Augsburg (Meyer’s Universum)

CCCIX. Kissingen Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band (1840) von Joseph Meyer
CCCX. Augsburg
CCCXI. Erfurt
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
[Ξ]

AUGSBURG

[89]
CCCX. Augsburg.




Gern weile ich bei deinem Bilde, du altes, ehrwürdiges Augsburg, du Vaterstadt von so manchen großen und guten Menschen, du Schauplatz von so Vielem, was als wichtig und folgenreich durch die Zeiten geht; du Stätte des redlichen Fleißes, du Wohnsitz hochherziger Gesinnung und biederer, altdeutscher Sitte! Wohl kann man sich erfreuen an dem Alten, wenn, wie hier, ein lebendiger Kern darin steckt, der die Gegenwart nährt, und Fruchtkeime für die Zukunft birgt. Man fühlt sich mitgeehrt, wenn die alten Städte ihrer großen Männer und Meister mit Festen und Bildsäulen gedenken, und das Herz schwillt, wenn man das ganze deutsche Volk sich bewegen sieht, ein Fest, wie Guttenberg’s, zu feiern. Aber es schwillt auch die Faust, wenn man, wie sonst Gotteswort, Presse und Lettern an Ketten sieht, und man merkt, das wohl hie und da vom schönen Jubel-Feste nichts übrig bleiben soll, als ein Dienstjubel. Dann ist’s recht, man thut wie Augsburg gethan und Nürnberg: – macht eine stille Gedankenfeier daraus, und läßt die Andern mit Glocken läuten, und die Thürmer blasen, und die Leute Begeisterung aus Champagner-Gläsern schlürfen, und die Zunftgenossen gerührt seyn, und breterne Buden bauen, und derbe Schmäuse und geschniegelte Reden halten, und Lieder dichten, so schön, wie nur je welche gedichtet worden sind bei der Dienst-Jubelfeier irgend eines knöchernen Staatsschreibers, der das große Verdienst gehabt hat, fünfzig Jahre lang des Papiers recht viel zu verbrauchen. – Ich halte es gern mit Denen, die keinem falschen Götzen räuchern mögen, wenn sie den Willen haben, einen wahrhaftigen Gott anzubeten, dessen Werde! tief unter dem Firmamente hervor das Licht gerufen, welches die ewige Nacht vom ewigen Tage scheidet. –

Aber zur Ordnung. Aus dem Guttenberg’s-Aerger wird doch keine Beschreibung Augsburg’s.


Stattlich – nicht eben schön und malerisch, – nimmt sich das große Augsburg auf seiner weiten, vom Lech durchströmten Thalebene von ferne aus. Mit der Fernsicht Erfurt’s, Nürnberg’s, Würzburg’s, Prag’s, Salzburg’s etc. kann’s freilich seine nicht messen. Der Landschaft fehlt ein Haupt-Schmuck; die Höhen nämlich mit den Mauerkronen, die, wie z. B. die Kaiserburg bei Nürnberg, herrlich über die Giebel hereinschauen. Doch wenn man der schönen, [90] kräftigen Gestalt der alten Stadt näher tritt, denkt man nicht mehr an den Mangel. Ungebrochen ist noch Augsburg’s Mauergürtel, und die hochgewölbten, schönen Thore sind so ganz, wie zu Maxen’s Zeit. Wer noch keine altdeutsche Stadt gesehen hat, dem thut sich in Augsburg eine Welt auf voll Neuheit. Unregelmäßigkeit ist hier alles; oder mit einem bessern Worte – Freiheit. Keine Straße ist ganz gerade. Bald stehen die Hauser vor, bald zurück; bald ist dort ein weit überhängender Giebel, bald da ein weit hervorstehender Erker; die Fenster sind bald klein, bald groß; bald zusammengerückt, bald weit auseinander; bunter, grell abstechender Anstrich färbt die Häuser, oft alte Freskomalerei von Meisterhand. Einige Häuser mit platten Dächern zieren Statuen; andere haben Thürmchen oder Thurmspitzen, oder altmodische Wetterfahnen auf den hohen Giebeln; wunderliches Schnitzwerk windet sich häufig um Thüren und Fensterbekleidungen, und an Eckhäusern fehlen auch die Holzbilder nicht, an denen sich seit Jahrhunderten Volkswitz übt. Häufig prangen Wappen über den Thoren, hie und da wohl auch eine Nische, meistens leer jetzt, für den Schutzpatron des Hauses. Schöne, mit Kaiser- und Heiligen-Bildsäulen verzierte steinerne Brunnen stehen auf Straßen, auf Märkten, auf den Höfen alter Paläste. Jedes, auch das gemeine Bürgerhaus, ist in der Regel stattlich, und läßt der Bewohner Tüchtigkeit, Wohlhabenheit, Fleiß und Ordnungssinn schon von außen erkennen. Die schönste Parthie dieser anziehenden Stadt und dasjenige Gebäude, in welchem sich Augsburgs vergangene große Zeit am deutlichsten wiedererkennen läßt, ist das Rathhaus, zu dessen äußerer und innerer Verzierung alle Künste des 16. und 17. Jahrhunderts ihr Bestes steuerten. Im sogenannten goldnen, 110 Fuß langen Prunk-Saale weilt man staunend, und begreift nicht, wie der Rath einer einzelnen Stadt es vermochte, solche königliche Pracht um sich zu häufen. Zeughaus, Siegelhaus, die Fuggerschen Paläste stammen aus nämlicher Zeit; und im Bischofshof (jetzt Schloß und Sitz der königlichen Oberbehörden des Kreises) zeigt man die merkwürdige Stätte, wo die protestantischen deutschen Fürsten ihr Glaubensbekenntniß vor Kaiser Karl V. und vor den versammelten Ständen des Reichs überreichten. Man weiß, wie noch bis auf den letzten Augenblick vom Kaiser und seinen Räthen vergeblich versucht wurde, diesen entscheidenden Schritt abzuwenden. Als der sächs. Kanzler Bayer schon aufgestanden war, das Bekenntniß vor dem Reichstage mündlich abzulegen, ließ ihm der Kaiser, – bedenklich wegen des Eindrucks, den der deutsche Vortrag auf die Stände machen möchte, – ein lateinisches Exemplar überreichen, mit dem Befehl, dieses abzulesen. Da antwortete der Mann fest und kühn: – „Wir sind auf deutschem Boden, und haben vor Deutschen unser Bekenntniß abzulegen; darum erlaube der Kaiser, daß es deutsch geschehe!“ und sogleich begann er den Vortrag mit so kräftiger Stimme, daß das zu Haufen versammelte Volk im Hofe unten jedes Wort vernahm. –

In breiten, großen Wellen lasse ich die Geschicke Augsburgs vor dem Leser dahin rauschen aus dem Meere der Zeit durch zwei Jahrtausende.

[91] Als blühende Römerstadt – als Augusta Vindelicorum – zeigt sich’s in der Geschichte zuerst und fünf Jahrhunderte früher, als im mittlern Deutschland, glänzte hier das Kreuz auf christlichen Tempeln. Schon im 2ten Jahrhunderte ward in Augsburg die erste christliche Gemeinde gegründet. Als Rom sank, ging auch seine Augusta unter; in den Verheerungsstürmen der eindringenden Barbaren erlag diese als erste Beute. Lange blieb sie wüst; unter Theodorich erst gelangte Augsburg als ostgothische Stadt wieder zu einiger Bedeutung, und um 600 macht sie sich als Bischofssitz bemerklich. Karl der Große befestigte sie, und im 8. und 10. Jahrhundert rauschen die blutigen Wogen der Entscheidungsschlachten Karls gegen die Baiern unter Thassilo und der Deutschen gegen die neuen Weltstürmer, die Ungarn, an ihren Mauern hin über das Lechfeld. Später, bei der Zerrüttung des Reichs, als Kaiser und Gegenkaiser einander bekriegten, und Anarchie die Bande lockerte, entwickelte sich, obwohl unter häufig wiederkehrenden, schweren Bedrängnissen, die Kraft des Gemeinwesens; die Macht des Reichsvogts und die Bischofsgewalt traten allmählig in den Schatten vor der Macht des Magistrats und der patrizischen Geschlechter, aus deren Mitte sich jener erneuerte. Hand in Hand damit ging der Zuwachs an Handel und Reichthum in Augsburg, welcher aus der im 12. Jahrhundert begonnenen engen Verbindung mit Venedig, Genua und den freien Städten der Lombardei sich entwickelte. Als sich im Jahre 1368 die Macht des Magistrats brach und er sie mit den Zünften theilen mußte, stand Augsburg in höchster Blüthe. In allen Ländern galt sein Ansehen und Handelsreichthum, und die Augsburger Handelsherren mochten es stolz mit Fürsten aufnehmen, die öfters Gesandte schickten. Daneben standen Kunst und Gelehrsamkeit in verdienter Anerkennung. Errungenes Freiheitsgefühl schlug in jedes Bürgers Brust, und als (1478) patrizische Geschlechter den Versuch wagten, die Rechte der Bürger zu schmälern, büßte ihr Haupt, Bürgermeister Schwarz, die Schuld am Galgen. Nun folgte eine Zeit, da für den überschwänglichen Reichthum die Gefäße zu eng waren und Prachtsucht und Ueppigkeit alle Schranken überstiegen. Die Fugger’s schwangen sich vom Webergesellen an durch Genie und Glück in neun Jahrzehnten zu den reichsten Kaufherrn in Augsburg, ja vielleicht in der Welt, empor; sie wurden die Rothschild’s ihrer Zeit, die den Kaisern Max und Karl V. oft die erschöpften Schatzkammern wieder füllten. Ganze Handelsflotten segelten unter Fugger’scher Flagge nach Indien und Amerika, und die Fugger’s prägten ihr Gold und Silber in eigenen Münzstätten aus. Die Kaiser machten sie zu Reichsgrafen, und ihr Geschlecht blühet noch in mehren Zweigen. Damals entstand auch die Fuggerei, ein geschlossener Stadttheil, mit Thoren und eigner Gerichtsbarkeit. – So überschwängliche Blüthe konnte nicht lange dauern. Augsburg hatte mit Venedig einerlei Schicksal. Der Handel, der sich nach Auffinden des neuen Wegs nach Indien und Amerika’s Entdeckung, der alten Bahn entfremdete, suchte andere Wohnorte auf. Augsburg’s Verkehr kleinerte sich von Jahr zu Jahr; zugleich sein Wohlstand. Viele Kaufleute zogen weg; nach den Niederlanden, nach Hamburg. Die Reformation und ihre Folgen, Religionskriege, halfen dazu, den Verfall der Stadt zu beschleunigen. [92] Zu Ende des 30jährigen Kriegs war die Bevölkerung, welche man früher auf 100,000 Seelen geschätzt hatte, auf 30,000 zusammen geschmolzen. Zwar erhob es sich durch Gewerbfleiß wieder; doch der Glanz, welchen ihm der Welthandel gegeben hatte, war auf ewig dahin. 1805 erlosch für Augsburg auch seine, seit 1276 als freie Reichsstadt ununterbrochen behauptete, Unabhängigkeit durch die Auflösung des Reichs, und die alte Augusta kam unter Bayern’s neues Königs-Zepter. Augsburg hat jetzt in 3700 Häusern 36,000 Bewohner. – Seine Industrie blüht und als Wechselplatz wird es immer einen hohen Rang behaupten.