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kräftigen Gestalt der alten Stadt näher tritt, denkt man nicht mehr an den Mangel. Ungebrochen ist noch Augsburg’s Mauergürtel, und die hochgewölbten, schönen Thore sind so ganz, wie zu Maxen’s Zeit. Wer noch keine altdeutsche Stadt gesehen hat, dem thut sich in Augsburg eine Welt auf voll Neuheit. Unregelmäßigkeit ist hier alles; oder mit einem bessern Worte – Freiheit. Keine Straße ist ganz gerade. Bald stehen die Hauser vor, bald zurück; bald ist dort ein weit überhängender Giebel, bald da ein weit hervorstehender Erker; die Fenster sind bald klein, bald groß; bald zusammengerückt, bald weit auseinander; bunter, grell abstechender Anstrich färbt die Häuser, oft alte Freskomalerei von Meisterhand. Einige Häuser mit platten Dächern zieren Statuen; andere haben Thürmchen oder Thurmspitzen, oder altmodische Wetterfahnen auf den hohen Giebeln; wunderliches Schnitzwerk windet sich häufig um Thüren und Fensterbekleidungen, und an Eckhäusern fehlen auch die Holzbilder nicht, an denen sich seit Jahrhunderten Volkswitz übt. Häufig prangen Wappen über den Thoren, hie und da wohl auch eine Nische, meistens leer jetzt, für den Schutzpatron des Hauses. Schöne, mit Kaiser- und Heiligen-Bildsäulen verzierte steinerne Brunnen stehen auf Straßen, auf Märkten, auf den Höfen alter Paläste. Jedes, auch das gemeine Bürgerhaus, ist in der Regel stattlich, und läßt der Bewohner Tüchtigkeit, Wohlhabenheit, Fleiß und Ordnungssinn schon von außen erkennen. Die schönste Parthie dieser anziehenden Stadt und dasjenige Gebäude, in welchem sich Augsburgs vergangene große Zeit am deutlichsten wiedererkennen läßt, ist das Rathhaus, zu dessen äußerer und innerer Verzierung alle Künste des 16. und 17. Jahrhunderts ihr Bestes steuerten. Im sogenannten goldnen, 110 Fuß langen Prunk-Saale weilt man staunend, und begreift nicht, wie der Rath einer einzelnen Stadt es vermochte, solche königliche Pracht um sich zu häufen. Zeughaus, Siegelhaus, die Fuggerschen Paläste stammen aus nämlicher Zeit; und im Bischofshof (jetzt Schloß und Sitz der königlichen Oberbehörden des Kreises) zeigt man die merkwürdige Stätte, wo die protestantischen deutschen Fürsten ihr Glaubensbekenntniß vor Kaiser Karl V. und vor den versammelten Ständen des Reichs überreichten. Man weiß, wie noch bis auf den letzten Augenblick vom Kaiser und seinen Räthen vergeblich versucht wurde, diesen entscheidenden Schritt abzuwenden. Als der sächs. Kanzler Bayer schon aufgestanden war, das Bekenntniß vor dem Reichstage mündlich abzulegen, ließ ihm der Kaiser, – bedenklich wegen des Eindrucks, den der deutsche Vortrag auf die Stände machen möchte, – ein lateinisches Exemplar überreichen, mit dem Befehl, dieses abzulesen. Da antwortete der Mann fest und kühn: – „Wir sind auf deutschem Boden, und haben vor Deutschen unser Bekenntniß abzulegen; darum erlaube der Kaiser, daß es deutsch geschehe!“ und sogleich begann er den Vortrag mit so kräftiger Stimme, daß das zu Haufen versammelte Volk im Hofe unten jedes Wort vernahm. –

In breiten, großen Wellen lasse ich die Geschicke Augsburgs vor dem Leser dahin rauschen aus dem Meere der Zeit durch zwei Jahrtausende.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/152&oldid=- (Version vom 8.11.2024)