Textdaten
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Autor: Bernhard Stavenow
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Titel: Aus Chopin’s Leben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 36–40
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus Chopin’s Leben.
Mittheilungen von Bernhard Stavenow.

Am 17. October des vergangenen Jahres waren es dreißig Jahre, daß Friedrich Chopin gestorben. Er war ein Dichter, ein Träumer und Phantast der genialsten Art, und seine Schöpfungen bilden eine kleine Welt für sich. Der wundersame Reiz, welcher seiner Muse innewohnt, hat ihm allenthalben Freunde und Verehrer erweckt, der blendende Schimmer seines Colorits und die aristokratische Vornehmheit seines Ausdrucks nehmen auch den Oberflächlicheren widerstandslos gefangen.

Seine Werke aber waren verhältnißmäßig immer noch so theuer, daß nicht Jeder sich dieselben anschaffen konnte. Mit dem 17. October 1879 ist das anders geworden, da mit diesem Tage das Monopol der bisherigen Verleger aufgehört hat; billige Volksausgaben werden entstehen, welche die Anschaffung auch dem Aermeren opferlos gestatten.

Von dem äußeren Lebensgange des Meisters ist leider nur verhältnißmäßig karge Kunde zu uns gekommen, und was über ihn bis jetzt geschrieben wurde, war ohne Ausnahme, besonders aber in den Angaben über die letzten zwölf Jahre seines Lebens, voller Irrthümer. Diese nun zum ersten Male zu berichtigen, und ein möglichst getreues Bild des Gefeierten während des letzten Decenniums seines Daseins in kurzen Zügen zu geben, sei die Aufgabe der folgenden kleinen Skizze.

*
*          *

Friedrich Chopin war seit seiner Kindheit von zarter Natur und feinem Körperbau, dazu durch das viele Clavierspielen von sehr reizbarem Nervensystem. Kein Wunder, daß das unruhige Pariser Leben mit seinen zahllosen Vergnügungen und späten Abendgesellschaften, in welches er seit dem Jahre 1832 hineingerathen war, höchst nachtheilig und aufreibend auf die Constitution des Gefeierten wirkte, sodaß im Herbst 1837 bedenkliche Anfälle von Brustkrankheit sich bei ihm einstellten.

Anfangs hoffte man, der nächste Sommer mit seinen linden Lüften würde den Patienten wieder herstellen; allein dem war nicht so. Seine Kräfte erschöpften sich von Tag zu Tag mehr; schließlich wurden die Freunde und Aerzte ernstlich besorgt und riethen ihm, einige Zeit nach dem südlichen Frankreich zu gehen.

Aber Chopin vermochte sich nicht zu der Reise zu entschließen. Er befand sich, wie öfter in seinem Leben, in großer Geldverlegenheit und war doch zu stolz, Jemand dies merken zu lassen, obgleich er von Seiten seiner zahlreichen Freunde und Gönner sofort und mit größter Bereitwilligkeit Geld bekommen haben würde. Ferner konnte er es nicht über sich gewinnen, auf unbestimmte Zeit so weit von seinen Freunden, seinem Piano und von George Sand, der Geliebten seiner Seele, zu scheiden. Lieber wollte er den Winter, wie gewöhnlich, zu Paris verbringen trotz der Unzuträglichkeit für seinen Zustand.

Da faßte George Sand – wie es heißt, aus Rücksicht für ihren Sohn Maurice – den Entschluß, nach der Insel Mallorca zu gehen und redete Chopin zu, an dieser Reise Theil zu nehmen. Dieser Bitte vermochte Chopin nicht zu widerstehen, zumal auch inzwischen seine Börse sich durch den Verkauf seiner Präludien wieder gefüllt hatte: er hatte dieselben im August 1838 für zweitausend Franken an Camillo Pleyel verkauft. Und so fuhr er denn mit der geliebten Frau sammt ihren beiden Kindern Maurice und Solange im October 1838 von Paris ab, obgleich seinen Freunden diese Reise durchaus nicht gerathen schien.

Während der Seefahrt befand sich Chopin ziemlich wohl; allein gleich nach der Landung auf Mallorca erkrankte er gefährlich und wurde täglich schmaler und bleicher, sodaß er bald einem bloßen Gerippe glich und die Aerzte ihn vollständig aufgaben. Er war auf Alles gefaßt, um so mehr, als der Winter in jenem Jahre sich gerade entsetzlich hartnäckig zeigte, das Haus, oder besser gesagt, die Hütte, in welcher sie wohnten, an allen Ecken baufällig und von Mobilien entblößt war, und der Arzt, den er zu Rathe gezogen, sein Leiden gänzlich verkannte und Mittel anwendete, welche wider die Natur seiner Krankheit liefen.

George Sand berichtet uns in ihren Memoiren („Histoire de ma vie“, Paris 1855) ausführlich über diese Reise. Nur einen Irrthum begeht sie, der von den Chopin-Biographen in ihren Büchern und Aufsätzen bis jetzt stets nachgeschrieben wurde. Sie sagt nämlich, Chopin habe während jener Zeit in der Karthause auf Mallorca auch seine „Präludien“ geschrieben. Wohl konnte er ihr dieselben dort öfter vorgespielt haben; allein componirt hatte er jene Meisterwerke der duftigsten Poesie, jene seltsamen Träume und Bilder der Nacht, die aus Feenzauber und Mondesglanz, aus Herzeleid und Herzensfreud’ harmonisch gewoben scheinen, schon vor seiner Abreise von Paris, wie mir sein Lieblingsschüler und intimster Freund, Adolph Gutmann, der das Manuscript für den Druck copirt hat, wiederholt versicherte.

Während der Dauer der Krankheit wich George Sand keinen Augenblick von der Seite des Freundes. Sie war es auch, welche zuerst instinctiv fühlte, daß die von dem Arzt wöchentlich mehrmals vorgenommene Blutentziehung dem geliebten Kranken den sichern Tod bringen müsse; sie umgab ihn mit der zartesten Fürsorge und kannte weder Müdigkeit noch Abspannung, bis endlich das Leiden wich und die düstere Laune, welche Chopin’s Geist gefesselt hielt, sich allmählich zerstreute, einer lichtvolleren, glücklicheren Stimmung Raum gewährend.

Seit jener Zeit war George Sand für Chopin die machtvolle Zauberin, die sein Leben dem Tode abgerungen und seine Leiden in ein nie gekanntes Glück verwandelt hatte. Und als sie im März 1839 Mallorca wieder verließ, zog er mit ihr zusammen auf ihren idyllischen Landsitz nach Nohant und verlebte hier einen schönen Sommer, in welchem er sich glücklich und verhältnißmäßig wohl fühlte.

Im Herbst 1839 zog George Sand mit Chopin, der nun, wenn auch nicht vollkommen hergestellt, so doch sehr gekräftigt war, nach Paris. Beide waren während des Sommers unzertrennlich geworden. Und wenn auch kein Spruch des Gerichts oder der Kirche ihren Bund gesegnet hatte, so trösteten sich Beide doch mit der Ueberzeugung, daß die gegenseitige Treue das Bündniß zwischen ihnen heilige.

Am Square d’Orléans mietheten sie eine gemeinschaftliche hübsche Wohnung. Anfangs hatte Chopin außerdem noch pro forma in einer benachbarten Straße ein besonderes möblirtes Zimmer gemiethet, welches officiell als seine Wohnung galt und wo er die Besuche von entfernter stehenden Personen täglich [37] zu einer bestimmten Stunde empfing. Jedoch schon nach vier Wochen ward ihm das lästig. Er gab das Zimmer auf und empfing Jedermann in der gemeinschaftlichen Wohnung bei George Sand, ertheilte auch in dem Salon derselben seine Stunden.

In dieser Wohnung hielt sich George Sand während der ersten Monate keine eigene Küche, sondern aß mit Chopin und ihren Kindern bei einer gemeinschaftlichen Freundin, Namens Marliani, einer Dame aus der besten Gesellschaft von Paris, die zufällig in dem Hause wohnte, welches hinten mit dem der George Sand zusammenstieß.


Friedrich Chopin.
Nach Winterhalter's Zeichnung auf Holz übertragen.


Ein kleiner Gang durch die Gärten vereinigte beide Wohnungen, und so konnte Chopin sich mit seiner Freundin und deren Kindern stets ungesehen und ungenirt dorthin begeben. Allein schon im October, als das Wetter schlechter wurde, ward das doch unbequem, und George Sand schaffte sich wieder eine eigene Menage an, zumal sie und Chopin auch nicht umhin konnten, wie Jedermann, der zur Gesellschaft gehörte, im Winter hin und wieder Soiréen zu geben.

Auf einer Soirée, welche Herr Leo – derselbe, dem Chopin die Polonaise Opus 53 gewidmet hat – Anfang November gab, lernte Chopin seinen deutschen Collegen, den Componisten und Claviervirtuosen Moscheles kennen, von dem er schon so viel gehört hatte, den er aber bis dahin noch nicht persönlich kannte, und kurze Zeit nach diesem Zusammentreffen wurden Beide vom König Louis Philipp, am 29. November, nach St. Cloud zu einem Hofconcert eingeladen. Chopin spielte vor der königlichen Familie zuerst ein Notturno, nachher einige Etüden, und wurde wie ein Liebling bewundert und gehätschelt. Hierauf trug Moscheles einige Salonstücke vor, und zuletzt mit Chopin zusammen seine vierhändige Sonate.

Gutmann war zugegen, wie dieselbe am Morgen vorher probirt wurde, und erinnert sich noch heute deutlich des Staunens des Componisten darüber, wie Chopin das Legato in dem Adagio spielte. Das war ganz neu für ihn; so hatte er dasselbe nie gehört.

Am 1. December – zwei Tage nach dem Concerte – erhielt Chopin vom Hofe eine silberne, innen vergoldete Tasse; nicht ein Servis von Sèvres, wie in den bisherigen Biographieen überall fälschlich angegeben ist. Die Tasse war ohne Futteral, und Chopin ließ sich auf eigene Kosten ein solches anfertigen mit der Inschrift: „Donné par le roi Louis Philippe.“ – Moscheles bekam ein Necessaire.

Später spielte Chopin nochmals am Hofe, wofür man ihm einfach 200 Franken sandte. Der Meister ärgerte sich darüber [38] so sehr, daß er in seinem ersten Zorne mit moquanter Stimme zu Gutmann sagte. „Das reicht für meinen Schneider.“

Im Februar 1840 nahmen die Leiden Chopin's wieder zu. Es stellte sich andauernde Schlaflosigkeit ein, und die Symptome der Lungenaffection zeigten sich deutlich. Man konnte sich über den Ernst seines Zustandes nicht mehr täuschen. Und wenn er nun auch allsommerlich mit der George Sand zusammen nach Nohant ging und dort in reiner, milder Luft immer einige Linderung fand, zumal er daselbst frei und ganz nach seinem Gefallen leben konnte, so verschlimmerte der Pariser Winter mit seinen rauhen Winden doch stets wieder das Leiden, und mit jedem Jahre machte die Krankheit größere Fortschritte. Der Husten wurde hartnäckiger, und manchen Tag war der Kranke so matt und litt derartig an Luftmangel, daß derselbe, wenn er seine Freunde besuchen wollte, sich an beiden Armen die Treppen hinauf nach deren Wohnungen führen lassen mußte. Die Verschlimmerung seiner physischen Leiden führte endlich auch öftere Trübungen seines Geistes herbei.

Die Compositionen dieser Epoche von 1840 bis Ende 1846 bestehen in den Werken, welche die Zahlen 53 bis 65 tragen. Es sind durchweg schöne Musikstücke. Allein die Schwermuth und eigenartige Gefühlsaufregung, die besonders aus den letzten herausströmt, sowie der Mangel an jener wohlthuenden Klarheit, durch welche sich sonst seine musikalischen Poesien auszeichneten, sprechen laut von dem beklagenswerthen Zustand des kranken Tondichters.

Im Frühjahr 1847 ging George Sand, wie gewöhnlich, von Paris nach Nohant auf ihren Sommersitz. Diesmal konnte Chopin ihr nicht folgen, denn George Sand wollte daselbst ihre Tochter Solange verheirathen, und zu der Hochzeit war die Gegenwart des Barons Dudevant, des geschiedenen Gemahls der berühmten Schriftstellerin, in Nohant nothwendig.

Chopin mußte also in Paris bleiben, und hier verschlimmerte sich nun sein Zustand plötzlich so gewaltig, daß man längere Zeit ernstlich fürchtete, er würde sein Krankenbett bald mit dem Sarge vertauschen. Doch Adolf Gutmann, der aus seinem Lieblingsschüler sein Lieblingsfreund geworden, und mit dem er während der ganzen Jahre fast tagtäglich zusammen war, pflegte ihn mit der größten und aufopferndsten Sorgfalt, welche der Kranke mit rührender Dankbarkeit vergalt. „Ist Gutmann auch nicht müde? Wird es ihn nicht zu sehr anstrengen, daß er noch weiter bei mir wache? Ach, ich möchte ihn nicht so plagen, und doch möchte ich keinen Andern so viel um mich haben, wie ihn“ – in ähnlichen Aeußerungen bewegte sich fast ausschließlich die Rede des zur Schweigsamkeit verurtheilten Kranken. Und Dank dieser unermüdlichen Pflege des treuen Freundes, sowie den Bemühungen des Arztes Dr. Molin gelang es, Chopin endlich zu Anfang des Mai so ziemlich wieder herzustellen.

Gutmann hatte schon lange den Wunsch, ein Bild Chopin's zu besitzen, und der ihm befreundete berühmte Maler Franz Winterhalter wollte das Portrait fertigen, allein Chopin hatte einen instinctiven Widerwillen gegen das Portraitirt-Werden, und so war bisher noch immer nichts aus der Verwirklichung von Gutmann's Wunsch geworden. Jetzt endlich sollte derselbe in Erfüllung gehen. Als nämlich Chopin während der Besserung eines Nachts mit Gutmann traulich plauderte und ihm seine Erkenntlichkeit für die aufopfernde Pflege dankend aussprach, benutzte Gutmann die Gelegenheit, von Chopin das Versprechen zu erhalten, daß er zu einem Portrait sitzen wolle.

Schon am 2. Mai kam Winterhalter zu Chopin und zeichnete das einzige jetzt existirende, direct nach der Natur gefertigte Portrait des lebenden Chopin, welches neben dessen Unterschrift das Datum vom 2. Mai 1847 trägt und noch heute, ebenso wie das einzige nach der Natur gezeichnete Bild des todten Chopin, unter anderen Chopin-Reliquien in Gutmann's Besitz ist. Es ist in einem wohlgelungenen Holzschnitt diesem Artikel beigegeben. Das zweite, direct nach der Natur von Ary Scheffer gemalte, zuletzt in Besitz von Chopin's Schwester, der Frau Isabella Barcinska, befindlich gewesene Portrait des lebenden Chopin ward im September 1863 zu Krakau bei Anlaß der politischen Unruhen vernichtet.

George Sand dankte Gutmann für seine aufopfernde Pflege Chopin's während der eben geschilderten Leidenszeit in einem Briefe aus Nohant vom 12. Mai, welchen ich vor einigen Monaten in meinem Chopin-Artikel in Paul Lindau's „Gegenwart“ (Nr. 28 vom 12. Juli 1879) der Oeffentlichkeit übergab und aus dem klar hervorgeht, daß der vollständige Bruch George Sand's mit Chopin nicht im Anfang des Jahres 1847 vor der Abreise der berühmten Schriftstellerin nach Nohant erfolgt ist, wie bisher überall unrichtig angegeben. Der Bruch zwischen Beiden erfolgte vielmehr weit später, wie ich unten mit Anführung der speciellen Vorgänge erzählen werde.

Im Winter 1847 bis 1848 war Chopin's Gesundheitszustand ein sehr schwankender, aber er konnte doch wenigstens wieder, wenn auch mit Unterbrechungen, gehen und arbeiten.

Am 16. Februar 1848 gab er im Pleyel'schen Saale ein Concert, das erste öffentliche seit dem Februar 1842.

Ein gewählteres Publicum, als er an diesem Tage hatte, konnte sich der Maëstro nicht wünschen. Der Saal war überfüllt, obgleich die Billets zwanzig Franken kosteten, und Beweise der höchsten Verehrung und Bewunderung seiner Genialität wurden ihm zu Theil. George Sand war auch zugegen. Sie saß mit ihrem Sohne Maurice und mit Liszt in einer Fensternische. Chopin fühlte sich selbst tief ergriffen von seinem Concert. Dieser Triumph, der letzte, den er in Paris erlebte, war Balsam auf die Wunde, die ihm das Schicksal an seiner Gesundheit geschlagen. –

Durch die fürchterlichen physischen Leiden geschwächt, war der kranke Chopin im letzten Winter von Tag zu Tag launischer und unverträglicher geworden. Die Freunde, welche George Sand's Haus besuchten, wurden dem Kranken unbequem, und er zeigte sich ihnen so unliebenswürdig wie möglich, was der berühmten Schriftstellerin selbstverständlich nicht gerade angenehm war. Dazu kamen ferner Reibungen zwischen dem Maëstro und der Familie Dudevant aus Anlaß der Verheirathung Solange's, welche nicht in Chopin's Sinne gelegen und sich hernach auch als eine unglückliche herausstellte. Dann war der Sohn, der inzwischen zum Manne herangewachsen, nicht immer mit den Ansichten Chopin's, der noch weiter seinen Vormund, wie früher, spielen wollte, einverstanden. Es fielen pikirte, scharfe Bemerkungen auf beiden Seiten, wobei George Sand auf der einen Seite als Mutter, auf der anderen als Geliebte sich in die peinlichste Lage versetzt sah.

Nachdem sie auf die verschiedenste Art vergeblich versucht hatte, Ruhe und Frieden in ihrem Hause zwischen Chopin und ihren Kindern, ihrem Schwiegersohn sowie den sie besuchenden Freunden wieder herzustellen, wurde sie dieser fortwährend sich wiederholenden häuslichen Gespanntheiten überdrüssig, und eine leicht erklärliche Unzufriedenheit mit dem Urheber derselben stellte sich nach und nach bei ihr ein, zumal derselbe ihr auch schließlich persönlich mit seiner steten Verstimmtheit und seiner der ununterbrochensten Aufwartung bedürfenden Krankheit eine Last wurde. Die Pflege, welche sie früher gern versah, war ihr jetzt nach alle dem eine Arbeit geworden.

Da brach am 24. Februar 1848 die bekannte Revolution aus, welche ganz Paris in Unruhe und Aufruhr versetzte und Viele zur Flucht veranlaßte. Auch George Sand floh mit ihrer Familie aus dem aufständischen Paris nach ihrem stillen Landsitz, ließ aber Chopin in der alarmirten Hauptstadt zurück, da er zur Zeit gerade – in Folge der Anstrengungen bei seinem obenbeschriebenen Pleyel-Concerte – von großen Leiden geplagt, im Bette lag und nicht mitgenommen werden konnte.

Sie war sichtlich froh, auf diese Weise, scheinbar durch die Umstände gezwungen, von ihm loszukommen; denn sie wußte selber recht gut, daß er zu stolz war, um aus freien Stücken, wenn es ihm wieder besser ginge, nachzureisen oder ihr zuerst zu schreiben, ehe sie ihm ihre glückliche Ankunft in Nohant angezeigt und ihn zum Nachfolgen aufgefordert hatte.

George Sand behauptet zwar, sie hätte gleich nach ihrem Eintreffen auf dem Landsitz einen solchen Brief geschrieben. Allein Gutmann zweifelt sehr daran, zumal sie einen anderen gemeinschaftlichen Freund, der in der letzten Zeit zu Paris schon stark ihr Haus frequentirte, mit auf ihr Gut genommen; wenigstens steht das Factum fest, daß der Brief nicht in die Hände des Kranken gelangte. Und so war – da nun von keiner Seite sich Jemand rührte – die Trennung da und der Bruch fertig.

Gutmann glaubt übrigens nicht, daß bei Chopin die Flamme der Liebe für George Sand noch damals groß gewesen. Er meint, das Verhältniß zu der gefeierten Schriftstellerin sei dem Maëstro vielmehr nach und nach blos zur Gewohnheit geworden, wie auch deutlich aus einem Billet hervorgeht, welches Chopin [39] an Gutmann richtete und in welchem die Aeußerung sich findet: „Ich würde gern die Augen zugedrückt haben all dem gegenüber, was ich um mich sehe“ – wie schon gesagt, hatte George Sand bereits ihre Liebe einem Andern zugewandt – „wenn man mir nur erlaubt hätte, mit ihnen zu leben!“

Im April, als es wieder mit seiner Gesundheit etwas leidlich ging, reiste Chopin, dem Paris durch diesen Bruch und durch die politischen Unruhen verleidet war, nach England, wohin ihn viele wohlwollende und liebenswürdige Personen jenseits des Canals auf das Herzlichste eingeladen.

Hier hatten schon lange Chopin's Compositionen die verdiente Popularität erlangt. Es ist daher ganz natürlich, daß der Meister überall, wo er sich zeigte, mit großer Achtung und jener herzlichen Sympathie empfangen wurde, die der schönste Lohn des Dichters und Künstlers ist und die nicht wenig dazu beitrug, ihn sein Leid eine kurze Zeit lang vergessen zu machen. Nachdem er bei der Herzogin von Sutherland der Königin Victoria vorgestellt worden war und bei Hofe gespielt hatte, erhielt er Tag für Tag Einladungen in die ersten Häuser Englands, und überall wurde er mit Ehrenbezeugungen und als erklärter Liebling empfangen.

Jedoch dieser Trubel, die späten Abendgesellschaften und die Unbequemlichkeiten des Salonlebens waren natürlich dem angegriffenen Zustande des Gefeierten nicht zuträglich, weshalb dieser einer Einladung nach Schottland Gehör gab. Aber da kam er von der Skylla in die Charybdis; denn, wie vorauszusehen, wirkte der Aufenthalt in dem dortigen rauhen Klima erst recht nachtheilig auf seine Gesundheit. Die in Schottland herrschenden Nebel, nervösen Menschen besonders schädlich, beeinflußten seine Gemüthsstimmung und erzeugten von Neuem jene wilden Phantasien und Gedanken, die ihn schon früher während seiner Krankheiten gequält hatten.

Anfangs des Jahres 1849 kehrte Chopin nach Paris zurück, wo er bald nach seiner Ankunft einen schweren Verlust erlitt: Dr. Molin, der Arzt, dessen Sorgfalt der leidende Künstler die Verlängerung seines Lebens bei seinen früheren Krankheiten zu verdanken hatte, starb plötzlich.

Von dieser Zeit an ergriff den tiefbetrübten Patienten vollständige Verzweiflung, und seine Krankheit machte rapide Fortschritte. Die Aerzte wünschten, daß er seine ungünstige Wohnung mit einer luftigeren, sonnigeren vertauschen möge. Eine solche fand sich auch; allein leider war dieselbe für die Verhältnisse Chopin's zu theuer, und schon glaubte man, auf ein Miethen derselben verzichten zu müssen, als die Frau des Generals Obreskoff, eine Russin, die in Paris wohnte und eine große Verehrerin des Meisters war, davon erfuhr. Schnell eilte dieselbe zu dem Hauseigenthümer und sagte zu ihm:

„Ihre Wohnung kostet – wie ich gehört habe – vierhundert Franken pro Monat; – bitte, fordern Sie von Chopin nur die Hälfte. Den Rest werde ich Ihnen im Geheimen zahlen, ohne daß natürlich der Componist Etwas davon erfahren darf.“

Und so geschah es auch.

Eine andere Schülerin, die Gräfin Adele von Fürstenstein, welche von der drückenden Lage des Meisters ebenfalls hörte, besuchte den Kranken und legte beim Weggehen eine Rolle Gold auf den Kamin mit dem zarten Bemerken:

„Das ist die Vorausbezahlung für die Stunden, die ich nächsten Winter zu nehmen gedenke.“

Eine dritte Dame, Miß Stirling, wollte auch Etwas für ihn thun, als sie die pecuniäre Verlegenheit ihres Lehrers erfuhr. Allein da sie die delicate Natur Chopin's kannte, war sie um die Art der Ausführung sehr verlegen. Endlich schloß sie, da ihr im Augenblick kein anderes Mittel einfallen wollte, fünfzehn Stück Banknoten zu tausend Franken in ein Couvert und ließ dieses Päckchen anonym durch eine vertraute Hand seiner Pförtnerin überreichen, damit diese es Chopin gebe.

Es verflossen nun einige Tage, aber es trat keine sichtbare Aenderung in den Verhältnissen des Meisters ein, und Miß Stirling war deshalb über das Schicksal ihrer Sendung sehr beunruhigt.

Was war da zu thun?

Zuerst stellte sie die Pförtnerin, welche eine raffinirt dreinschauende Alte war, zur Rede; allein dieselbe wollte alle Briefe, die für Chopin angekommen waren, diesem stets sogleich überliefert haben. Darauf erfand Miß Stirling ein Märchen und erzählte dem kranken Meister, sie habe während seiner englischen Reise für ihn in die Lotterie gesetzt, und auf seine Nummer sei neulich ein Gewinn von fünfzehntausend Franken gefallen, die sie ihm in einem Couvert verschlossen durch seine Pförtnerin gesandt habe. Doch Chopin wußte von nichts. Er hatte ein Couvert mit fünfzehntausend Franken nicht erhalten, und so schien diese Summe für immer verloren.

Ein Proceß gegen die Pförtnerin, der das Geld übergeben war, konnte nicht gut angestrengt werden, da man derselben nicht das Gegentheil ihrer Aussage, sie habe alle angekommenen Briefe stets gleich dem Kranken überbracht, zu beweisen vermochte, zumal recht wohl einer der vielen Fremden, welche täglich bei Chopin vorsprachen, den Brief genommen haben konnte. Im Gegentheil, hätte man die Pförtnerin bei Gericht verdächtigt oder angeklagt, so würde dieselbe ihren Anklägern wahrscheinlich mit einem Verleumdungsproceß geantwortet haben.

Die Miß Stirling hatte nunmehr schon alle Hoffnung auf Wiedererlangung des Geldes aufgegeben; da kam dem kranken Maëstro, der seinen Verdacht gegen die Pförtnerin nicht los werden konnte, ein Gedanke, den er auch sofort ausführte, da er ihm, falls er nicht den gehofften Erfolg hatte, doch nicht weiter nachtheilige Folgen bereiten konnte.

Er sagte nämlich zu der Pförtnerin, als sie ihm eine neue Arznei heraufbrachte:

„Liebe Frau, die Aerzte sind alle zusammen Esel; sie wissen nicht, was mir fehlt. Darum rathen meine Freunde mir, ich solle den Alexis consultiren. Aber Alexis sagt, er könne nichts machen, bevor er nicht Haare von der betreffenden Person habe, über die man seinen Rath wünsche. Bitte, geben Sie mir doch von Ihren Haaren, damit ich Alexis damit anführen kann.“

Dieser Alexis war ein damals beim Volk in hohem Ansehen stehender Wahrsager.

Die Frau lachte verschmitzt über den Einfall Chopin's, entfaltete ihr Haar und schnitt ein Stück davon ab. Kaum aber war der Maëstro im Besitze desselben, da sagte er, Jene scharf fixirend:

„Ah, nun wird man Alles wissen, was Sie thun.“

In demselben Augenblicke bemerkte er einen Schauer von Schrecken bei der Pförtnerin, die nun in ihrer Angst gestand, daß sie das Geld in dem Couvert bemerkt und behalten habe.

Diese Geschichte klingt etwas unglaublich, ist aber dennoch streng wahr, und der Herausgabe jener Summe ist es zuzuschreiben, daß Chopin, bereits todtkrank, sich neu einrichten konnte. Es wurden noch Möbel gebracht, als er schon als Leiche auf der Bahre lag, was für die anwesenden Freunde ein schmerzlicher Anblick war.

Doch greifen wir nicht vor!

Zu Anfang des Octobers wurden Chopin's Verwandte von dem Zustande des Kranken benachrichtigt, und sofort eilte seine älteste Schwester Louise von Warschau nach Paris zu dem geliebten Bruder, begleitet von ihrem Gatten und ihrer Tochter.

Die Stunde der Auflösung ließ nicht lange auf sich warten. Chopin's Schwester Louise und sein treuer Gutmann verließen ihn keine Minute. Die Hand des Letzteren hielt er fast beständig in der seinigen.

Am 15. October – einem Montage – schien sein Zustand bedenklicher als je. Die Sprache hatte schon ihren Klang verloren, aber dennoch versuchte er Denen, die sein Lager umstanden, zuzulächeln, namentlich der Gräfin Delphine Potocka, welche tief ergriffen und unter strömenden Thränen am Fuße seines Bettes stand. Groß, schlank, weißgekleidet, schien sie ihm in ihrer hehren Schönheit eine himmlische Erscheinung zu sein, und als die Schmerzen ihm einen Moment der Ruhe gönnten, bat er sie leise, ihm etwas vorzusingen. Anfangs glaubte man, er phantasire. Allein er wiederholte seine Bitte noch einmal mit ernstem Nachdruck, und so bezwang die Gräfin Potocka ihre Thränen und sang mit glockenreiner, durch das Schluchzen leise vibrirender Stimme die berühmte Hymne an die Jungfrau, welche Stradella das Leben gerettet haben soll. Chopin schien weniger zu leiden, während er ihr zuhörte.

„O, wie schön ist das! Mein Gott, wie schön!“ sagte er leise. „Noch einmal – bitte, noch einmal!“

Die Gräfin, obwohl überwältigt von der schmerzlichsten Aufregung, setzte sich wieder an den Flügel und begann, wie von oben gestärkt, einen Psalm von Marcello. [40] Chopin ward indessen von Secunde zu Secunde schwächer, und alle an seinem Lager Stehenden sanken, von Schreck ergriffen und von einer unwillkürlichen Regung hingerissen, geräuschlos auf die Kniee. In dem Gemache herrschte eine feierliche Stille. Niemand wagte zu sprechen. Nur die wundervolle Stimme von Delphine Potocka tönte wie der Gesang eines Engels, der gekommen schien, um die Seele des edlen Meisters zu den Gefilden des ewigen Lichtes zu tragen.

Am nächsten Morgen verlangte der Scheidende die letzte Oelung, die ihm ein polnischer Priester in Anwesenheit der Prinzessin Adam Czartoriska, der Gräfin Potocka, Miß Stirling etc. gab. Während der Priester das Gebet der Sterbenden las, ruhte Chopin auf Gutmann’s Schulter mit geschlossenen Augen. Als aber das Gebet zu Ende war, öffnete der Sterbende plötzlich seine Lider und sprach mit klarem Blick und lauter deutlicher Stimme das „Amen“.

Dann fiel er wieder in seine Starrheit zurück, bis er Nachts um einen Trunk Wasser bat, den ihm Gutmann reichte. Nachdem der Scheidende seine Lippen damit genetzt hatte, hob er Gutmann’s Hand gegen seinen Mund, küßte dieselbe und hauchte mit den Worten: „Cher ami!“ seine Seele in Gutmann’s Armen aus, als eben die Uhr die dritte Morgenstunde des 17. Oktobers verkündete. Der Schmerz des Freundes war so unbeschreiblich, daß Graf Grzymala genöthigt war, denselben aus dem Zimmer zu bringen.

Das Glas, aus welchem Friedrich Chopin den letzten Trunk genossen, hat Gutmann sorglich aufbewahrt.

Als Chopin auf der Bahre lag, wartete der treue Freund bis zum letzten Augenblicke, um auch die todten Züge des berühmten Meisters von Winterhalter zeichnen zu lassen. Winterhalter befand sich seit Anfang September bei der Königin in Windsor zu Besuch, wurde aber mit jedem Zuge zurückerwartet, da Gutmann ihn gleich nach dem Ableben des gemeinschaftlichen Freundes per Depesche zurückgerufen. Er kam jedoch erst am Begräbnißtage an, nachdem der Sarg bereits geschlossen war, und inzwischen hatte Gräfle, der bekannte Mitarbeiter Winterhalter’s, die Gefälligkeit gehabt, für Gutmann die schöne Zeichnung aufzunehmen, welche, wie oben bemerkt, sich neben dem Winterhalter’schen Portrait des lebenden Chopin im Besitze Gutmann’s befindet.