Auf Wilhelmshöhe im Jahre 1879

Textdaten
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Autor: M. Carl
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Titel: Auf Wilhelmshöhe im Jahre 1879
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 296–299
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Auf Wilhelmshöhe im Jahre 1870.
Erinnerungen eines Artilleristen.


Wer das schöne, park- und fontainenreiche Wilhelmshöhe bei Kassel kennt, der wird sich eines militärischen Gebäudes erinnern, das sich inmitten der jenseits des Schlosses gelegenen Rasenfläche erhebt. Es ist die Caserne.

Der Krieg 1870 hatte die streitbaren Insassen auch dieses Gebäudes über den Rhein geführt, dafür aber war eine andere Truppe eingezogen: die reitende Ersatzbatterie des in Kassel garnisonirenden Artillerie-Regiments. Zuerst war das nur der „Stamm“ gewesen, das heißt die von den verschiedenen mobil gemachten Batterien zu jener abgegebenen Unterofficiere, Mannschaften und Pferde, dabei aber Stiefvater und Stiefmutter der neuen Truppe nicht zu vergessen: der Batterie-Commandeur und der Wachtmeister. Aber mit jedem Tage war Zuschuß an Menschen und Pferden eingetroffen. Da kamen die alten Landwehren, die Weib und Kind daheim gelassen hatten, aber dennoch lieber „draußen“ mitgethan hätten, als daß sie, vorläufig wenigstens, beim „Schwamm“ ein verhältnißmäßig gemüthliches Leben führten. Es waren kernige Männer, die da unter dem Gesang der „Wacht am Rhein“ und des Preußenliedes in die Caserne einzogen, und die meisten von ihnen hatten schon Missunde oder Düppel, oder doch wenigstens die böhmischen oder süddeutschen Schlachtfelder oder Langensalza gesehen. So manche waren unter ihnen, deren ich noch heute in cameradschaftlicher Zuneigung gedenke. Da war der dicke, stets heitere und launige Bierbrauer aus Pyrmont, ehemals ein flotter Bonner Husar, dem es ein Hauptvergnügen war – natürlich wenn kein Vorgesetzter es hören konnte – beim Geschützexerciren sein „Gradaus mit Carvenaden geladen, nach dem Hercules, dreimalhunderttausend Schritt“ zu commandiren. Da war – auch ein früherer Husar, obendrein Einjährig-Freiwilliger – ein Dampfschifffahrts-Agent vom Mittelrhein, der sich jetzt einen alten Kanoniersrock und Nachmittags Schreiberdienste beim Wachtmeister gefallen lassen mußte. Freilich hat ihn das Hôtel Schombarth öfter gesehen als die Caserne, und er ist vom Dienst nicht magerer geworden. Wie lachten wir, als er bei einer späteren abermaligen Einziehung mit dem Cylinder auf dem Kopfe und im Mantel eines Trainsoldaten erschien, da man ihn in der Eile gar unter diese hatte stecken wollen. O, wenn ich sie hier alle aufzählen könnte, die braven Leute! Sie Alle waren seit Jahren des Kriegswerks ungewöhnt, aber doch muß es ihnen Allen zum Lobe nachgesagt werden: waren sie erst mit Helm, Säbel und Bandelier wieder ganze Soldaten, so ritt, fuhr und exercirte Jeder auch sogleich wieder, daß es eine wahre Lust war, dem zuzuschauen.

Schon waren einige Wochen in’s Land gegangen; die allgemeinen Siegesfeiern hatten auf Wilhelmshöhe einen kräftigen Wiederhall gefunden – da traf auf einmal, wie eine Granate in ein friedliches Manöverbivouac, mit der Nachricht von Sedan zugleich der Befehl in unsere Caserne, diese auf’s Schleunigste zu räumen, um für des gefürchteten Napoleon gesammten Marstall Platz zu schaffen. Napoleon, der siegreiche Kaiser, sollte, auf seinem Siegeszuge nach Berlin unliebsam aufgehalten, auf Wilhelmshöhe ständige Wohnung beziehen.

Groß war der Jubel, denn nun war ja auf einmal der Friede wieder gesichert – so rechneten wir –, und groß die Eile, mit der wir zogen. So ging es denn vom schönen Wilhelmshöhe fort nach zwei kleinen Dörfern, Ober- und Nieder-Zwehren unweit Kassel, in Bauernquartiere. Man denke sich ein kleines Haus, unten mit einem Zimmer und dieses mit einem Bett im Alkoven und einer an der Wand emporzuklappenden Bank, auf der dem einquartierten Vaterlandsvertheidiger Gelegenheit

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Kaiser Napoleon, auf Wilhelmshöhe eine Batterie im Casernenhofe inspicirend. Nach einer Photographie.
Gefolge des Kaisers. Der Kaiser. Graf Monts.

[298] gegeben werden sollte, angenehmen Träumen nachzuhängen, endlich eine Getreidekammer, in der sich für Geld und gute Worte noch ein strohgefülltes Bett vorfand, dazu im Uebrigen den besten Willen von Seiten der Wirthin – so war ein Quartier, und sicher nicht viel besser waren die meisten anderen. Bald jedoch wurden wir schon wieder umquartiert, nach dem Flecken Waldau bei Kassel, in welchem die ganze Batterie bequem untergebracht werden konnte und wo es sogar ein „Hôtel“ gab, das einem auch in der That sogleich ansah, wem es wirklich ganz hôtelmäßige Preise und wem geringere anzurechnen habe.

Und wieder waren vierzehn Tage dahin, als der Befehl anlangte, daß die Batterie auf’s Neue in Wilhelmshöhe Quartier zu nehmen habe. Napoleon hatte bald nach seiner Ankunft daselbst nahezu seine sämmtlichen Pferde verkaufen lassen und sein Marstallpersonal dem entsprechend bedeutend verringert: so konnte die wieder leer gewordene Caserne abermals durch eine Truppe belegt werden. Gegen Ende September also räumte die Batterie Waldau und marschirte durch Kassel die herrlich schattige Allee entlang, zurück nach ihrer alten Behausung.

Vor der Hauptwache war diesmal eine starke Infanteriewache unter dem Gewehr, an der vorübermarschirend wir mit dem bekannten „hörbaren“ Ruck die Augen rechts „nahmen“. Vor dem Hôtel Schombarth stand der Kellner neugierige Schaar, und aus einigen Fenstern der Caserne beschauten einige ebenso neugierige, uns völlig fremde Gesichter unsern Einmarsch. „Batterie geschlossen! Links marschirt auf!“ hieß es, „Abgesessen! Abgespannt!“ während das „siebente Geschütz“ munter von seinem Leiterwagen herabkletterte, auf dem es, das heißt die mit der edlen Reitkunst noch nicht genügend vertraute junge Mannschaft, einige ehemals „kurfürstlich hessische Nichtstreiter“ und einige Schreiberseelen, den Weg von Waldau bis hierher lachend und singend durchzogen hatte. Die vorausgesandten Quartiermacher wiesen die Ställe an, demnächst die Mannschaftsstuben. Bald kochte es in der Küche in den großen Kesseln, an denen eben jene absonderliche species militaris, die weiland kurfürstlich hessischen Nichtstreiter, unblutige Lorbeeren zu pflücken befehligt waren, und endlich konnte auch Jedermann seinen „Spatz“ (das Stückchen Fleisch) und seine Suppe im irdenen Teller fassen und sich’s schmecken lassen.

Der erste Nachmittag ging natürlich hin mit dem Reinigen und Instandsetzen der Wohnräume, mit dem Einräumen der Armatur- und Kleidungsstücke und dessen, was man sonst von „Muttern“ etwa vorsorglich mitgebracht hatte. Auch die Cantine auf dem andern Flügel der Caserne wurde aufgesucht und schön Mariechen, Cantinen-Wirths Töchterlein, begrüßt, welche Spirituosen, Bier und von der Mutter in großen Massen bereiteten heißen braunen Trank unter dem Namen Kaffee credenzte. Da fand sich nun auch, was es mit den neuen Mitbewohnern der Caserne auf sich hatte. Das waren die Stallknechte Napoleon’s und der in seiner Gesellschaft verbliebenen französischen Generale sowie Bedienstete aus dem königlich preußischen Marstall, von dem eine kleine Zahl prachtvoller Rappen dem kaiserlichen Gefangenen zur Verfügung gestellt worden war. Die königlichen Bedienten suchten natürlich sogleich als Berliner und hochstehende, aber dennoch leutselig sich herablassende Männer von Bildung uns zu imponiren. Mit den Franzosen dagegen knüpften wir die Bekanntschaft an, um unsere von der Schulbank stammenden französischen Brocken an den Mann zu bringen und als Hochgelahrte im einfachen Kriegerkleide vor ihnen zu glänzen. So war denn bald zwischen allen, Franzosen und Deutschen, Marstalldienern und Artilleristen, ein Einvernehmen hergestellt, welches ich mich nicht erinnern kann, je gestört gesehen zu haben.

Wir waren über ein Dutzend Freiwilliger bei der Batterie, von denen damals wohl die meisten vom Marschallstab in der – Packtasche träumten, und fanden uns zu zehn unter einem Sergeanten (der in England gewesen war, aber bei Ausbruch des Krieges sich wieder eingestellt hatte) in einer großen Stube wieder, die uns glücklicherweise den Ueberfluß besonderer Schlafzimmer gewährte, welche letzteren sich rechts und links an das Mittelzimmer anschlossen. Man stelle sich nun zehn an Handarbeit und häusliche Verrichtungen meist gar nicht gewöhnte junge Leute vor, die sich und das Ihrige völlig selbstständig zu besorgen und nach Casernengebrauch sich tageweise in der Reinerhaltung der Stube abzulösen, jeden Sonnabend aber gemeinsam eine große Reinigung derselben, mit Einschluß der Tische etc. vorzunehmen hatten. War es ein Wunder, daß von solchem Dienste Jeder sich zurückhielt, soviel er vermochte, daß beinahe jeden Mittag bei Uebernahme des „Stuben-du-jour-Dienstes“ vom Vorgänger die lächerlichsten Scenen und Zänkereien vorkamen, denen stets erst ein Donnerwetter des Sergeanten das Ziel setzte? – Junges Blut, gleicher Bildungsgrad, gleiche Absichten und leidliche Zulage von Hause brachte uns aber rasch näher, woher denn im Uebrigen das lustigste, einträchtigste Leben auf unserer Stube herrschte.

Am Morgen krochen und voltigirten wir von unserem Strohlager (je nachdem wir ebener Erde, oder erste oder zweite Etage des dreifach aufeinander gethürmten Bettengebirges schliefen), um uns alsbald unter die Zucht unseres gestrengen Herrn Lehrmeisters, Papa Lemecke, zu begeben. Dies war ein wackerer Sergeant, mit größter Unparteilichkeit seine Grobheiten an uns Alle gleichmäßig verschwendend, unermüdlich im Dienst wie gemüthlich und umgänglich und doch durchaus unbestechlich außerhalb desselben, ein braver Soldat, ein tüchtiger Reiter und – ein gelehrter Artillerist. „Wißt Ihr denn auch, was die Flugbahn so einer Granate eigentlich ist?“ fragte er in einer der ersten Vortragsstunden. „Nein, Ihr wißt es nicht; nun, ich will es Euch aber sagen: es ist eine Parabel.“ Und Staunen erfaßte uns Alle. Unser Lehrmeister ließ uns reiten, exerciren zu Fuß und am Geschütz, daß es eine Freude war, trotz Hitze oder Kälte, ob Regen, Schnee oder Trockenheit, und es muß anerkannt werden, seine Schüler sämmtlich dürften ihm viel verdanken, denn stramme militärische Erziehung, zumal die allererste, bringt immer gute Früchte, selbst bis wieder hinein in’s bürgerliche Leben.

Natürlich wurde die erste freie Zeit dazu benutzt, von Napoleon zu sehen, was zu sehen war. Aber man hatte das Schloß mit einem Ringe von Posten umzogen, ebensowohl, um dem Kaiser täglich vor Augen zu führen, daß er Gefangener sei, wie um den hohen Gast seinem Range entsprechend damit zu ehren und allzu Neugierige von ihm gebührend abzuhalten. – So sind auch wir nie in’s Schloß gelangt. Oft aber fuhr der Kaiser in dem königlichen Wagen mit königlichen Livree-Bedienten spazieren, und dann haben wir ihn auch zu sehen bekommen. Aber wer sich ihn etwa vorgestellt hatte, wie ihn der „Kladderadatsch“ wohl abzubilden pflegte, wohlgenährt, gesund, mit glänzend schwarzem, steif abstehendem Knebelbarte, schlau und heiter dreinschauend, der würde sich arg enttäuscht finden. Der Napoleon war das nicht. Das war für gewöhnlich ein in sich zusammengesunkener, kleiner, kranker Mann (übrigens mit blonden, stark schon in’s Graue spielenden Haaren), dem schwere Sorgen oder Schmerzen nur zu deutlich auf das Gesicht geschrieben standen und dessen Anblick schwerlich etwas anderes, als lebhaftes Mitgefühl erwecken konnte. Und er, dem noch vor Kurzem seine Pariser, seine Truppen zugejauchzt hatten, er saß, in Ueberzieher oder Militärmantel eingehüllt, im Wagen, still und wie ängstlich durch die neugierig gaffende Menge fahrend und höflich nach allen Seiten grüßend, oft auch, wenn Niemand ihm das Gleiche gethan hatte. Zuweilen auch ging er in den dem Schlosse zunächst belegenen Anlagen spazieren, er, der kleine Mann, geführt von zwei auffallend großen Männern, die uns als der Prinz Murat und General Graf Pajol genannt wurden, und von denen ersterer seine Länge noch durch einen, hohen Hut vergrößern zu wollen schien, während der Andere, im Uebrigen in Civil gekleidet, die rothe, goldgestickte Generalsmütze trug. In einiger Entfernung folgten ihm ein Polizeibeamter in Civil und einer der auf Wilhelmshöhe befindlichen Unterofficiere der Schloßgarde-Compagnie. Nur zuweilen zeigte er ein weniger sorgenvolles, auch gesünderes Aussehen als sonst, und einmal wagte er sich sogar auf’s Eis des oberhalb des Schlosses liegenden Sees und zog durch seine Kunstfertigkeit als Schlittschuhläufer eine Menge staunender Zuschauer, wohl ohne seinen Willen, an.

Ein einziges Mal nur kam Napoleon mit uns in nähere Berührung. Eines Morgens nämlich mußte die Batterie aus den Ställen ziehen, anspannen und, die Mannschaften im guten Anzuge, auf dem Casernenhofe in Parade sich aufstellen. Da kam nach einiger Zeit der Kaiser in Begleitung des General-Lieutenants Grafen Monts, des Gouverneurs von Kassel, vom Schlosse herüber zu Fuß nach dem Casernenhofe, um die Batterie zu besichtigen. Zuerst ging er langsam die Front entlang, mit scharfem Blicke Alles prüfend; dann wurde auf seinen Wunsch ein Geschütz abgeprotzt, und die Bedienung desselben mußte daran die Handgriffe des Ladens, Richtens und Abfeuerns etc. durchmachen. [299] Napoleon, der bekanntlich ein wirklich kenntnißreicher Artillerist war, folgte dem Exercitium mit großer Aufmerksamkeit und stellte, übrigens in fließendem Deutsch redend, mehrere eingehende Fragen. Als er aber unter Anderem seine Bedenken darüber ausdrückte, daß die Laffeten doch recht schwer zu sein schienen und namentlich schnelles Richten erschwert sein müsse, antwortete ihm der Hauptmann: „Majestät, wir haben aber bisher die besten Erfolge gehabt.“ Da schwieg der Kaiser. Bald nachher bedankte er sich beim Grafen Monts und bei unserm Hauptmann und verabschiedete sich, hierauf nach dem Schlosse zurückkehrend.

Ein unvermeidlicher Photograph war während dieser denkwürdigen Besichtigung zugegen und vermochte zwei verschiedene Momente derselben auf seiner Platte zu fixiren und zwei Bilder herzustellen, die ich der Redaction zur Disposition stelle.

Unter Dienst und Erholung, unter Anstrengung und Zerstreuung verging die Zeit, und wir merkten es anfangs kaum, daß es nachgerade Winter werden wollte. Bald aber empfanden wir das um so stärker. Wer gedächte nicht mehr der ungewöhnlich strengen und anhaltenden Kälte gerade im Winter 1870 auf 1871; wer hätte damals nicht unsre braven Soldaten vor Paris bemitleiden ob all des Ungemaches, das sie zu leiden hatten? Aber auch in Wilhelmshöhe war Winter. Eisiger Wind fegte über den Casernenhof; er durchkältete die dünnen Wände der nur als angenehme Sommerwohnung erbauten Caserne und drang durch die mangelhaft schließenden Fenster, sodaß weder wollene Decken noch glühende Oefen uns des Nachts vor Frost bewahren konnten. Dabei wurde uns der Dienst nicht geschenkt. Hatten wir, Morgen für Morgen beinahe, den fußhoch liegenden Schnee in der ersten Stunde bei Seite gebracht, so ging es an’s Exerciren wie zur schönsten Sommerszeit, und wenn im Uebrigen auch unsre gestrengen Corporale Alles thaten, uns warm zu machen, so blieb immer noch Ursache genug für die Fingerspitzen, zu frieren, für die unbehandschuhten Hände, zu erstarren. Der kalte Säbel, die kalte Granate beim Exerciren, oder die Zügel beim Reiten trugen zur Verbesserung unserer Lage auch gerade nichts bei. Darüber konnte weder der steifste Grog bei Schombarth, noch das deutlich in den Gesichtern der immer noch zahlreichen Besucher von Wilhelmshöhe zu lesende Mitleid hinweghelfen. Uns blieb nur die immer wachsende Sehnsucht nach dem Felde und dem voraussichtlich herrlichen Frühlinge in Frankreich.

Endlich sollte unser heißester Wunsch in Erfüllung gehen. Es war gerade Nachmittagsstalldienst, als plötzlich das Signal „Appell ertönte und gleich darauf das weitere „Trab“. Alles eilte und stürzte also vor das Thor nach denn Appellplatze, um sich in Reih’ und Glied zu stellen. Eben war eine Ordonnanz von Kassel heraufgekommen und – „Wer will mit nach Frankreich?“ rief der Wachtmeister. Jubelnd sprangen wir Freiwillige vor, mit uns eine ganze Anzahl der ältesten Landwehrmänner, die auch noch gegen die Franzosen, den Erzfeind, ziehen wollten. Während wir eben Alle notirt wurden – es waren mehr Leute vorgetreten, als verlangt wurden – und unsere Freunde trotz aller Disciplin gar zu laut sich äußerte, kam Kaiser Napoleon gerade gegenüber an der Orangerie, nicht fünfzehn Schritte von uns, geführt von seinen beiden großen Generalen, vor uns vorbei. Er blieb stehen und schaute uns eine lange Weile zu. Welche Gedanken mögen ihm in diesem Augenblicke gekommen sein, als er unsre freudige Stimmung und aus unsern lauten Ausrufen die Veranlassung zu derselben erkannte!

Das war das letzte Mal, daß ich den Mann gesehen habe, vor dem noch Monde vorher die Welt zu zittern schien. Den Abend war Gesang und laute Freude in der ganzen Caserne. Nach zwei Tagen kamen wir, völlig neu ausgerüstet und eingekleidet, nach Kassel zu den sich formirenden Ersatzcommando; eine Woche später überschritten wir mit laut schallendem Hurrah die fränkisch-deutsche Grenze. –
M. Carl.