich ist beschäftigt, die fertige Ware, nachdem sie ein wenig abgetrocknet, glatt abzudrehen und ihr den letzten Schliff zu geben.

Die zweite etwas mechanischere Art des Formens geschieht unter Zuhilfenahme von Gipsformen, in welche die Gegenstände auf der Scheibe eingedreht werden. Hier wird also nach einem vorhandenen Modell gearbeitet, welches vorher in Gips gegossen wurde; erforderlichen Falles ist dasselbe in mehrere Theile getheilt, wie z. B. bei einer Vase der Kopf, das Mittelstück und der Fuß getrennte Theile bilden, welche der Dreher in die einzelnen Gipsformen hineindreht und schließlich aneinanderfügt. Hier wie oben kommen aber die Stücke zuletzt noch in eine besonders gewandte Hand, die sie glatt abdreht und, wo nöthig, mit Henkeln versieht, worauf sie mittels eines sogenannten Stichels ciselirt werden, wie dies unser Anfangsbildchen veranschaulicht.

Bei dem Lufttrocknen, welches nunmehr folgt, kommt es hauptsächlich darauf an, daß der Vorgang des Trocknens nur ganz allmählich sich vollzieht, weil sonst Risse entstehen. Sind die Gegenstände ganz lufttrocken und dabei tadellos geblieben, dann wandern sie in den Ofen, um gebrannt zu werden. Auch hierbei wird verschieden verfahren. Größere Fabrikate mit größerer Festigkeit werden ganz frei in den Ofen gesetzt, während Gegenstände von geringerer Festigkeit, feinere Waren und solche, welche aus einem stark schwindenden Thone gearbeitet sind, in mit Platten verdeckte Kapseln eingestellt werden, welche sie vor Verunstaltung ihrer Formen schützen müssen. Diese Kapseln werden im Ofen eine über die andere gestellt und zu ganzen Thürmen aufgebaut.


An der Schleifmaschine.

Die feinere Ware macht zweimal die Bekanntschaft mit diesem Raume. Sie wird nämlich ehe sie mit Verzierungen und Glasur [334] versehen wird, zuvor „gescheint“, d. h. einer ersten vorläufigen Brennung unterzogen; danach erst wird sie gemalt und wandert dann in die Glasierstube, wo sie von einem Arbeiter mit der flüssigen Glasurmasse solange übergossen wird, bis sich ihre Poren ganz damit gesättigt haben. Jetzt erst ist es zum eigentlichen Brennen Zeit. Die glasurgetränkten Stücke werden, nachdem sie erst wieder einigermaßen abgetrocknet sind, zum zweiten Male in die Kapseln und mit diesen in den Ofen gesetzt; ist alles drin, so wird der Eingang mit Chamottesteinen vermauert und die Anfeuerung beginnt. Es würde aber Schaden bringen, wollte man sofort stark heizen; deshalb wird zunächst, um die Vollendung des Trocknens und die Verdampfung des Wassers herbeizuführen, mit einem sogenannten Vor- oder Schmauchfeuer, welches nur wenig Hitze entwickelt, angefangen; allmählich aber geht man zum Vollfeuer über, bei welchem sich das völlige Schmelzen der Glasuren vollzieht. Man nennt diesen Vorgang das „Gut- oder Ausbrennen“. Nach Beendigung desselben läßt man dem Ofen einige Tage Ruhe bis er sich gehörig abgekühlt hat, bricht alsdann die vermauerte Oeffnung wieder auf und die Entleerung beginnt.

Es ist bei der Töpferei wie beim Kuchenbacken; man wünscht, daß alles wohl geräth, und ist neugierig, ob dieser sehr berechtigte Wunsch in Erfüllung geht. Man läßt deshalb Löcher in der Vermauerung, durch welche man Probescherben heraus- und hineinschieben kann. Nachzuhelfen giebt es natürlich schließlich immer; bald fehlt dies, bald jenes – bald ist die Glasur im Feuer herabgeflossen, bald zeigen sich an der Fußfläche Unebenheiten und diese kleinen Mängel müssen noch durch Glattschleifen auf der schnell rotierenden Schleifmaschine beseitigt werden. Nicht immer aber handelt es sich um derartige geringfügige Mängel; sehr häufig verändern die Gegenstände im Ofen derartig ihre Form, daß sie unbrauchbar sind und fortgeworfen werden müssen. Und noch beim Abschleifen kann es vorkommen, daß der Arbeiter dem so gut wie fertigen Stücke den Fuß abbricht oder einen andern Schaden zufügt und dadurch alle frühere, darauf verwendete Mühe vergeblich macht.

Im ganzen werden in Bürgel jährlich etwa 40 000 Centner Töpferwaren angefertigt und nach allen Richtungen ausgeführt, so daß es sehr natürlich ist, wenn man sich endlich eine Eisenbahnverbindung wünscht, um die theuren Fuhrlöhne ersparen zu können. Es ist aber nicht anzunehmen, daß damit die in ganz Thüringen bekannten Bürgeler Töpferwagen mit ihrer weiblichen Begleitung, die, den Quersack über der Schulter, nebenher marschirt, aus der Welt geschafft würden. Diese Leute kennen eben kein anderes Leben und würden auch, wollten sie etwas anderes treiben, mit ihrer Zeit nichts anzufangen wissen; denn ihre Vorfahren haben seit Jahrhunderten genau dieselben Reisetouren gemacht, welche sie jetzt machen, und die Leute von heute folgen daher nur den „Spuren ihrer Väter“.