Auf der Pilzjagd
Auf der Pilzjagd.
Kinder, heute ist’s Sonntag, die Sonne glänzt prächtig am klaren Himmel, heute nachmittag ‚geht’s in die Pilze‘!“ So lautet der volksmäßige Ausdruck im lieben Schlesierlande.
Diese Ankündigung der Eltern wurde von uns Kindern stets mit stürmischem Jubel begrüßt, und mit Körben und Taschenmessern ausgerüstet, rückte die ganze Familie zum Feldzug gegen die widerstandslosen Erzeugnisse des Waldes aus.
Auf die jugendliche Phantasie wirkt der Wald mit seinem geheimnißvollen Leben und Weben, seiner erhabenen Ruhe und Einsamkeit um so mächtiger ein, als sich damit ein gruseliger Furchtschauer vor einem unbekannten Etwas verbindet, ähnlich wie er bei Kindern auch durch Erzählung von Gespenstergeschichten am Abend hervorgerufen zu werden pflegt. Wird dieser Furchtschauer im Walde aber durch das Bewußtsein behoben, daß man sich unter der sichernden Obhut der natürlichen Beschützer befindet, dann tritt die volle, süße Waldeslust mit heller Freude in ihre Rechte.
Eingerückt in den grünen, schattigen Naturdom, durch den sich hie und da freundliche Sonnenstrahlen stehlen, gilt es nun, sich als tüchtiger Finder und Sammler zu zeigen; triumphirende Rufe erschallen von da und dort, wenn einer oder der andere ein recht schönes Pilzexemplar entdeckt hat und seinem Korbe einverleibt. Die Zeit vergeht im Fluge, bis die Eltern, welche bis dahin fortgesetzt sorgten, daß die Schar in ihrem Gesichtskreis bleibe, bei schon tiefstehender Sonne den Sammelruf erschallen lassen. Auf weichem Moospolster wird im Kreise gelagert, und jeder schüttet seine Schätze vor sich aus, damit, nach Art und Menge des Gesammelten, bei dessen Prüfung praktische Belehrungen stattfinden, zunächst festgestellt werde, wer als König oder Königin des Tages zu ehren sei. Ein aus Waldblumen geflochener Kranz, auf das Haupt des Würdigsten gesetzt, ist das sehr erstrebte und mit Stolz getragene Zeichen der errungenen Anerkennung, und frisch und froh tritt die Familie den Heimweg an, in Erwartung des schönen Pilzgerichtes, das Mutter am Abend bereiten wird.
Dergleichen Jugendeindrücke sind bleibend und machen sich gelegentlich im späteren Alter wieder geltend. So ist es auch mir ergangen.
Jetzt erst, im höheren Alter, ist es mir gestattet, mich anhaltend und unbehindert der seit der Jugendzeit unvergessenen und nun neu erwachten Lust zur Pilzjagd hinzugeben und dieselbe, mich zum „Fex“ ausbildend, als Sport zu betreiben. Diese unterhaltende Jagd regt zu andauerndem Aufenthalt im schönen grünen Wald und seiner ozonreichen Luft an und veranlaßt zu einer anhaltenden, die Gesundheit fördernden Bewegung, die ohne diese Unterhaltung vielleicht ermüdend sein würde. Die Ergebnisse dieser Jagd sind auch nicht gering zu achten. Das Wild ist im freien Walde überall zahlreich vorhanden und verfällt dem Jäger, ohne daß er eine Jagdpacht dafür zu erlegen hat. –
Bei dem hohen Interesse, welches sich den Pilzen, oder wie man in Süddeutschland sagt, den Schwämmen als vorzüglichem, infolge mangelhafter Kenntniß leider noch zu wenig ausgenutzten Nahrungsmittel in neuerer Zeit zugewendet hat, ist eine große Zahl wissenschaftlicher Werke über dieselben erschienen, die aber auf den Zweck der praktisch auszuübenden Pilzjagd wenig oder gar nicht zugeschnitten sind. Diese letztere zu behandeln, auf zeitliche und örtliche Betreibung derselben hinzuweisen und die darin gemachten Erfahrungen zu Nutz und Frommen werdender oder schon angehender Pilzjäger mitzutheilen, ist der Zweck dieses Aufsatzes. Ich werde dabei nur diejenigen vier Pilzarten behandeln, deren Werth als gesundes, wohlschmeckendes und kräftiges Nahrungsmittel allgemein anerkannt ist, allen andern voran steht, und bei deren Einsammlung wegen der leichten Unterscheidbarkeit keine Gefahr der Verwechslung mit Giftpilzen zu befürchten steht. Wer diese vier Pilzarten noch nicht kennt, findet, wenn ihm nicht plastische Nachformungen derselben zu Gebote stehen, oder er von einem Manne der Erfahrung praktisch in deren Kenntniß eingeführt wird, in mehreren Pilzwerken recht naturgetreue Abbildungen, so namentlich auch in dem im Verlage von Schreiber in Eßlingen erschienenen Werke des Professor Dr. Ahles in Stuttgart, dessen Abbildungen von Heinrich Groß ausgeführt sind.
Die gedachten vier Pilzarten, nach ihrem Erscheinen im Jahr zeitlich geordnet, sind: 1) Die Morchel; 2) der Champignon; 3) der Steinpilz; 4) der Reizker.
Die Morchel. Die am häufigsten vorkommenden beiden Arten derselben sind die kegelförmige schwarzgraue Spitzmorchel (morchella conica) und die gelbe oder gelbbraune Speisemorchel (morchella esculenta) mit rundem oder ovalem Hut. Die Morcheljagd gewährt um deswillen einen erhöhten Reiz, als sie in die Jahreszeit fällt, in welcher alle Knospen springen und die Blüthenkelche sich öffnen. Wenn die gelbe Butterblume auf den Wiesen in Blüthe steht und die Primeln erscheinen, da rüstet sich der Pilzjäger zu den ersten Ausflügen des Jahres. Die Morchelsaison steht am höchsten während der Blüthe der Mairöschen. Die ersten Morcheln erscheinen, wenn die Luft feucht und warm ist, besonders nach warmem Regen, manchmal schon Mitte März, namentlich die Spitzmorchel, welche immer früher auftritt als die Speisemorchel. Nach mehrjährigen Erfahrungen liegt die eigentliche Morchelzeit vorzugsweise zwischen dem 10. April und dem 15. Mai.
Auf sandigem, nicht feuchtem Waldboden mit Laubholzgebüsch bestanden, auf kurzrasigen Berg- und Waldwiesen mit gleichem Boden, an den Abhängen von Bachschluchten hat man sie zu suchen; namentlich wird man sie aber an diesen Orten selten ohne Erfolg suchen, wenn daselbst die Esche wächst. Die Morchel steht in merkwürdiger Beziehung zu diesem Baum, denn an Orten, wo sie dauernd heimisch ist, wird man in der unmittelbaren Nachbarschaft fast immer die Esche und namentlich alte Exemplare dieses Baumes finden. Ob nun die beiden so ungleichen Gewächse nur durch die gemeinsame Liebhaberei für den gleichen Boden sich zusammenfinden, oder ob hier, wie man neuerdings entdeckt haben will, eine noch innigere Beziehung zwischen Baum und Pilzart vorliegt, indem die Hyphen, die Fadenzellen gewisser Pilze zur Beförderung der Ernährung der Wurzeln entsprechender Bäume beitragen, sei dahingestellt, jedenfalls spricht meine Erfahrung für innige Gemeinschaft zwischen Esche und Morchel, eine Beobachtung, die mir noch in keinem Pilzwerke entgegen getreten ist.
Im Gebüsch, wo die Erde mit dem abgefallenen Laube bedeckt ist, dessen Farbe mit der der Speisemorchel übereinstimmt, ist es für den Anfänger nicht leicht, den Pilz zu entdecken, doch bald übt sich das Auge und die Suche wird lohnender.
Außer an Orten, wo sie heimisch ist, erscheint die Morchel manchmal überraschend auch an anderen Punkten, wenn eine günstige Ablagerung ihres Samens, der Sporen, dort stattgefunden hat; aber dann in der Regel nur einmal, wenn die Bedingungen für ihr dauerndes Fortkommen nicht vorhanden sind. So habe ich die Spitzmorchel bisweilen auch in Gärten, in den Buchsbaumeinfassungen der Gänge gefunden, namentlich wenn letztere mit Lohe bestreut waren.
In den Falten des Hutes der Morchel setzt sich in der Regel Sand oder Humus ein, und das hohle Innere des Hutes dient oft Schnecken oder kleinem Gewürm zum Aufenthalt; man mag die Morchel nun frisch genießen oder trocknen wollen, so muß sie außen und innen gereinigt werden. Zu diesem Zweck schneidet man sie der Länge nach durch in zwei Theile und behandelt sie beiderseitig mit einer kleinen weichen Bürste.
Der Preis für ein Pfund getrockneter Morcheln stellt sich im Handel auf etwa 6 Mark; für denjenigen, der frische Morcheln kauft, diene als Anhalt für die Werthbestimmung, daß ein Pfund frischer Speisemorcheln getrocknet nur ein Zehntel, ein Pfund frischer Spitzmorcheln getrocknet nur ein Achtel Pfund wiegt. Mit der Morchelsuche kann man das Einsammeln von jungem Waldmeister sehr zweckmäßig verbinden.
Der Champignon. Von der künstlichen Kultur dieses Pilzes wird hier, wo es sich um die Suche in Wald und Flur handelt, abgesehen.
Die Champignonzeit beginnt mit dem Anfang Juni und dauert den ganzen Sommer und Herbst hindurch bis zum Eintritt des Frostes. Ich habe Mitte November noch ganz junge Champignons gefunden. Der Farbe des Hutes nach giebt es zwei Arten: den weißen, glatthäutigen, der sich, wo er nicht unter Gesträuch wächst, dem Auge schon auf große Entfernung bemerkbar macht, und den braunen, dessen Oberhaut schuppig ist. Der weiße Champignon wechselt sehr in der Größe, bei der größten Spezies spielt die Oberhaut des Hutes etwas ins Gelbliche. Der Champignon ist zu sammeln, so lange der Hut noch ganz geschlossen oder nur glockenförmig geöffnet ist; ist der Hut ganz geöffnet, tellerartig flach, und sind die Lamellen, Blättchen an der Unterseite, von dunkler Chokoladenfarbe oder gar abfärbend, dann lasse man ihn stehen, er ist für den Genuß nicht mehr brauchbar.
Das Vorkommen des Champignons ist noch weniger an den Wald gebunden, als das der Morchel; er zeigt sich, oft truppweise, an Chausseegräben, auf Weide- und Exerzierplätzen, Mistbeeten, Komposthaufen, vorzugsweise da, wo verwesende Auswurfsstoffe, namentlich Pferdemist, abgelagert sind. Im Walde erscheint er meist nur an den Rändern oder in den Moospolstern lockerer Waldbestände, jedoch habe ich ihn auch in höherem Nadelstangenholz gefunden.
Der Steinpilz. Bei der Jagd auf diesen Edelpilz darf man die richtige Zeit nicht versäumen, weil sein Erscheinen in den Jahren, in welchen er massenhaft auftritt, zwar in der Regel zweimal in Menge erfolgt, aber immer nur auf eine Dauer von fünf bis zehn Tagen. Man muß daher zu den weiter unten anzugebenden Fristen die Reviere täglich abgehen, um die richtige Zeit wahrnehmen zu können und die Exemplare jung zu erlangen. In den Wäldern am Ufer des Ueberlinger (Boden-) Sees fand im Jahre 1884 die erste Saison vom 1. bis 10. August, die zweite vom 17. bis 22. September statt; im Jahre 1885 die erste Saison vom 15. bis 25. Juli, die zweite vom 15. bis 25. September. In diesen Zeiten habe ich Steinpilze zu vielen Hunderten gesammelt, vereinzelte wohl auch vor- und nachher bis Mitte November.
Das Jahr 1882 war in seinem Erträgniß dürftig, es ergab nur 68 Stück, im Jahre 1883 gab es so gut wie gar keine, ich fand trotz eifrigster Jagd im ganzen nur 4 Stück. Der Einfluß der Witterung kann nach meinen Tagebuchnotizen bei dieser auffallenden Verschiedenheit des Erscheinens in den gedachten 4 Jahren nicht allein maßgebend gewesen sein. Um, wenn der Steinpilz massenhaft auftritt, beim Sammeln nicht für den Genuß weniger brauchbare, für die Fortpflanzung aber noch dienliche Exemplare abzuschneiden, drücke man vorher mit dem Finger auf den Hut. Macht der Finger keinen Eindruck, so ist der Pilz jung und man schneide ihn ab, andernfalls lasse man ihn stehen. Beim Sammeln aller Pilze beobachte man die Regel, den Stiel dicht am Boden abzuschneiden und die stehen gebliebene Schnittfläche mit Moos oder noch besser mit Boden zuzudecken, damit die Pilzfliege nicht ihre Eier hineinlege und die daraus entstehenden Maden der ferneren Entwickelung nachtheilig werden.
Der Steinpilz ist ein richtiger Waldpilz, der nur im Walde oder an dessen Rändern vorkommt; er liebt lichte, luftige Stellen des Waldes, daher man ihn auch häufig an den Waldwegen findet; den lichten Hochwald ohne Unterholz zieht er dem dichten Bestande vor; er wendet sowohl dem Laub- als dem Nadelholzwald seine Neigung zu, doch scheint ihm von allen Baumarten die Eiche am meisten zuzusagen, wenn er zu ihr auch nicht in so innigen Beziehungen steht wie die Morchel zur Esche.
Der Reizker. Er wird, im Gegensatz zu dem in seiner äußern Erscheinung ihm ähnlichen Giftreizker, der echte Reizker genannt, doch ist eine Verwechselung der beiden Pilzarten auch für den Laien dadurch ausgeschlossen, daß der echte Reizker beim Schnitt oder Bruch einen stark [515] hervorquellenden orangefarbenen, der Giftreizker dagegen einen weißen milchigen Saft von sich giebt.
Der Reizker ist ein Herbstpilz, und die Zeit, in welcher er nach Menge und Güte am besten zu sammeln ist, geht von Mitte September bis Mitte Oktober. Vereinzelt kommt er schon Ende Juli vor und so auch nach der Hauptsaison bis in die Mitte des November.
Was die Oertlichkeiten betrifft, an denen dieser Pilz zu suchen ist, so liebt er das Nadelstangenholz mit trockenem sandigen Boden, wo man ihn, namentlich im Tannenholz, oft in größerer Menge antrifft, in Hochwaldungen erscheint er nur vereinzelt. Die ergiebigste Ernte jedoch macht man an kurzrasigen Rändern, wenn solche das gedachte Stangenholz umsäumen, und auf wenig begangenen Graswegen, die durch dasselbe führen.
Man sammelt nur solche Exemplare, deren Hutränder noch nach unten gebogen sind, ein Zeichen der Jugend; in der Regel werden die so geformten Exemplare noch klein sein, doch habe ich alljährlich wiederkehrend an einer bestimmten Stelle riesige und stets ganz gesunde und frische Reizker mit nach unten gebogenem Hutrande gefunden, die eine besondere Spielart dieses Pilzes zu sein scheinen. Einen derselben habe ich gemessen, dessen Hut 18 cm und dessen Stiel 3 cm im Durchmesser hatte, diese Riesenreizker haben stets einen vollen, massiven Stiel, während dieser beim gewöhnlichen Reizker meist hohl zu sein pflegt.
Der Reizker giebt, sowohl frisch als getrocknet, auch ohne Fleischbrühe nur in Wasser mit etwas Gries gekocht, eine ganz vorzügliche Suppe, die in der Farbe der Krebssuppe gleicht, dieselbe aber an Wohlgeschmack wegen des eigenthümlichen Pilzaromas noch übertrifft. Das Kochen in Fleischbrühe steigert die Güte. Die ausgekochten Pilze werden mittels Durchschlags beseitigt.
Zum Schlusse noch einige allgemeine Bemerkungen.
Außer den vorstehend behandelten vier Edelpilzen, welche sowohl in frischem als getrocknetem Zustande für den Genuß vorzüglich zu verwerthen sind und die ich, jede Art für sich, getrocknet besonders aufbewahre, trockne ich alle übrigen genießbaren Pilze und verwahre sie zusammen gemischt; sie geben – einige Hand voll – ohne weitere Zuthat wie die Reizker ausgekocht, ebenfalls vorzügliche Suppen; bei der Verwendung von Fleischbrühe genügt eine erheblich geringere Menge.
Die Aufbewahrung der getrockneten Pilze, welche in Säcken leicht Feuchtigkeit anziehen, erfolgt am besten in gut verschlossenen gläsernen oder thönernen Gefäßen und in Blechbüchsen an trockenen Orten.
Die Ausrüstung zur Pilzjagd besteht zunächst in einer großen Botanisirbüchse zur Unterbringung des Gesammelten, innerlich mit einem Schieber versehen, um leicht zerbrechliche Pilze von den schweren massiven trennen zu können. Will die Büchse für die gemachte Beute nicht ausreichen, so werden die Pilze gleich im Walde geputzt, da sie dann erheblich weniger Raum beanspruchen.
Ferner versieht man sich mit einem derben, gegen Sonne und Regen zu brauchenden, event. als Stock dienenden Schirm und einem Plaid zur Herstellung einer behaglichen Lagerstätte. Bei größeren Ausflügen wird auch Speise und Trank in die Büchse gepackt, und ein nach flottem Marschieren und reger Sammelthätigkeit durch scharfen Appetit gewürztes Mahl, gelagert auf Plaid und weichem Moospolster, im schönen grünen Wald, ist wahrlich ein gut Ding und Pilzjägers Lust und Lohn. A. T.