Aus Robert Blum’s Leben (5)

Textdaten
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Autor: Hans Blum
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Titel: Aus Robert Blum’s Leben. 5. Erste Schritte in die Oeffentlichkeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 374, 376–378
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Aus Robert Blum’s Leben.
5. Erste Schritte in die Oeffentlichtkeit.

In tiefster Kümmerniß verlebte Robert Blum jene schwülen Julitage des Jahres 1830, welche für die geistige Bewegung von ganz Europa im Laufe der folgenden achtzehn Jahre tonangebend werden sollten. Während der Thron der Bourbonen zusammenstürzte und das Triumphlied des siegreichen Bürgerthums in allen Landen ein frohes Echo weckte, weil hier zum ersten Male seit fünfzehn Jahren die geistlose Metternich’sche Politik des absoluten Stillstandes, die den Continent beherrschte, eine furchtbare Niederlage erlitt, sahen wir Robert Blum mit seinem harten Brodherrn um die körperlichsten Bedürfnisse des Lebens kämpfen; die Jubelwochen des Bürgerkönigthums fanden Robert auf einer mühsamen Fußreise von Berlin nach Köln begriffen, hier brodlos. Aus purer Barmherzigkeit warf J. W. Schmitz dem jungen Manne, dem er in seinem Dienstzeugnisse nachrühmte, daß er „fleißig und willig zu jeder Arbeit sei, und daß seine erprobte Treue, Gehorsam, bescheidenes und gesittetes Betragen das ausgezeichnetste Lob und Empfehlung verdienen“, vier Thaler zu. Das war aber auch Alles, was Robert vom 22. August bis 1. October 1830 einnahm. Und an diesem Tage trat er mit einem Monatsgehalt von acht Thalern (vom December ab von zehn Thalern) und fünf Thalern Neujahrsgeschenk in die Dienste des Schauspieldirectors Ringelhardt als Theaterdiener.

Man sollte kaum für möglich halten, daß ein Mann in solcher Lage, so schwer gefesselt an die niedersten Erdensorgen, so tief gestellt in der menschlichen Gesellschaft, den sittlichen Muth und die kühne Schwungkraft besessen hätte, in den wenigen Stunden seiner Muße rein geistig, ja dichterisch zu schaffen, und allen Wandlungen der großen Zeitgeschichte mit gespanntestem Interesse zu folgen. Und doch hat Robert Blum dies gethan. Um die Charakterstärke völlig zu würdigen, die dazu gehörte, einen so tiefen Gegensatz zwischen der Wirklichkeit und der Welt des Dichters zu überwinden, muß man die traurige Wirklichkeit, in der Robert Blum damals lebte, die Niedrigkeit und Widerwärtigkeit der Dienste, aus denen er seinen Lebensunterhalt gewann, etwas näher in’s Auge fassen. Mit jenem unverwüstlichen Humor, der dem Manne in allen Lagen des Lebens treu geblieben ist, hat er selbst später seine damaligen Leistungen für die Kölner Schaubühne also geschildert: er mußte als Theaterdiener alle Bestellungen des Directors und der Schauspieler besorgen - sie enthielten nicht immer Liebenswürdigkeiten - Rollen, Geld austragen, Vorstellungen und Proben ansagen und dabei alle Anmaßungen und Plackereien der „Künstler“ ruhig und lammfromm hinnehmen. Er mußte, „dem überstolzen Schauspieler die Grobheiten des Directors“ - möglicherweise, schalten wir ein, auch der Frau Directorin, denn Madame Ringelhardt war eine sehr energische und geschäftseifrige Dame - „dem zweiten Liebhaber die Ungezogenheiten des dritten Bösewichts hinterbringen, bald der Primadonna den Hund bewachen, bald einer anderen Dame einen anderen Dienst besorgen.“ Zudem behandelte und benutzte ihn Ringelhardt, zwar ohne jede herrische und verletzende Form, doch nur als Theaterdiener, das heißt als einen der untersten Angestellten seiner Bühne.

Dem stolzen Gefühl, Berather und Mitarbeiter des Chefs zu sein, das Blum in den letzten Jahren seiner Stellung bei Schmitz hegen durfte, war hier schlechthin zu entsagen. Der üble Geschäftsgang in Köln hat zudem den Director jedenfalls nicht mit der rosigsten Laune erfüllt. Gleichwohl hat Blum auch diesem Brodherrn mit größter Treue und Dankbarkeit gelohnt. Ohne ein Wort vorher zu verrathen, schrieb Blum anonym gegen Ende des Jahres 1830 in einem der gelesensten Kölner Blätter mehrere Zeitungsartikel unter der Ueberschrift „Ein Wort zu seiner Zeit“, in welchen er den schweren Druck, der aus dem Theaterunternehmen durch die enorme Armenabgabe von einem Zehntel jeder Brutto-Einnahme, die fast unerschwingliche Miethe von zwanzig Thalern pro Abend, die vielen Freibillets etc. lastete, mit warmen Worten und größter Sachkenntniß darlegte. Als Ringelhardt erfuhr, aus welcher Feder diese tapfere Vertheidigung seiner Interessen geflossen war, hat er seinem Theaterdiener alles Liebe und Gute gethan, was er konnte, vor Allem ihm die Theaterbibliothek zu [376] freiester Benutzung angeboten und ihn für außergewöhnliche Arbeiten besonders durch Geld entschädigt, auch später bei seiner Uebersiedelung nach Leipzig dafür gesorgt, daß Robert ihm dahin nachfolgte.

In dieser Stellung und Lage fand nun Robert Blum die Freude und den Muth zu dem eifrigsten poetischen Schaffen.

Schon in Berlin, vom Jahre 1829 an, hatte er sich schriftstellerisch versucht. Sein erstes Werk war freilich der reinsten Geschäftsprosa gewidmet, der Straßenbeleuchtung.[1] Aber hauptsächlich war seine schriftstellerische Thätigkeit doch auf „poetische Versuche“ gerichtet. Die Gedichte, die er unter diesem Titel selbst zusammengestellt, umfassen im Manuscript 308 Quartseiten und vertheilen sich auf die Jahre 1829 bis mit 1834. Einige derselben sind schon 1829 und 1830 in der von Saphir herausgegebenen „Schnellpost“ erschienen, andere 1831 folgende in Kölnischen Zeitungen, das Meiste erst später in der „Abendzeitung“, der „Eleganten Welt“ von G. Kühne, in „Unser Planet“ und anderen belletristischen Blättern.

Das einzige unübersteigliche Hinderniß der Herausgabe dieser Gedichte war jene fluchwürdige Einrichtung, welche in Deutschland damals noch auf fast jeglichem literarischem Schaffen, mindestens aber auf der Presse lastete: die Censur. Denn der bei weitem größte Theil dieser Gedichte ist politischen Inhalts. Und so maßvoll uns Deutschen von heute die Freiheitsbegeisterung, so natürlich uns die Vaterlandsliebe des dreiundzwanzigjährigen Dichters erscheinen muß, so war doch der Censor, der über diese Blüthen der Dichtkunst sein maßgebendes Urtheil abzugeben hatte, ganz anderer Meinung. Er strich Blum’s politisch-poetische Offenbarungen unbarmherzig zusammen und gerieth über die Unermüdlichkeit, mit welcher der junge Dichter immer neue Kinder seiner patriotischen Muse überreichte, schließlich in solche Wuth, daß er Allem, was nur Blum’s verhaßte Handschrift trug, schlechthin die Druckerlaubniß versagte. Um sich volle Gewißheit über das parteiische Vorurtheil und die leidenschaftliche Pflichtwidrigkeit dieses Wächters des Staatswohls zu verschaffen, beging Blum die Bosheit, ihm, von seiner Hand geschrieben, unter einem recht verdächtigen Titel einige Gesangbuchsverse zur Censur zuzuschicken – und richtig, der Censor strich auch diese Verse als staatsgefährlich und wiederholte dasselbe noch zweimal, als Blum ihm die nämlichen Verse, die in jeder Kirche zur Erbauung der Gemeinde gesungen wurden, noch zweimal unter anderer Ueberschrift zusendete. Von solchen Menschen hing damals die Entscheidung darüber ab, was das deutsche Volk gedruckt sollte lesen dürfen.

Von den politischen Ereignissen der damaligen Zeit stehen dem Dichter die französische Revolution, dann die große Erhebung Polens und natürlich die Verhältnisse des eigenen Vaterlandes im Vordergrunde des Interesses. Doch verfolgt er auch ferner liegende Dinge mit größter Aufmerksamkeit. Eine der schwungvollsten Dichtungen der Sammlung ist z. B. die ergreifende Klage um den Tod Bolivar’s, des Befreiers Südamerikas vom spanischen Joche († 10. December 1830):

Bolivar ist nicht mehr! klagte der Glockenton,
Bolivar ist nicht mehr! brauste der Ocean,
Und von den Andes rückhallte die Klage
     Ueber den Erdball.

Sinkt denn der Gott dahin, fragt’ ich erschüttert mich,
So wie der Wurm des Staub’s? Ist Er, der seinem Volk
Mehr gab als Leben: die heilige Freiheit!
     Sclave des Todes?

So übertrieben, wie alle liberalen Zeitgenossen, pries auch Blum die Helden der Pariser Julitage. Vom gesündesten politischen Urtheil zeugt dagegen das Scherzgedicht über Griechenland, das er unter dem Titel „Literarische Anzeige“ schrieb, und von dem so Vieles noch heute auf den Staat der Hellenen paßt:

„Im Jahre ein Tausend acht Hundert und dreißig
Erschien, nachdem man erst lange und fleißig
Zu London daran war, mit Drucken und Pressen –
– Auch hat man es nicht zu beschneiden vergessen –
Ein Werkchen, betitelt: Neugriechischer Staat,
In einem sehr niedlichen Taschenformat.
Dasselbe ist ganz nach der neuesten Mode,
So zierlich als möglich, und kurz, die Methode,
Nach der man zu Werk ging, ist eigener Art,
Und überall Ordnung mit Schönheit gepaart.
Zwar wagte der Neid schon von manchen Gebrechen
Und Fehlern, die drinnen sein sollen, zu sprechen;
Doch können dies höchstens nur Druckfehler sein,
Und diese sind dann um so mehr zu verzeih’n,
Da mehrere Setzer am Werkchen gezimmert.
Und Niemand um die Correctur sich gekümmert.
Man suchet nun Jemanden, der den Verlag
Des Werkchens gleich zu übernehmen vermag.“

Ganz überraschend klar und kräftig tritt aber bei Blum der deutsch-nationale Gedanke hervor. In einer Zeit, in der fast Alle, gelegentlich auch er selbst, berauscht waren von einem unbestimmten Freiheitsdrang und kosmopolitischer Schwärmerei und die Erkenntniß, daß erst auf dem Boden eines festen, einigen, deutschen Staatslebens alle höheren Güter der Nation, vor allem die Freiheit, errungen werden könnten, höchst vereinzelt, von Männern wie Pfizer und Dahlmann ausgesprochen wurde, während Männer wie Börne und Heine nur Hohn und Spott für ihr Vaterland hatten, in dieser Zeit erscheint ein Gedicht wie dasjenige, das Blum 1831 „an Germania“ schrieb, als ein hervorragendes Zeugniß politischer Einsicht und nationaler Klarheit. Es heißt darin unter Anderem:

„Völker siehst Du auferstehen,
In des Freiheitsodems Wehen,
In der Zeiten hehrem Lauf;
Erntend längst gestreute Saaten,
Treten sie im Feld der Thaten
Kühn als Nationen auf.

Ach, der Hebel aller Staaten,
Die Erzeug’rin großer Thaten,
Aller Völker Kraft und Macht,
Die allein nur Muth und Stärke
Geben kann zum großen Werke: –
Einheit – ist Dir ja versagt!

In die einzeln schwachen Glieder
Gießt sie Kraft und Fülle wieder;
Einheit ist der Staaten Mark.
Kein Erob’rer stellt verwegen
Dann sich lüstern uns entgegen;
Werdet eins, dann sind wir stark.

Deutsche, nützt die hehren Stunden!
Wenn sie einmal hingeschwunden,
Sind sie ewig uns vorbei;
Laßt das große Völkerringen
Etwas wenigstens uns bringen:
Werdet eins! dann sind wir – frei!“

Ueberhaupt ist der gesunde Realismus, der bei aller Begeisterung des jungen Herzens aus diesen Gedichten spricht, doppelt wohlthuend in einer Zeit, die sich anschickte, mit Heine einem krankhaften sentimentalen Weltschmerz sich zu ergeben. Nirgends fingirt Blum Liebesleiden, die er nicht kannte, nirgends zeigt er sich mit der Welt zerfallen, lebensmüde, obwohl er hierzu mehr Grund haben mochte, als mancher Andere. Dagegen dringt wiederholt die bittere Klage über das harte Geschick, das ihm gerade die Erreichung der höchsten Lebensziele so unendlich schwer machte, mit der vollen Kraft eines gewaltigen Naturlautes aus seiner gepreßten Brust. Aber immer richtet ihn auf der felsenfeste Glaube an den Sieg der idealen Mächte, denen er sein Streben geweiht, und damit auch an die eigene Sendung, die er zu erfüllen bestimmt ist.

Besonders betont in seiner Weltanschauung – er huldigt überall dem rationalistischen Glauben, den er z. B. in seinem „Glaubensbekenntniß“ ausspricht – erscheint die Ueberzeugung von der Unsterblichkeit der Seele, die sich in diesen Gedichten wiederholt ebenso deutlich ausspricht, wie – in dem letzten Briefe an seine Gattin, den er Angesichts des Todes schrieb. In einem seiner frühesten Gedichte „An die Zeit“ (1829) heißt es am Schlusse:

„Du veränderst und wechselst nur jede Gestalt,
Die im Staub sich erzeugte vom Staube;
Doch dem Geiste droht nie der Zerstörung Gewalt,
Er wird nie der Verwesung zum Raube.
Zerstöre Du nur ohne Ende und Ruh’ –
Ein Theil meines Wesens ist ewig, wie Du.“

[377] In der That bedurfte es eines so festen Glaubens an das Walten der sittlichen Mächte und solcher Bedürfnißlosigkeit, wie Robert Blum sie gewöhnt war, um auch in jenen bösen Tagen den Kopf oben zu behalten, als Ringelhardt Anfang Juni 1831 gezwungen war, plötzlich „aus Geschäftsrücksichten“, das heißt mit Rücksicht auf die Geschäftslosigkeit, die Bretter, die die Welt bedeuten, in Köln abzubrechen und Robert Blum zu entlassen. In dieser traurigen Lage griff dieser nach dem ersten Erwerb, der sich ihm bot – er wurde Schreiber beim Gerichtsvollzieher Kümpeler und bezog in dieser Stellung einen Monatsgehalt von – sechs Thalern! Davon war Alles zu bestreiten. Glücklicher Weise dauerte diese harte Prüfung nur bis zum 15. September. Da engagirte ihn Ringelhardt von Neuem für den frühern Gehalt.

Eine erhebliche Förderung verdankte Robert Blum diesem Dienstverhältnisse durch die bereits erwähnte freie Verfügung über die Theaterbibliothek des Directors. Bereits im Winter 1830 auf 1831 wurde der größte Theil der hier vorräthigen dramatischen Werke geradezu verschlungen, später mit Muße das Beste – vor Allem wurden Schiller, Goethe, Lessing, Shakespeare und was an antiken Dramen da war, wieder und wieder gelesen, halb auswendig gelernt. Mit Schiller vor Allen gewann Blum die größte Vertrautheit. Aber auch Goethe lernte er mehr und mehr schätzen. Als der deutsche Dichterfürst starb, schrieb Blum ein tiefempfundenes „Sonett auf Goethe’s Tod“ in seine Gedichtsammlung. Daneben regten die dramatischen Novitäten des Tages den kritischen Theaterdiener an, sein Urtheil über dieselben in kurzen scharfen Distichen auszusprechen. Viele dieser Urtheile über Stücke, die heute noch auf dem Repertoire stehen, sind noch jetzt recht interessant. Ueberhaupt nehmen auch Humor und Satire in Blum’s Dichtungen einen ansehnlichen Rang ein. Wir werden später einige Proben davon kennen lernen.

Für jetzt aber drängte die Begeisterung zu dramatischem Schaffen, die er dem eingehenden Studium der Ringelhardt’schen Theaterbibliothek dankte, jede andere Dichtung zurück; glaubte er sich doch zum Theaterdichter ganz besonders vorbereitet durch die tiefen Blicke, die er als Theaterdiener hinter die Coulissen, in die Mache der Bühnentechnik gethan zu haben meinte. Pilzartig schossen die Lust-, Schau- und Trauerspiele unter seiner Feder in’s Kraut. Die wenigen „Literaten“, die ihn ihrer Freundschaft würdigten, Dr. Rave, Köhler, der Schauspieler Porth, der mit ihm viele Jahre später noch von Dresden aus treu correspondirte, natürlich auch Ringelhardt selbst, wurden von ihm unablässig mit der unheilverkündenden Bitte heimgesucht, wieder ein neues Drama von ihm zu lesen. Diejenigen, welche diese Freundschaftsprobe bestanden, sind ihm für’s Leben treu geblieben. Sie haben ihm auch als gute Freunde offen und stets von Neuem erklärt, daß seine Dramen nichts taugten. Er soll eine ungemessene Zahl seiner dramatischen Schöpfungen in’s Feuer geworfen haben, nachdem ihnen so das Todesurtheil gesprochen worden. Wären doch alle unberufenen dramatischen Dichter so reich an Selbsterkenntniß!

Von allen seinen Bühnen-Schöpfungen ist nur eine einzige gedruckt worden, aber auch diese ist Buchdrama geblieben und niemals aufgeführt worden – „Die Befreiung von Candia“ (Leipzig, C. H. F. Hartmann, 1836). Das Stück behandelt eine Episode des griechischen Befreiungskampfes der zwanziger Jahre (1822) und ist geschrieben in der pathetischen Rhetorik der großen französischen Revolution und voll von beziehungsreichen Anspielungen auf das damalige Deutschland; im Munde freiheitsdürstender Neugriechen konnte diese der Censor nicht gut streichen.

Um dieses stille Schaffen im Zusammenhang darzustellen, sind wir dem Gange der Lebensschicksale Blum’s um Jahre vorangeeilt. Denn die letzten dieser Dichtungen sind schon auf Leipziger Boden erwachsen.

Nach Leipzig war Ringelhardt mit dem Ende der Kölner Wintersaison von 1831 auf 1832 gezogen und hatte hier das Stadttheater übernommen. Blum sollte Mitte Juli als Theaterdiener folgen. Da wurden dem jungen Manne gleichzeitig zwei lohnendere Stellen angeboten: die eine in der Redaction einer Kölnischen Zeitung, die andere als Theater-Secretär bei einer wandernden Truppe der Rheinprovinz. Beide Angebote meldete er Ringelhardt nach Leipzig, und dieser antwortete am 24. Mai von Ostrau: „In Bezug einer Anstellung für Sie in Leipzig kann ich Ihnen vorläufig Folgendes berichten: ... ich will Ihnen einen monatlichen Gehalt von fünfzehn Thaler zahlen, mit der Zusicherung, daß, wenn Sie sich in die Geschäfte eingearbeitet haben, ich die 200 Thaler“ (pro Jahr) „voll machen will. Sie arbeiten dafür alle Schreibereien im Bureau, die ich Ihnen übertrage, sei es das Schreiben von Briefen, seien es Copialien oder Rechnungen oder das Ausschreiben von Rollen (!). Sie übernehmen ferner (!) die Geschäfte bei der Casse und Controlle, die Ihnen übertragen werden, sowie andere Arbeiten des Theaters, die in das Fach einschlagen.“ Blum sagte zu. Darauf lief, nach einer längeren Abwesenheit Ringelhardt’s in Wien, von diesem ein zweiter Brief vom 25. Juni ein, in dem es hieß: „Ihr Engagement können Sie am 15. July hier antreten, weil ich mit Ihnen alle Casseneinrichtungen vorbereiten will und die Billets einrichten, sowie Bibliothek und Musikalien, die ich unter Ihre Aufsicht stelle. Demnach werden Sie Theatersecretär, Bibliothekar und Cassenassistent (!), das ist die Stellung, die ich Ihnen gebe. ... Sagen Sie dem Friseur Deveney, den ich bestens grüße, er solle Ihnen das Recept von dem Spiritus zur Stärkung der Haare geben, und bringen Sie mir es mit!“ Die weiteren Anordnungen des Briefes, welcher unter Anderem versicherte: „Sie können mit Vertrauen zu mir kommen, auch finden Sie hier ein anderes Treiben und Leben als in Köln“, waren der mit Rücksicht auf die Cholera zu wählenden Reiseroute gewidmet, damit Blum unterwegs nicht etwa „Contumaz“ halten müsse.

Ob das heißbegehrte Recept zur Stärkung der Haare mitgenommen worden ist, weiß ich nicht. Jedenfalls konnte Blum erst am 20. Juli nach Leipzig reisen.

Er eilte der Stadt entgegen, die ihm mehr als die eigene Vaterstadt zur Heimath werden sollte, zur Stätte seines Glückes, seines vielseitigsten Wirkens, zur Wiege seines Ruhmes, der weit über die Grenzen seines Vaterlandes und seiner Zeit hinausdringen sollte.

Leipzig war, als Robert Blum hierher übersiedelte, eine Stadt von wenig über vierzigtausend Einwohner, die sich hauptsächlich in der inneren Stadt zusammendrängten. Die politische Entwickelung dieser Bevölkerung lag noch sehr in den Windeln. Die große Leipziger Revolution vom 2. September 1830 war in der Hauptsache das Werk von Schneidern und Studiosen gewesen und hatte die Kraft ihrer Sturmeswogen nur an einigen Fenstern und Mobilien offenbart. Selbst die Kaufmannschaft, das hervorragendste Element der Bürgerschaft, widerstrebte unklar und pessimistisch der wirthschaftlichen Hauptaufgabe der Zeit: dem Anschluß Sachsens an den Zollverein. Von ihr ging der Angstruf aus, der sich zum Glaubenssatze des Leipzigers jener Tage ausgebildet hatte: daß Leipzigs Blüthe dahin sei, und daß mit dem Anschluß an den Zollverein der ganze Leipziger Handel einpacken müsse. Doch war die neue Verfassung des Landes, welche noch kein Jahr alt war, als die Weissagung einer neuen besseren Zeit auch in Leipzig begrüßt worden.

Und übrigens: wie eigenartig, vielseitig und vielversprechend für die Zukunft pulsirte das geistige Leben in dieser deutschen Mittelstadt! Wohl kaum ein Schriftsteller der damaligen Zeit hatte nicht Verlagsbeziehungen zu Leipzig; fast Jeder von ihnen ist irgend einmal vorübergehend oder für längere Zeit nach Leipzig geführt worden. Nicht die unbedeutendsten hatten in Leipzig dauernd ihre Heimath gewählt. Sie Alle lernte Blum allmählich kennen. Weithin glänzte schon damals der klare Stern der Leipziger Hochschule. Mit dem Verfassungsbruche in Hannover ward auch der bedeutende Germanist Albrecht der Universität dauernd gewonnen. In der Musik braucht man nur an Namen wie Mendelssohn, Robert Schumann, Rietz zu erinnern. Das Theater, von jeher ein Liebling des Leipziger Publicums in Freud und Leid, in Fried und Streit, hatte von 1817 bis 1828 unter Küstner’s Leitung gestanden; 1829 sollte es unter königlicher Aegide neu organisirt werden. Unter Ringelhardt (1832) und noch mehr unter Schmidt wurde es zu einer Pflanzstätte der reinsten künstlerischen Bestrebungen und der edelsten Darstellungskunst. Kaum ein berühmter Schauspieler, der hier nicht längere Zeit wirkte! In rascher und freudiger Sinnesänderung hat endlich auch die rege, gesunde Stadt von den Freiheiten, welche Verfassung, Städteordnung, Zollverein boten, kräftig Besitz ergriffen. Am Ausgange der dreißiger Jahre schon regt sich Handel und Industrie der Stadt nicht minder hoffnungsvoll wie politischer und communaler Freisinn. [378] Die stillen Freundschaftsgemeinden, die hier zahlreicher und intensiver wirken, als anderswo, thaten das Beste zu dieser Wandlung.

Eine kurze Zeit stand Robert Blum in diesem regen Treiben nur beobachtend und empfangend. Höchst interessante Berichte, die er über die Leipziger Messe jener Tage schrieb und im „Kölner Corresp. und Staatsboten“ veröffentlichte, stammen aus dieser Zeit der Beobachtung. Er erklärte darin unter Anderem den Gedanken einer Eisenbahn zwischen Leipzig und Dresden für unausführbar. Woher sollten Leute genug kommen, um zwei oder drei Mal am Tage einen Bahnzug zu füllen, wo bisher ein einziger Postwagen kaum besetzt gewesen?

Aber sehr rasch verließ er diesen Standpunkt der Beobachtung, um thätig mitzuwirken an dem, was die Stadt bewegte, oder seiner Meinung nach bewegen sollte. Sein eigentlicher Wirkungskreis, das Theater, führte ihn mit allen Kreisen der Gesellschaft in Berührung, zumeist mit Schriftstellern, Musikern, Künstlern, aber auch mit dem Rathe, Redacteuren, Buchhändlern, Gelehrten. – Mit Herloßsohn, Marggraff, Gustav Kühne, Julius Mosen, Burckhardt, Dr. Apel, Sporschil, Georg Günther, Karl Cramer, Lortzing, Hofrath Winkler sehen wir ihn bald in eifrigem persönlichem oder schriftlichem Verkehre. Von der „Herberge der Gerechten“, wo sich die Gesinnungsgenossen versammelten, gehen wichtige Anregungen in die Bürgerschaft hinaus. Blum hielt, als Albrecht und Dahlmann von den „Göttinger Sieben“ bei ihrer Vertreibung aus Göttingen noch Leipzig kamen seine erste öffentliche Rede an die Männer, die lieber in’s Elend gingen, als sich einem eidbrüchigen König unterwarfen. Als er kurze Zeit darauf in einem Theater-Prolog zu des Königs von Sachsen Geburtstag auf den Schutz anspielte, der den Vertriebenen großherzig in Sachsen geboten worden sei, wurde die Stelle gestrichen. Dieser kleine Kreis der Gesinnungsgenossen giebt später 1840 der großen Feier des Buchdruckerfestes in Leipzig eine hervorragend politische Bedeutung. Blum ist Schriftführer des Vorbereitungscomité’s, in welchem die besten Männer des damaligen Leipzig sitzen, aus welchem die Aengstlichen aber alle verschwinden, als das Fest Guttenberg’s durch Blum mehr und mehr den Charakter der Feier des gedruckten freien Wortes annimmt. Ihre Austrittserklärungen sind von erschütternder Komik.

Aus dem kleinen Kreise der Genossen Blum’s ward von ihm und den Freunden ein immer bedeutenderer Einfluß auf die damals erscheinenden belletristischen und politischen Organe geübt. Bald ist Blum einer der thätigsten Mitarbeiter des gelesensten sächsischen Oppositionsblattes, der „Vaterlandsblätter“. In der „Eleganten Welt“, dem „Planeten“ etc. schreibt er begeisterte Artikel über die große französische Revolution unter dem harmlosen Titel literarischer Kritiken. Bald schreitet er dazu, seinen Wirkungskreis zu erweitern. Am Theater ist er zu Ausgang der dreißiger Jahre schon die Seele des Unternehmens geworden. Bei den häufigen Reisen Ringelhardt’s und des Regisseurs Düringer dirigirt Blum den Musentempel mit weiser Oekonomie, großem Geschick und im besten Einvernehmen mit den Künstlern und der Bürgerschaft. Von dieser festen ökonomischen Basis aus konnte er sich getrost mit Dingen von allgemeinem Interesse beschäftigen. Mit dem Jahre 1840 wird auf Blum’s Anregung der Schiller-Verein und der Schriftstellerverein in Leipzig gegründet, die beide in ihrer Art Keime zu regstem öffentlichem Leben geworden sind und die schönsten Früchte getragen haben. In ihnen erringt die gewaltige Rednergabe ihres Begründers zuerst allgemeine Aufmerksamkeit, reichsten Beifall.

Die Leipziger Messen endlich hatten Blum die erste Veranlassung gegeben, mit Gleichgesinnten der Provinz, namentlich dem rührigen Böhler und Mammen aus Plauen, Rewitzer aus Chemnitz und Anderen Fühlung zu nehmen. Er besucht die neuen Freunde zu agitatorischen Zwecken in ihrer Heimath, entzückt auch hier überall durch seine Rednergabe und steht am Ausgange der dreißiger Jahre des Jahrhunderts in regem Verkehre mit den Trägern der Opposition des sächsischen Landtages, mit Todt und Dieskau, in noch regerer Verbindung mit den Jüngeren, den Joseph, Schaffrath, Braun und Anderen, die sich anschickten, für ein thatkräftiges politisches Wirken sich vorzubereiten.

Hans Blum.
  1. Der Titel lautet: „Kurze Abhandlung über die Straßenbeleuchtung zum Gebrauche (!) der städtischen Polizei- und Verwaltungsbehörden, nebst einigen Erläuterungen über das allgemeine Unternehmen der Straßenbeleuchtung, von R. Blum (Preis 10 Sgr.), Berlin, bei Leopold Wilhelm Krause, Adlerstraße Nr. 6. 1829.“