Auf der Pußta
[547] Auf der Pußta. (Zu dem Bilde S. 545.) „Es giebt keine Pußten mehr!“ schrieb ein Wiener Schriftsteller vor ungefähr einem Jahrzehnt, nachdem er gelegentlich eines litterarischen Festes in Budapest drei Tage hintereinander die magyarische Gastfreundschaft genossen hatte. Ich war damals von dem Jubelruf des Mannes, welcher damit den riesigen Kulturfortschritt in Ungarn rühmend bezeichnen wollte, eigentlich recht unangenehm berührt. Hatte ich doch während meiner vielen langen Wanderungen zu Fuße oder zu Pferde durchs Ungarland die von Meister Lenau so unübertrefflich geschilderte Poesie magyarischer Landschaft nachfühlen gelernt. Und wo könnte diese Naturpoesie eindringlicher wirken als auf der einsamen weltentlegenen Heide in ihrer duftig herben Ursprünglichkeit? Die klaren frischen Morgen in der betauten Steppe, aus deren durchsichtigem Aethermeer uns jubelnder Lerchengesang begrüßt, wer könnte sie vergessen? Oder die Abende mit dem tiefroten Sonnengold am Rand der Steppe, den dunkelvioletten Sandhügeln, dem blitzenden Schimmer im stillen Weiher, über dessen glattem Spiegel pfeilgeschwinde Kibitze ihr Klagelied anstimmen und schlanke Reiher die Welt in ihrem schönen Spiegelbild betrachten. Schön ist die Pußta, wenn des Nachts das Licht der hellfunkelnden Sterne vom dunkeln Himmel niederleuchtet wie in Mittagsglut, wenn die Fee Morgana ihre köstlichen Phantasiebilder in die heiß zitternde Luft zaubert!
Und all das soll binnen einem Jahrzehnt dem Vordringen der Kultur gewichen sein? „Unsinn, Freund!“ schrieb mir ein alter Kriegsgefährte auf meine Anfrage, „der Mann, welcher im lieben Ungarlande keine Pußten mehr entdecken konnte, ist entweder über Budapest nicht hinausgekommen oder hatte den Kopf vom Tokaier so voll, daß er überhaupt nichts mehr sah, denn, baratom, zu Deiner Beruhigung sei es konstatiert, daß mein Pußtenparadies nebst vielen andern, ähnlichen Paradiesen meiner geliebten Heimat noch heute wie vor hundert Jahren besteht und so Gott will in weiteren hundert Jahren wie heute bestehen wird.“
Man kann sich meine Freude beim Anblick des Bildes denken, dessen urwüchsig getreue Darstellung die prophetischen Worte meines magyarischen Kriegsgefährten so prächtig illustriert. Da ist ja die alte prächtige Heide, wie sie der liebe Gott in grauer Urzeit geschaffen und genügsame Menschen bis heute bewahrten! Da ist die gebrechliche Csarda, welche doch kein Steppensturm hinwegfegt, und in welcher abwechselnd Hirten und „arme Bursche“ – dies der landesübliche Ausdruck für Räuber – oder auch Beide in gemütlicher Gemeinschaft ihre frischen Dirnen bei Zigeunermusik, Gläserklang und Sporengeklirre im feurigen Csardastanze schwenken! Da auch der unentbehrliche Heidebrunnen, umgeben von den vierfüßigen Steppenpensionären, welche, genügsam wie die Steppenmenschen, sich an dem trockenen Heidegras gütlich thun, und im Vordergrund endlich das junge Menschenpaar des kleinen Magyarenparadieses, von Schalk Amor durch das nach saftigem Gemüse lüsterne Pferdchen zusammengeführt.
Hei, was gilt die Wette, daß es eine Hochzeit giebt, ehe der Herbst ins Land gekommen? Ach, Pußtamenschen haben es in dieser Beziehung so beneidenswert leicht. Sie brauchen weder stilvolle noch andere Möbel, die Wäsche hat die Braut selbst gesponnen und gewebt und für das „Service“ genügt eine Schüssel, zwei Holzlöffel und das scharfe Gürtelmesser des Bräutigams, das zum Zerkleinern von Fleisch und Brot ebensogut wie zum Tabakschneiden taugt. F. Sch.