Aus Robert Blum’s Leben (3)

Textdaten
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Autor: Hans Blum
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Titel: Aus Robert Blum’s Leben. 3. Lehr- und Wanderjahre
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 316–318
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Aus Robert Blum’s Leben
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Aus Robert Blum’s Leben.
3. Lehr- und Wanderjahre.

Wenn das lebhafte Rechtsgefühl, das Robert Blum Zeit seines Lebens beseelte, überhaupt auf eine bestimmte Erfahrung zurückgeführt werden kann, so hat er es sicherlich in der Hauptsache den Leiden und der Rechtlosigkeit seiner Lehrjahre zu danken. Denn geradezu das Gegenbild des heutigen Rechtsverhältnisses zwischen Lehrherrn und Lehrling boten jene Tage, da er Lehrjunge wurde. Hinweggefegt mit allen anderen historischen Einrichtungen früherer Jahrhunderte wurden auch die ehrsamen Zünfte, als die Jacobiner Frankreichs über Köln sich ergossen hatten. Keine Thräne soll etwa hier dem alten Zunftwesen nachgeweint werden. Unleugbar wurde der Lehrling im Zunftstaate der guten alten Zeit mehr als billig vom Meister ausgebeutet: das Lehrgeld kam sehr theuer zu stehen, und viel zu lange währte die Lehrzeit. Dagegen hatte die alte Zunftzeit auch jede herzlose Ausbeutung und Behandlung des Lehrlings von Seiten des Meisters, die über die Grenzen des nach damaligen Begriffen Erlaubten hinausging, streng geahndet. Kein Meister durfte wagen, dem Ehrenrathe der Zunftgenossen zu trotzen: wenn er es that, stellte er seine ganze Existenz auf’s Spiel.

Von diesen heilsamen Schranken gegen die Willkür des Meisters hat Robert Blum in seinen Lehrjahren nichts mehr vorgefunden. Wir Deutschen von heute können uns kaum eine [317] Vorstellung von den Verhältnissen eines Lehrjungen jener Tage machen. Wir sind eben im Begriffe, die Zuchtlosigkeit und die Geneigtheit zu Vertragsbruch, die in erschreckendem Maße unter den heutigen Lehrlingen – in Folge bekannter Hetzereien – sich ausbreitet, durch gesetzliche Bestimmungen einzuschränken. Wir würden es einfach für unmöglich halten, daß heute ein Meister wagen sollte, seinen Lehrling nur als den Sclaven der Launen aller Hausgenossen und außerdem als „Mädchen für Alles“ zu benutzen – ohne auch nur den Versuch zu machen, den Lehrling in dem Gewerbe zu unterrichten, das er lernen soll. Der starke Arm des Gesetzes schützt auch den Aermsten und Schüchternsten vor solcher Ausbeutung. Robert Blum dagegen hat mehr als einmal Lehrherren von diesem Schlage kennen gelernt.

Lange hatte der dreizehnjährige Knabe nachgesonnen, welchem Handwerke er sich zuwenden solle, als die Pforten des Gymnasiums sich ihm für immer geschlossen hatten. Seine Eltern ließen ihm freie Wahl. Robert entschloß sich, Goldschmied zu werden. Das edelste der Metalle, der Rohstoff, auf dessen Besitz das einzige Streben vieler Millionen unablässig gerichtet ist, wollte er bearbeiten und zu schmückendem Zierrathe künstlerisch gestalten lernen. Tiefer Sinn lag in dieser Berufswahl, die der denkende Knabe gewiß mit vollem Bewußtsein traf. Da nun einmal das reine Gold der Wissenschaft, das er ohne jeden unedeln Beisatz auszumünzen hoffte, seinen Händen für immer entrückt war, so wollte er wenigstens täglich jenes wichtigste Element unter den Händen haben, das so Viele noch höher schätzen, als das reine Geld der Wissenschaft. Seine Eltern billigten die Wahl. Robert wurde zum Goldarbeiter Asthöver in der Mauthgasse in die Lehre gebracht.

Es ist nun eine von allen bisherigen Biographen Robert Blum’s mit rührender Einstimmigkeit berichtete Fabel, deren „Moral“ nicht erst erläutert zu werden braucht: Robert habe bei Asthöver – den Namen des Meisters nennt übrigens Keiner der bisherigen Biographen – ein halbes Jahr lang Draht gezogen, ausgeglüht und als erste selbstständige Arbeit endlich Ketten machen sollen, dazu aber habe er sich vollständig unfähig erwiesen. „Allerdings war sein späteres Streben nur darauf gerichtet, alle Ketten zu sprengen, welche die Menschen noch ihrer Freiheit berauben“, bemerkt einer dieser gemeinplatzwandelnden Biographen. Aus diesem Grunde soll Robert von dem Meister, den man sich nach der Nutzanwendung der Fabel eigentlich als ränkeschmiedenden Reactionär vorstellen müßte, fortgejagt worden sein. Allein diese allerliebste Geschichte hat nur den einen Fehler, daß sie nicht wahr ist. Nach den Familienaufzeichnungen, die wir eben wegen ihrer Schmucklosigkeit und Tendenzlosigkeit und ihrer Fülle von Detail und Localfarbe für völlig glaubhaft halten dürfen, hat sich die Sache vielmehr so zugetragen:

Meister Asthöver war ungefähr das, was man im gewöhnlichen Leben einen guten Menschen, aber schlechten Musikanten nennt. Er scheint seinerseits einen ansehnlichen Beitrag zu der den Franzosen und anderen lateinischen Völkern völlig unbegreiflichen deutschen Volksvermehrung geliefert zu haben. Wenigstens hat Robert während der neun Monate seiner Lehrzeit bei Asthöver von den Functionen der Magd bis zu denen des Kinderwiegens, -Tragens und -Laufenlehrens alle Aufgaben eines ersten Erziehers überkommen und vollzogen. Und wahrscheinlich wäre bei längerer Fortdauer seiner Lehrzeit in dieser Art von Werkstatt derselbe Kreislauf der Pflichten ihm noch mehr als einmal beschieden gewesen. Jedenfalls war es nicht der Fehler Asthöver’s, daß dies nicht der Fall war. Vielmehr klagte Robert Blum selbst seiner Mutter nach dreivierteljähriger Lehrzeit, daß er die Werkstatt des Meisters kaum zu sehen bekomme, und meist nur als Kinderwärter, höchstens als Küchenjunge verwendet werde. Die Mutter, welche die Wahrheitsliebe ihres Robert schon so oft erprobt hatte, ging zu Asthöver und beschwerte sich über den Mißbrauch. Da fand auch der biedere Meister eine flotte Ausrede. Er erklärte, daß er den kurzsichtigen Knaben mit den schwachen Augen zur Berufsarbeit nicht brauchen könne. Wann und wie lange er diese betrübende Entdeckung gemacht, verrieth er der Mutter nicht. Zum Kettenschmieden ist Robert jedenfalls nicht gekommen.

Es scheint, als habe Robert nun zunächst den Zufall über seine Berufswahl bestimmen lassen. Bei einem Gürtler war eine Lehrstelle offen. Er nahm sie an. Aber nach einem halben Jahre schon war auch dieser Berufszweig verdorrt; denn der Meister mußte wegen verschiedener schlechter Streiche, welche die Nachfrage der Behörden nach seiner werthen Person in bedenklichem Maße steigerten, Köln verlassen und das Weite suchen.

Zum dritten Mal stand also Robert in dem ärmlichen Hause der Eltern vor der dringenden Frage: „was nun?“ Da wurde durch die Zeitung bekannt gemacht, daß ein Gelbgießer in Köln einen Lehrling suche. Robert bot sich sofort an. Der ehrsame Meister, der den Lehrling suchte, war Peter Räder, Gelbgießer aus Düsseldorf, seit Kurzem erst nach Köln gezogen. Robert gefiel dem Meister sehr, und der Contract wurde daher sofort geschlossen. Ob das Gefallen auf Gegenseitigkeit beruhte, wissen wir nicht. Jedenfalls verbreiteten sich bald die schlimmsten Gerüchte über die Vergangenheit des Meisters. Er sollte in Düsseldorf seine Frau so lange gequält und geärgert haben, bis sie habe in’s Grab steigen müssen. Nach Köln sei er nur gezogen, um seinen Schwägern aus den Augen zu kommen, die ihm Rache geschworen. Vor Robert hatte er einen Lehrling gehabt, der aus Aerger über des Meisters stetes Zanken und seine Unzufriedenheit mit jeglicher Leistung erst die Gelbsucht bekommen hatte, dann an der Auszehrung gestorben war.

Das Verhalten Räder’s Robert gegenüber rechtfertigte vollkommen diesen bösen Leumund. Dieser Meister der Gelbgießerei zeigte sich geizig, zänkisch, kleinlich und von Herzen bösartig. Gleichwohl suchte Robert durch vier lange Jahre es ihm recht zu machen, um nur von sich selbst den drückenden Verdacht abzuwehren, als sei er unstet und ungeschickt, unwillig zum Lernen eines ordentlichen Handwerkes. Niemals gewann er in dieser langen Zeit von seinem Meister die geringste Aufmunterung, das bescheidenste Zeichen der Zufriedenheit. Daß der Meister mit Robert nicht fortwährend zankte, war schon ein Beweis der treuesten Pflichterfüllung des Lehrlings.

Ein Vorkommniß ist besonders bezeichnend für den Charakter dieses Lehrherrn. Räder erhielt eines Tages ein große Bestellung von Seiten des Militärfiscus, wie wir heute sagen würden. Eine sehr erhebliche Anzahl der mit einzelnen Messingplättchen belegten, spitz zulaufenden Riemen an den Czakos der (preußischen) Soldaten sollte in größter Eile geliefert werden. Räder konnte nur durch ungewöhnliche Anstrengung aller seiner Leute hoffen, die lohnende Arbeit in der vorgeschriebenen Zeit zu bewältigen. Er sicherte daher Allen, die vier bis fünf Stunden des Nachts während sechs Wochen an dieser Arbeit mit helfen würden, einen bestimmten Lohnsatz pro Stunde für diese Extra-Arbeit zu. Robert speciell versprach er für jede dieser Arbeit geopferte Nacht fünf Groschen. Freudig ging das junge Blut auf dieses Angebot ein. Fortan kam Robert Abends acht Uhr, wie sonst, zum Essen nach Hause und ging vor zehn Uhr wieder an die Nachtarbeit. Bis drei Uhr Nachts war er thätig. Dann gönnte er sich im Hause des Lehrherrn einige Stunden Ruhe, kam zum Frühstück nach Hause und ging, wie gewöhnlich, um sieben Uhr Morgens an sein Tagewerk. Voller Freude sprach er mit den Seinen von der schönen Summe Geldes, die er sich durch das Opfer seines Schlafes erkauft habe. Mit der reichen Hoffnung der Armuth malte er sich schon eine königliche Bescheerung aus, die er sich selbst leisten werde. Nun waren die schweren sechs Wochen um. Die Gesellen, die jede Woche, auch für die Nachtarbeit, abgelohnt worden waren, hatten längst ihr Geld in der Tasche. Räder hatte ein vortreffliches Geschäft gemacht. Aber Robert erhielt nichts; kein Wort des Lehrherrn verrieth dessen Absicht, sich dem armen Lehrling gegenüber an das gegebene Versprechen zu erinnern. Endlich geht die Mutter entschlossen zu Räder und bittet um das Geld für ihren Sohn. Da meint der Meister: „es sei doch spaßhaft, wenn selbst der Lehrling komme und seine Mühe bezahlt haben wolle. Wenn Arbeit da sei, müsse eben der Lehrling arbeiten – dafür sei er Lehrling; auf ein bischen mehr oder weniger komme es nicht an.“ Dabei blieb es. Kein Pfennig war aus dem hartherzigen Knauser herauszupressen. Von diesem Tage an fehlte es nun für Robert auch an stetem Zanken und Schelten nicht. So meinte Räder am bequemsten die Stimme des Gewissens zu übertäuben.

Endlich waren auch diese vier bösen Jahre um. Robert zählte neunzehn Jahre, als er zum Gesellen gesprochen wurde [318] (November 1826). Aber der Geselle und der Prophet gelten nichts in ihrem Vaterlande. Beide müssen wandern. Auch Robert wanderte, natürlich nicht als Prophet, sondern als Gelbgießergeselle. Diese Tage der Wanderschaft kann ich nun auf Tag und Stunde, an der Hand der eigenen Aufzeichnungen des Wanderers verfolgen. Robert Blum hat nämlich durch seine Wanderjahre ein „Reise-Journal“ geführt. Das ist der früheste eigenhändig von ihm geschriebene und, was die Glaubwürdigkeit erhöht, auf der Wanderschaft selbst tagebuchartig fortgeführte Bericht aus seinem Leben, den ich besitze. Er wurde unter seinen nachgelassenen Papieren vorgefunden. Leider sind alle seine Briefe an die Seinen aus jener Zeit, deren er trotz des theuren Portos viele schrieb, verloren gegangen. Aber das Reise-Journal läßt, obwohl es nur die Reiseroute in Meilen, die Zeit des Aufenthaltes an den einzelnen Orten angiebt und diese Orte nebst Umgegend schildert, alles das zwischen den Zeilen lesen, was aus den mir vorliegenden Zeugnissen seiner Meister und sonstigen Quellen über seine Wanderschaft berichtet wird: daß Robert nämlich, in Folge seiner schwachen Augen, überall zu feinerer Arbeit sich wenig tauglich zeigte, und daher überall nur kurze Zeit kaum lohnende Arbeit fand, obwohl er sich überall „honett betrug“, wie es in den Zeugnissen steht.

Am 25. November 1826, genau zwanzig Jahre nach dem Hochzeitstage seines Vaters, trat Robert, noch seinem Reise-Journal, die Wanderung an. Er erreichte an diesem Tage Bonn. Es war der erste Schritt in die Welt, den er that. Man sieht den ersten Seiten des Journals deutlich an, mit welcher Begeisterung der arme, zeitlebens bisher an die Scholle gefesselte junge Mann oder „Jüngling“, wie er sich selbst noch drei Jahre später nannte, die Wunder des Rheinlandes begrüßte. Die für die „Bemerkungen über die Gegend“ eingerichtete Spalte des Journals reicht überall nicht zu, um das volle Herz ausströmen zu lassen. Dabei spricht Robert natürlich wie ein Buch. Er will vor sich selbst zeigen, daß er doch schon Einiges gelernt und nichts vergessen hat. So versichert er, kaum in Bonn angekommen, und ohne jede eigene Kenntniß von anderen Städten als Köln und Bonn: „Die Reste von Bonns ehemaliger Herrlichkeit als kürfürstliche Residenz, verbunden (!) mit der Universität und ihren gelehrten Instituten, machen die sonst unbedeutende Stadt zu einer der merkwürdigsten am Rheine.“ Schon am 27. November wanderte er über Remagen, Andernach, Neuwied nach Weißenthurm, am 28. bis nach Coblenz. „Ihm gegenüber liegt auf der fast unersteigbaren Zinne eines schroffen Felsens die Bergveste Ehrenbreitstein, das deutsche Gibraltar, ein vollendetes Meisterwerk deutscher Befestigungskunst,“ schreibt er in sein Journal. Und dann schildert er die Gegend auf seinem Weitermarsch nach Caub, Bacharach etc. also: „Von hier aus wird die Gegend immer wilder und romantischer. Gigantische, jeder Vegetation (?) unfähige Felsenmassen, deren Gipfel mit den Denkmälern grauer Vorzeit und deutschen Heldenmuthes gekrönt sind, wechseln mit lieblich grünenden Weinbergen; der stolze Fluß, in enge Schlünde zusammengedrängt, bahnt sich in mäandrischen Krümmungen den Weg durch das Felsenlabyrinth und scheint oft mit dem Donnern und Brausen seiner Wogen das ganze Bett sprengen zu wollen.“ Gewiß haben wenige wandernde Gelbgießergesellen damaliger Zeit so gut geschrieben und so wenig Arbeit gefunden, wie Robert. Denn schon am 10. December traf er, auf demselben Wege rückwärts wandernd, wieder in Köln ein.

Der Schrecken der Seinen über die rasche Heimkehr scheint kein geringer gewesen zu sein. Schon nach zwei Tagen ergreift er abermals den Wanderstab und zieht über Opladen und Solingen nach Elberfeld. Die Landschaft, die er durchwandert, schildert er in seinem Reise-Journal also: „Die Gegend, welche an den Ufern des Rheins flach bleibt, beginnt östlich von Opladen sich zu erheben; Hügel von Sand und Mergel sind die Vorboten größerer Berge, die in romantischen Gruppen die Gegend bedecken und ihr ein wahrhaft schweizerisches (?) Ansehen geben. Ackerbau findet man meistens nur in den Thälern und am Fuße der Berge und auch hier nur unbedeutend. Die Einwohner ernähren sich größtentheils von Fabrikarbeit, und ihr Fleiß und ihre Arbeitsamkeit sind bewundernswerth und fast beispiellos. In den verborgensten Tiefen klappern unaufhörlich die Hämmer der zahlreichen Eisenwerke, und nicht selten tönt uns von der unwirthbarsten Spitze der Berge aus einer einzelnen Hütte das Knarren der Webstühle entgegen oder wir hören die einförmigen Schläge einer Schmiede, die auch in der schaurigsten Einöde an das Dasein uns ähnlicher Wesen erinnern.“

In Elberfeld und Barmen blieb Robert vom 12. December 1826 bis zum 6. Juni des Jahres 1827 in Arbeit bei verschiedenen Meistern. Der zweite, der ihn beschäftigte, sagte ihm beim Abschied – gewiß nicht mit Unrecht –: „er passe nicht zu einem Handwerksmann; er solle lieber ein Federfuchser werden.“ So viel Wahrheit und Menschenkenntniß in diesem Worte lag, für Robert enthielt es das Schmerzlichste, was ihm ein Mensch damals offenbaren konnte: die rückhaltlose Aussprache der furchtbaren Erkenntniß, die er selbst im tiefsten Schrein seines Herzens bewahrte – daß er seinen Beruf verfehlt habe, daß ihm aber zur Durchführung seiner wahren Lebensaufgabe, der productiven Geistesarbeit mit der Feder, das Nöthigste abgehe, Wissen und die Mittel zur Fortbildung.

Unter der ganzen Wucht dieser erdrückenden Erkenntniß, völlig überzeugt, daß ihn sein Handwerk, bei dem so viele Andere ihr reichliches Auskommen fanden, nicht nähren könne, trat Robert am 6. Juni 1827 wieder den Heimweg nach Köln an,[1] wo er verzweifelt den Seinen das ganze Herz ausschüttete.

Da begünstigte ihn zum ersten Mal in seinem Leben ein fast wunderbarer Glücksfall. Als er hoffnungs- und aussichtslos die Zeitung durchblätterte, um nach irgend einer Stellung zu suchen, welche ihm wenigstens ermöglichte, seiner guten Mutter die Sorge für seine Ernährung abzunehmen, fand er die Anzeige eines Herrn J. W. Schmitz, eines Lieferanten der vor Kurzem neu eingeführten Straßenlaternen mit einem Licht. Dieser Vertreter der öffentlichen Aufklärung suchte „einen jungen Mann mit hinlänglichen Schulkenntnissen, der in Arbeiten in Metallen erfahren und geneigt sei, Arbeiten zu beaufsichtigen und selbst mit zu arbeiten“. Robert bot sich sofort bei Schmitz an. Er gefiel dem Manne und Schmitz nahm ihn gleich an. Als die Mutter, die wohl kaum an das gute Glück ihres unglückliche Kindes glauben mochte, nun auch zu Schmitz eilte, um einen „Accord“ mit ihm zu machen, sagte der Straßenbeleuchter: „Liebe Frau, es bedarf keines Accordes. Ich habe in Ihrem Sohne einen Schatz gefunden. Ich kenne ihn erst sehr kurze Zeit, aber ich habe seine herrlichen Eigenschaften erkannt und weiß sie zu würdigen. Für die Beschäftigung, zu der ich ihn anfangs anzunehmen gedachte, ist er zu gut. Seine Ausbildung und seine Zukunft nehme ich auf mich. Ich habe ihn lieb gewonnen.“

So glücklich und verheißungsvoll eröffnete sich Robert’s Stellung bei einem Manne, der trotz der widersprechendsten Anlagen seines Charakters und trotz der schroffsten Wandlungen in seinem Verhalten Robert gegenüber doch eine der bedeutsamsten Rollen im Leben desselben gespielt hat. Denn Schmitz hat dem jungen Mann zum ersten Mal Gelegenheit gegeben, sein Vaterland kennen zu lernen, es sorgenlos und behaglich beobachtend zu durchmessen. Er hat Robert zum ersten Mal Muße, Anregung und – wenn auch dürftige – Mittel geboten, um an seiner wissenschaftlichen Fortbildung zu arbeiten. Er hat ihn die reichen Bildungsmittel, welche schon der bloße Anschauungsunterricht des damaligen München und Berlin bot, monatelang benützen und genießen lassen. Und derselbe Mann hat dann andererseits seinen treuesten, begeistertsten und dankbarsten Mitarbeiter tiefer gedemüthigt und härter behandelt, als irgend ein Anderer, von dem Robert mit seiner Existenz abhing. Schon vom psychologischen Standpunkte aus verdient daher dieser merkwürdige Mensch besondere Beachtung, hier aber insbesondere auch darum, weil der Dienst bei ihm für Robert’s Lebensziel und Ausrüstung nach dem Obigen von größter Bedeutung war. Daher scheint es gerechtfertigt, wenn wir das nächste Capitel überschreiben: Bei „J. W. Schmitz“.

Hans Blum.
  1. Das „Reise-Journal“ verzeichnet hier, charakteristisch genug, nur Orte und Meilendistancen ohne jede Bemerkung.